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Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Tief müssen wir in den „Brunnen der Vergangenheit“ hinabsteigen heute, um eine Ahnung zu gewinnen von der Bedeutung und dem Sinn von Hebbels Drama
„Die Nibelungen“.
Zuerst müssen wir eine Vorstellung gewinnen von den Quellen Friedrich Hebbels,
von den Quellen des Nibelungenstoffes.
Der Quellenhintergrund des Dramas ist mehrstufig. Friedrich Hebbel bezieht den
Stoff vor allem aus dem „Nibelungenlied“, einer bekannten, aber anonymen Dichtung, welche um 1200 entstanden ist. Friedrich Hebbels Drama ist eigentlich
weitgehend einfach eine Einrichtung des Nibelungenlieds für die Bühne. Aber davon später. Das Nibelungenlied seinerseits ist eine Gestaltung des germanischen
Sagenstoffes, der aus der Zeit der Völkerwanderung stammt, also aus der Zeit
der Anfänge des Abendlandes, um 300 nach Christus. Das Nibelungenlied ist
nicht nur sagenhaft, es sind darin auch auf sagenhafte Weise historische Ereignisse verwoben, wie der Untergang des Römischen Reiches in der Völkerwanderung, Wirren und Kämpfe germanischer Stämme am strategisch wichtigen Rhein
und die Besetzung Mitteleuropas durch die Hunnen unter ihrem König Attila oder
Etzel im Jahre 434.
Das also ist unser Hintergrund heute:
Zum ersten: Mythos und Sage der Germanen, verwurzelt in den Wirren und
Kämpfen der Völkerwanderungszeit.
Zum zweiten: Eine Gestaltung dieses Komplexes von Mythos und Geschichte im
„Nibelungenlied“ um 1200 nach Christus.
Das Hochmittelalter um 1200 gestaltet nun den Sagenstoff nicht mehr wie die
Völkerwanderungszeit, sondern in die Gestaltung fliesst die Literaturauffassung
der eigenen Zeit mit ein. Die Literaturauffassung des Hochmittelalters nennt man
„höfisch“ oder „hochhöfisch“; es ist die Zeit der Blüte des Rittertums, die Zeit der
Artusepik und des Minnesangs. Die hochhöfische Epoche ist aber eine eminent
christliche Epoche. Das Nibelungenlied steht damit auch im Spannungsfeld von
Heidentum und Christentum.
Was heisst das nun alles für uns heute Abend?
Wir müssen versuchen, einen klaren Begriff davon zu bekommen, was Germanentum eigentlich ist. Was sind die Charakteristika des Germanentums? Und was
bedeutet es, wenn dieses Germanentum auf das Christentum prallt.
Dann weiter die Frage, welche Bedeutung das Germanentum heute noch haben
kann, inwiefern sich also eine Wiederaufnahme von Hebbels Nibelungen rechtfertigt.
Was also ist Germanentum? Woran denken Sie, meine Damen und Herren, wenn
Sie an die Germanen denken? Ich meine, Sie denken an neblige nordische Heiden, an Eichen, an Wälder, an wilde, blonde, bärtige Krieger, an Krieg und Kampf
und Kampfgeschrei, an Met, an Drachen, an Zauberei und Beschwörung, an verbrecherische Abenteuer, an "Bahre und düsteres Begängnis."
Hollywood hat sich dieser Vorstellungswelt längst bemächtigt, gerade kürzlich
habe ich einen Film gesehen über den Germanen „Beowulf“, ein fürchterliches
Action-Machwerk, es entspricht aber ganz dieser Vorstellungswelt.
Wir haben eine Vorstellung von einem Urvolk, das immer schon da war, das immer kampfbereit und drohend, unzivilisiert und gefährlich.
Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
Ich möchte Germanentum mit magischen sieben Stichworten charakterisieren:
Erstes Stichwort: Schicksal. Der Germane ist vom Schicksal beherrscht. Die Nornen, die Schicksalsgöttinnen, sind die höchsten Göttinnen, ihnen ist sogar Wotan
untertan. Was sie beschliessen und spinnen, gilt absolut, ohne Ausnahme, ohne
Gnade. So etwas wie einen freien Willen kennt der Germane nicht, das „Wehgeschick vollzieht sich“ in jedem Fall, man kann nichts dagegen tun, man muss es
auch gar nicht versuchen. Um Ihnen zu zeigen, wie gnadenlos das Schicksal ist,
oder vielmehr der Glaube daran, ein kurzer Blick auf das althochdeutsche Hildebrandslied, um 800. Der Vater Hildebrand ist lange Jahre als Krieger in der Welt
umhergezogen. Nach vielen Jahren trifft er auf seinen inzwischen erwachsenen
Sohn. Dieser erkennt seinen Vater nicht und fordert ihn zum Kampfe. Der Vater
Hildebrand erkennt seinen Sohn wohl, gibt sich aber nicht zu erkennen, es
kommt zum Kampfe und der Vater erschlägt den Sohn, weil es eben Schicksal
war, dass sie beide aufeinander treffen. So ist das Schicksal. Wenn es beschlossen hat, dass Vater und Sohn miteinander zu kämpfen haben, dann hat der
Mensch, weder Vater noch Sohn, daran etwas zu ändern. Schon nur der Versuch
wäre Blasphemie.
Das zweite Stichwort ergibt sich aus dem ersten. Kampf ist das Lebenselement
des Germanen. Alles entsteht im Kampf, die Schöpfung ist das Resultat des
Kampfes. Das Agens, die wirkende Kraft aller Dinge, ist der Kampf. Alles, was
entsteht, das entsteht im Kampfe, im Streit und Krieg, im Kampf auf Leben und
Tod. Wenn der germanische Krieger stirbt, kommt er in ein Jenseits, wo immer
gekämpft wird, die Wunden verheilen immer gleich wieder, sodass man sofort
wieder losschlagen kann. Diese Jenseitsvorstellung zeigt Ihnen, wie alles bestimmend der Kampf ist.
Das dritte Stichwort ergibt sich von selbst: Heldentum! Die einzig wirkliche und
gültige Daseinsform ist es, ein Held zu sein. Ein Held, der immer zum Kampfe
bereit ist, der Schild und Schwert immer griffbereit hat, einen Kampf auf Leben
und Tod zu bestehen. Der aber auch bereit ist, das Schicksal, das unabänderliche, auf sich zu nehmen.
Das vierte Stichwort lautet: Ehre! Ein Germane kämpft immer auch für seine Ehre. Verliert er die Ehre, dann verliert er sich selbst, Verlust der Ehre ist Verlust
der Person. Ehre bleibt an seine Person gebunden, es gibt keine Möglichkeit, den
Ehrbegriff von der Person zu abstrahieren. Wird der Held in seiner Ehre gekränkt,
dann ist das Schicksal und er wird alles rücksichtslos tun, seine Ehre wieder herzustellen.
Das fünfte Stichwort lautet: Treue! Ehre ist nur zu gewinnen und zu erhalten,
wenn man treu ist, treu sich selbst gegenüber, aber vor allem auch treu seinem
Lehensherrn, Fürsten und König. Ein Held kann nur sein, wer Ehre und Treue im
Leib hat. Alles, was Treue und Ehre bedroht, muss mit allen Mitteln bekämpft
werden. Verrat ist das fürchterlichste Verbrechen. Verrat schreit nach Rache, und
Rache ist ein Kind der Treue.
Das sechste Stichwort heisst Bedrohung! Die germanische Welt ist immer bedroht. Nichts ist sicher, alles lebt nur auf Zeit, das Schicksal aller Dinge ist ihr
Ende. Das Ende aller Dinge ist bereits im Schöpfungsmythos der Germanen allgegenwärtig, es wird mitgeschaffen: Der Drache Nidhogg nagt seit Urzeiten an
den Wurzeln von Yggdrasil, der Weltesche. Und es wird der Tag kommen, an
dem Götter und Menschen untergehen werden. Alles Germanische ist immer in
der Stimmung und der Haltung einer Endzeit. Das ist das siebte Stichwort.
Sie spüren bereits hier, meine Damen und Herren, dass diese Welt der Germanen uns so fremd nicht ist. Denken Sie nur an die nationalsozialistische Ideologie: Schicksal, Kampf, Heldentum, Bedrohung und Endzeit erfassen das, was Hit2
Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
ler über Europa gebracht hat, gültig und umfassend. Oder lesen Sie Texte von
Heavy-Metals-Bands, es sind die gleichen Stichworte. Und wenn Hollywood sich
eines Themas bemächtigt, dann hat das immer eine grosse allgemeingültige Bedeutung, sonst wären die Filme nicht erfolgreich.
Der Held ist ein Archetypus, der Lebensweg und die Entwicklung des Menschen
sind immer Heldenwege, der Kampf mit den anderen Helden, der Kampf mit dem
Drachen sind Entwicklungsschritte des Menschen. Ich will nun allerdings die
Germanen nicht allzu sehr psychologisieren, das würde zu weit führen.
Diese Sagenwelt greift nun möglicherweise ein Mönch um 1200 auf, in einem –
möglicherweise – österreichischen Kloster in der Nähe von Passau und schreibt
das Nibelungenlied, jenes mittelhochdeutsche Epos in 39 aventiuren und zweieinhalb Tausend Strophen, das Hebbel als direkte Grundlage dient für sein Drama.
Es ist nicht klar, wer das Nibelungenlied gedichtet hat. Die Vorstellung, dass da
ein Mönch im Sriptorium seines Klosters sitze und dichte, ist wohl zu sehr bestimmt von der Idee des individuellen Künstlers des 20. Jahrhunderts. Aber es ist
uns in vielen Handschriften überliefert, dieses Nibelungenlied.
Erstaunlich ist die Tatsache, dass offenbar klerikale Kreise sich für diese grundheidnische Germanenwelt interessiert haben. Es liegt nicht auf der Hand, dass in
einem Kloster derartiges gedichtet wird. Schon nur dieser Umstand zeigt die
Kraft und die Bedeutung dieser germanischen Welt. Selbst der Mönch im Kloster
widmet sich ihr und dies durchaus nicht, um sie zu verteufeln und als sündhaft
anzuprangern, sondern das Germanische bleibt in der christlichen Welt des
Hochmittelalters fast unangetastet stehen. Zwar wird im Nibelungenlied eine
ganz dünne Schicht Christentum aufgetragen, das germanische Heidentum wird
ein ganz klein wenig übertüncht von rein formaler Christlichkeit: die Helden gehen zur Messe, bevor sie sich totschlagen, die Ehen werden von einem Priester
geschlossen, aber das ist alles Fassade und Firniss. Das Nibelungenlied ist ein
grundheidnisches Epos, grundheidnisch und germanisch.
Trotzdem ist diese – wenn auch bloss formale – Hochzeit von Christentum und
heidnischem Germanentum von grösster Bedeutung für die deutsche Literatur.
Quasi zeitgleich mit dem Nibelungenlied entsteht auch Wolfram von Eschenbachs
PARZIVAL; darin gehen Christentum und Heidentum eine Synthese ein. Die germanischen Heldentugenden verbinden sich mit dem christlichen Denken und daraus entsteht der höfische Ritter des Mittelalters, der Gottes Ehre, aber auch das
Wohlwollen der Welt erreicht. „Gôtes êre und der werlde hulde“, wie es mittelhochdeutsch heisst. Etwas plakativ könnte man sagen, dass Deutsche Literatur
aus der Verbindung von Germanentum und Christentum hervorgeht. Die Verbindung wirkt heute noch.
Aber kehren wir zurück zum Nibelungenlied und nähern wir uns damit endlich
auch dem heutigen Abend.
Ich will Ihnen kurz den Inhalt des Nibelungenlieds erzählen:
Siegfried wird als Sohn von König Sigmund und dessen Gemahlin Sieglinde in
Xanten geboren, wächst jedoch ohne Wissen über seine Herkunft und den Tod
seiner Eltern bei dem Schmied Mime am Rhein auf.
Siegfried ist ein Held, wie er im germanischen Buche steht: Er tötet sechshundert
Recken und im Zweikampf den gefürchteten Drachen Fafner, der den unermesslichen Schatz, den Nibelungenhort, hütet, und badet in dessen Blut. Das Drachenblut macht seine Haut zu einem Schutzpanzer, dem nicht einmal ein Schwert3
Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
streich etwas anhaben kann. Allerdings übersieht Siegfried beim Bade ein Lindenblatt zwischen seinen Schulterblättern. Er bleibt deshalb an dieser Stelle –
seiner Achillesferse verwundbar. Darum heisst er übrigens bei Hebbel der „gehörnte Siegfried“. Also nicht weil er allenfalls Hörner gehabt hätte oder von seiner Ehefrau betrogen worden wäre, sondern weil er eben ganz aus Hornhaut besteht.
Alle Warnungen ignorierend, reißt er den "Nibelungenhort" an sich, also den mit
einem Fluch behafteten Goldschatz, den Alberich – der König des Zwergengeschlechts der Nibelungen – dem Drachen hatte überlassen müssen.
Als strahlender Held zieht er nun nach Worms und wirbt um Kriemhild, die
Schwester des Burgunderkönigs Gunther. Zunächst kommt es beinahe zum
Kampf zwischen Siegfried und den Burgundern, aber dann heißen sie ihn bei Hof
willkommen. Gunther verspricht ihm die Hand seiner Schwester unter der Bedingung, dass er ihm hilft, die isländische Königin Brunhilde zu erobern. Die Jungfrau verfügt über außergewöhnliche Körperkräfte und will sich nur mit einem
Mann vermählen, der sie bei Kampfspielen zu bezwingen vermag: Der Bewerber
muss einen Speer werfen, den drei Männer kaum zu tragen vermögen, einen
noch viel schwereren Stein schleudern und hinterherspringen. Weil Gunther dazu
nicht in der Lage wäre, setzt Siegfried die Tarnkappe auf, die er Alberich gestohlen hat und die ihn unsichtbar macht. Gunter tut so, als kämpfe er mit Brunhild,
in Tat und Wahrheit aber ist es Siegfried, der Brunhild besiegt. Sie muss sich geschlagen geben und wird bei einer Doppelhochzeit in Worms Gunthers Frau.
Brunhild hat aber irgendwie doch Verdacht geschöpft, und sie verweigert Gunter
in der Hochzeitsnacht den Beischlaf. Da ruft Gunther erneut Siegfried zu Hilfe.
Der setzt wieder die Tarnkappe auf und bricht Brunhilds Widerstand. Dabei raubt
er ihr – ein Symbol der Jungfräulichkeit – ihren Gürtel und schenkt ihn, wie
dumm von ihm, seiner Frau Kriemhild. Die Sache spitzt sich nun langsam zu.
Siegfried hat sich bei der Reise nach Island als ein Vasall des Königs Gunther
ausgegeben. Als nun die beiden Königinnen Brunhild und Kriemhild zur Messe
gehen, verlangt Brunhild den Vortritt, weil Kriemhild ja bloss die Frau eines Vasallen ihres Ehemannes sei, im gesellschaftlichen Rang also tiefer stehe. Es
kommt zum Streit und Kriemhild klärt ihre Freundin darüber auf, dass nicht Gunther, sondern Siegfried sie sowohl im Wettkampf als auch im Bett bezwungen
hat. Als Beweise zeigt sie ihr den Gürtel.
Jetzt gelangen Treue und Ehre zur Anwendung. Gunthers und Brunhilds treuer
Gefolgsmann Hagen von Tronje beschließt, die Schmach seiner Königin zu rächen. Als ein Germane bliebt ihm nichts anderes. Die Tatsache, dass auch er bei
diesem Spiel in Island mitgemacht hat, ist jetzt völlig unerheblich. Es geht um
Treue, Ehre und Rache.
Es wird eine grosse Jagd organisiert, an der auch Siegfried als grosser Held sofort bereit ist, teilzunehmen. Hagen schmeichelt sich vorher bei Kriemhild ein,
sagt, er wolle Siegfried beschützen und sie ist dumm genug, auf das Jagdgewand
ihres Gatten dort ein Kreuz hinzusticken, wo er verwundbar ist.
Während Siegfried am Brunnen trinkt, tötet ihn Hagen hinterrücks mit einem
Speer.
Kriemhild ist untröstlich über Siegfrieds Tod und schwört, ihn zu rächen. Um ihr
die Möglichkeit zu nehmen, durch die Verteilung des Nibelungenhorts Ritter um
sich zu scharen, raubt Hagen ihr den Goldschatz und versenkt ihn unauffindbar
im Rhein.
Jahre später hört der Hunnenkönig Etzel oder Attila von der stolzen Witwe
Kriemhild, schickt Markgraf Rüdiger von Bechelaren nach Worms, damit dieser in
seinem Auftrag um sie werbe. Hagen kann nicht verhindern, dass Kriemhild den
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Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
Antrag annimmt und sich im Gefolge Rüdigers auf den Weg zur Etzelburg macht,
um dort die Frau des Hunnenkönigs zu werden. Es ist natürlich keine Liebesheirat, Kriemhild ehelicht den Etzel nur, um die Mittel zur Rache zu haben. Nach
sieben Ehejahren wird sie von einem Sohn entbunden, den sie Ortlieb nennt.
Weitere sechs Jahre später täuscht Kriemhild vor, sie sehne sich nach ihren Brüdern und überredet Etzel, die Burgunder einzuladen.
Obwohl Hagen sie warnt, nehmen Gunther und seine beiden Brüder die Einladung an und reiten nach Etzelburg. Nixen sagen Hagen voraus, dass niemand
außer dem Kaplan des Königs die Reise überleben wird. Um die Prophezeiung zu
testen, versucht Hagen, den Kaplan zu töten. Er wirft ihn in die Donau bei der
Überfahrt, doch er kann sich an das heimische Ufer retten und umkehren. Damit
ist für Hagen klar, dass keiner von ihnen mehr heim kommen wird.
Auch Dietrich von Bern durchschaut Kriemhilds tückische Absicht, aber die Burgunder hören nicht auf ihn. Kriemhild zettelt ein Gemetzel zwischen Hunnen und
Burgunder an. Hagen erschlägt Kriemhilds Sohn Ortlieb. Während Etzel selbst
nicht mitkämpft, dies ist dem König verboten, stellen sich die Helden Iring von
Dänemark, Irnfried von Thüringen, Rüdiger von Bechelaren und Dietrich von
Bern auf die Seite der Hunnen. Es kommt zu einem gigantischen Kampf in der
Etzelburg, zu einer gewaltigen Saalschlacht, in deren Verlauf die Burgunder sogar Blut trinken, um zu überleben. Von den Burgundern leben schließlich nur
noch Hagen und Gunther, und die nimmt Dietrich von Bern gefangen. In ihrer
Gier nach dem Goldschatz will Kriemhild von den beiden das Versteck des Nibelungenhorts erfahren. Als Hagen schwört, das Versteck nicht zu verraten, solange König Gunther lebe, lässt die Rasende ihrem Bruder den Kopf abschlagen. Da
lacht Hagen höhnisch: Jetzt wissen nur noch Gott und er, wo sich der Goldschatz
befindet. Außer sich vor Zorn schlägt Kriemhild ihm mit Siegfrieds Schwert "Balmung" eigenhändig den Kopf ab – und wird deshalb selbst von Dietrichs altem
Waffenmeister Hildebrand getötet.
Mit diesem „Genozid“ endet das Ganze. Es gibt darin nur eine Szene, die über
das endlose germanische Gemetzel hinausgeht und etwas Menschliches gestaltet.
Der Markgraf Rüdiger ist der Schwager von Gunter und zugleich der Vasall von
Etzel. Er steht in einem tragischen Konflikt, auf welcher Seite er kämpfen soll.
Etzel ist er zu Treue und Heerfolge verpflichtet, die Verwandtschaft bindet ihn an
die Burgunder. Hier gibt es einen echt menschlichen Konflikt, eine Figur, die über
das schematische Heldentum hinausreicht. Rüdiger löst den Konflikt, indem er
zwar gegen die Burgunder kämpft, aber in diesem Kampf sein Leben lässt.
Sie erkennen unschwer, meine Damen und Herren, meine sieben Stichworte: Es
waltet ein unabänderliches Schicksal über dem Ganzen. Keiner der Helden
kommt auf die Idee, durch Übernahme einer persönlichen Verantwortung ein
Problem zu lösen, so dass es nicht zum Kampf kommen muss. Durch Kampf wird
alles gelöst, durch Töten und Dreinschlagen. Die ganze Tragödie nimmt ihren
Ausgang von der angeblich verletzten Ehre der Königin Brunhild, die Treue zu ihr
und ihrem Gatten, eine rein formale Treue, die inhaltlich gar nicht gerechtfertigt
ist, verlangt nach Rache, und diese Rache wird gnadenlos vollzogen. Am Schluss
ist alles zu Ende, alles bricht zusammen, niemand überlebt, die Endzeit ist angebrochen.
Was um alles in der Welt, werden Sie fragen, soll uns heute noch eine solche
fürchterliche Geschichte noch bringen? Was soll ein solch gigantisches Gemetzel,
was soll die Intrige, die Rache und all das Blut? Man kann sich das wirklich und
berechtigterweise fragen. Wenn wir im Theater nur den Ort der Unterhaltung sehen, nur den Ort, an dem unser Herz und Gemüt erfreut werden soll, dann haben
Hebbels Nibelungen auf der Bühne nichts zu suchen. Aber wir alle wissen, dass
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Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
Theater nicht nur dazu da ist. Theater gibt analysierend die Wirklichkeit wieder.
Unter diesem Aspekt sind Hebbels Nibelungen immer gültig.
Vergegenwärtigen Sie sich, meine Damen und Herren, wie sehr meine sieben
magischen Stichworte unser Leben bestimmen. Wir wähnen auch heute noch, vor
allem, wenn es uns nicht gut geht, ein unabänderliches Schicksal am Werk; der
Begriff „Schicksalsschlag“ ist deutlich genug. Was lösen wir nicht alles durch
Kampf, das Wort tragen wir täglich im Munde. Ehre und Treue sind auch Begriffe
unseres Alltags, wir fühlen uns bedroht und fürchten uns vor dem Ende aller Dinge. Gewiss all dies ist nicht mehr so plakativ eindeutig wie bei den Germanen.
Auch wenn es dabei weit weniger grausam zugeht, nicht mit Schwert und Schild,
so bleibt es trotzdem ein Kampf. Klar sind wir Heutigen in der Lage, die Begriffe
Treue und Ehre zu hinterfragen, ihre Anforderungen von der Person zu lösen und
zu Versöhnung zu finden. Aber Treue und Ehre bleiben uns wesentliche Massstäbe, vor allem in Situationen der Not.
Werfen Sie einen Blick in den Sportteil der Zeitung, und Sie werden keinen Moment mehr zweifeln, ob wir Helden brauchen oder nicht.
Was sich im Nibelungenlied und bei Hebbel an menschlichen Leidenschaften
nackt und ohne doppelten Boden, gleichsam rein, abspielt, ist auch Teil unseres
Handelns und Lebens. Differenzierter zwar, begründeter, aber oft nicht minder
grausam. Ich verzichte auf Beispiele, es gibt ihrer genug.
Friedrich Hebbel hat dies gespürt, als er sich daran machte, das Nibelungenlied
für die Bühne einzurichten. Denn das ist sein Drama „Die Nibelungen“ eigentlich.
Es ist eine Einrichtung des Nibelungenlieds für die Bühne. Hebbel übernimmt den
grössten Teil der Handlung unverändert, auch lehnt er sich oft an die Sprache
des mittelhochdeutschen Originals an. Nur um Figuren psychologisch besser zu
profilieren, erfindet er Szenen und verändert unwesentlich die Handlung. So
schenkt zum Beispiel Siegfried nach der Hochzeitsnacht mit Brunhilde den Gürtel
nicht Kriemhild, sondern wirft ihn achtlos weg, Kriemhild findet ihn und wird eifersüchtig. Das verändert die Figuren zwar nicht wenig, aber es bleibt dann doch
marginal.
Hebbel richtet das Nibelungenlied für die Bühne ein, indem er daraus eine Trilogie macht, eine Reihe von drei Schauspielen, zuerst ein Vorspiel in einem Akt mit
dem Titel „Der gehörnte Siegfried“, dann zwei klassische fünfaktige Trauerspiele,
„Siegfrieds Tod“ und „Kriemhilds Rache“.
Im Vorspiel geht es um die Exposition der Figuren. Der Spielmann Volker erzählt
von den Heldentaten Siegfrieds und von der nordischen Schönheit Brunhilde. Da
erscheint Siegfried gleich selber, er will mit Gunter mutwillig um dessen Reich
kämpfen, was Gunter aber ablehnt. Die beiden Helden veranstalten darauf einen
Wettkampf im Garten, Kriemhild und Siegfried sehen sich zum ersten Mal,
Siegried will Kriemhild heiraten, Gunter willigt unter der Bedingung ein, dass
Siegfried ihm hilft, Brunhild zu gewinnen.
Das Trauerspiel „Siegfrieds Tod“ erzählt die Geschichte von der kämpferischen
Brautwerbung, vom Streit der Königinnen vor dem Münster und von Siegfrieds
Tod.“
Das Trauerspiel „Kriemhilds Rache“ dramatisiert den schrecklichen Rest.
Kriemhilds Heirat mit Etzel, die Fahrt der Burgunden nach Osten und der gigantische Kampf, der mit dem Tode aller endet.
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Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
1861 wurde Hebbels Dramentrilogie uraufgeführt, in der Zeit der Einigung
Deutschlands unter Preussen, eine Zeit, die für diese Heldenstoffe empfänglich
war.
Was hat Hebbel wohl an diesem Nibelungenlied derart fasziniert, dass er es unternommen hat, es in drei Dramen für die Bühne einzurichten? Vieles haben wir
bereits angesprochen. Ich meine, dass es aber noch etwas mehr gibt, was Hebbel angezogen hat. Er hat erkannt, dass in diesem Nibelungenlied ein grosses
dramatisches Potential steckt. Das Nibelungenlied ist ein Epos in 2400 Strophen.
Aber die epische Haltung ist dem Stoff nicht eigentlich gemäss. Es ist eigentlich
kein Roman, der von den Schilderungen und Meinungen des Autors lebt. Was da
geschieht, ruft eigentlich nach der Bühne und dem Theater.
Das Theaterstück lebt – ich habe das an dieser Stelle schon oft gesagt – vom
Konflikt. In jedem Theaterstück gibt es einen Konflikt, der sich exponiert, zu einem Höhepunkt getrieben wird und sich dann löst, entweder durch eine glückliche Wendung oder eben dann durch eine Katastrophe. Im Theaterstück sind die
Parteien immer klar voneinander getrennt. Diese Anforderungen erfüllt das Nibelungenlied in hohem Masse. Das hat Hebbel wohl angezogen.
Die drei Dramen Hebbels dauern im ganzen wohl an die 6 Stunden. „Der gehörnte Siegfried“ und „Siegfrieds Tod“ bilden zusammen den ersten Abend,
„Kriemhilds Rache“ den zweiten. Der Regisseur der heutigen Aufführung musste
zusammenstreichen auf gut einen Drittel der ursprünglichen Länge.
Im Vorfeld der Aufführung habe ich den Text eines Interviews bekommen, in
welchem der Regisseur zu seiner Inszenierung Auskunft gibt.
Er sagt darin, was ihn an Hebbels Dramen fasziniert, was er darin sieht und heute Abend auf die Bühne bringen will. Seine Meinung entspricht nun genau dem
dramatischen Gehalt des Stoffes.
Der Regisseur sieht zuerst im Drama eine grosse Liebesgeschichte oder vielmehr
zwei grosse Liebesgeschichten, die einander eben konflikthaft gegenüberstehen:
Die grosse, reine und echte Liebe von Siegfried und Kriemhilde auf der einen Seite wird auf der anderen Seite kontrastiert zur Liebe von Gunther und Brunhilde,
einer Liebe, die auf Verrat und Betrug beruht. Der Konflikt zwischen diesen beiden Formen von Liebe ist einer der wesentlichen Aspekte des Dramas.
Im Nibelungenlied verfolgt jede der Figuren ihre eigenen und vor allem eigennützigen Ziele. Siegfried will Kriemhild heiraten und gibt sich ohne weiteres her,
Brunhild zu betrügen. Gunther will Brunhilde heiraten und alle Mittel dazu sind
ihn recht. Hagen verfolgt und verwirklicht einen absoluten und rücksichtslosen
Ehrbegriff, er zerstört damit alles, ohne Reue und ohne einen Moment der Einsicht. Und Kriemhild will unter allen Umständen Siegfried rächen, sie kennt keine
Gnade, keine Versöhnung und kein Mitleid. Diese schicksalshafte Verfolgung der
persönlichen Absichten ist ein zweiter wesentlicher Aspekt des Dramas.
Hebbels Nibelungendrama und seine Behandlung des Nibelungenthemas ist 15
Jahre später überlagert und verdrängt worden durch Richard Wagners „Ring des
Nibelungen“. Hebbel konnte Wagners Deutung des Nibelungenstoffes nicht kennen. Wagner entwirft auch ein völlig anderes Bild: Das Nibelungenlied spielt bei
ihm nur eine untergeordnete Rolle. Er geht vielmehr zurück auf die Sagenwelt
der Germanen, wie sie überliefert ist in der Liederedda. Wagners Dichtung und
Musik von den germanischen Göttern hat Hebbels Dichtung von den germanischen Menschen verdrängt.
Ich freue mich deswegen sehr, wenn heute Abend Hebbel hier in Langenthal auf
die Bühne kommt. Wir sind ausserordentlich gespannt auf den heutigen Abend.
Wird es gelingen, diesen menschlichen Sagenstoff auf eine überzeugende Art auf
die Bühne zu bringen?
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Friedrich Hebbel: Die Nibelungen
8. Januar 2008
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