Ingenieure für Brandschutz Witterungseinflüsse auf natürliche Rauchabzugsanlagen M.Sc. Lars Kosinski hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH Fassung September 2009 Witterungseinflüsse auf natürliche Rauchabzugsanlagen WITTERUNGSEINFLÜSSE AUF NATÜRLICHE RAUCHABZUGSANLAGEN Bei der Konzipierung des Brandschutzes für Gebäude besonderer Art und Nutzung stellt die Berücksichtigung des Rauch- und Wärmeabzugs in Deutschland seit 30 Jahren einen wichtigen Aspekt dar. Wichtigstes Ziel dabei ist die Umsetzung der Anforderung der Musterbauordnung (MBO): „Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.“ Für den Nachweis der Rauchableitung stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Eine Möglichkeit ist die Dimensionierung nach DIN 18232 „Rauch- und Wärmefreihaltung“. Die DIN 18232 lässt mehrere Varianten der Rauchableitung zu. Am häufigsten kommt die natürliche Rauchableitung zum Einsatz. Ermöglicht wird diese über zwei verschiedene Wege: Rauchableitung über Dachöffnungen und über Seitenwände. Das Dimensionierungsverfahren der DIN 18232-2 geht von festen Randbedingungen aus. Für die Rauch- und Wärmeableitung bedeutet dieser Sachverhalt, dass keine Wind- und Temperatureinflüsse berücksichtigt werden. Dies entspricht jedoch nicht den durchschnittlichen Wetterbedingungen in Deutschland. Wichtige Auswirkungen auf die Ausbildung einer raucharmen Schicht werden somit nicht betrachtet. Aufgrund dieses viel diskutierten Themas im Brandschutz wurden die Auswirkungen von Witterungseinflüssen auf natürliche Rauchabzugsanlagen untersucht. Dies geschah im Zuge einer wissenschaftlichen Analyse und in Zusammenarbeit mit hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH. Dabei wurden schwerpunktmäßig die Auswirkungen kritischer Witterungseinflüsse betrachtet. Untersucht wurden neben einer erhöhten Umgebungstemperatur von 35 °C die konstanten Windgeschwindigkeiten 4 m/s und 8 m/s. Die Untersuchungen der Witterungseinflüsse auf natürliche Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) erfolgten mit dem CFD-Programm „Fire Dynamics Simulator 5“ (FDS 5). Im Anschluss wurden die Ergebnisse mit vereinfachten Berechnungsverfahren verglichen und bewertet. Fassung 21. September 2009 Anhand einer vereinfachten Gebäudegeometrie mit horizontalen und vertikalen Rauchableitungsflächen wurden die Witterungseinflüsse untersucht. Das betrachtete Gebäude bestand aus einer erdgeschossigen Halle mit einer Raumhöhe von sechs Metern und einer Seitenlänge von jeweils 35 Metern. Die Dimensionierung der Rauchabzugsanlage erfolgte nach Bemessungsgruppe 3 der DIN 18232-2 (siehe Bild 1). Als Brandszenario diente der Bemessungsbrand (BMG 3) für die Festlegung der erforderlichen Öffnungsfläche gemäß Tabelle A.1 der DIN 18232-2. Bild 1 Simulationshalle Aufgrund der Tatsache, dass die zu untersuchende Zielgröße die Funktion des natürlichen Rauchabzuges war, wurden die Werte angepasst. Hierzu wurde gemäß dem Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes [1] die Rauchproduktionsrate als Größe eingeführt. Die Rauchproduktionsrate steht in Abhängigkeit zu den verwendeten Brandstoffen. Durch die Verwendung definierter Brandstoffe war eine Anpassung der effektiven Verbrennungswärme notwendig. Gemäß DIN 18232-2 (BMG 3) wurden für das untersuchte Gebäude eine geometrische Rauchabzugsfläche von 7,2 m2 und eine notwendige Zuluftfläche von 9,6 m2 angenommen. Als zentrale Auswertungsgröße, gemäß dem Leitfaden [1], diente die optische Dichte DL mit einem festgelegten Grenzwert von DL = 0,1 m-1. Die erforderliche Mindesthöhe der raucharmen Schicht wurde für die ersten 600 Sekunden (Selbstrettungsphase) auf 2,5 Meter und für die darauffolgenden 600 Sekunden (Maßnahmen der Feuerwehr) auf 2,0 Meter festgelegt. Witterungseinflüsse auf natürliche Rauchabzugsanlagen Brandszenario Maximale Brandfläche 20 m2 Spezifische Brandleistung 300 kW/m2 Gemittelte Brandausbreitungsgeschwindigkeit 0,25 m/min Maximale Wärmefreisetzung 6.000 kW Effektive Verbrennungswärme 27.140 KJ/kg Konvektiver Anteil 80 % Rauchproduktionsrate 0,0615 g/g Extinktionskoeffizient 8.700 m2/kg Tabelle 1 Werte Brandszenario Ergebnis der Simulation ohne Witterungseinflüsse war die vollständige Grenzwertüberschreitung (DL > 0,10 m-1) nach 800 Sekunden im gesamtem Hallenbereich. Untersuchungen ergaben, dass die Hauptursache hierzu in den unterschiedlich freigesetzten Rauchgasmassenströmen der jeweiligen Brandquellen (FDS 5 bzw. Plumemodell nach DIN 18232-2) lag. Das verwendete Plumemodell der DIN 18232-2 erzeugte, für eine Eintragshöhe von drei Metern in die Rauchschicht, einen deutlich geringeren Rauchgasmassenstrom als das verwendete CFD-Modell. Aufgrund dieser Tatsache wurden die Öffnungsflächen gegenüber der DIN 18232-2 vergrößert, um eine ausreichende Rauchableitung sicherzustellen. Öffnungsflächen der natürlichen Rauchabzugsanlage Horizontale Rauchabzugsflächen Vertikale Rauchabzugsflächen Geometische Rauchabzugsfläche 14,4 m2 23,52 m2 Geometrische 32,0 m2 35,20 m2 Zuluftfläche Bemerkung Rauchabzüge mit Klappflügel (Öffnungswinkel = 45°) Tabelle 2 Öffnungsflächen des untersuchten Gebäudes Die durchgeführten Simulationen unter Berücksichtigung der Witterungseinflüsse ergaben folgende Ergebnisse: Fassung 21. September 2009 Erhöhte Umgebungstemperaturen sowie zunehmende Windgeschwindigkeiten wirken sich negativ auf die Rauchableitung aus. Die Auswirkungen erstrecken sich dabei von geringfügigem Absinken der Rauchschicht bis zu vollständigem Verrauchen. In der Entwicklungsphase des Brandes und bei zunächst noch geringer Rauchentwicklung und niedriger Rauchtemperatur führen die Temperaturdifferenzen aufgrund von Dichteunterschieden zwischen höherer Umgebungstemperatur und niedrigerer Innenraumtemperatur zu ungewollten Strömungsvorgängen. Diese bewirken, dass die kältere Innenraumluft durch die Zuluftflächen abströmt und wärmere Umgebungsluft durch die Rauchabzugsgeräte einströmt (siehe Bild 2). Die einströmende Umgebungsluft verursacht ein Durchmischen der Rauchgasschicht mit der raucharmen Schicht. Die Intensität der Durchmischung ist abhängig von den vorliegenden Volumenströmen und der Dauer des Einströmungsvorganges. Bild 2 Lufteinfall in die Simulationshalle Durch Windeinflüsse kommt es zudem an der Frontseite der Halle zum Aufbau eines Staudrucks. An den Seiten- und Dachflächen sowie an der Rückseite des Gebäudes kommt es zum Ablösen der Strömung mit der Folge, dass sich ein Unterdruck (Sog) einstellt, wie das Bild 3 verdeutlicht. Das Strömungsverhalten ist dabei stark von der Gebäudegeometrie und von dem Turbulenzverhalten abhängig. Es zeigte sich, dass horizontale Rauchabzugsflächen stärker negativ beeinflusst werden als die dem Wind abgewandten vertikalen Rauchabzugsflächen. In beiden Rauchabzugsvarianten beeinflusst die Zuluftzuführung maßgeblich die Rauchableitung. Zuluftflächen, die parallel zur Windrichtung angeordnet sind, unterliegen hauptsächlich der ungleichmäßigen und impulsartigen Zuluftzuführung auf Grund der seitlichen Strömungsablösung und des daraus entstehenden Unterdrucks an der Gebäudeseite. Die Folge ist, dass die Rauchschicht gestört wird. Dagegen wird bei Zuluftflächen auf der windabgewandten Seite der bereits abgeführte Rauch aufgrund von Nachlaufwirbeln wieder zurück in die Halle geleitet. Witterungseinflüsse auf natürliche Rauchabzugsanlagen An den horizontalen Rauch- und Wärmeabzugsöffnungen entstehen zusätzliche Beeinträchtigungen durch ständig wechselnde Drucksituationen – hervorgerufen durch das jeweilige Turbulenzverhalten. Bild 3 Drucksituation durch Windeinflüsse Das in den Vergleichsrechnungen verwendete Zonenmodell CFAST 6 und die vereinfachten Berechnungsverfahren VDI 6019 und VdS CEA-Richtlinie 4020 verfügen über keine Möglichkeit, Strömungseffekte durch Witterungseinflüsse zu erfassen. Lediglich das Zonenmodell CFAST 6 kann zwischen zwei Temperaturbereichen (Innen- und Außentemperatur) unterscheiden und Windeinflüsse berücksichtigen. Negative Effekte wie z.B. Lufteinfall aufgrund erhöhter Umgebungstemperaturen oder impulsbehafteter Zuluftzuführung werden in diesen Verfahren nicht berücksichtigt. CFAST 6 unterscheidet zwischen einer Heißgasschicht und einer darunterliegenden Kaltgasschicht, die als raucharm angenommen wird. Aufgrund der vorliegenden Strömungsgeschwindigkeiten innerhalb der Halle, die zu einem Verwirbeln der Rauchgase führen, ist dies jedoch nicht gegeben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die vereinfachten Bemessungsverfahren zur Mitberücksichtigung von Witterungseinflüssen ungeeignet sind. Eine Möglichkeit der Kompensation der unzureichenden Rauchableitung ist die maschinelle Zuluftzuführung mittels Luftschleieranlage. Bei der Luftschleieranlage handelt es sich um eine maschinelle Zuluftzuführung, die beidseitig an den gegenüberliegenden Hallenwänden in einer Höhe von zwei Meter angebracht ist. Die Austrittsflächen sind senkrecht zum Hallenboden gerichtet und haben jeweils eine Gesamtlänge von 15 Metern, wie Bild 4 zeigt. Die maximale Ausström Fassung 21. September 2009 geschwindigkeit beträgt 1,5 m/s. Die Luftschleieranlage wird zeitgleich mit der natürlichen Rauchabzugsanlage aktiviert. Luftschleieranlage Zuluftfläche Zuluftzustrom Bild 4 Luftschleieranlage Die Simulationen mit unterstützender maschineller Zuluftzuführung verdeutlichen, dass die Einbausituation der natürlichen Rauchabzugsöffnungen von großHinweis: Rechtschreibprüfung er Bedeutung deaktivieren. ist. So zeigten vertikale Rauchabzugsflächen gute Ergebnisse hinsichtlich des Ausgleichs von Beeinträchtigungen durch Windgeschwindigkeiten mit bis zu 4 m/s sowie von Beeinträchtigungen durch erhöhte Umgebungstemperatur. Mit Zunahme der Windgeschwindigkeiten (größer 4 m/s) nehmen die Beeinträchtigungen weiter zu. Bei horizontalen Rauchabzugsflächen sind nur begrenzt Verbesserungen durch den Einsatz einer Luftschleieranlage bezüglich der Rauchableitung festgestellt worden. Eindeutige Verbesserungen gab es nur für Beeinträchtigungen durch Windeinflüsse mit Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 4 m/s. Beeinträchtigungen durch erhöhte Umgebungstemperaturen sowie Windgeschwindigkeiten von mehr als 4 m/s konnten nicht ausreichend kompensiert werden. Zwar liegen bessere Ergebnisse im Vergleich zu den Simulationen ohne Kompensationsmaßnahmen vor, jedoch wird das Schutzziel nicht erreicht. Folglich ist zu sagen, dass durch die Verwendung der Luftschleieranlage Verbesserungen hinsichtlich der Rauchableitung entstanden sind. Wie bereits festgestellt sind diese jedoch stark von der Einbausituation der natürlichen Rauchabzugsöffnungen abhängig. Witterungseinflüsse auf natürliche Rauchabzugsanlagen Schlussfolgerungen Witterungseinflüsse nehmen entscheidenden Einfluss auf die natürliche Rauchableitung. Kritische Witterungsbedingungen, wie z.B. hohe Umgebungstemperaturen oder Windeinflüsse, wirken sich nachteilig auf die Rauchableitung aus. Weiterhin verfügen vereinfachte Berechnungsverfahren über keine bzw. unzureichende Möglichkeiten, Witterungseinflüsse hinreichend genau zu betrachten. Kompensationsmaßnahmen können negative Effekte bei der Rauchableitung ausgleichen. Ein Einzelnachweis ist jedoch für die jeweilige Einbausituation notwendig. Fassung 21. September 2009 Literatur [1] H osser, D. (Hrsg.): Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes, Verein zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (vfdb), Mai 2006. [2] M cGrattan, K. B.; Klein, B. P.; Floyd, J. E.; Hostikka, S.: Fire Dynamics Simulator (Version 5) – User’s Guide. National Institute of Standards and Technology, Februar 2009. [3] Peacock, R. D.; Jones, W. W.; Reneke, P. A.; Forney, G.P.: CFAST-Consolidated Model of Fire Crowth and Smoke Transport (Version 6) – User’s Guide. National Institute of Standards and Technology, August 2006. [4] Musterbauordnung - MBO -, Fassung November 2002. [5] D IN 18232-2: Rauch- und Wärmefreihaltung Teil 2: Natürliche Rauchabzugsanlagen (NRA); Bemessung, Anforderungen und Einbau, November 2007. [6] VDI 6019: Ingenieurverfahren zur Bemessung der Rauchableitung aus Gebäuden, Juli 2007. [7] V dS CEA 4020: Natürliche Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (NRA) - Planung und Einbau, November 2003. [8] D eutscher Wetterdienst [Online]: www.dwd.de 10 Weitere Informationen www.hhpberlin.de hhpberlin ist eines der führenden deutschen Ingenieurbüros für Brandschutz mit Sitz in Berlin, München, Hamburg und Frankfurt. Die 1999 aus dem Büro Hosser, Hass und Partner hervorgegangene Firma entwickelt weltweit Brandschutzkonzepte für nationale und internationale Bauprojekte. Zu den Referenzen gehören beispielsweise die Münchner Allianz Arena, das Bundeskanzleramt, die Color Line Arena in Hamburg, die Dalian Twin Towers und das Pudong Museum in China. Die Kompetenz von hhpberlin reicht von der brandschutzgerechten Fachplanung über die Ausführung bis hin zur Qualitätssicherung – sowohl im Neubau als auch bei der Bauerneuerung. hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH Hauptsitz: Rotherstraße 19 10245 Berlin Phone +49 30 895955-0 Fax +49 30 895955-100 www.hhpberlin.de [email protected]
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