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Institut für
Mittelstandsforschung
Bonn
Absatz- und Personalpolitik des Handwerks
im Zeichen des demografischen Wandels
von
Peter Kranzusch, Olga Suprinovič
und Rosemarie Kay
IfM-Materialien Nr. 188
Bonn, im August 2009
INSTITUT FÜR MITTELSTANDSFORSCHUNG
Maximilianstraße 20 • D-53 111 Bonn
Materialien
I
Inhalt
1. Einleitung
2. Demografischer Wandel als Herausforderung
betriebliche Absatz- und Personalpolitik
2.1 Demografische Entwicklung in Deutschland
2.2 Implikationen für die Unternehmen
1
für
die
3. Informationsstand und -quellen der Unternehmen
4. Die von den Unternehmen erwarteten mittel- bis langfristigen
Auswirkungen des demografischen Wandels
4.1 Außerhalb des Unternehmens
4.2 Im Personalbereich
5. Betriebliche Anpassungsstrategien vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels
5.1 Absatzbereich
5.1.1 Betroffenheit von der demografischen Entwicklung
aufgrund der Altersstruktur der Zielgruppe
5.1.2 Ergriffene bzw. geplante absatzpolitische Maßnahmen
5.1.2.1 Angebotspolitik und Marketing
5.1.2.2 Räumliche Marktausdehnung
5.2 Personalbereich
5.2.1 Die Altersstruktur der Belegschaften
5.2.2 Ergriffene bzw. geplante personalpolitische Maßnahmen
5.2.2.1 Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit
5.2.2.2 Nachwuchssicherung
5.2.2.3 Familienfreundlichkeit
4
4
6
9
12
12
13
15
15
15
16
16
19
21
21
22
22
25
27
6. Öffentlicher Handlungsbedarf aus Sicht der Unternehmen
6.1 Unterstützung für personalpolitische Aktivitäten
6.2 Verbesserung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen
30
30
7. Resümee
33
Anhang
38
31
Das IfM Bonn wird gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und aus Mitteln des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.
1
1. Einleitung
Die Weltbevölkerung wächst bis zum Jahre 2050 voraussichtlich um 50 % auf
9 Mrd. Einwohner an. Die Einwohnerzahl Deutschlands wird bis dahin hingegen voraussichtlich um rund 17 % sinken. Bereits jetzt ist die Bevölkerungsentwicklung hierzulande vor allem durch den Faktor der Alterung geprägt. Die
Veränderung der Zahl und der Altersstruktur der Bevölkerung (gemeinhin als
demografischer Wandel bezeichnet) beeinflusst die Güternachfrage, das Angebot von Produktionsfaktoren wie Arbeitskräften, Rohstoffen oder Kapital und
nicht zuletzt außerbetriebliche Faktoren wie Liefernetzwerke und die Infrastruktur in den Regionen. So wird die Kundengruppe der Älteren weiter an Bedeutung gewinnen, sich das Durchschnittsalter der Belegschaften erhöhen und
die Zahl junger Stellenbewerber bereits in den kommenden Jahren sehr
schnell und in erheblichem Ausmaße sinken. Arbeitnehmergruppen wie
Migranten, Frauen oder ältere Beschäftigte, deren Potenzial gegenwärtig noch
nicht voll ausgeschöpft wird, werden stärker als bisher in das Blickfeld der
Personalverantwortlichen in den Unternehmen rücken.
Die vorhergesagten demografischen Veränderungen in Deutschland sind in
den einzelnen Regionen und Branchen gegenwärtig unterschiedlich stark zu
spüren. So wird die Abnahme der Bevölkerung Unternehmen in städtischen
Regionen weniger stark treffen als solche in ländlich strukturierten Gebieten.
Ostdeutsche Unternehmen im Handwerk wie Nichthandwerk sind schon heute
mit dem Schwund der Bevölkerung, also auch von Konsumenten, konfrontiert.
Den Rückgang der Schulabgängerzahlen spüren ausbildende Unternehmen in
den neuen Bundesländern bereits seit dem Jahr 2008. Eine derartige Entwicklung ist in Westdeutschland nur in bestimmten Regionen in ähnlichem Umfang
und mit größerer Zeitverzögerung zu erwarten. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass sich alle (Handwerks-)Unternehmen in gleichen Maßen dem
Thema "demografischer Wandel" zugewandt haben.
Einige Besonderheiten des Handwerks sprechen wiederum dafür, dass seine
Unternehmen in besonderer Weise von den demografischen Entwicklungen
berührt sind. Zu nennen ist hier zum einen die starke Ausrichtung des Handwerks auf das Angebot von personenbezogenen Produkten und Dienstleistungen, aus der sich Chancen wie Risiken für den Absatz der Handwerksunternehmen ergeben können. Zum anderen zieht das Handwerk bereits jetzt im
Wettbewerb um Nachwuchskräfte häufiger den Kürzeren, sei es, weil die Berufe oder Arbeitsbedingungen wenig attraktiv sind oder erscheinen (vgl. u.a.
2
KORNHARDT 1997; MENDIUS et al. 1998; SEHRBROCK et al. 2006; HAVERKAMP et al. 2009), sei es, weil beispielsweise Industrieunternehmen höhere Entgelte zahlen können (vgl. u.a. HAMPEL et al. 2003). Die Nachwuchsproblematik bezogen auf Mitarbeiter wird sich voraussichtlich deutlich für das
Handwerk verschärfen. Und trotz ständiger Verbesserung der technischen
Ausstattung geht die Arbeit im Handwerk häufig noch mit hohen körperlichen
Anforderungen einher. Geeignetes Personal zu finden, kann im Angesichte der
Alterung der Belegschaften für Handwerksunternehmen eine besondere personalpolitische Herausforderung darstellen.
Manche Unternehmen werden womöglich unberührt vom demografischen
Wandel bleiben. Für alle anderen kann es sich aber als überlebenswichtige
Aufgabe erweisen, demografisch bedingte Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und ihnen mit geeigneten Anpassungsmaßnahmen zu begegnen. Angesichts der außerordentlichen einzelwirtschaftlichen Bedeutung, aber auch
aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive heraus stellt sich die Frage, inwiefern Handwerksunternehmen die demografischen Veränderungen antizipieren
und bereits strategische Antworten darauf entwickelt haben. Diese Frage soll
mittels einer handwerksspezifischen Auswertung eines Datensatzes beantwortet werden, 1 den das IfM Bonn im Rahmen einer repräsentativen Befragung
unter Unternehmen ab fünf Beschäftigten im Herbst 2007 erhoben hat. Ziel
dieser Befragung war eine umfassende Bestandsaufnahme in kleinen und
mittleren Unternehmen hinsichtlich des Informationsstandes und der Aktivitäten, die sie im Hinblick auf die alternde Gesellschaft eingeleitet haben (siehe
KAY et al. 2008). 2 An dieser Befragung hatten sich insgesamt 782 Unternehmen beteiligt. Davon waren 725 Fragebogen, darunter 146 von Handwerksunternehmen, für eine Auswertung verwertbar.
Inwieweit die nachfolgend dargelegten Ergebnisse als repräsentativ für das
Handwerk gelten können, kann nicht abschließend geklärt werden. Aufgrund
des Untersuchungsdesigns fehlen die Angaben der Unternehmen mit weniger
als fünf Beschäftigten. Aussagen über die Handwerksunternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten können also nicht getroffen werden. Für die übrigen
Handwerksunternehmen wären die Befunde dann repräsentativ, wenn die zu1
2
D.h., die Handwerksunternehmen werden jeweils den übrigen Unternehmen gegenüber
gestellt, um nicht nur die Situation zu beschreiben, sondern auch die Besonderheiten im
Handwerk herauszuarbeiten.
Die Übergabe von Unternehmen an einen Nachfolger wurde in dieser Studie nicht behandelt. Dies ist daher auch nicht Thema der hier vorliegenden Untersuchung.
3
fällig gewählte Stichprobe der Unternehmen nicht nur nach Unternehmensgröße und Wirtschaftszweigzugehörigkeit geschichtet gezogen worden wäre,
sondern auch nach dem Merkmal Handwerkszugehörigkeit. Dies war in Ermangelung entsprechender Daten zum damaligen Erhebungszeitpunkt jedoch
nicht umsetzbar. 3 Möglich ist aber einen Vergleich von Handwerks- und Nichthandwerksunternehmen der untersuchten Beschäftigtengrößenklassen. Trotz
der erwähnten Unsicherheiten gehen wir davon aus, dass die grundlegenden
Aussagen der vorliegenden Studie zur Vorbereitung der Handwerksunternehmen auf den demografischen Wandel durchaus belastbar sind.
Die Studie gliedert sich wie folgt: In Kapitel 2 werden zunächst die Trends der
demografischen Entwicklung in Deutschland bis 2020 und 2050 skizziert und
die Herausforderungen, die sich daraus für die (Handwerks-)Unternehmen ergeben, aufgezeigt. Der Kenntnisstand der Unternehmen bezüglich des demografischen Wandels wird in Kapitel 3 analysiert, während die Auswirkungen,
die die Unternehmen aufgrund des demografischen Wandels für ihre eigene
unternehmerische Tätigkeit erwarten, in Kapitel 4 untersucht werden. Kapitel 5
widmet sich der Frage, inwiefern die Handwerksunternehmen vom demografischen Wandel betroffen sind und ob sie bereits vorausschauend mit Anpassungen ihrer Absatz- und Personalpolitik auf die zu erwartenden Veränderungen reagieren. Kapitel 6 geht auf den öffentlichen Handlungsbedarf aus Sicht
der Unternehmen ein. Kapitel 7 schließt mit einem Resümee der wesentlichen
Befunde.
3
Weder liegen aktuelle Angaben zur Zahl der Handwerksunternehmen nach Unternehmensgrößenklassen und Wirtschaftszweigen vor, noch steht eine Adressdatei zur Verfügung, aus der Handwerksunternehmen zusammen mit Unternehmen anderer Wirtschaftsbereiche repräsentativ gezogen werden könnten. Die letzten Angaben des Statistischen Bundesamtes zu Wirtschaftszweigen stammen aus dem Jahr 1996 (vgl.
http://www.zdh.de/fileadmin/user_upload/themen/wirtschaft/statistik/klassifikation/umschluesselungstabelle_handwerks-wirtschaftszweige.pdf). Der Betriebsbestand in den
Gewerbegruppen des Handwerks kann Anhang-Tabelle A1 entnommen werden, die
Branchenverteilung der Unternehmen im Untersuchungssample nach Handwerkszugehörigkeit Anhang-Tabelle A2. Neuere Strukturdaten zum Handwerk, meist jedoch für die
Untersuchungsebene der Betriebe, teilweise auch für Unternehmen, liefert eine Studie
der Uni Jena/Uni Göttingen (MÜLLER et al. 2008, S. 95 ff.).
4
2. Demografischer Wandel als Herausforderung für die betriebliche Absatz- und Personalpolitik
2.1 Demografische Entwicklung in Deutschland
In Deutschland leben gegenwärtig rund 82 Mio. Menschen, darunter 50 Mio.
im Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahren). Nach der 11. Bevölkerungsprognose
des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerungszahl in Deutschland bis
zum Jahr 2020 voraussichtlich um 2,9 % - also nur unwesentlich - zurückgehen (vgl. Abbildung 1). 4 Ähnlich geringfügig soll die Zahl der Personen im Erwerbsalter abnehmen (bis zum Jahr 2020: -4,2 %).
Abbildung 1:
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis 2050 nach Altersgruppen (Index: 2005=100)
150
140
130
120
110
100
90
80
70
60
2005
2010
2020
2030
2040
unter 20 Jahre
65 Jahre und älter
20 bis unter 65 Jahre
insgesamt
2050
© IfM Bonn
08 20 017
Quelle: Statistisches Bundesamt (2006), Prognose: mittlere Variante, Untergrenze, eigene
Darstellung
Der Rückgang beschleunigt sich allerdings in den Jahren nach 2020: Bis zum
Jahr 2050 sinkt nicht nur die Einwohnerzahl um 16,6 % (gegenüber 2005) auf
69 Mio., noch stärker geht das Erwerbspersonenpotenzial zurück (-29,1 %).
4
Vgl. Daten der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, Variante „mittlere Bevölkerung“, Untergrenze (STATISTISCHES BUNDESAMT 2006).
5
Dann werden dem Arbeitsmarkt voraussichtlich nur noch rd. 36 Mio. potenzielle Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Diese Betrachtung verdeckt allerdings erhebliche und früher einsetzende Veränderungen in der Altersstruktur. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich, sinkt insbesondere die Zahl der unter 20-Jährigen in der nächsten Dekade stark. Die Zahl
der Schulabgänger in Ostdeutschland nimmt bereits gegenwärtig stark ab, in
Westdeutschland wird dies erst für die Jahre nach 2012 erwartet. Die Zahl der
über 64-Jährigen steigt dagegen deutlich. Der Anteil der Jüngeren an der Gesamtbevölkerung sinkt somit von 20 % im Jahr 2005 auf 17 % im Jahr 2020,
während der Anteil Älterer von 19 % auf 23 % anwächst.
Die Alterung betrifft auch den erwerbsfähigen Teil der Bevölkerung. In den
nächsten Jahren nimmt die Zahl der älteren Erwerbspersonen überproportional zu, weil die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre bis
2020 allesamt das 50. Lebensjahr überschritten haben werden. Die Zahl der
Personen im erwerbsfähigen Alter unter 50 Jahren wird hingegen bis 2020
spürbar sinken (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2:
Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in
Deutschland bis 2050 nach Altersgruppen (Index: 2005=100)
130
120
110
100
90
80
70
60
2005
2010
20 bis unter 30 Jahre
2020
2030
30 bis unter 50 Jahre
2040
2050
50 bis unter 65 Jahre
© IfM Bonn
08 20 018
Quelle: Statistisches Bundesamt (2006), Prognose: mittlere Variante, Untergrenze; eigene
Darstellung
6
Die Alterung der erwerbsfähigen Bevölkerung ist also keine Erscheinung, die
in weiter Ferne liegt. Die Altersstruktur der erwerbsfähigen Bevölkerung wird
sich im nächsten Jahrzehnt weiter deutlich hin zu den Älteren verschieben.
2.2 Implikationen für die Unternehmen
Von den demografischen Veränderungen, wozu auch regionale Wanderungsströme von Ost- nach Westdeutschland oder vom Land in die Bildungszentren
und Metropolen gehören, ist das Handwerk, wie bereits in der Einleitung angerissen, besonders stark betroffen. Diese Veränderungen wird das Handwerk
ebenso wie die übrige Wirtschaft vor allem im Absatz- und im Personalbereich,
aber auch in Bezug auf die Infrastrukturausstattung der Heimatregionen (z.B.
in bezug auf Versorgungsdienste und Bildungseinrichtungen) spüren.
In vielen Regionen Deutschlands müssen sich Unternehmen, zu deren Kunden vorrangig Kinder und Jugendliche oder Personen mittleren Alters zählen,
auf sinkende Konsumentenzahlen einstellen bzw. sogar einen Marktaustritt
erwägen. 5 Rückläufige Kundenzahlen bedeuten allerdings nicht zwangsläufig
Umsatzrückgang. Da jedoch einer bloßen Preiserhöhungspolitik zumeist
Grenzen gesetzt sind, wären weitere absatzpolitische Maßnahmen zu prüfen,
um möglichen Umsatzeinbußen entgegen zu wirken. In Frage kommen hier
eine Diversifizierung des Produkt- und Dienstleistungsangebots, beispielsweise indem es stärker auf die Bedürfnisse von älteren Kunden oder gewerbliche
Kunden 6 ausgerichtet wird, oder eine Ausdehnung des Absatzgebietes auf
Regionen, die weniger stark vom demografischen Wandel betroffen sind.
Unternehmen andererseits, deren Zielgruppe vorwiegend aus älteren Personen besteht, können u.U. von der Alterung profitieren, weil diese Kundengruppe wächst und damit auch ihr Anteil am Gesamtkonsum. 7 Unternehmen, deren Kundschaft keine Altersschwerpunkte aufweist, werden in absehbarer Zeit
vor allem mit einer aus der Alterung resultierenden Änderung der Bedürfnisstruktur der Kunden zu rechnen haben. Anbieter von Produkten/Dienstleistungen für andere Unternehmen oder Organisationen schließlich
5
6
7
Gerade für kleinere Handwerksunternehmen zeigt sich im Vergleich zu größeren, dass
überproportionale viele kleinere Handwerksunternehmen keine Unternehmensnachfolge
vorbereiten bzw. marktbedingt geschlossen werden (z.B. MÜLLER et al. 2008, S. 294 f.).
Die Bedeutung gewerblicher Kunden hat sich im Handwerk in den letzten Jahren tendenziell erhöht (MÜLLER 2000).
Vgl. Vorausberechnungen der zukünftigen Konsumausgaben der Haushalte in Deutschland von BUSLEI et al. (2007) und SCHAIBLE et al. (2007).
7
werden in der kommenden Dekade voraussichtlich eher geringe Veränderungen spüren. Auf längere Sicht sind aber auch sie vom demografischen Wandel
betroffen.
Die demografischen Entwicklungen bergen im Absatzbereich ohne Zweifel Risiken für das Handwerk als vorwiegend personenorientierter Anbieter (vgl.
auch: MÜLLER et al. 2008, S. 206 f.). Dies gilt auf jeden Fall für Unternehmen,
die sich nicht auf eine alternde Gesellschaft einstellen. Allerdings schlummern
in diesen Entwicklungen durchaus auch Chancen für solche Handwerksunternehmen, die sich frühzeitig durch strategische Anpassungen Vorteile nicht nur
gegenüber Wettbewerbern, sondern auch gegenüber der heutigen wirtschaftlichen Position verschaffen können.
Aus personalpolitischer Sicht ist v.a. die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials von Bedeutung. Unternehmen sind zum einen mit dem Anstieg des
Anteils der älteren Erwerbsbevölkerung bis 2020 und damit eines Anstiegs ihres durchschnittlichen Alters und zum anderen mit einem allmählichen Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge - mit einem Höhepunkt zwischen
2020 und 2040 - bei gleichzeitigem Schrumpfen der auf den Arbeitsmarkt
nachrückenden Jahrgänge konfrontiert. Ersatz für ausscheidende Mitarbeiter
zu finden, dürfte demografisch bedingt bereits zwischen 2015 und 2025
schwierig werden, weil in diesem Zeitraum die 1950er Kohorten das Rentenalter erreichen.
Von der Alterung der Belegschaften gehen für Handwerksunternehmen, speziell im Bausektor, in besonderem Maße Probleme aus, weil vergleichsweise
viele dieser Arbeitsplätze hohe physische Anforderungen an die Stelleninhaber
stellen. Solange es nicht gelingt, die körperliche Leistungsfähigkeit auch der
älteren Beschäftigten auf dem erforderlichen Niveau zu halten - hierfür ist in
vielen Fällen eine adäquate Arbeitsgestaltung und Gesundheitsprävention erforderlich -, ist mit Einschränkungen bei der Leistungserbringung zu rechnen,
mit entsprechenden Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Handwerksunternehmen. Neben dem Erhalt der körperlichen Arbeitsfähigkeit ist zudem auf
den Erhalt der Kompetenzen und der Leistungsbereitschaft der älteren Beschäftigten zu achten.
Die zukünftige Verknappung des Arbeitskräfteangebots wird aller Voraussicht
nach den Wettbewerb um Nachwuchs- und Fachkräfte verschärfen. Dieser
wiederum wird steigende Löhne und eine stärkere Lohndifferenzierung nach
sich ziehen (vgl. z.B. CONRAD 1999). Die im Vergleich zur Industrie zumeist
8
kleineren Handwerksunternehmen werden unter diesen Bedingungen besondere Probleme haben, sich zu behaupten, weil sie mit den materiellen und
immateriellen Anreizen von Großunternehmen häufig nicht mithalten können.
Personalpolitische Strategien wie frühzeitiges Werben um Auszubildende und
Fördern von Nachwuchskräften sind zwar grundsätzlich geeignet, Problemen
beim Gewinnen von Fachkräften entgegen zu wirken. Aber wenn die finanziellen Möglichkeiten nicht ausreichen, ist die Abwerbung von Fachkräften und
damit das Fachkräfteproblem nicht vollständig zu verhindern. Vor diesem Hintergrund dürften alternative Personalstrategien für Handwerksunternehmen
zukünftig an Bedeutung gewinnen. Stichworte sind hier: die Wiedereingliederung von Mitarbeiter/innen mit Kleinkindern, die längere Beschäftigung älterer
Arbeitnehmer oder die Gewinnung von Nachwuchs- oder Fachkräften aus dem
Kreise der in Deutschland lebenden Migranten bzw. sogar direkt im Ausland.
Handwerksunternehmen haben überdies die Möglichkeit, qualifiziertes Personal mit der Aussicht auf eine spätere berufliche Selbstständigkeit anzuwerben.
Nach diesen theoretischen Überlegungen bezüglich der Folgen des demografischen Wandels wenden wir uns den empirischen Ergebnissen zu. Als erstes
wird untersucht, welche Informationen in Bezug auf den demografischen Wandel in Handwerksunternehmen vorliegen und welche betrieblichen Auswirkungen sie aufgrund der Alterung der Bevölkerung erwarten.
9
3. Informationsstand und -quellen der Unternehmen
Der demografische Wandel ist ein sich langsam vollziehender Prozess, dessen Auswirkungen zurzeit noch eher wenig zu spüren sind. Infolgedessen ist
nicht zu erwarten, dass sich bereits alle Unternehmen mit den Folgen der demografischen Entwicklung auseinandergesetzt haben. Diese Vermutung bestätigt sich (vgl. Abbildung 3). Hochgerechnet auf die Gesamtheit aller deutschen Unternehmen ab fünf Beschäftigten 8 gaben 47 % der Handwerksunternehmen und 44 % der übrigen Unternehmen im Herbst 2007 an, dass sie
schon von dem Thema gehört, sich aber noch nicht mit den möglichen Auswirkungen auseinandergesetzt haben. 29 % der Handwerksbetriebe und 41 %
der übrigen Unternehmen haben sich schon intensiver mit möglichen Folgen
für den eigenen Betrieb beschäftigt. 24 % der Handwerksunternehmen und
15 % der übrigen Unternehmen haben sich noch gar nicht mit dem Thema befasst. Insofern ist im Handwerk ein vergleichsweise großes Informationsdefizit
zu erkennen.
Abbildung 3:
Auseinandersetzung mit dem Thema 'demografischer Wandel'
- nach Handwerkszugehörigkeit
in %
24
Nicht mit dem Thema beschäftigt
15
47
Vom Thema gehört, aber nicht
über Folgen nachgedacht
44
29
Mit Thema und Folgen
intensiv beschäftigt
41
Handwerk
n=706
Unterschiede signifikant auf dem 1-%- Niveau
8
Zur Hochrechnung vgl. KAY et al. (2008) S. 28 ff.
andere Unternehmen
© IfM Bonn
09 20 078
10
Das Wissen der Unternehmen betrifft im Handwerk wie in der übrigen Wirtschaft vornehmlich die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und in der
Heimatregion. Mit einem Anteil von 10 % sind signifikant weniger Unternehmen im Handwerk als in den übrigen Bereichen umfassend über die regionale
Bevölkerungsentwicklung informiert (vgl. Abbildung 4). Dies ist bemerkenswert
angesichts des engen regionalen (Markt-)Bezugs, den das Handwerk aufgrund
seiner Rolle als regionaler Lieferant und Dienstleister aufweist. Ein ähnliches
Bild zeigt sich im Hinblick auf die demografische Entwicklung in ganz Deutschland. Das Wissen über die Bevölkerungsentwicklungstrends im Ausland ist in
allen Unternehmen weniger gut ausgeprägt. Angesichts einer relativ geringen
Exportorientierung vieler Handwerksunternehmen (vgl. auch Kapitel 5.1.2.2)
war dies im Handwerk nicht anders zu erwarten.
Abbildung 4:
Grad der Informiertheit über demografische Entwicklung in den
Räumen - nach Handwerkszugehörigkeit
in %
Unmittelbare Region***
Handwerk
30
Andere Unternehmen
61
22
10
58
21
Deutschland*
Handwerk
Andere Unternehmen
19
68
13
14
66
21
Weltweit
Handwerk
49
Andere Unternehmen
49
gar keine Vorstellung
eine ungefähre Vorstellung
n=721
49
45
2
6
umfassend informiert
© IfM Bonn
09 20 079
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Massenmedien sind die am häufigsten genutzte Informationsquelle der Unternehmen, wobei sie von Handwerksunternehmen noch häufiger herangezogen
werden als von den übrigen Unternehmen (vgl. Tabelle 1). Andere Informationsquellen folgen mit großem Abstand. Wirtschaftskammern (hier speziell die
Handwerkskammern) sowie Branchenverbände erreichen jeweils 30 % der
Handwerksbetriebe. Knapp jedes fünfte Handwerksunternehmen sucht Infor-
11
mationen in der Fachliteratur und Statistiken bzw. im Internet. Die Informationsangebote von Sozialversicherungen, durch Veranstaltungen und Konferenzen oder von Bund oder Land werden noch seltener herangezogen. Fachliteratur, Internetmedien, Veranstaltungen und Konferenzen sowie Informationen
von Bund und Land werden im Handwerk seltener genutzt als in der übrigen
Wirtschaft.
Tabelle 1:
Informationsquellen nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Übrige Wirtschaftsbereiche
Unterschiede
signifikant
Informationsquellen
Handwerk
Presse, TV, Radio
97,8
93,9
Branchenverbände
30,2
24,5
Kammern (z.B. IHK, HWK)
29,5
27,2
Fachliteratur, Statistikberichte
18,8
29,7
**
Internet
17,3
29,9
***
Sozialversicherungen
13,8
15,5
Veranstaltungen/Konferenzen
11,1
18,8
**
Bund/Landesregierungen
10,3
21,8
***
Kommunen
7,1
6,9
Arbeitsagenturen
3,6
4,4
Sonstige Quellen
3,1
4,6
n=707
*
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Der Informationsstand über den demografischen Wandel unter den Handwerksunternehmen muss alles in allem als schlechter beurteilt werden als unter den übrigen Unternehmen. Dies dürfte zum Teil, aber keineswegs vollständig darauf zurückzuführen sein, dass sie im Durchschnitt kleiner sind als die
übrigen Unternehmen und der Anteil gut informierter Unternehmen mit der Unternehmensgröße steigt (vgl. KAY u.a. 2008, S. 38). Welche Auswirkungen
dieser Informationsstand in Kombination mit dem Umstand, dass eine nicht
unerhebliche Zahl der Handwerksunternehmen vornehmlich durch Massenmedien mit dem Thema Demografischer Wandel in Berührung gekommen ist,
auf ihre Einschätzungen der Folgen des demografischen Wandels hat, wird
nachfolgend untersucht.
12
4. Die von den Unternehmen erwarteten mittel- bis langfristigen Auswirkungen des demografischen Wandels
4.1 Außerhalb des Unternehmens
Unter außerbetriebliche Auswirkungen werden solche gefasst, die die Absatzund die Beschaffungsseite der Unternehmen sowie die Infrastrukturausstattung betreffen. Mit einem Anteil von rund 86 % erwarten signifikant mehr Unternehmen im Handwerk außerbetriebliche Folgen des demografischen Wandels als in der übrigen Wirtschaft (79 %). Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, stehen
sowohl bei Handwerks- als auch Nichthandwerksunternehmen mit einem Anteil von 61 % und 50 % veränderte Kundenbedürfnisse an erster Stelle, gefolgt
von der erwarteten Verteuerung von kommunalen Leistungen. 37 % der
Handwerksunternehmen erwarten eine sinkende Nachfrage in Deutschland,
eine Verschlechterung der Infrastruktur erwarten 19 %. Mit einer wachsenden
Binnennachfrage rechnen 18 % der Handwerksunternehmen. Alle weiteren
möglichen Folgen des demografischen Wandels werden jeweils von weniger
als 10 % der Handwerksunternehmen genannt.
Tabelle 2:
Mittel- bis langfristig erwartete außerbetriebliche Folgen nach
Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Handwerk
Übrige Wirtschaftsbereiche
Unterschiede
signifikant
Veränderte Kundenbedürfnisse
60,9
49,6
**
Verteuerte kommunale Leistungen
41,6
43,7
Sinkende Nachfrage in Deutschland
37,1
30,0
Verschlechterte Infrastruktur
19,3
17,8
Wachsende Nachfrage in Deutschland
18,0
19,9
Ausdünnung regionale Liefernetzwerke
7,8
12,4
Wachsende Nachfrage Ausland
2,6
13,7
Sinkende Nachfrage Ausland
1,7
1,2
Sonst. außerbetriebliche. Folgen
1,7
1,2
Keine außerbetrieblichen Folgen
erwartet
6,9
17,0
Weiß nicht
7,3
3,9
Erwartete außerbetriebliche Folgen
n=713
***
***
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Signifikante Unterschiede zwischen Handwerks- und sonstigen Unternehmen
bestehen bei zwei erwarteten Auswirkungen. So gehen mehr Handwerksun-
13
ternehmen von veränderten Kundenbedürfnissen aufgrund des demografischen Wandels aus, wohingegen in der übrigen Wirtschaft häufiger mit einer
wachsenden Nachfrage aus dem Ausland gerechnet wird als im Handwerksbereich. Letzteres ist vermutlich auf eine stärkere Orientierung des Handwerks
auf nahe Märkte zurückzuführen.
4.2 Im Personalbereich
Auch im Personalbereich erwarten mit 87 % signifikant mehr Handwerksunternehmen Folgen des demografischen Wandels als die übrigen Unternehmen
mit einem Anteil von 76 %. Die Bedeutung einzelner Folgen zeigt Abbildung 5.
Abbildung 5:
Mittel- und langfristig erwartete personalpolitische Folgen nach
Handwerkszugehörigkeit
in %
Mangel an Fach-/Führungskräften**
Steigende Personalkosten*
41,2
Starke Alterung der Belegschaft
35,8
Mangel an Auszubildenden***
18,1
Steigender Fortbildungsbedarf**
17,7
Höherer Krankheitsstand
15,5
17,4
0,9
Weiß nicht
27,1
29,8
21,9
4,7
2,5
Handwerk
n=717, Mehrfachnennungen möglich
43,1
18,2
8,2
Keine Folgen***
50,4
41,4
22,5
Geringe Flexibilität/Kreativität/Innovationskraft*
Mangel an Hochschulabsolventen***
57,8
45,0
Übrige Unternehmen
© IfM Bonn
09 20 080
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Am häufigsten genannt wird von den Handwerksunternehmen ein Mangel an
Fach- und Führungskräften (58 %), gefolgt von steigenden Personalkosten
aufgrund höherer Entlohnung (50 %), der Alterung der Belegschaft (43 %) und
einem Mangel an Auszubildenden (41 %). Einen steigenden Fortbildungsbedarf, einen Mangel an Flexibilität, Kreativität oder Innovationsfähigkeit sowie
einen steigenden Krankenstand erwarten im Handwerksbereich noch jeweils
14
16 bis 18 % der Unternehmen. Ohne Bedeutung ist für das Handwerk eine
mögliche Verknappung des Angebots an Hochschulabsolventen.
Mit zwei Ausnahmen ("Alterung der Belegschaft" und "Höherer Krankenstand")
lassen sich in den Erwartungen der Unternehmen im Handwerk bzw. NichtHandwerk signifikante Unterschiede feststellen: Bei den häufig genannten Erwartungen "Mangel an Fach- und Führungskräften", "Steigende Personalkosten" und "Mangel an Auszubildenden" ist der Anteil der Unternehmen im
Handwerk signifikant höher als bei den übrigen Unternehmen. Als besonders
groß erweist sich dabei die Differenz in der Einschätzung des zukünftigen Angebots an Auszubildenden. 9 Bei allen anderen aufgeführten Erwartungen ist
der Anteil der Handwerksunternehmen, die von demografisch bedingten Veränderungen ausgehen, signifikant geringer.
Der tendenziell schlechtere Informationsstand der Handwerksunternehmen
führt offenbar nicht dazu, dass sie die Auswirkungen des demografischen
Wandels auf sich selbst geringer einschätzen als die übrigen Unternehmen.
Wenn überhaupt, scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Aufscheinende
Unterschiede zwischen den beiden betrachteten Unternehmensgruppen sind
zudem auch Ausdruck ihrer jeweiligen brachenspezifischen Besonderheiten.
Beispielhaft seien hier der mögliche Mangel an Auszubildenden und der an
Hochschulabsolventen angeführt. Auf diese Aspekte bzw. Maßnahmen zur
Nachwuchssicherung wird im Kapitel 5.2.2.2 detailliert eingegangen.
9
Diesbezüglich registrieren die Handwerksunternehmen bereits heute schon einen Bewerbermangel.
15
5. Betriebliche Anpassungsstrategien vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
5.1 Absatzbereich
5.1.1
Betroffenheit von der demografischen Entwicklung aufgrund der
Altersstruktur der Zielgruppe
Rund 77 % der Handwerksunternehmen beliefern Personen und Haushalte
(vgl. Abbildung 6). Damit ist das Handwerk insgesamt häufiger unmittelbar von
Veränderungen der Bevölkerungsstruktur betroffen als die übrigen Wirtschaftsbereiche (66 %). Ob sich diese Veränderungen tendenziell positiv oder
negativ auf die Absatzchancen der Unternehmen auswirken, kann anhand der
Altersstruktur ihrer Kunden beurteilt werden (siehe Kapitel 2.2). Da lediglich
10 % der Handwerksunternehmen ihr Angebot vorwiegend auf Kinder und Jugendliche oder Personen mittleren Alters ausrichten, d.h. an Kunden, deren
Zahl in der kommenden Dekade voraussichtlich deutlich zurückgehen wird, ist
insgesamt von einer eher geringen Gefährdung des Handwerks aufgrund der
demografischen Entwicklung auszugehen. 6 % der Handwerksunternehmen
richten ihr Angebot vorwiegend an ältere Kunden und dürften damit unmittelbar von der Alterung der Bevölkerung profitieren.
Zwar bestehen durchaus signifikante Unterschiede in der Kundenstruktur der
Unternehmen im Handwerk und in der übrigen Wirtschaft. Im Hinblick auf negative Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Absatzchancen
der Unternehmen gleichen sich diese Unterschiede in der Summe aber weitgehend aus, so dass sich in der hier gewählten Betrachtungsweise keine erheblich stärkere Gefährdung des einen oder anderen Wirtschaftsbereichs ergibt. Wenn überhaupt, dann sind die Unternehmen der übrigen Wirtschaft stärker von den Veränderungen der Bevölkerungsstruktur berührt.
16
Abbildung 6:
Zielgruppen der Unternehmen nach Handwerkszugehörigkeit
Kunden/Endverbraucher sind...
in % von Insgesamt
23,2
keine Personen/Haushalte
33,8
Personen/Haushalte
66,2
76,8
darunter vorwiegend:
Kinder/Jugendliche
Personen mittleren Alters
Ältere
0,0
2,2
9,9
13,1
6,4
5,7
Personen unterschiedlichen Alters
Handwerk
45,2
60,5
übrige Unternehmen
© IfM Bonn
09 20 072
n=722
Unterschiede signifikant auf dem 1-%- Niveau
5.1.2
Ergriffene bzw. geplante absatzpolitische Maßnahmen
5.1.2.1 Angebotspolitik und Marketing
Den Unternehmen stehen vielfältige absatzpolitische Möglichkeiten offen, auf
die sich aus den demografischen Entwicklungen ergebenden Veränderungen
zu reagieren. Dies können zum einen die üblichen absatzpolitischen Maßnahmen wie z.B. Verbesserung der Produktqualität und -gestaltung oder Anpassung der Kommunikations- oder Preispolitik sein (vgl. KOPPELMANN 1999,
S. 102 ff.). Angesichts des Ausmaßes der demografischen Veränderungen ist
allerdings davon auszugehen, dass weitergehende Anpassungen erforderlich
sind, und zwar in Form einer Hinwendung zu älteren Kunden (vgl. SUPRINOVIČ/KAY 2009). Konkret hieße das für die Unternehmen, ihr Angebot, ihre
Kommunikation und ihren Vertrieb stärker als bisher auf die Bedürfnisse Älterer auszurichten.
17
Knapp die Hälfte der Unternehmen, die Personen oder Haushalte beliefern, 10
hat bereits entsprechende Änderungen ihrer Produktpolitik vorgenommen (vgl.
KAY et al. 2008, S. 68 ff.). Gedanklich lässt sich hier zwischen Anpassung bestehender Angebote und Entwicklung völlig neuer Produkte bzw. Dienstleistungen für Ältere unterscheiden. 11 Mit Blick auf Abbildung 7 zeigt sich, dass
bereits 48 % der Handwerksunternehmen ihr übliches Angebot an die Bedürfnisse älterer Kunden angepasst haben. Von den übrigen Unternehmen haben
dies 41 % getan. Jeweils rund 20 % der Unternehmen in den beiden betrachteten Gruppen haben dies in Zukunft vor. Den Schritt, völlig neue Produkte
oder Dienstleistungen gezielt für ältere Kunden zu entwickeln, haben lediglich
14 % der Handwerksunternehmen unternommen. Mit einem Anteil von 25 %
ist diese produktpolitische Maßnahme von den übrigen Unternehmen signifikant häufiger ergriffen worden. Für die Zukunft plant jedes vierte Handwerksunternehmen solche Produkt- bzw. Serviceinnovationen. Unter den übrigen
Unternehmen trifft dies lediglich auf jedes fünfte zu. Insgesamt ist das Handwerk in dem Bereich Neuentwicklung also weniger aktiv als die übrige Wirtschaft.
10 Nur von diesen Unternehmen ist in Kapitel 5.1.2.1 die Rede. Alle Prozentangaben beziehen sich hier und im restlichen Kapitel 5.1.2.1 auf diese Untergruppe und nicht auf alle
Unternehmen.
11 In praxi ist diese Trennung, gerade im Handwerk, nicht immer leicht vorzunehmen.
18
Abbildung 7:
Maßnahmen zur Gewinnung älterer Kunden im Angebotssortiment - nach Handwerkszugehörigkeit
in % der Unternehmen
mit Personen als Zielgruppe
Anpassung bisheriger Produkte
47,7
Handwerk
20,7
41,1
übrige Unternehmen
31,6
18,9
40,0
Entwicklung völlig neuer Produkte/DL *
Handwerk
übrige Unternehmen
n=401
13,8
25,4
ergriffen
24,1
62,1
19,7
geplant
54,9
weder noch
© IfM Bonn
09 20 073
* Signifikanzniveau von 5 %.
Ebenfalls knapp die Hälfte aller befragten Unternehmen orientiert sich bereits
innerhalb seiner Kommunikations- und Vertriebspolitik an den Bedürfnissen Älterer (vgl. KAY et al. 2008, S. 71 ff.). Wie Abbildung 8 zu entnehmen ist, wurden im Marketing am häufigsten Anpassungen in der Kundenbetreuung und
-beratung vorgenommen (von etwa einem Drittel der Unternehmen), gefolgt
von Anpassungen der Vertriebswege und Anpassungen im Bereich Werbung
und Kommunikation. Lokalitäten (z.B. Verkaufsräume, Parkplätze) wurden bisher am seltensten von den Unternehmen verändert. Für die Zukunft ist vor allem in den Bereichen Werbung/Kommunikation und Kundenbetreuung/-beratung eine Umorientierung hin zu Älteren durch weitere Unternehmen zu erwarten. Signifikante Unterschiede zwischen dem Handwerk und der übrigen Wirtschaft gibt es lediglich im Bereich "Umbau der Lokalitäten", wobei das Handwerk hier bisher seltener aktiv war als die übrige Wirtschaft.
19
Abbildung 8:
Marketingmaßnahmen zur Gewinnung älterer Kunden - nach
Handwerkszugehörigkeit
in % der Unternehmen
mit Personen als Zielgruppe
Anpassung von Werbung/Kommunikation
Handwerk
übrige Unternehmen
14,4
21,3
21,1
64,4
24,6
54,2
Anpassung der Kundenbetreuung/-beratung
Handwerk
35,1
25,9
32,0
übrige Unternehmen
39,1
19,0
48,9
Anpassung der Lokalitäten **
Handwerk 10,3
übrige Unternehmen
Anpassung der Vertriebswege
22,9
75,9
9,2
68,0
1)
Handwerk
übrige Unternehmen
n=400
13,8
16,7
9,2
22,2
ergriffen
74,1
13,7
64,1
geplant
weder noch
© IfM Bonn
09 20 074
** Signifikanzniveau von 1 %.
1)
Lieferservice, Hausbesuche, mobile Verkaufseinrichtungen etc.
5.1.2.2 Räumliche Marktausdehnung
Neben den oben angesprochenen absatzpolitischen Maßnahmen stellt die
Ausdehnung des Absatzgebietes eine weitere Möglichkeit dar, auf die Folgen
der demografischen Entwicklung zu reagieren. Die Handwerksunternehmen
agieren zu 63 % als regionale Anbieter, weit mehr als die Unternehmen der
übrigen Wirtschaftsbereiche (36 %) (vgl. Tabelle 3). Nur 24 % der Handwerksunternehmen bedienen Kunden in ganz Deutschland, lediglich 13 % agieren
auch im Ausland. Damit exportieren weit weniger Handwerksunternehmen im
Vergleich zu den übrigen Unternehmen (32 %).
Gefragt nach ihren Zukunftsplänen zeigt sich, dass Handwerksunternehmen
mit einem Anteil von 47 % signifikant seltener eine räumliche Marktausdehnung planen als andere Unternehmen (64 %). Anbieter aus dem Handwerk mit
einer regionalen Ausrichtung unterschieden sich diesbezüglich kaum von Unternehmen mit einem größeren Absatzradius. Dagegen ist bei den übrigen Unternehmen eine Marktausdehnung umso eher geplant, je größer das derzeitige
Absatzgebiet ist.
20
Tabelle 3:
Reichweite des Absatzmarktes und geplante Ausdehnung - nach
Handwerkszugehörigkeit, Anteil der Unternehmen in %
Marktreichweite***
Reichweite des
Absatzmarktes
davon: mit Plänen zur
Marktausdehnung
Übrige UnterHandwerk
nehmen**
Handwerk
Übrige Unternehmen
Regionaler Anbieter
63,1
36,0
42,9
54,3
Überregionaler Anbieter
24,0
31,8
55,4
68,6
Internationaler Anbieter
12,9
32,2
54,8
70,4
Insgesamt
100,0
100,0
47,4
64,0
n=714
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Jedes dritte Unternehmen weicht speziell aufgrund des möglichen zahlenmäßigen Schrumpfens seiner Zielgruppe im angestammten Absatzgebiet auf andere Räume aus. Die von Handwerksbetrieben geplanten Marktausdehnungen
richten sich dabei überwiegend auf die unmittelbare Heimatregion, z.T. auch
auf andere Regionen innerhalb Deutschlands (vgl. Abbildung 9).
Abbildung 9:
Geplanter Ausbau der Präsenz nach Märkten - nach Handwerkszugehörigkeit
in % der Unternehmen mit Personen
als Zielgruppe
Marktausdehnung ist...
47,2
geplant ***
63,5
und zwar in:
40,4
39,9
Region
12,4
übriges Deutschland ***
Europa ***
5,6
Asien, Afrika, Südamerika
2,2
4,4
USA, Kanada
2,8
4,7
übrige Welt
4,5
4,1
16,7
Handwerk
n=448
*** Signifikanzniveau von 0,1 %.
28,9
übrige Unternehmen
© IfM Bonn
09 20 075
21
Die Ausdehnung auf europäische oder außereuropäische Märkte beabsichtigt
lediglich eine Minderheit der Handwerksunternehmen. Während die übrigen
Unternehmen ebenso selten wie die Handwerksunternehmen eine Marktausdehnung außerhalb Europas anstreben, tragen sie sich signifikant häufiger als
die Handwerksunternehmen mit dem Gedanken, ihren Absatz durch Umsätze
in neuen Regionen innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb Europas zu
stärken.
5.2 Personalbereich
5.2.1
Die Altersstruktur der Belegschaften
Die umwälzenden Veränderungen, die der demografische Wandel innerhalb
des Erwerbspersonenpotenzials auslösen wird (siehe Kapitel 2.1), werden
kaum ein Unternehmen, das Personal beschäftigt, unberührt lassen. Der Alterung des Erwerbspersonenpotenzials werden sich nur wenige Unternehmen
entziehen können, wie sich auch viele Unternehmen etwa ab 2015 mit einem
zunehmenden Ersatzbedarf von Fachkräften aufgrund des sukzessiven Ausscheidens der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben konfrontiert
sehen werden (siehe Kapitel 2.2).
Wie sich die Lage dann in den einzelnen Unternehmen darstellen wird, kann
per heute nicht genau abgeschätzt werden. Anhaltspunkte liefert jedoch
durchaus die gegenwärtige Altersstruktur der Belegschaften der Unternehmen.
Danach hat die Gruppe der 30- bis 49-Jährigen einen Anteil von 56 % am Personal aller Unternehmen ab fünf Beschäftigten. In den Handwerksunternehmen nimmt diese Altersgruppe den gleichen Anteil ein. Auf die Gruppe der 50Jährigen und älteren entfallen gegenwärtig 23 % aller Beschäftigten in den Unternehmen. Im Handwerk liegt ihr Anteil mit 21 % knapp darunter. Bis 2020
werden die Handwerks- wie alle übrigen Unternehmen demnach im Durchschnitt für etwa ein Fünftel ihrer altersbedingt ausscheidenden Beschäftigten
Ersatz beschaffen müssen. Dazu kommt noch die übrige Fluktuation, 12 die
sich aufgrund des sich - unabhängig von der aktuellen Wirtschaftskrise - tendenziell verschärfenden Wettbewerbs um Fachkräfte im Vergleich zu früheren
12 ROTHE (2009, S. 30 ff.) zeigt, dass im Durchschnitt der Jahre 1997 bis 2007 jährlich
knapp sieben Millionen Personen in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eintreten und fast ebenso viele Arbeitsverhältnisse beendet wurden. Bezogen
auf den Bestand an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt der Anteil beendeter
und begonnener Arbeitsverhältnisse bei jeweils 27 %.
22
Jahren eher noch verstärken wird. 13 Die Gruppe der Unter-30-Jährigen umfasst im Allgemeinen 21 % der Beschäftigten, im Handwerk sind es 23 %.
Letzteres ist vermutlich auf die überdurchschnittliche Beteiligung des Handwerks an der betrieblichen Ausbildung zurückzuführen. 14
5.2.2
5.2.2.1
Ergriffene bzw. geplante personalpolitische Maßnahmen
Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit
Angesichts der sich in Zukunft fortsetzenden Alterung der Belegschaften gewinnt das personalpolitische Ziel der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit
der Mitarbeiter bis ins hohe Alter an Bedeutung. Zwei Aspekte sind in diesem
Zusammenhang insbesondere angesprochen: Qualifikation und Gesundheit.
Da die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit nicht erst im fortgeschrittenen
Alter einsetzen kann, sondern streng genommen mit dem Eintritt ins Berufsleben beginnen muss, gilt es bei der Überprüfung der Frage, inwieweit sich die
Unternehmen, insbesondere im Handwerk, auf diese zentrale personalpolitische Aufgabe eingestellt haben, alle Qualifizierungs- und Gesundheitsschutzmaßnahmen in den Blick zu nehmen und nicht nur die, die sich speziell auf ältere Beschäftigte richten.
Zunächst zur betrieblichen Gesundheitsprävention. Wie Tabelle 4 zu entnehmen ist, haben vier von fünf Unternehmen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz ihrer Beschäftigten ergriffen. Dies gilt für Unternehmen des Handwerks
ebenso wie für die der übrigen Wirtschaft. Jedes zweite Unternehmen bietet
nicht nur Beratungen bzw. Untersuchungen durch Werksärzte oder medizinische Experten an, sondern hat auch Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen bzw.
seine Arbeitsplätze ergonomisch gestaltet. Das Handwerk ist dabei im ersten
Punkt signifikant häufiger aktiv als die übrige Wirtschaft. Dies ist angesichts
dessen, dass diese Maßnahme umso häufiger von einem Unternehmen umgesetzt wird, je größer es ist (vgl. KAY et al. 2008, S. 110), bemerkenswert.
13 Arbeitnehmerseitige Kündigungen hängen auch von den Chancen eines Arbeitnehmers
ab, sich verbessern zu können. Diese Chancen sind generell gesehen größer, wenn sich
das Angebot von Arbeitskräften verknappt, weil die Unternehmen höhere Entgelte zahlen
müssen, um Arbeitskräfte für sich zu gewinnen (vgl. z.B. CONRAD 1999, S. 7).
14 Im Sample lag der Anteil der nicht ausbildenden Betriebe im Handwerk bei 43,7 % und
damit signifikant unter dem Anteil in der übrigen Wirtschaft (57,7 %).
23
Tabelle 4:
Betriebliche Gesundheitsschutzmaßnahmen nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Betriebliche Gesundheitsschutzmaßnahmen
Handwerk
ergriffen
geplant
UnterÜbrige Unternehmen schiede
signifikant
ergriffen
geplant
Untersuchung/Beratung durch
Werksärzte oder Experten
54,1
8,7
43,3
4,8
Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung/Arbeitsschutzmaßnahmen
52,3
11,2
53,2
10,5
Gesundheitskurse/-schulungen
20,1
10,7
20,3
7,7
Betriebseigene Sportangebote
4,2
4,2
4,2
1,9
Förderung außerbetrieblicher
Sportaktivitäten
2,3
5,6
7,7
8,8
Nachrichtlich: Keine Maßnahme
n=669
22,5
**
*
22,0
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Die auf den ersten Blick vergleichsweise hohen Verbreitungsgrade der beiden
Maßnahmengruppen relativieren sich, führt man sich vor Augen, dass Arbeitsschutzmaßnahmen bzw. Untersuchungen je nach Gefährdung am Arbeitsplatz
zu den gesetzlichen Fürsorgepflichten der Arbeitgeber gehören. Etwa jedes
zehnte Unternehmen im Handwerk plant in diesem Bereich zukünftig weitergehende Maßnahmen.
Von der Möglichkeit, freiwillig weitere Maßnahmen zur Gesundheitsprävention
anzubieten, machen weitaus weniger Unternehmen Gebrauch, sowohl im
Handwerk als auch in der übrigen Wirtschaft. Am häufigsten mit einem Anteil
von 20 % werden Gesundheitskurse angeboten. Außerbetriebliche Sportaktivitäten werden im Handwerk noch seltener gefördert als von den übrigen Unternehmen.
Neben diesen allgemeinen Maßnahmen der Arbeitsgestaltung/Gesundheitsprävention haben viele Unternehmen speziell Maßnahmen im Hinblick auf die
kommende Alterung der Belegschaft ergriffen bzw. geplant (vgl. Tabelle 5).
Knapp jedes zweite Handwerksunternehmen griff in diesem Zusammenhang
zur Verbesserung der technischen Ausstattung, und nochmals ein Fünftel
plant hier entsprechende technische Veränderungen durchzuführen. Diesen
Weg beschreiten signifikant mehr Unternehmen des Handwerks als der übri-
24
gen Wirtschaft. 15 36 % der Unternehmen haben generationenübergreifende
Arbeitsteams gebildet, wobei keine Unterschiede zwischen dem Handwerk
und der übrigen Wirtschaft zu beobachten sind. Die beiden übrigen Maßnahmen, "Flexible Arbeitszeitgestaltung für Ältere" sowie "Einrichtung von Arbeitsplätzen mit geringerer Belastung", werden insbesondere im Handwerk mit einem Anteil von 12 % bzw. 6 % eher selten eingesetzt. Die Möglichkeit der Arbeitszeitflexibilisierung für Ältere wird von Unternehmen der übrigen Wirtschaft
signifikant häufiger genutzt als vom Handwerk. 16
Tabelle 5:
Maßnahmen der Arbeitsgestaltung im Hinblick auf die kommende
Alterung der Belegschaften nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Maßnahmen der Arbeitsgestaltung
Übrige Unterneh- Unterschiede
men
signifikant
ergriffen geplant ergriffen geplant
Handwerk
Verbesserung der technischen Ausstattung
48,5
19,4
39,2
11,8
Generationsübergreifende Arbeitsteams
35,7
6,5
36,0
8,2
Flexible Arbeitszeitgestaltung für Ältere
12,2
10,7
25,1
16,9
Arbeitsplätze mit geringerer Belastung
6,1
4,6
8,2
6,2
n=650
***
***
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Im Hinblick auf die kommende Alterung der Belegschaft haben Handwerksunternehmen deutlich seltener qualifikationsrelevante Maßnahmen ergriffen als
Maßnahmen der Arbeitsgestaltung (vgl. Tabelle 6). Jedes vierte Handwerksunternehmen fördert das lebenslange Lernen aller Mitarbeiter bzw. bietet seinen
Mitarbeitern eine betriebsinterne Weiterbildungsberatung an. Und nochmals
etwa jedes zehnte Handwerksunternehmen ist im Bereich Personalentwicklung/individuelle Laufbahngestaltung aktiv oder bietet Qualifizierungsmaßnahmen speziell für Ältere an. In allen Fällen ist das Handwerk seltener engagiert
15 Die Verbesserung der technischen Ausstattung kann der allgemeinen Rationalisierung
und damit der Senkung des Personalbedarfs und/oder der Reduktion von physischen und
psychischen Belastungen dienen. Im Handwerk dürfte das Ziel häufig in der Verringerung
körperlicher Belastungen liegen.
16 Zur allgemeinen Arbeitszeitflexibilisierung in den Unternehmen siehe Tabelle 9.
25
als die übrige Wirtschaft, was zumindest zum Teil mit ihrer im Durchschnitt geringeren Größe zusammen hängt. 17
Tabelle 6:
Qualifikationsrelevante Maßnahmen im Hinblick auf die kommende Alterung der Belegschaften nach Handwerkszugehörigkeit
(Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Qualifikationsrelevante Maßnahmen
Übrige Unterneh- Unterschiede
men
signifikant
ergriffen geplant ergriffen geplant
Handwerk
Förderung lebenslangen Lernens aller
25,5
18,4
39,6
19,4
**
Betriebsinterne Weiterbildungsberatung
25,5
8,7
31,0
14,6
*
Personalentwicklung o. individuelle
Laufbahngestaltung
11,7
11,2
19,6
13,5
*
9,2
10,7
15,9
12,0
Qualifizierungsmaßnahmen für Ältere
n=650
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Wenn es um die Aufrechterhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit geht, ist
das Handwerk alles in allem nicht weniger aktiv als die übrige Wirtschaft. Aufgrund des hohen Anteils von Arbeitsplätzen im Handwerk, die mit vergleichsweise hohen körperlichen Anforderungen einhergehen, relativiert sich dieser
Befund allerdings. 18 Im Hinblick auf die Sicherstellung der Qualifikation steht
das Handwerk hinter den übrigen Wirtschaftsbereichen zurück.19
5.2.2.2
Nachwuchssicherung
Die erwartete Verknappung junger Fachkräfte wird von der Mehrheit der Unternehmen, insbesondere des Handwerks, antizipiert. Bemühungen um den
Nachwuchs sind v.a. im Facharbeiterbereich zu beobachten (vgl. Tabelle 7).
Zwei Drittel der Handwerksunternehmen bieten Schülerpraktika an oder sind in
der betrieblichen Ausbildung aktiv. Noch etwa ein Viertel von ihnen nutzt die
Kooperation mit Schulen, um Bewerber für sich zu gewinnen. Alle drei Maß-
17 Die Einsatzhäufigkeit dieser Maßnahmen steigt mit der Unternehmensgröße (vgl. KAY et
al. 2008, S. 122).
18 So gab immerhin jedes zweite Handwerksunternehmen an, dass die mangelnde körperliche Eignung gegen die Berücksichtigung älterer Bewerber bei der Personalsuche spreche. Bei den übrigen Unternehmen wurde dieses Hindernis mit 34 % signifikant seltener
genannt.
19 Die Abstände verkleinern sich, wenn die Unternehmensgrößenunterschiede berücksichtigt werden.
26
nahmen werden signifikant häufiger im Handwerk als in der übrigen Wirtschaft
eingesetzt. Betriebsbesichtigungen werden dagegen im Nichthandwerk häufiger als Personalmarketinginstrument genutzt. Die beiden übrigen auf den Bereich betriebliche Ausbildung ausgerichteten Maßnahmen, Unterkünfte für
Auszubildende und Gründung/Sponsoring einer Schule, werden lediglich von
einer Minderheit der Unternehmen eingesetzt.
Tabelle 7:
Maßnahmen zur Nachwuchssicherung nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Handwerk
Übrige Unternehmen
Unterschiede
signifikant
Schülerpraktika
68,6
46,8
***
Ausbildung im Betrieb
66,4
53,7
**
Kooperation mit Schulen
24,2
16,2
*
Betriebsbesichtigung
14,7
18,4
Unterkünfte für Auszubildende
4,8
5,5
Gründung/Sponsoring von Schulen
1,8
2,3
17,0
30,2
***
Diplomarbeitsbetreuung
8,5
19,5
***
Traineeprogramme
2,7
9,3
**
Hochschulmessen
0,9
4,2
*
Forschungsprojekte
0,0
4,2
**
(Werk-)Stipendien
0,0
2,1
*
Gründung/Sponsoring v. Hochschulen
0,0
3,8
**
Keinerlei Nachwuchssicherung im Unternehmen
17,5
20,9
Maßnahmen
für den Bereich Ausbildung
im Bereich Hochschulabsolventen
Studentenpraktika
n=694
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Maßnahmen zur Sicherung des Akademikernachwuchses werden, wenig überraschend, im Handwerk durchgängig seltener ergriffen als im Nichthandwerk.
So bieten lediglich 17 % der Handwerksunternehmen Studentenpraktika an
und weniger als 10 % betreuen Diplomanden bei der Erstellung der Diplomarbeit. Alle weiteren in Tabelle 7 aufgeführten Aktivitäten zur Gewinnung von
Hochschulabsolventen haben im Handwerk einen noch größeren Seltenheitswert.
27
In diesen Befunden spiegeln sich die Unterschiede in der Mitarbeiterstruktur
der Unternehmen im Handwerk und in der übrigen Wirtschaft wider (vgl. Tabelle 8). Das Handwerk beschäftigt unterdurchschnittlich viele Arbeitskräfte mit
Hoch-/Fachhochschulabschluss.20 Konsequenterweise konzentriert das Handwerk seine Bemühungen auf die Nachwuchssicherung im Bereich betrieblicher
Ausbildung.
Tabelle 8:
Qualifikationsstruktur der Mitarbeiter nach Handwerkszugehörigkeit, Anteil an allen Mitarbeitern in %
Tätige
Inhaber
Mitarbeiter
mit Fach-/
Hochschulabschluss
Mitarbeiter
mit mittlerer
Qualifikation
Un-/
Angelernte
Auszubildende
Handwerk
5,3
6,9
56,1
25,1
6,6
Übrige Unternehmen
3,2
18,7
55,0
18,6
4,5
n=637
5.2.2.3
© IfM Bonn
Familienfreundlichkeit
Neben den Älteren werden Frauen, v.a. solche mit Kleinkindern, zukünftig
noch weiter als Arbeitskräfte an Bedeutung gewinnen. Um die hier noch
schlummernden Beschäftigungsreserven heben zu können, sind betriebliche
und außerbetriebliche Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie erforderlich. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels übernehmen überdies
auch zunehmend mehr Männer Aufgaben der Kinderbetreuung, so dass Vereinbarkeitsangebote der Unternehmen zunehmend für weibliche wie männlichen Beschäftigte gleichermaßen von essenzieller Bedeutung sind, um ihr volles Leistungspotenzial ausschöpfen zu können.
Wenn es sich bei den Vereinbarkeitsangeboten um spezielle familienfreundliche Maßnahmen handelt, dann ist mit Blick auf Tabelle 9 zu konstatieren, dass
ein solches Engagement in der deutschen Wirtschaft bislang nur bei wenigen
Unternehmen beobachtet werden kann und dass ein ähnlich kleiner Anteil entsprechendes plant. Am häufigsten werden noch Sonderurlaube für Mitarbeiter
mit Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen angeboten. Das Hand-
20 Im Mittelwerttest erweisen sich die Unterschiede als nicht signifikant.
28
werk ist in dieser Hinsicht noch zurückhaltender als die übrige Wirtschaft.21
Möglicherweise reagieren kleine Unternehmen, zu denen Handwerksunternehmen häufiger zählen als die Unternehmen der übrigen Wirtschaftsbereiche,
individuell und fallbezogen, und geben diese (potenziellen) situationsabhängigen Angebote nicht in Fragebogen an. Und nicht zuletzt fehlen kleinen Unternehmen häufig die erforderlichen finanziellen und personellen Mittel, um entsprechende familienfreundliche Maßnahmen zu institutionalisieren.
Tabelle 9:
Freiwillige familienfreundliche Sozialleistungen nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Handwerk
Maßnahmen
Übrige
Unternehmen
Unterschiede
signifiergriffen geplant
kant
ergriffen
geplant
Sonderurlaub für Mitarbeiter mit Kindern
3,2
2,1
9,0
4,4
*
Geförderte Kinderbetreuungsplätze
außerhalb des Betriebs
0,0
2,1
5,1
3,9
**
Betriebskindergarten
0,0
0,0
1,6
1,6
Sonderurlaub für Mitarbeiter mit
Pflegebedürftigen
0,5
6,4
6,9
9,4
n=636
**
© IfM
Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie können auch flexible Arbeitszeiten und -orte beitragen. Solche Angebote finden sich in drei von
vier Handwerksunternehmen und in fünf von sechs Unternehmen der übrigen
Wirtschaft (vgl. Tabelle 10). Am häufigsten sind im Handwerk Arbeitszeitkonten anzutreffen, und zwar in etwas mehr als der Hälfte der Unternehmen. An
zweiter Stelle folgen Gleitzeitmodelle, in denen Arbeitnehmer bei Beachtung
einer Kernzeit die Lage der Arbeitszeit individuell gestalten können. Sie sind in
einem Viertel der Handwerksunternehmen installiert. In 15 % der Handwerksunternehmen sind Formen der Teilzeitarbeit verbreitet, deren Start bzw. Ende
die Mitarbeiter mitbestimmen. Telearbeitarbeitsplätze sind - durchaus erwartungsgemäß - in einem verschwindend kleinen Teil des Handwerks zu finden.
21 Die These, dass dies u.U. mit einem geringeren Anteil weiblicher Mitarbeiter an den Belegschaften im Handwerk zusammen hängen könnte, bestätigte sich nicht. Im Sample lag
der Frauenanteil an den Beschäftigten im Handwerk mit 35,8 % nahezu gleichauf mit der
übrigen Wirtschaft (38,7 %). Auch der Anteil der Unternehmen ohne Frauen unter den
Mitarbeitern war in beiden Gruppen nahezu gleich.
29
Mit Ausnahme der Arbeitszeitkonten sind alle genannten Arbeitszeitformen
deutlich stärker in den übrigen Wirtschaftsbereichen verbreitet. 22 Arbeitszeitkonten sind dagegen signifikant häufiger im Handwerk vorzufinden, was u.a.
mit der saisonal schwankenden Auftragslage z.B. im Bausektor zusammenhängt.
Tabelle 10: Arbeitszeitformen mit hohem Gestaltungsfreiraum für Mitarbeiter
nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der
Unternehmen in %
ergriffen
geplant
ergriffen
geplant
Unterschiede
signifikant
Arbeitszeitkonten
54,2
9,3
43,1
6,9
**
Gleitende Arbeitszeit
25,8
3,7
50,4
2,9
***
Teilzeit
14,9
0,5
46,0
5,1
***
1,4
2,8
14,1
6,0
***
Arbeitszeitformen
Telearbeit
Keine arbeitnehmerfreundlichen
Arbeitszeitmodelle
n=670
Handwerk
23,1
Übrige
Unternehmen
16,1
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
22 Auch hier ist denkbar, dass gerade kleine (Handwerks-)Unternehmen auf eine institutionelle Regelung verzichten und stattdessen mit Einzelfallregelungen auf die Bedürfnisse
einzelner Mitarbeiter reagieren.
30
6. Öffentlicher Handlungsbedarf aus Sicht der Unternehmen
6.1 Unterstützung für personalpolitische Aktivitäten
Einige personalpolitische Herausforderungen, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, werden insbesondere kleinere Unternehmen, wie sie
typischerweise auch im Handwerk auftreten, nicht alleine bewältigen können.
Kleinen Unternehmen fehlen oft die Informationen, die Finanzkraft oder die
Personalkompetenz, um langfristige Maßnahmen zu planen und durchzusetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass üblicherweise der Unternehmer selbst
und keine gesonderte Personalabteilung die personalpolitischen Entscheidungen fällt. Die Handwerksmeister bzw. Geschäftsführer sind aber durch vielfältige weitere Aufgaben zeitlich stark gebunden, so dass ihnen oftmals die Zeit für
langfristige Planungen fehlt. Diese Hemmnisse könnten regionale und branchenspezifische Institutionen wie Handwerkskammern und Innungen mit Unterstützungsangeboten überwinden helfen.
In welchen Bereichen der betrieblichen Personalpolitik die Unternehmen öffentliche Hilfe benötigen, kann Tabelle 11 entnommen werden. Mehr als die
Hälfte der Handwerksunternehmen wünscht sich Unterstützung bei der Erhöhung des Qualifikationsniveaus von Ausbildungsplatzbewerbern. Mit Anteilen
von 16 % und 10 % folgen an zweiter und dritter Stelle Hilfen für die betriebliche Gesundheitsfürsorge und beim Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen. Und knapp jedes zehnte Handwerksunternehmen wünscht sich Beratung
bei der Einrichtung altersgerechter Arbeitsplätze. Von untergeordneter Bedeutung sind Hilfen bei der Rekrutierung von Mitarbeitern im Ausland. Mit zwei
Ausnahmen bestehen keine Unterschiede zwischen den beiden betrachteten
Unternehmensgruppen. Unterstützung beim Ausbau betrieblicher Kinderbetreuung sowie bei der Rekrutierung im Ausland wird von Handwerksunternehmen seltener gewünscht als von den übrigen Unternehmen, was u.a. den
Größenunterschieden, im Falle der Kinderbetreuung aber auch einem geringeren Bedarf zugerechnet werden kann.
31
Tabelle 11: Innerbetriebliche Maßnahmen der Personalpolitik, für die Unternehmen öffentliche Unterstützung wünschen, nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Innerbetriebliche Maßnahmen
Handwerk
UnterÜbrige Unter- schiede
nehmen
signifikant
Erhöhung des Qualifikationsniveaus bei Ausbildungsplatzbewerbern
54,7
47,3
Betriebliche Gesundheitsfürsorge
15,6
16,1
Ausbau betrieblicher Kinderbetreuung
10,3
17,4
Beratung für die Einrichtung altersgerechter Arbeitsplätze
8,1
6,2
Rekrutierung von Mitarbeitern im Ausland
2,2
8,7
n=692
*
**
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Der Umstand, dass relativ wenige Unternehmen öffentliche Hilfen in den genannten Bereichen für erforderlich halten, erklärt sich zum Teil dadurch, dass
die Unternehmen diese Tätigkeiten nicht als betriebliche Aufgabe verstehen
bzw. solche Maßnahmen (trotz einer möglichen ergänzenden Förderung) aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht ergreifen können. Werden nur in diesen
Bereichen bereits aktive Unternehmen betrachtet, fällt der Unterstützungsbedarf deutlich höher als im Durchschnitt aller Unternehmen aus (vgl. KAY u.a.
2008, S. 137).
6.2 Verbesserung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen
Neben einer direkten Förderung betrieblicher personalpolitischer Maßnahmen
könnten Änderungen der Rahmenbedingungen dazu beitragen, die demografisch bedingten Herausforderungen für die Unternehmen abzuschwächen. Insgesamt rund 90 % der Unternehmen sprechen sich für entsprechende gesellschafts- und wirtschaftspolitische Reformen aus (vgl. Tabelle 12). Vor allem
sollte aus Sicht der Unternehmen das Bildungsniveau von Kindern und Jugendlichen erhöht werden. Dies würde auch dazu beitragen, dass weniger Unternehmen Ausbildungsplatzbewerber nachqualifizieren müssten. An zweiter
Stelle folgt, von 51 % der Handwerksunternehmen genannt, die Verbesserung
der Vermittlungsfunktion der Arbeitsagenturen. Den weiteren Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung halten 41 % der Handwerksunternehmen für erforderlich, eine stärkere Förderung der Fort- und Weiterbildung für bereits Berufs-
32
tätige rund 32 %. Die übrigen Maßnahmen wie Zuwanderungsanreize für bevölkerungsschwache Regionen, Frühverrentungs-/Abfindungsregeln für Ältere
oder die Öffnung der Arbeitsmärkte wird jeweils von einer Minderheit der Unternehmen für notwendig erachtet.
Tabelle 12: Notwendigkeit öffentlicher Maßnahmen aus Sicht der Unternehmen nach Handwerkszugehörigkeit (Mehrfachantworten), Anteil
der Unternehmen in %
Handwerk
Übrige
Unternehmen
Steigerung des Bildungsniveaus von Kindern und
Jugendlichen
77,1
74,6
Verbesserung der Vermittlungsfunktion der
Arbeitsagenturen
51,1
53,3
Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung
41,3
50,7
Weiterbildungsdarlehen
32,3
35,2
Zuwanderungsanreize für bevölkerungsschwache
Regionen
20,2
21,1
Erhalt der Frühverrentungs- bzw. Abfindungsregeln
für Ältere
14,6
19,8
Öffnung der Arbeitsmärkte für Ost-EU-Staaten
13,5
14,1
Öffnung der Arbeitsmärkte für andere Staaten
12,1
21,1
Abschaffung der Umzugsprämie der Arbeitsagenturen für arbeitslose Bewerber
5,8
6,8
Keine staatlichen Maßnahmen erforderlich
9,9
11,7
Öffentliche Maßnahmen
n=689
Unterschiede
signifikant
*
**
© IfM Bonn
*; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 %.
Die Einschätzungen der Handwerksunternehmen und der übrigen Unternehmen unterscheiden sich nur in zwei Punkten signifikant: Der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung ist ebenso wie die Öffnung der Arbeitsmärkte für
Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten für eine geringe Zahl von Handwerksunternehmen von Bedeutung.
33
7. Resümee
In den nächsten Jahren wird die deutsche Wohnbevölkerung stark altern, was
nicht ohne Folgen für die Absatz-, Beschaffungs- und Arbeitsmärkte sein wird.
Dies hatte das IfM Bonn bereits für die mittelständische Wirtschaft insgesamt
herausgearbeitet (vgl. KAY et al. 2008). Ziel der vorliegenden Studie war es,
die spezifische Situation des Handwerks in diesem demografischen Umwälzungsprozess zu untersuchen. Konkret galt es zu klären, wie gut die Handwerksunternehmen über den demografischen Wandel informiert sind, welche
Veränderungen sie erwarten und ob sie diesen mit entsprechenden Anpassungsstrategien begegnen. Den nachfolgend zusammen gefassten Befunden
liegen die Antworten von 782 Unternehmen mit fünf und mehr Beschäftigten
zugrunde, darunter 146 Handwerksunternehmen.
Das Gros der Unternehmen hat eine ungefähre Vorstellung von den demografischen Trends in Deutschland, wobei der Informationsstand der Unternehmen
des Handwerks etwas schwächer ausgeprägt ist als der der übrigen Unternehmen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung in
Deutschland als auch in der heimatlichen Region. Breites Faktenwissen ist im
Handwerk auch deshalb seltener anzutreffen als in der übrigen Wirtschaft, weil
Massenmedien im Handwerk stärker noch als in der übrigen Wirtschaft die
Hauptinformationsquellen darstellen. Andere Informationsquellen, wie z.B.
Wirtschaftskammern, öffentliche Einrichtungen, das Internet oder Fachliteratur,
spielen bislang eine deutlich geringere Rolle bei der Wissensbeschaffung.
Die weit überwiegende Mehrheit der Unternehmen im Handwerk geht davon
aus, dass der demografische Wandel sowohl personalpolitische als auch
marktbezogene außerbetriebliche Folgen haben wird. Sowohl im Absatz- als
auch im Personalbereich rechnen mehr Unternehmen des Handwerks als der
übrigen Wirtschaft mit entsprechenden Folgen. Demnach führt der schwächer
ausgeprägte Informationsstand des Handwerks nicht dazu, die Auswirkungen
des demografischen Wandels geringer einzuschätzen.
Im Absatzbereich liegt die von den Handwerksunternehmen stärker wahrgenommene Betroffenheit vom demografischen Wandel auch darin begründet,
dass ihr Angebot stärker als das der übrigen Unternehmen auf Personen oder
Haushalte ausgerichtet ist. Solche Unternehmen sollten aus theoretischer
Sicht auf kurze bis mittlere Sicht stärker vom demografischen Wandel berührt
sein als Unternehmen, deren Angebot sich vornehmlich an andere Unternehmen oder Organisationen richtet.
34
Der demografische Wandel birgt nicht nur absatzpolitische Risiken, sondern
auch Chancen, vor allem für solche Unternehmen, die sich nicht nur auf quantitativ schrumpfende Kundengruppen wie Kinder und Jugendliche oder Personen mittleren Alters konzentrieren. Dem Handwerk dürfte es in Zukunft zu Gute kommen, dass seine Produkte und Dienstleistungen stärker als die der übrigen Wirtschaft von Personen jeglichen Alters nachgefragt werden. Es hat damit durchaus die Chance, vom Anwachsen der Zahl älterer Menschen, deren
Kaufkraft zudem relativ noch zunehmen wird, zu profitieren.
Nach eigenen Angaben erwartet die Mehrheit der Handwerksunternehmen
veränderte Bedürfnisse ihrer Kunden, mehr noch als die Unternehmen der übrigen Wirtschaft. Mehr als ein Drittel der Handwerksunternehmen rechnet mit
einer sinkenden Nachfrage in Deutschland. Dem steht lediglich ein knappes
Fünftel gegenüber, das mit einer steigenden Nachfrage rechnet. Die Handwerksunternehmen sehen der Zukunft damit möglicherweise pessimistischer
entgegen, als es aufgrund der Analyse der Kundenstrukturen notwendig wäre.
Die Unternehmen stellen sich im Übrigen auf die demografiebedingten Veränderungen ein: 48 % der Handwerksunternehmen mit personenorientierten Produkten oder Dienstleistungen haben bereits ihr Angebot an die Bedürfnisse Älterer angepasst, und 14 % haben bereits völlig neue Produkte oder Serviceangebote entwickelt. Mit der Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen reagieren weniger Handwerksunternehmen auf die Alterung der Bevölkerung als die übrigen Unternehmen. Mehr als 35 % der Handwerksunternehmen haben ihre Kundenbetreuung oder -beratung den Bedürfnissen älterer
Menschen angepasst. Die Anpassung der Lokalitäten (bspw. ein seniorengerechter Umbau von Verkaufs- und Geschäftsräumen) ist im Handwerk seltener
zu beobachten gewesen als in der übrigen Wirtschaft. Knapp 50 % der Handwerksunternehmen und damit deutlich weniger als in der übrigen Wirtschaft
planten, mit einer Ausdehnung der Märkte auf die demografische Entwicklung
zu reagieren. Die Marktausdehnung ist anders als in der übrigen Wirtschaft im
Handwerk vor allem für die unmittelbare Region beabsichtigt. Das Betreten
ausländischer Märkte ist nur von einer Minderheit der Handwerksunternehmen
geplant.
Das Problembewusstsein im Hinblick auf die personalpolitischen Herausforderungen, die aus dem demografischen Wandel resultieren, ist im Handwerk
stärker ausgeprägt als in der übrigen Wirtschaft, vorausgesetzt, in beiden Bereichen lägen die gleichen Ausgangsbedingungen vor. Dies dürfte nicht in je-
35
der Hinsicht der Fall sein. Beispielsweise unterscheiden sich die Qualifikationsstrukturen, in der Summe der Unternehmen auch die körperlichen Anforderungen an die Mitarbeiter (insbes. bei Bauunternehmen). Wie gut vorbereitet
auf den demografischen Wandel das Handwerk in personalpolitischer Hinsicht
ist, lässt sich somit nur schwer beantworten.
Als Hauptprobleme für die Zukunft werden von den Handwerksunternehmen
der Mangel an Fachkräften und Auszubildenden, aber auch steigende Personalkosten oder die starke Alterung der Belegschaft genannt, und zwar häufiger
als von den übrigen Unternehmen. Im Bereich der Nachwuchssicherung ist
dann auch die Mehrheit der Handwerksunternehmen aktiv, stärker als die übrigen Unternehmen, wobei sich die Bemühungen des Handwerks vornehmlich
auf Formen der betrieblichen Ausbildung richten. Der Akademikerarbeitsmarkt
ist für sie von geringem Interesse. Das Thema Familienfreundlichkeit spielt im
Handwerk eine mehr als untergeordnete Rolle. Im Bereich Aufrechterhaltung
der Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter ist das Handwerk ähnlich stark wie die
übrige Wirtschaft aktiv, wobei sich beide Wirtschaftsbereiche in hohem Maße
auf gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen fokussieren. Freiwillige Maßnahmen zur Gesundheitsprävention sind nur bei einer Minderheit der Unternehmen anzutreffen.
Alles in allem lässt sich festhalten, dass die Handwerksunternehmen ebenso
wie die übrige Wirtschaft vor allem in den Bereichen aktiv sind, wo bereits heute Probleme spürbar sind. Liegen die Probleme noch in einiger Ferne, ist bei
den meisten Unternehmen eher Zurückhaltung zu verspüren. Dies ist verständlich, auch wenn langfristig ausgerichtete Reaktionen auf den demografischen Wandel einem Unternehmen strategische Vorteile einbringen dürften.
Voraussetzung für ein eher strategisches Umgehen mit dem demografischen
Wandel ist Information. Hier wurden noch Lücken bei den Unternehmen diagnostiziert. Während die Entwicklung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen vornehmliche Aufgabe der Unternehmen selbst sind, könnten (und
sollten) weitere Informations- und Beratungsangebote durchaus von öffentlichen oder berufsständischen Einrichtungen bereitgestellt werden.
36
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Issue der ZfB (im Erscheinen).
ZDH (2009): Rubrik "Daten und Fakten" auf www.zdh.de, Download vom
07.07.2009.
38
Anhang
Tabelle A1: Betriebsbestand in den Gewerbegruppen des Handwerks nach
Gruppen lt. Konjunkturberichterstattung*, 2007
Betriebe
Bauhauptgewerbe
Anlage A
Anlage B1
Anlage B2
Gesamt
Anzahl
93.362
883
37.133
131.378
218.139
85.865
66.291
370.295
Handwerks des gewerblichen Bedarfs
71.194
37.872
7.454
116.520
Kraftfahrzeuggewerbe
69.568
0
0
69.568
Nahrungsmittelgewerbe
37.784
1.774
4.169
43.727
Gesundheitsgewerbe
25.580
0
0
25.580
Persönlicher Dienstleistungen
88.130
39.621
76.387
204.138
603.757
166.015
191.434
961.206
Ausbaugewerbe
Insgesamt
Struktur in %
Bauhauptgewerbe
15,5
0,5
19,4
13,7
Ausbaugewerbe
36,1
51,7
34,6
38,5
Handwerks des gewerblichen Bedarfs
11,8
22,8
3,9
12,1
Kraftfahrzeuggewerbe
11,5
0,0
0,0
7,2
Nahrungsmittelgewerbe
6,3
1,1
2,2
4,5
Gesundheitsgewerbe
4,2
0,0
0,0
2,7
14,6
23,9
39,9
21,2
100,0
100,0
100,0
Persönlicher Dienstleistungen
Insgesamt
100,0
© IfM Bonn
* Unternehmen im Bauhaupt- und Ausbaugewerbe zählen i.d.R. zum Bausektor, Unternehmen aus der Gruppe "Handwerk des gewerblichen Bedarfs" gehören häufig zum Verarbeitenden Gewerbe oder zu unternehmensnahen Dienstleistern, das Kfz-Gewerbe zählt
vorwiegend zum Wirtschaftszweig Handel und das Nahrungsmittelgewerbe gehört vorwiegend in den Wirtschaftszweig Verarbeitendes Gewerbe oder auch zum Handel.
Quelle: ZDH (Homepage Stand 31.12.2007), Download am 7.Juli 2009, eigene Berechnungen.
39
Tabelle A2: Branchenverteilung im Untersuchungssample nach Handwerkszugehörigkeit, Anteil der Unternehmen in %
Wirtschaftszweige
Handwerk
Übrige
Unternehmen
Verarbeitendes Gewerbe, Bergbau,
Energie-/Wasserversorgung
20,5
19,4
Baugewerbe
29,5
1,7
Einzelhandel/Großhandel/Gastgewerbe
20,6
14,4
Verkehr/Nachrichtenübermittlung
0,0
6,4
Finanzierung/Versicherung
0,0
5,2
19,2
32,1
Gesundheits-/Sozialwesen
2,1
11,6
Personen-/Haushaltsbezogene Dienste
und Erziehung/Bildung
8,2
9,1
100,0
100,0
Unternehmensnahe Dienstleistungen
Insgesamt
N=146
N=577
© IfM Bonn