K12_04.PDF

Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
Suchen
12 z 04 01
Hilfe
Treffer
12 z 04
Mobbing im Krankenhaus
Januar 2002
Martina Levartz, Brigitte Hefer
inhaltsüberblick
Mobbing ist ein „Modebegriff“ geworden für Konflikte und
bestimmte Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. Auch in
Deutschland ist eine rege Diskussion um das Thema Mobbing entstanden, die Auseinandersetzung steht dennoch
erst am Anfang. Der Deutschen Ärztetag hat sich 1998
dafür ausgesprochen, in den Ärztekammern Ansprechpartner/innen für Mobbing-Fälle zu benennen. Dieser Beitrag
geht auf den Begriff Mobbing sowie die persönlichen, betrieblichen und ökonomischen Konsequenzen ein. Die Erfahrungen der Mobbing-Beratung betroffener Ärztinnen
und Ärzten werden dargelegt aus der Sicht der „Mobbingansprechpartner/innen“ der Ärztekammer Nordrhein.
Schwerpunkt ist dabei die mögliche Prävention von und
der Umgang mit Mobbing sowie die zunehmend an Bedeutung gewinnenden rechtlichen Aspekte.
12 z 04 | 01
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen
Der Begriff Mobbing lässt sich vom englischen Verb „to
mob“ herleiten. Es hat die Bedeutung von „jemanden
anpöbeln, angreifen, über jemanden herfallen“. Im
deutschsprachigen Raum hat sich „Mobbing“ als Bezeichnung für systematische Feindseligkeiten und Ausgrenzungen am Arbeitsplatz durchgesetzt.
Schon vor 20 Jahren beschäftigte sich Prof. Heinz Leymann, ein schwedischer, aus Niedersachsen stammender
Arbeitspsychologe, intensiv mit diesem Thema. Leymann
definiert:
1
Herleitung aus
dem Englischen
Definition
von Leymann
12 z 04 01
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
Suchen
Treffer
Hilfe
z« Mobbing ist eine negative kommunikative Hand-
lung, die gegen eine Person gerichtet ist und die
sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus
vorkommt und damit die Beziehung zwischen Tätern und Opfern kennzeichnet.
Fünf Aspekte
des Mobbings
Dabei unterscheidet Leymann (1993) fünf Aspekte des
Mobbings:
z Angriffe auf Möglichkeiten sich mitzuteilen,
z Angriffe auf die soziale Beziehung,
z Auswirkung auf das soziale Ansehen,
z Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation,
z Angriffe auf die Gesundheit.
z! Insgesamt gab Leymann (1993) zu diesen 5 Punkten
weitere Unterpunkte an und benennt konkret 45 Mobbing-Handlungen.
2
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
Januar 2002
z
z
z
Suchen
Angriffe auf die Möglichkeit sich mitzuteilen
— Der Vorgesetzte schränkt die
Möglichkeiten des Betroffenen ein,
sich zu äußern
— Man wird ständig unterbrochen
— Kollegen schränken die Möglichkeiten des Betroffenen ein, sich zu
äußern
— Anschreien oder lautes Schimpfen
— Ständige Kritik an der Arbeit
— Ständige Kritik am Privatleben
— Telefonterror
— Mündliche Drohungen
— Schriftliche Drohungen
— Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke oder Gesten
— Kontaktverweigerung durch Andeutung, ohne dass man etwas direkt
ausspricht
Angriffe auf die sozialen Beziehungen
— Man spricht nicht mehr mit dem/
der Betroffenen
— Man lässt sich nicht ansprechen
— Versetzung in einen Raum weitab
von den Kollegen
— Den Arbeitskolleg/innen wird verboten, die/den Betroffene/n anzusprechen
— Man wird wie Luft behandelt
Auswirkung auf das soziale Ansehen
— Hinter dem Rücken des Betroffenen
wird schlecht über ihn gesprochen
— Man verbreitet Gerüchte
— Man macht jemanden lächerlich
— Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein
— Man will jemanden zu einer psychiatrischen Untersuchung zwingen
Hilfe
Treffer
z
12 z 04 01
— Man macht sich über eine Behinderung lustig. Man imitiert Gang,
Stimme oder Gesten, um jemanden
lächerlich zu machen
— Man greift die politische oder religiöse Einstellung an
— Man macht sich über das Privatleben lustig
— Man macht sich über die Nationalität lustig
— Man zwingt jemanden, Arbeiten
auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen
— Man beurteilt den Arbeitsplatz des
Betroffenen in falscher oder kränkender Weise
— Man stellt die Entscheidungen des
Betroffenen in Frage
— Man ruft ihm/ihr obszöne Schimpfworte oder andere entwürdigende
Ausdrücke nach
— Sexuelle Annäherung oder verbale
sexuelle Angebote
Angriffe auf die Qualität der Berufsund Lebenssituation
— Man zwingt jemanden, Arbeiten
auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen
— Man weist dem Betroffenen keine
Arbeitsaufgaben zu
— Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, so dass er
sich nicht einmal selbst Aufgaben
ausdenken kann
— Man gibt ihm sinnlose Aufgaben
— Man gibt ihm Aufgaben weit unter
seinem eigentlichen Können
— Man gibt ihm ständig neue Aufgaben
3
12 z 04 01
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
z
Suchen
— Man gibt ihm „kränkende“ Aufgaben
— Man gibt dem Betroffenen Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikation
übersteigen, um ihn damit in Misskredit zu bringen
Angriffe auf die Gesundheit
— Zwang zu gesundheitsschädlichen
Arbeiten
— Androhung körperlicher Gewalt
Definition des
Bundesarbeitsgerichts
Treffer
Hilfe
— Anwendung leichter Gewalt, zum
Beispiel, um jemanden einen
„Denkzettel“ zu verpassen
— Körperliche Misshandlung
— Man verursacht dem Betroffenen
Kosten, um ihm zu schaden
— Man beschädigt Eigentum oder
vom Arbeitgeber anvertraute Sachen des Betroffenen
— Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung
Kurz und prägnant ist die Festlegung des Bundesarbeitsgerichts (1997):
z« Mobbing ist systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte.
Nicht jede
Auseinandersetzung
ist Mobbing
Vorgesetzte,
Organisationsmängel
Ursachen
Nicht jede Disharmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen ist gleich „Mobbing“. Es ist vielmehr ein multifaktorielles Geschehen, wobei die Grenzen zwischen alltäglichen Konflikten und Aggressionen am Arbeitsplatz
sowie beginnendem Mobben fließend sind. Gemobbt wird
aus machtpolitischen Erwägungen, aus persönlichen Interessen des Mobbers, aus Neid oder Rachegefühlen. Auch
mangelndes Problembewusstsein oder fehlende Sensibilität von Seiten des Mobbers kann Ursache sein oder zumindest Mobbingverhalten unterstützen. Einige Mobber
tragen zu Mobbingverhalten bei, um von sich selbst abzulenken.
Die Einstellung und das Verhalten des Vorgesetzten
spielt darüber hinaus für das Entstehen von Mobbing eine
4
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Januar 2002
Inhalt
Suchen
12 z 04 01
Hilfe
Treffer
wichtige Rolle, teilweise sind sie sogar Initiator dieses
Prozesses oder sehen dem Mobbing zu, ohne einzugreifen. Oft stehen Organisationsmängel, arbeits- oder berufsrechtliche Probleme, Probleme mit der Weiterbildung
usw. im Vordergrund.
In Krankenhäusern bieten insbesondere Einteilung der
Urlaubs- und Dienstpläne, Gewährung der Teilnahme an
Fortbildungsveranstaltungen, Einteilung zu weiterbildungsrelevanten Tätigkeiten (OP-Plan) usw. Anlass zu
Unstimmigkeiten. Diese führen in ihren Auswirkungen zu
Unzufriedenheit, „Ungerechtigkeiten“, Disharmonie etc.,
die den Nährboden für Mobbing-Handlungen schaffen
können. Werden diese Bereiche klar geregelt, wird dem
Mobbing häufig dieser Nährboden entzogen. Regelungen
hierzu können z. B. im Rahmen einer Betriebsvereinbarung getroffen werden.
Wer wird vom wem gemobbt?
Konflikte am Arbeitsplatz sind zunächst einmal alltäglich
und nicht jeder Konflikt bedeutet Mobben. Verschlechterung der Arbeitsbeziehung ist eine langfristige Angelegenheit. Oft dauert es Monate, bis unkollegiales Verhalten
in Mobbing übergeht. Dann aber entwickelt Mobbing oft
eine Eigendynamik. Leymann gliedert den Ablauf des
Mobbingprozesses in fünf Phasen (abgewandelt nach Leymann 1995):
z In der ersten Phase wird das Arbeitsklima durch Egoismus und Rücksichtslosigkeit bestimmt, durch Stress
herrscht eine gereizte Arbeitsatmosphäre, es kommt
zu Aggressionen und Gemeinheiten. Die entstehenden
Konflikte werden nicht bearbeitet und ausdiskutiert.
z In der zweiten Phase konzentrieren sich diese negativen Emotionen auf einige wenige Mitarbeiter, wobei
5
Krankenhaustypische
Ursachen
Ablauf des
Mobbingprozesses
12 z 04 01
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
Suchen
z
z
z
Mobbing in und quer
durch alle Ebenen
In drei Viertel aller
Fälle „Bossing“
Treffer
Hilfe
sich insbesondere ein Opfer herauskristallisiert, das in
den Mittelpunkt persönlicher Angriffe gerät. Durch
mangelnde Unterstützung kommt es zur Ausgrenzung
des Arbeitgebers sowie zu Selbstzweifeln und Angst.
In der dritten Phase nehmen Kränkungen und andere
Mobbinghandlungen weiter zu, das Opfer reagiert mit
innerer Kündigung, in manchen Fällen auch mit Auflehnen. Oft kommt es zum „Kaltstellen“ und Versetzen
des Opfers. Die gesundheitlichen Belastungen durch
die Situation nehmen zu und es kommt zu Fehlzeiten.
In der vierten Phase empfindet das Opfer die Mobbingsituation als traumatisch. In dieser Phase kann
auch externe Hilfe oft den Mobbingprozess nicht beenden, sondern nur Auswüchse begrenzen.
In der fünften Phase sieht sich das Opfer den Anfeindungen nicht mehr gewachsen und verlässt das Unternehmen (eigene Kündigung oder verhaltensbedingte
Kündigung durch den Arbeitgeber).
Am Mobbinggeschehen können alle, die am Arbeitsplatz
miteinander in Kontakt stehen, beteiligt sein. Es findet unter Kollegen und Kolleginnen statt, geht von Vorgesetzten
gegen Untergebene, teilweise gemeinsam mit anderen Untergebenen oder auch von ganzen Abteilungen gegen Vorgesetzte oder einzelne Kolleginnen und Kollegen. Nach Angaben der IG-Metall (www.IG-Metall.de) sind Mobber zu
44% Kollegen, zu 37% Vorgesetzte, zu 10% Kolleginnen
und Vorgesetzte gemeinsam und zu 9% Untergebene.
Nach einer Studie des Arbeitspsychologen Dieter Zapf
aus Frankfurt sind im deutschsprachigen Raum in über
70% der Mobbingfälle die Vorgesetzten am Mobbing beteiligt, d. h. in Deutschland ist „Bossing“, also Vorgesetzten-Mobbing, fast der Regelfall (Kerst-Würkner 2001).
6
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Januar 2002
Inhalt
Suchen
12 z 04 01
Hilfe
Treffer
Auch in unseren Beratungen zeigt sich, dass das Mobbing
in mehr als 80% von dem Vorgesetzten ausgeht.
Mobbing von Vorgesetzten kann auf falsch verstandenem Führungsverhalten basieren. So wird z. B. die Machtbefugnis durch willkürliches Schikanieren von Untergebenen demonstriert. Mobbing kann auch eine Möglichkeit sein, um eigene Unzulänglichkeit zu kaschieren, oder
um eigene Frustrationen abzubauen. Auch die Angst davor, dass Mitarbeiter sich offenkundig über Schwächen
lustig machen könnten, oder Angst vor Imageverlust gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten können zu Mobbing-Aktionen führen.
In einigen Fällen wird Mobbing von Vorgesetzen gezielt eingesetzt, um unliebsame Mitarbeiter aus dem Arbeitsprozess in der Abteilung herauszudrängen (Mobbing
als personalwirtschaftliches Instrument zum Personalabbau oder -umbau). Denn ist ein Mitarbeiter lang genug
dem Psychoterror am Arbeitsplatz ausgesetzt, weiß er
sich innerbetrieblich nicht mehr zu helfen und wird als
letzten Ausweg häufig die Kündigung sehen.
Mobbing kann jeden treffen, unabhängig von Aufgaben und von der Position. Zur Entstehung von Mobbing scheinen eher die Arbeitsbedingungen beizutragen,
als dass bestimmte Persönlichkeitsstrukturen als „mobbing-relevant“ gefunden wurden. Gemobbt werden häufig
Menschen, die eine „normabweichende Verhaltensweise“
innerhalb ihres Arbeitsfeldes zeigen. Dies kann sich ausdrücken in anderer Kleidung, Sprache, Arbeitseifer, abweichendem Arbeitsstil, anderer Lebensführung. Betroffen sind insbesondere auch besonders leistungsstarke
Mitarbeiter, die als Konkurrenz empfunden werden.
Es gibt Arbeitsbedingungen, die das Mobbing innerhalb einer Abteilung oder eines Betriebes oder Kranken7
Warum die
Chefs mobben
„Instrument“
des gezielten
Personalabbaus
Nonkonformisten
häufiger als
Angepasste betroffen
Mobbingfördernde
Arbeitsbedingungen
12 z 04 01
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
Suchen
Treffer
Hilfe
hauses fördern. Begünstigende organisatorische Rahmenbedingungen sind z. B. starkes autoritäres Führungsverhalten, ausgeprägte Hierarchien (wie gerade auch in
Krankenhäusern üblich), geringer Handlungsspielraum
der Beteiligten oder Rollenkonflikte. Auch nicht klar definierte Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in einer Abteilung können Ursache für entstehendes Mobbingverhalten sein.
4–10% aller
Beschäftigen
werden gemobbt
Von psychosomatischen
Störungen . . .
Mobbing ist kein Randproblem
Je nach zugrunde liegender Studie oder Erhebung werden
sehr unterschiedliche Zahlen zur Häufigkeit von Mobbing
angegeben. Geht man von der Festlegung von Leymann
aus (mindestens eine der oben genannten 45 Mobbinghandlungen regelmäßig über ein halbes Jahr), so kommen
zwischen 4 und 10% der Beschäftigten als Mobbingopfer in
Betracht (Leymann 1995). In Schweden wird von einer Betroffenheit von 3,5% der erwerbstätigen Bevölkerung ausgegangen. Auch scheinen Berufe des öffentlichen Dienstes
ein größeres Mobbingrisiko zu bergen als Tätigkeiten in
der privaten Wirtschaft oder Produktionsbetrieben. Leymann rechnet, das ein Viertel aller Berufstätigen mindestens einmal in ihrem Berufsleben unter Mobbing leiden.
Gesundheitliche Folgen für den Betroffenen
Insbesondere in den Phasen drei, vier und fünf kommt es
zu zum Teil irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Opfers. Psychosomatische Beschwerden wie
Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Magenprobleme, Rückenschmerzen usw. können schon sehr frühzeitig auftreten. Es kommt zum Verlust des Selbstwertgefühls, depressiven Verstimmungen, Angst und Gereiztheit. Die Krankheitssymptome des Mobbens sind dem posttraumatischen
8
Grundsätzliche Fakten über Mobbing
Inhalt
Suchen
Hilfe
Treffer
Stresssyndrom ähnlich. Auch wird eine Schwächung des
Immunsystems diskutiert. Insgesamt sind die Wechselwirkungen zwischen Mobbing und Gesundheit noch nicht ausreichend erforscht.
Nach einer Studie des Technischen Überwachungs-Vereins TÜV Rheinland gehen ca. 20% der Selbstmorde in
Deutschland auf Mobbing-Aktivitäten zurück. Nach Hinweisen aus Schweden (Recherchen der Kranken- und
Rentenversicherungskassen sowie Schätzungen der Gewerkschaften) wird angenommen, dass ungefähr 5–10%
der jährlichen neuen Mobbingfälle in ihrem Verlauf zu
schweren seelischen Erkrankungen führen (Leymann
1995).
Januar 2002
12 z 04 01
Ökonomische Folgen für Unternehmen und Gesellschaft
Die durch Mobbing verursachten betriebswirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Kosten sind hoch. Für den Betrieb
ergeben sich Kosten durch Fehlzeiten, Fluktuation, Minderleistungen der Betroffenen. Untersuchungen in
Deutschland haben gezeigt, dass von Mobbing Betroffene
zuerst mit erhöhter Leistung reagieren, dann aber, wenn
sie die Sinnlosigkeit ihres Bemühens einsehen, mit Minderleistung (innere Kündigung).
Neben den betrieblichen Kosten entstehen der Gesellschaft hohe Kosten durch Heilbehandlung, Rehabilitation,
Dauerarbeitslosigkeit oder Frühberentung. Schätzungen
gehen davon aus, dass den Unternehmen Kosten in Höhe
von 50 000 bis 150 000 DM pro Jahr und gemobbter Person entstehen. Andere Hochrechnungen gehen von einem
gesamtwirtschaftlichen Schaden von über 100 Mio. DM in
Deutschland aus (Kerst-Würkner 2001). Darin sind die
Kosten enthalten, die von der Gesellschaft getragen werden müssen, wie z. B. höhere Renten- und Krankenver9
. . . bis zum Selbstmord
Innere Kündigung
Hohe Kosten
für Betriebe
und Gesellschaft
12 z 04 02
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Inhalt
Suchen
Treffer
Hilfe
sicherungsbeiträge wegen zunehmender Frühberentung
und steigenden Behandlungskosten.
12 z 04 | 02
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Die rechtliche Grundlage
Beschluss des Deutschen Ärztetags
Auf dem 101. Deutschen Ärztetag von 1998 wurde dieser
Beschluss verabschiedet:
z« Missbrauch und Repression in hierarchischen
Arbeitsverhältnissen
In den Ärztekammern sollen Ansprechpartner für
Mobbing-Fälle benannt werden. Diese verstehen
sich zunächst als Schlichter, vertreten in ernsten Fällen den beantragenden Arzt im Sinne der Berufsordnung. Vertraulichkeit im Kontakt mit dem Arzt
wird zugesichert, solange der Betroffene es wünscht.
Umsetzung
Heilberufsgesetz NRW
Diesem Beschluss sind bis November 2001 die Ärztekammern Nordrhein, die Ärztekammer Hamburg, die Landesärztekammer Hessen, die Landesärztekammer RheinlandPfalz und die Ärztekammer Schleswig-Holstein gefolgt.
Seit Januar 1999 werden in der Ärztekammer Nordrhein
Mobbingberatungen durchgeführt.
Schlichtung
Rechtlichen Hintergrund bietet für Nordrhein-Westfalen
der § 6 Abs. 1 Punkt 8 Heilberufsgesetz NRW vom
9. 5. 2000:
10
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Inhalt
Suchen
12 z 04 02
Hilfe
Treffer
z« (1) Aufgabe der Kammer ist: . . . 8. Für ein gedeihli-
Januar 2002
ches Verhältnis der Kammerangehörigen untereinander zu sorgen und Streitigkeiten zwischen
Kammerangehörigen sowie zwischen ihnen und
Dritten, die aus der Beurfsausübung entstanden
sind, zu schlichten, soweit nicht andere Stellen zuständig sind.
Die Möglichkeit, ein gemeinsames Schlichtungsgespräch
unter Moderation der Ärztekammer Nordrhein zu führen,
wurde bisher kaum in Anspruch genommen. Die Gemobbten befürchten, dass die Einschaltung der Ärztekammer als Berufsaufsicht missverstanden wird im Sinne von
„Anschwärzen“ und das Verhältnis zwischen Mobber und
Gemobbten nachhaltig zerstört.
Berufsrechtliche Prüfung
Unabhängig von der Mobbingberatung kann bei der
Rechtsabteilung der Ärztekammer ein Antrag auf berufsrechtliche Prüfung gestellt werden. Rechtsgrundlage
hierfür bietet der § 29 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 18. 3. 2000. Der Antrag auf berufsrechtliche Prüfung ist schriftlich an die
Rechtsabteilung zu stellen. Dem Beschuldigten wird die
Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Im Falle der
Feststellung eines Verstoßes gegen die Berufsordnung
können Sanktionen erfolgen (wie Mahnung, Rüge, Geldbuße, Berufsgerichtsverfahren).
11
Große Vorbehalte
der Betroffenen
Berufsordnung für
die nordrheinischen
Ärztinnen und Ärzte
12 z 04 02
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Inhalt
Suchen
Treffer
§ 29 Kollegiale Zusammenarbeit
(1) Ärztinnen und Ärzte haben sich untereinander kollegial zu
verhalten . . . Unsachliche Kritik an der Behandlungsweise oder
dem beruflichen Wissen einer Ärztin oder eines Arztes wie herabsetzende personenbezogene Äußerungen sind berufsunwürdig.
(2) Es ist berufsunwürdig, eine Kollegin oder einen Kollegen aus
der Behandlungstätigkeit oder als Mitbewerberin oder Mitbewerber um eine berufliche Tätigkeit durch unlautere Handlung zu verdrängen... Ebenso ist es berufsunwürdig, in unlauterer Weise eine Kollegin oder einen Kollegen ohne angemessene Vergütung oder unentgeltlich zu beschäftigen oder
eine solche Beschäftigung zu bewirken oder zu dulden.
(3) Ärztinnen und Ärzte, die Kolleginnen und Kollegen zu ärztlichen Verpflichtungen bei Patientinnen und Patienten heranziehen, denen gegenüber nur sie einen Liquidationsanspruch
haben, sind verpflichtet, diesen Ärztinnen und Ärzten eine angemessene Vergütung zu gewähren. Angemessen ist die Beteiligung für den nachgeordneten ärztlichen Dienst, die nach
Art und Umfang ein Äquivalent zur erbrachten Leistung unter
Berücksichtigung zu leistender Kostenerstattung bzw. Nutzungsentgelte oder Kosten aufgrund ärztlicher Tätigkeit durch
die oder den Liquidationsberechtigten darstellt. Im Streitfall
hat die oder der Liquidationsberechtigte die Angemessenheit
darzulegen.
(4) In Gegenwart von Patientinnen oder Patienten oder anderen
Personen sind Beanstandungen der ärztlichen Tätigkeit und
zurechtweisende Belehrungen zu unterlassen. Das gilt auch
im Verhältnis von Vorgesetzten und Nachgeordneten und für
den Dienst in Krankenhäusern.
(5) Die zur Weiterbildung befugten Ärztinnen und Ärzte haben
im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die weiterzubildenden ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unbeschadet
deren Pflicht, sich selbst um eine Weiterbildung zu bemühen,
in dem gewählten Weiterbildungsgang nach Maßgabe der
Weiterbildungsordnung weiterzubilden.
12
Hilfe
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Inhalt
Suchen
Hilfe
Treffer
Januar 2002
Ablauf und Gegenstand der Beratung
Ratsuchende Ärztinnen und Ärzte nehmen in der Regel
zunächst telefonisch Kontakt mit den Mobbing-Ansprechpartnerinnen auf. Der überwiegende Teil der Kolleginnen/Kollegen und möchte zunächst allein die telefonische
Beratung in Anspruch nehmen, etwa ein Viertel wünscht
einen persönlichen Beratungstermin in der Ärztekammer
Nordrhein. In diesem Fall wird nach telefonischer Kurzschilderung des Problems ein Termin in der Ärztekammer Nordrhein vereinbart.
Bis 31.8.2001 wurden insgesamt 179 Beratungsgespräche durchgeführt, wobei 119 nur telefonisch stattfanden.
Die 60 persönlichen Beratungen in der Kammer lassen
sich stichwortartig wie folgt gliedern.
z
z
z
Alter
— bis 35 Jahre: 12
— 36–45 Jahre: 30
— 46–55 Jahre: 9
— älter als 56 Jahre: 9
Berufliche Position
— Assistenzarzt: 18
— Chefarzt: 1
— Facharzt: 21
— Oberarzt: 19
— niedergelassener Arzt: 1
Mobber (Mehrfachnennung möglich)
— Vorgesetzter: 50
— Gleichgestellte: 13
— Personal: 4
— Verwaltung: 3
z
z
z
z
z
12 z 04 02
Telefonische oder
persönliche Beratung
Statistik der
persönlichen
Beratungsgespräche
der Ärztekammer
Nordrhein
Zeitraum des Mobbens
— weniger als 1 Jahr: 9
— 1–3 Jahre: 39
— 3–6 Jahre: 8
— mehr als 6 Jahre: 3
— nicht bekannt: 1
Einrichtung:
— Praxis-Teilhaber: 1
— Praxis-Angestellter: 2
— Klinik: 49
— Gesundheitsamt: 5
— sonstige Institutionen: 3
Klage über Krankheitssymptome: 10
Arbeitsunfähig geschrieben: 20
Arbeitsverhältnis
— beendet: 5
— soll beendet werden: 25
13
12 z 04 02
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Inhalt
Aspekte der Beratung
Suchen
Treffer
Hilfe
Alle Telefonate und persönlichen Gespräche werden
von der Ärztekammer vertraulich behandelt. Es erfolgt
keinerlei Kontaktaufnahme oder Intervention. Wünscht
eine Kollegin oder ein Kollege das Einschreiten der Ärztekammer (berufsrechtliche Überprüfung, Schlichtungsverfahren usw.), muss dies bei der Ärztekammer schriftlich
beantragt werden.
Die Mobbingberatung bei der Ärztekammer Nordrhein erfolgt unter Berücksichtigung folgender Aspekte:
z Herausarbeiten des Problems; ist Mobbing das primäre
Problem oder stehen Organisationmängel, arbeitsoder berufsrechtliche Probleme, Probleme mit der
Weiterbildung etc. im Vordergrund?
z Gemeinsame Überlegung, durch welche Maßnahmen
(z. B. organisatorische Maßnahmen in der Arbeitsplanung der Abteilung bzw. des Hauses, Gesprächsführung etc.) Verbesserung erreicht werden könnte.
z Beratung bezüglich weiterer Vorgehensweise (z. B. Empfehlung eines persönlichen Gespräches oder schriftliche
Äußerung gegenüber „Mobber“ und/oder an Klinikleitung, Betriebsrat etc. durch den „Gemobbten“).
z Bei Problemen mit der Weiterbildung besteht bei der
Ärztekammer Nordrhein die Möglichkeit, einen Ombudsmann einzuschalten.
z Einleitung eines Schlichtungsgespräches zwischen den
Beteiligten und der Ärztekammer (nur auf der Grundlage eines schriftlichen Antrags).
z Stehen berufsrechtliche Fragen im Vordergrund, kann
über die juristische Abteilung der Ärztekammer Nordrhein eine berufsrechtliche Überprüfung und ggf. Einleitung berufsrechtlicher Maßnahmen (nur auf der
Grundlage eines schriftlichen Antrags) eingeleitet werden.
14
Erfahrungen aus der Mobbingberatung
Inhalt
Januar 2002
z
Suchen
12 z 04 02
Hilfe
Treffer
Stehen arbeitsrechtliche Aspekte stehen im Vordergrund, wird den Betroffenen ggf. die Einschaltung eines Rechtsanwaltes oder des Marburger Bundes durch
den Betroffenen empfohlen. Die Ärztekammer Nordrhein darf selbst keine arbeitsrechtlichen Beratungen
durchführen.
Problemfelder
Auf Grund der bisher geführten Mobbing-Gespräche lassen sich folgende Problemfelder erkennen:
z Es zeigte sich, dass Ärzte der unterschiedlichsten
Fachgebiete betroffen sind, vorwiegend Klinikärzte,
aber auch in Praxen oder anderen Institutionen des
Gesundheitswesens tätige Kolleginnen/Kollegen.
z Erschreckend ist, dass in vielen Fällen nicht nur keine
Unterstützung des Opfers durch den Vorgesetzen erfahren wurde, sondern dass das Mobbing vom Vorgesetzten ausging.
z In der Regel handelt es sich um hierarchische Arbeitsverhältnisse mit Abhängigkeit des „Gemobbten“. Ein
Arbeitsplatzwechsel wird auf Grund der Arbeitsmarktsituation als schwierig beschrieben.
z Die Schwelle, eine Mobbing-Beratung anzunehmen,
liegt relativ hoch. In ca. 80% der Fälle betrug die
Zeitspanne zwischen Beginn des Mobbing und Kontaktaufnahme mit den Mobbing-Ansprechpartner/innen mehr als ein Jahr. Das bedeutet, dass die Situation
häufig festgefahren ist und bereits zu erheblichen psychischen Belastungen (in einem Drittel unserer Fälle
auch zu teilweise langfristigen Krankschreibungen)
geführt hat.
z Einige der telefonisch avisierten Mobbing-Gespräche
wurden abgesagt, da ein Arbeitsplatzwechsel vor15
Vorwiegend
Klinikärzte
12 z 04 03
Maßnahmen gegen Mobbing
Inhalt
Suchen
z
z
12 z 04 | 03
Große „Leidensbereitschaft“
in der Weiterbildung
und bei älteren
Kollegen
Treffer
Hilfe
genommen wurde. Wenn möglich, scheinen sich die
„Gemobbten“ durch Arbeitsplatzwechsel der Situation
zu entziehen.
Es wird häufig die Sorge geäußert, dass der „Mobber“
von der Kontaktaufnahme mit der Ärztekammer erfährt und sich die Situation des „Gemobbten“ dadurch noch verschärft.
Daher werden auch die häufig bestehenden arbeitsund berufsrechtlichen Möglichkeiten des Einschreitens
nicht ausgeschöpft. Aus dem Arbeitsrecht ergibt sich
z. B. eine allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
(in den USA sind bereits Urteile rechtskräftig, die den
Arbeitgeber zu Schmerzensgeldzahlungen wegen
Krankheit durch Mobbing verpflichten, da der Arbeitgeber trotz entsprechender Hinweise durch das Mobbing-Opfer keine Änderung der Arbeitssituation herbeigeführt hat), nähere Regelungen finden sich im Arbeitssicherheitsgesetz, Arbeitszeitgesetz usw.
Maßnahmen gegen Mobbing
Allgemeine Maßnahmen
Mobbing entsteht in aller Regel nicht „von heute auf morgen“. In unseren Beratungsgesprächen zeigte sich immer
wieder, dass viele Betroffene die Situation lange „aushielten“, weil sie glaubten, es würde sich wieder beruhigen
oder weil sie einer Konfrontation aus dem Weg gehen
wollten. Gerade in der Zeit der Weiterbildung ist die Abhängigkeit von Wohlwollen des Vorgesetzten besonders
groß und damit die Tendenz, die Arbeitssituation zu ertragen. Auch ältere Kollegen, die für sich keine Chancen
mehr auf dem Arbeitsmarkt sehen, sind oft lange bereit,
Repressionen und Schikanen zu ertragen.
16
Maßnahmen gegen Mobbing
Inhalt
Suchen
Hilfe
Treffer
z! Unsere Erfahrungen in der Mobbingberatung aber ha-
ben gezeigt, dass es nicht weiterführt, die gegen sich
gerichteten Mobbinghandlungen zu „übersehen“ und
zu hoffen, dass sich die Situation „totläuft“. Durch
dieses Verhalten bringt man sich noch mehr in die
Rolle des Mobbingopfers.
Januar 2002
12 z 04 03
Es sollte bei den ersten Missstimmigkeiten eine Analyse
des Problems möglichst mit Kolleginnen und Kollegen
gemeinsam erfolgen, um die eigene Einschätzung zu objektivieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Sinnvoll ist
es auch, sich im Kollegenkreis frühzeitig Unterstützung
zu sichern (s. a. Kap. 3.05.02)
z Wichtig ist es, Mobbingverhalten schon frühzeitig anzusprechen. Wird im Rahmen des Mobbings z. B. mit
der Einteilung zu Diensten, mit der Gewährung von
Urlaub, mit der Gewährung von Fortbildung usw. gezielt belohnt bzw. bestraft, sollte möglichst gemeinsam
mit Kollegen und Vorgesetzten versucht werden, eine
allgemeingültige Regelung zur Gewährung von Urlaub,
Fortbildungen, Einteilung zu Diensten etc. herbeizuführen.
z In Fällen von fortgesetztem Mobbing kann die Erstellung von „Mobbing-Protokollen“ sinnvoll sein (siehe
hierzu den Anhang, vor allem die 10. Aufzählung des
Urteils vom 15. 2. 2001).
z In Fällen von mobbingbedingter Krankheit sollte das
ärztliche Attest Angaben zur Mobbinghandlung enthalten. Mobbing als solches ist keine Krankheit. Jedoch sollte die ärztliche Diagnose eine Aussage über
Mobbing als Ursache enthalten (z. B. im Sinne eines
„Mobbing-Syndroms“, zur Beweislage siehe die Urteile
des LAG Thüringen im Anhang).
17
Verdrängen
verschlimmert
Rasche
Thematisierung
Mobbing-Protokolle
Ärztliches Attest
12 z 04 03
Maßnahmen gegen Mobbing
Inhalt
Verstöße gegen
das faire Miteinander
Suchen
Treffer
Hilfe
Möglichkeiten des Vorgesetzten
Weil gerade im Krankenhaus der fachliche Bereich so im
Vordergrund steht, ist der Vorgesetzte der Meinung, dass
Konflikte der Mitarbeiter ihn nichts angehen, da die Mitarbeiter diese selbst untereinander regeln sollen. Auch
meinen manche Vorgesetzte, „harte und deutliche“ Worte
im Umgang mit Mitarbeitern würden nicht schaden, denn
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Unachtsamkeit, Ignoranz oder fehlverstandenes Führungsverhalten führt so zu
einem Verstoß gegen das „Fair Play“. Den Preis mangelnder Fairness beschreiben Chan Kim u. Mauborgne (1998)
wie folgt:
z« Sind Menschen wegen Verletzungen der Fairness
bereits so verärgert, dass sie sich zu organisiertem
Protest gedrängt fühlen, gehen ihre Ansprüche oft
über ein vernünftiges Maß hinaus bis zu dem, was
Theoretiker vergeltende Gerechtigkeit nennen:
Dann wollen Menschen nicht nur wieder faire Verfahrensweisen wiedereingesetzt sehen, sondern
trachten auch nach Bestrafung und Vergeltung.
z! Dieser Mechanismus wird auch in einigen der von
uns geführten Beratungsgespräche deutlich, in denen
nicht von Mobbing gegenüber einzelnen Personen berichtet wird, sondern der Verstoß des Chefs gegen
Fair Play geschildert wird. Der Protest der „Mannschaft“ kann seinen Ausdruck z. B. auch in „Massenkündigungen“, die eine ganze Abteilung lahmlegen
können, finden.
18
Maßnahmen gegen Mobbing
Inhalt
Suchen
Hilfe
Treffer
Grundsätzlich liegt es daher auch im Interesse des Vorgesetzten, sich um Konfliktvermeidung im Vorfeld zu
bemühen. Er sollte seinen Mitarbeitern klar machen, dass
ihm ein gutes Arbeitsverhältnis wichtig ist, er Mobbingverhalten in seiner Abteilung nicht duldet, für auftretende
Probleme in seiner Abteilung immer ein offenes Ohr hat
und das Mobbingverhalten für den Mobber negative Konsequenzen haben kann (Abmahnung, Versetzung usw.).
Zur Konfliktvermeidung im Vorfeld gehört auch, konfliktträchtige Bereiche wie Einteilung der Urlaubs- und
Dienstpläne, Gewährung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Einteilung zu weiterbildungsrelevanten
Tätigkeiten (OP-Plan) usw. im Vorfeld (z. B. im Rahmen
einer Betriebsvereinbarung) zu regeln.
Januar 2002
12 z 04 03
Möglichkeiten von Betriebsrat, Personalrat,
Mitarbeitervertretung
Betriebsrat, Personalrat bzw. Mitarbeitervertretung stellen
die Interessenvertretung der Beschäftigten dar. Sie haben
u. a. die Aufgabe,
z darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Vorschriften und Dienstvereinbarungen usw. durchgeführt werden,
z Maßnahmen zu beantragen, die dem Betrieb und der
Belegschaft dienen (z. B. die Einführung einer Dienstvereinbarung, Beantragung einer Mediation, Moderation, Supervision etc.),
z Anregungen von Arbeitnehmern entgegenzunehmen
und durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf
Erledigung hinzuwirken.
Das Einschalten der Interessenvertretung der Beschäftigten sollte frühzeitig in Erwägung gezogen werden. Das
19
Konfliktvermeidung
im Vorfeld
Aufgaben der
Interessenvertretung
12 z 04 03
Maßnahmen gegen Mobbing
Inhalt
Fehlende ärztliche
Interessenvertreter
bedeuten großen
Nachteil
Aufgaben
Chance der
„kollegialen
Vertraulichkeit“
Mediator, Moderator
Suchen
Treffer
Hilfe
Zugehen auf die Interessenvertretung der Mitarbeiter
wurde in den Fällen als schwierig beschrieben, in denen
kein ärztliches Mitglied der Interessenvertretung angehört.
Möglichkeiten des Betriebsarztes
Betriebsärzte haben die Aufgabe, den Arbeitgeber beim
Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Dazu gehört sowohl die Beratung des Arbeitgebers zu arbeitspsychologischen Fragen als auch die Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen zu untersuchen, festgestellte
Mängel dem Arbeitgeber mitzuteilen, Maßnahmen zur
Beseitigung der Mängel vorzuschlagen und auf ihre
Durchführung hinzuwirken. Unserer Erfahrung nach sind
ein Drittel der „Gemobbten“ krank geschrieben, einige
davon langfristig. Über durch Mobbing hervorgerufene
Probleme wie Schlaflosigkeit, innere Unruhe, Magenbeschwerden klagen über 90%.
Der Betriebsarzt nimmt eine Sonderstellung in einem
Krankenhaus ein. Er hat in der Regel keinen direkten
Vorgesetzten, ist damit nicht in die Hierarchie eines Hauses eingebunden. Er ist an die ärztliche Schweigepflicht
gebunden. Ein Kontakt von „Kollege zu Kollege“ ist für
den Gemobbten häufig leichter als zu der Interessenvertretung.
Externe Hilfsangebote
In vielen Fällen ist es sinnvoll, eine festgefahrene Situation durch objektive Dritte beurteilen und vermitteln zu
lassen. Hauptberufliche Mediatoren bzw. Moderatoren
bieten hierzu ihre Dienste an. Teilweise sind auch Betriebsärzte hierin fortgebildet. Sie versuchen in gemein20
Maßnahmen gegen Mobbing
Inhalt
Suchen
12 z 04 03
Hilfe
Treffer
Januar 2002
samen Gesprächen mit den Betroffenen Lösungen zu entwickeln. Sind Gesprächsversuche mit dem Mobber nicht
fruchtbar verlaufen, sollte daher ein schriftlicher Antrag
an die Verwaltung gestellt werden, in dem die Problematik geschildert und um Einschaltung eines Mediators oder
Moderators gebeten wird.
Betriebsvereinbarung („Anti-Mobbingvereinbarungen“)
in Betrieben und Krankenhäusern
In unseren Beratungen hat sich oft gezeigt, dass in den
Krankenhäusern und Kliniken keine „Strukturen“ gegen
das Mobbing existieren. Der Betroffene weiß nicht, an
wen er sich mit seinen Problemen wenden soll. Hier zeigt
es sich, dass die Festlegung eines Verhaltenscodexes sowie die Beschreibung der Rahmenbedingungen, an die
sich Vorgesetzte und Mitarbeiter zu halten bereit erklären, sinnvoll ist. Die Regeln können in einer Betriebsvereinbarung niedergelegt werden.
Betriebsvereinbarungen sind freiwillige Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Sie gelten für
den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes unmittelbar
und zwingend. Sie bieten die Möglichkeit, Rahmenbedingungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festzulegen, die ein einvernehmliches Miteinander fördern.
Für den Bereich der Krankenhäuser erarbeitet die
Ärztekammer Nordrhein derzeit in Abstimmung mit dem
Marburger Bund eine Muster-Betriebsvereinbarung, die
speziell den Problemen im ärztlichen Tätigkeitsfeld Rechnung tragen soll. Hierin werden Problemfelder, die unserer Erfahrung nach häufigen Anlass zu Unstimmigkeiten
bieten, wie Einteilung der Urlaubs- und Dienstpläne, Gewährung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen,
Einteilung zu weiterbildungsrelevanten Tätigkeiten (OP21
Es fehlen „Strukturen“
gegen das Mobbing
Betriebsvereinbarungen
MusterBetriebsvereinbarung
12 z 04 04
Rechtliche Aspekte des Mobbens
Inhalt
Suchen
Treffer
Hilfe
Plan) usw. angesprochen. Die Muster-Betriebsvereinbarung kann nach Fertigstellung auf der Homepage der
Ärztekammer Nordrhein (www.aekno.de) abgerufen werden.
12 z 04 | 04
Rechtliche Aspekte des Mobbens
Berufs- und
arbeitsrechtliche
Probleme
In vielen Mobbingfällen liegen gleichzeitig berufsrechtliche und arbeitsrechtliche Probleme vor. Die berufsrechtliche Prüfung wird durch die juristische Abteilung der
Ärztekammern durchgeführt. Hierzu bedarf es eines
schriftlichen Antrages. In Mobbing-Fällen mit gleichzeitiger arbeitsrechtlicher Problematik, z. B. Kündigungsschutzklagen, sollte anwaltlicher Beistand gesucht werden! Ein klassischer Mobbingfall mit arbeitsrechtlicher
Problematik, der auch in der Mobbing-Beratung der Ärztekammer Nordrhein wiederholt vorgetragen wurde, soll
hier beispielhaft vorgestellt werden.
Ein Oberarzt soll nach Chefarztwechsel zur Kündigung gedrängt werden und wird von seinem neuen Chef
mit Aufgaben betraut, die normalerweise ein Assistenzarzt in den ersten Weiterbildungsjahren ausübt (z. B.
Oberarzt der Chirurgie, der zur Platzwundenversorgung
in der Ambulanz eingeteilt wird). Diese Arbeit wird vom
Oberarzt als demütigend empfunden und im Sinne von
Mobbing verstanden. Hierzu hat es einen gerichtlichen
Entscheid gegeben, der es der Klinikleitung verbietet, einen Oberarzt zu typischen Assistenzarzt-Tätigkeiten heranzuziehen (s. Urteil des LAG Baden-Württemberg im
Anhang).
Beispielfall
Anrufung von Gerichten bei Mobbing
Bei dem Begriff „Mobbing“ handelt es sich nicht um einen eigenständigen juristischen Tatbestand. „Mobbing“
22
Rechtliche Aspekte des Mobbens
Januar 2002
Inhalt
Suchen
12 z 04 04
Hilfe
Treffer
ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, d. h. es muss im Einzelfall eine Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang allgemein Üblichen oder rechtlich Erlaubten und
deshalb hinzunehmenden Verhalten und dem im Einzelfall Unzulässigen getroffen werden.
Die Anrufung von Gerichten im Falle von Mobbing
kann im Gegensatz zur sonstigen arbeitsrechtlichen Problematik nur als allerletztes Mittel betrachtet werden. Zunächst sollte Maßnahmen wie Einschaltung der Personalvertretung, Betriebsarzt, Mediation, Versuch der Schlichtung (z. B. über die Ärztekammer), Betriebsvereinbarung
etc. Vorrang gegeben werden. Die rechtliche Auseinandersetzung kann in der Regel (auch bei gewonnenem Arbeitsstreit) den Arbeitsfrieden nicht wiederherstellen,
sondern z. B. einen finanziellen Ausgleich schaffen. Der
Arbeitsplatz ist also häufig verloren. Dennoch gibt es Fälle, in denen die Erwägung rechtlicher Schritte erforderlich ist.
Das Thüringer Landesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen zum Thema Mobbing grundlegend Stellung
bezogen. Da hier der Begriff Mobbing erstmalig rechtlich
gewürdigt wurde, sind die Mobbing-Urteile im Anhang
vorgestellt. Im ersten Fall (Urteil vom 10. 4. 2001) handelt
es sich um einen Sparkassenleiter, der im Rahmen eines
Mobbinggeschehens mit den Tätigkeiten eines Sachbearbeiters sowie unsinnigen Tätigkeiten beauftragt wurde
und mit Erfolg auf Unterlassung klagte. Im zweiten Fall
(Urteil vom 15. 2. 2001) handelt es sich um einen Vorgesetzten, der einen ihm unterstellten Arbeiter durch
Mobbing zum Suizid-Versuch trieb. Dem Mobber wurde
fristlos gekündigt, seine anschließende Kündungsschutzklage wurde abgewiesen.
23
„Mobbing“ als
unbestimmter
Rechtsbegriff
Der prozessuale
Weg ist „dornig“
12 z 04 04
Rechtliche Aspekte des Mobbens
Inhalt
Suchen
Treffer
z zusammenfassung
Mobbing stellt ein zunehmendes Problem in Einrichtungen des Gesundheitswesens dar. Es belastet
dabei nicht nur das Arbeitsklima und das Wohlbefinden Einzelner, sondern verursacht durch hohe
Fluktuation, hohen Krankenstand und verminderte
Arbeitsleistung des Einzelnen betriebswirtschaftliche Kosten in der Größenordnung von 50 000 bis
150 000 DM pro gemobbter Person und Jahr.
Die Rechtsprechung nimmt sich zunehmend der
Mobbing-Problematik an, inzwischen stärken Urteile die Position des Gemobbten. Der Arbeitgeber
als Vertragspartner haftet z. B. bei Schadensersatzansprüchen Gemobbter. Das Problem Mobbing
sollte daher ernst genommen werden. Präventiv
wirksam sind dabei
— hohe soziale Kompetenz des Vorgesetzten
— klare Aussage zur Betriebsmoral
— sowie transparente Organisationsstrukturen.
Vorbeugend empfiehlt sich z. B. die Einführung
von Betriebsvereinbarungen. Bei existenten Mobbing-Problemen ist es hilfreich, sich externer Hilfen von Moderatoren, Mediatoren und Supervision
zu bedienen.
24
Hilfe
Rechtliche Aspekte des Mobbens
Inhalt
Suchen
12 z 04 04
Hilfe
Treffer
Literatur
Januar 2002
Bauer D (2000) Krank durch Mobbing im Betrieb. In: Bödecker
AW (Hrsg) Mobbing – vom Erleben zur Krankheit. Martina
Galunder Verlag, Nümbrecht
Bundesarbeitsgericht (1997) Urteil vom 15.1.1997. Der Betrieb:
1475
Chan Kim W, Mauborgne R (1998) Mit Fairness führen: Warum
rücksichtsvolle Chefs erfolgreicher sind. Harvard Business
Manager 1: 60–70
Kerst-Würkner B (2001) Das schleichende Gift „Mobbing“ und
die Gegenarznei. Arbeit + Recht 7: 251–261
Leymann H (1993) Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und
wie man sich dagegen wehren kann. Rowohlt, Reinbek
Leymann H (Hrsg) (1995) Der neue Mobbing-Bericht: Erfahrungen und Initiativen, Auswege und Hilfsangebote. Rowohlt,
Reinbek
25
12 z 04
Anhang
Inhalt
Suchen
Treffer
Hilfe
Anhang: Urteile
Musterentscheidung
Versetzung als
Mobbing sanktioniert
Verpflichtung
des Arbeitgebers
Urteil des LAG Thüringen vom 10. 4. 2001,
Az. 5 Sa 403/2000
Am 10. 4. 2001 hat das Thüringer Landesarbeitsgericht
(LAG) in einer Musterentscheidung zu dem in der Rechtsprechung bislang nicht grundlegend erfassten Bereich
des Mobbing am Arbeitsplatz im Rahmen einer einstweiligen Verfügung umfassend Stellung bezogen. In dem Fall
ging es um einen Sparkassenleiter, der als Mobbing-Opfer
mit unsinnigen Tätigkeiten beauftragt wurde und im
Rahmen einer einstweiligen Verfügung die Unterlassung
bewirkte.
Das Gericht wertete die Versetzung des Klägers als Bestandteil eines gegen den Kläger gerichteten systematischen Mobbings, durch das dieser zur freiwilligen Aufgabe seines Arbeitsplatzes gebracht werden sollte. Das
Thüringer LAG sah in diesem Vorgehen der Beklagten einen schweren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie in die Gesundheit des Klägers. Es entschied,
dass ein solches Mobbing unter Androhung von 50 000
DM Ordnungsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung mit
einem im Eilverfahren durchsetzbaren Unterlassungsanspruch abgewehrt werden kann.
Leitsätze aus diesen Verfahren
1. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeitsoder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen
durch Mitarbeiter oder Dritte, auf die er einen Einfluss
hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz
zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern. Zur Einhaltung dieser Pflichten kann
26
12 z 04
Anhang
Januar 2002
Inhalt
Suchen
Hilfe
Treffer
der Arbeitgeber als Störer nicht nur dann in Anspruch
genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht
oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterlässt,
Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts
ausgeschlossen wird.
2. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
des Arbeitnehmers kann nicht nur im Totalentzug der
Beschäftigung, sondern auch in einer nicht arbeitsvertragsgemäßen Beschäftigung liegen. Eine solche Rechtsverletzung liegt vor, wenn der Totalentzug oder die Zuweisung einer bestimmten Beschäftigung nicht bloß den
Reflex einer rechtlich erlaubten Vorgehensweise darstellt,
sondern diese Maßnahmen zielgerichtet als Mittel der
Zermürbung eines Arbeitnehmers eingesetzt werden, um
diesen selbst zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bringen.
3. Aus dem Umstand, dass bloß für einen vorübergehenden Zeitraum in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Arbeitnehmers eingegriffen wird oder dem Arbeitnehmer
dadurch keine finanziellen Nachteile entstehen, kann kein
diesen Eingriff rechtfertigendes, überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers hergeleitet werden.
4. Bei dem Begriff „Mobbing“ handelt es sich nicht um
einen eigenständigen juristischen Tatbestand. Die rechtliche Einordnung der unter diesen Begriff zusammenzufassenden Verhaltensweisen beurteilt sich ausschließlich
danach, ob diese die tatbestandlichen Voraussetzungen
einer Rechtsvorschrift erfüllen, aus welcher sich die
gewünschte Rechtsfolge herleiten lässt. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff „Mobbing“ gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung
Verhaltensweisen zugänglich zu machen, die bei isolierter
27
Verletzung des
allgemeinen
Persönlichkeitsrechts
des Arbeitnehmers
Kein schutzwürdiges
Interesse des
Arbeitgebers
Zum Begriff
„Mobbing“
12 z 04
Anhang
Inhalt
Anhaltspunkte für
das Vorliegen von
„Mobbing“
Abhilfe der Beweisnot
des Betroffenen
Suchen
Treffer
Hilfe
Betrachtung der einzelnen Handlungen die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-, Gestaltungs- und
Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite
des Falles angemessenen Umfang erfüllen können.
5. Ob ein Fall von „Mobbing“ vorliegt, hängt von den
Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine Abgrenzung
zu dem im gesellschaftlichen Umgang im Allgemeinen
üblichen oder rechtlich erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhalten erforderlich. Im arbeitsrechtlichen Verständnis erfasst der Begriff des „Mobbing“ fortgesetzte,
aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende,
der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende
Verhaltensweisen, die nach Art und Ablauf im Regelfall
einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer
Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen. Ein vorgefasster Plan
ist nicht erforderlich. Eine Fortsetzung des Verhaltens unter schlichter Ausnutzung der Gelegenheiten ist ausreichend. Zur rechtlich zutreffenden Einordnung kann dem
Vorliegen von falltypischen Indiztatsachen (mobbingtypische Motivation des Täters, mobbingtypischer Geschehensablauf, mobbingtypische Veränderung des Gesundheitszustands des Opfers) eine ausschlaggebende Rolle
zukommen, wenn eine Konnexität zu den von dem Betroffenen vorgebrachten Mobbinghandlungen besteht. Ein
wechselseitiger Eskalationsprozess, der keine klare TäterOpfer-Beziehung zulässt, steht regelmäßig der Annahme
eines Mobbingsachverhaltes entgegen.
6. Die vielfach dadurch entstehende Beweisnot des Betroffenen, dass dieser allein und ohne Zeugen Verhaltensweisen ausgesetzt ist, die in die Kategorie Mobbing ein28
Anhang
Inhalt
Suchen
12 z 04
Hilfe
Treffer
Januar 2002
zustufen sind, ist durch eine in Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und damit den
Grundsätzen eines fairen und auf Waffengleichheit achtenden Verfahrens entsprechende Anwendung der §§ 286, 448,
141 Abs. 1 Satz 1 ZPO auszugleichen. Dabei muss die im
Zweifel erforderliche Anhörung einer Partei bei der gerichtlichen Überzeugungsbildung berücksichtigt werden.
Urteil des LAG Thüringen vom 15. 2. 2001,
Az. 5 Sa 102/2000
Am 15.2.2001 hat das Thüringer Landesarbeitsgericht die
Berufung eines Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Eisenach zurückgewiesen. Dem Kläger war von
seinem Arbeitgeber ohne Abmahnung fristlos gekündigt
worden, da er durch Mobbing-Handlungen einen ihm unterstellten Kollegen in einen Suizid-Versuch getrieben hatte. Gegen die fristlose Kündigung hatte der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben, die jedoch zurückgewiesen
wurde.
Leitsätze aus diesen Verfahren
1. Der Staat, der Mobbing in seinen Dienststellen und in
der Privatwirtschaft zulässt oder nicht ausreichend sanktioniert, kann sein humanitäres Wertesystem nicht
glaubwürdig an seine Bürger vermitteln und gibt damit
dieses Wertesystem langfristig dem Verfall preis. Entsprechend dem Verfassungsauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG muss
die Rechtsprechung in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung, in Verantwortung gegenüber dem
Bestandsschutz der verfassungsmäßigen Wertordnung
und zur Gewährleistung der physischen und psychischen
Unversehrtheit der im Arbeitsleben stehenden Bürger gegenüber Mobbing ein klares Stoppsignal setzen.
29
Niederwerfung der
Klage eines „Mobbers“
Staat muss
Betroffene schützen
12 z 04
Anhang
Inhalt
Auch kein „Freibrief“
für Arbeitnehmer
Schutz des
Arbeitgebers
Konkretisierung
des Schadens für
den Arbeitgeber
Suchen
Treffer
Hilfe
2. Auch die Arbeitnehmer sind in der Konsequenz des
von der Verfassung vorgegebenen humanitären Wertesystems verpflichtet, das durch Art. 1 und 2 GG geschützte
Recht auf Achtung der Würde und der freien Entfaltung
der Persönlichkeit der anderen bei ihrem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer nicht durch Eingriffe in deren
Persönlichkeits- und Freiheitssphäre zu verletzen.
3. Zur Achtung der Persönlichkeitsrechte der ArbeitskollegInnen sind die Arbeitnehmer eines Betriebes unabhängig von den Ausstrahlungen der Verfassung auf die zwischen den Bürgern bestehenden Rechtsverhältnisse auch
deshalb verpflichtet, weil sie dem Arbeitgeber keinen
Schaden zufügen dürfen.
4. Aufgrund von Mobbinghandlungen kann ein solcher
Schaden für den Arbeitgeber u. a. deshalb entstehen, weil
für den von dem Mobbing betroffenen Arbeitnehmer –
abhängig von den Umständen des Einzelfalles – nach
§ 273 Abs. 1 BGB die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung, die Ausübung des Rechts
zur außerordentlichen Kündigung mit anschließendem
Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB, unabhängig von der Ausübung eines solchen Kündigungsrechts
die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Schadensersatz wegen dessen eigener Verletzung von Organisations- und Schutzpflichten (positive Vertragsverletzung,
§ 823 Abs. 1 BGB) oder nach den hierfür einschlägigen
Zurechnungsnormen des Zivilrechts (§§ 278, 831 BGB) für
das Handeln des Mobbingtäters in Betracht kommen und
bei Vorliegen der Zurechnungsvoraussetzungen des § 831
BGB grundsätzlich auch Schmerzensgeldansprüche gegen
den Arbeitgeber gerichtet werden können.
5. Das sog. Mobbing kann auch ohne Abmahnung und
unabhängig davon, ob es in diesem Zusammenhang zu
30
Anhang
Januar 2002
Inhalt
Suchen
12 z 04
Hilfe
Treffer
einer Störung des Betriebsfriedens gekommen ist, die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses
rechtfertigen, wenn dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Mobbingopfers in schwerwiegender Weise verletzt werden. Je intensiver das Mobbing erfolgt, um so schwerwiegender
und nachhaltiger wird die Vertrauensgrundlage für die
Fortführung des Arbeitsverhältnisses gestört. Muss der
Mobbingtäter erkennen, dass das Mobbing zu einer Erkrankung des Opfers geführt hat und setzt dieser ungeachtet dessen das Mobbing fort, dann kann für eine auch
nur vorübergehende Weiterbeschäftigung des Täters regelmäßig kein Raum mehr bestehen.
6. Für die Einhaltung der für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bestehenden zweiwöchigen
Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB kommt es bei einer
mobbingbedingten außerordentlichen Kündigung entscheidend auf die Kenntnis desjenigen Ereignisses an,
welches das letzte, den Kündigungsentschluss auslösende
Glied in der Kette vorangegangener weiterer, in Fortsetzungszusammenhang stehender Pflichtverletzungen bildet.
7. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff
„Mobbing“ gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin,
der Rechtsanwendung Verhaltensweisen zugänglich zu
machen, die bei isolierter Betrachtung der einzelnen
Handlung die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-, Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder
nicht in einem der Tragweite des Falles angemessenen
Umfang erfüllen können. Wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen Mobbingkomplex vorliegen, ist es zur
Vermeidung von Fehlentscheidungen erforderlich, diese
in die rechtliche Würdigung mit einzubeziehen. Kündi31
Dem Mobber darf
außerordentlich
gekündigt werden
Zur Ausschlussfrist
bei außerordentlicher
Kündigung
Juristische Erfassung
von „Mobbing“
12 z 04
Anhang
Inhalt
Zwar ist Mobbing
ohne medizinischen
Befund justiziabel . . .
. . . aber Vorliegen
eines Befunds hat
große Auswirkung
Suchen
Treffer
Hilfe
gungsrechtlich bedeutet dies, dass die das Mobbing verkörpernde Gesamtheit persönlichkeitsschädigender Handlungen als Bestandteil einer einheitlichen Arbeitsvertragsstörung sowohl den sachangemessenen Anknüpfungspunkt und Grund für den Ausspruch einer Kündigung
als auch die Grundlage für deren gerichtliche Überprüfung bildet.
8. Da es aus rechtlicher Sicht bei Mobbing um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und/oder
der Ehre und/oder der Gesundheit geht und die in Betracht kommenden Rechtsfolgen das Vorliegen eines bestimmten medizinischen Befundes nicht in jedem Fall voraussetzen, ist jedenfalls für die juristische Sichtweise
nicht unbedingt eine bestimmte Mindestlaufzeit oder
wöchentliche Mindestfrequenz der Mobbinghandlungen
erforderlich.
9. Unabhängig davon, ob es bei der gerichtlichen
Prüfung um eine Kündigung, Abwehr- oder Schadensersatzansprüche geht, kann allerdings das Vorliegen eines
„mobbingtypischen“ medizinischen Befundes erhebliche
Auswirkungen auf die Beweislage haben: Wenn eine Konnexität zu den behaupteten Mobbinghandlungen feststellbar ist, muss das Vorliegen eines solchen Befundes als
ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen werden. Die jeweilige Ausprägung eines
solchen Befundes kann ebenso wie eine „mobbingtypische“ Suizidreaktion des Opfers im Einzelfall darüber hinaus Rückschlüsse auf die Intensität zulassen, in welcher
der Täter das Mobbing betrieben hat. Wenn eine Konnexität zu feststehenden Mobbinghandlungen vorliegt,
dann besteht eine von der für diese Handlungen verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person zu widerlegende tatsächliche Vermutung, dass diese Handlungen
32
Anhang
Januar 2002
Inhalt
Suchen
12 z 04
Hilfe
Treffer
den Schaden verursacht haben, den die in dem medizinischen Befund attestierte Gesundheitsverletzung oder die
Suizidreaktion des Opfers zur Folge hat.
10. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3
GG) und die Wahrung des Rechtsfriedens erfordern für
die Durchführung von Gerichtsverfahren Regeln, die unabhängig von der Komplexität von Sachverhalten und ohne Ansehen der für die Justiz durch das Verfahren entstehenden Belastungen, der Durchsetzung des materiellen
Rechts und damit der Gerechtigkeit Geltung verschaffen.
Bei einem sich über einen unbestimmten Zeitraum erstreckenden Geschehen, wie es z. B. bei Mobbing der Fall ist,
kann von dem Betroffenen nicht ohne weiteres erwartet
werden, dass er ohne Rückgriff auf ggf. tagebuchartig zu
führende Aufzeichnungen zu einer vollständigen und damit wahrheitsgemäßen Aussage in der Lage ist, sei es,
dass er als Partei in einem von ihm selbst betriebenen
Mobbingschutzprozess nach § 141 ZPO angehört oder
nach § 448 ZPO vernommen wird oder sei es, dass er als
Zeuge in einem den Täter des Mobbings betreffenden
Kündigungsschutzprozess aussagen muss. Bei der Aussage über länger zurückliegende Ereignisse kann deshalb
ein Zeuge oder eine Partei auf seine bzw. ihre im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesen Ereignissen
zur Gedächtnisstütze gefertigten Notizen und erst recht
auf eine zu diesem Zweck gefertigte eidesstattliche Versicherung Bezug nehmen, wenn die Nichtgestattung der
Bezugnahme auf eine Verhinderung der Beweisführung
hinausliefe und diese Schriftstücke zu den Akten gereicht
werden oder sich bereits dort befinden. Zur Ausschließung der schriftlichen Vorbereitung einer zum Zwecke
der Wahrheitsverschleierung dienenden „Aussagekosmetik“ oder von dritter Seite vorformulierter Aussagen muss
33
Zur Bedeutung
und Glaubwürdigkeit
von Zeugen,
Aufzeichnungen usw.
12 z 04
Anhang
Inhalt
Suchen
Treffer
Hilfe
allerdings die vorzunehmende Glaubwürdigkeitsprüfung
einem besonders strengen Maßstab unterworfen werden.
Dabei kommt es insbesondere auf die Umstände des Zustandekommens der schriftlichen Aufzeichnungen an, die
ggf. durch gerichtliche Rückfragen und Vorhaltungen
überprüft werden müssen.
„Leitsatz“
Oberärztin
bekam Recht
Die beiden
unterschiedlichen
Positionen
Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 19. 12. 1991,
Az. 6 AZR 476/89 (Oberarzturteil)
Ist einem Arzt arbeitsvertraglich die Stellung eines Oberarztes eingeräumt worden, so ist er nicht verpflichtet, den
am Krankenhaus typischen Bereitschafts- und Stationsdienst der Assistenzärzte zu übernehmen.
So entschied das Landesarbeitsgericht BadenWürttemberg über die Klage einer Oberärztin (= Klägerin), die klären wollte, ob sie verpflichtet sei, aufgrund einer Anordnung des Krankenhausträgers (= Beklagte) Bereitschafts- und Stationsdienste, wie sie im Krankenhaus
typischerweise die Assistenzärzte ausüben, zu verrichten.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage in erster Instanz noch
abgewiesen, das LAG sah es anders und gab der Ärztin
mit diesem Urteil Recht.
Die Klägerin meinte, sie sei weder zur Teilnahme am
Bereitschafts- noch am Stationsdienst der Assistenzärzte
verpflichtet, weil damit ein Entzug der vertraglich zugesicherten Oberarzttätigkeit verbunden sei (s. a. Kap.
12.05.04 und 12.01.04). Der Krankenhausträger stellte sich
dagegen auf den Standpunkt, die Klägerin sei gemäß der
Sonderregelung BAT zur Leistung von Bereitschaftsdiensten verpflichtet. Dies gelte auch, soweit diese die Tätigkeit
eines Assistenzarztes betreffe. Wie beim angeordneten
Stationsdienst der Assistenzärzte bestehe die vertraglich
auszuübende Tätigkeit in der Behandlung von Patienten
34
Anhang
Januar 2002
Inhalt
Suchen
12 z 04
Hilfe
Treffer
auf der Station. Die Stellung der Klägerin als Oberärztin
werde durch den Einsatz im Stationsdienst nicht berührt.
Im Arbeitsverhältnis der Klägerin war eine Beschäftigung als Oberärztin auf der Kinderabteilung vereinbart
worden. Diese Tätigkeit übte die Klägerin in der Folgezeit
auch aus. Daraus ergab sich, dass die Klägern vertraglich
nur verpflichtet ist, die Tätigkeiten einer Oberärztin auszuüben. Bei dieser Rechtslage kann die Beklagte kraft Direktionsrecht keinen Bereitschafts- und Stationsdienst anordnen, bei dem die Klägerin Assistenzarzttätigkeiten zu
verrichten hat. Denn nach den bindenden Feststellungen
des Gerichts unterscheidet sich im Krankenhaus der Beklagten die Tätigkeit eines Oberarztes von der eines Assistenzarztes. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst der
Assistenzärzte entspricht daher nicht der vertraglich von
der Klägerin geschuldeten Tätigkeit als Oberärztin. Angesichts der vertraglichen und tatsächlichen Beschäftigung
der Klägerin als Oberärztin und der bei der Beklagten
praktizierten Trennung zwischen Oberarzt- und Assistenztätigkeit ist die Klägerin arbeitsvertraglich dann nur
zu einem Bereitschaftsdienst mit Oberarzttätigkeit verpflichtet. Aus den gleichen rechtlichen Gründen kann die
Beklagte die Klägerin im Stationsdienst nur mit Oberarzt-, nicht jedoch mit Assistenzarzttätigkeiten beschäftigen.
Weiter
35
Ein Oberarzt ist
kein Assistenzarzt