Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt Suchen 12 z 04 01 Hilfe Treffer 12 z 04 Mobbing im Krankenhaus Januar 2002 Martina Levartz, Brigitte Hefer inhaltsüberblick Mobbing ist ein „Modebegriff“ geworden für Konflikte und bestimmte Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. Auch in Deutschland ist eine rege Diskussion um das Thema Mobbing entstanden, die Auseinandersetzung steht dennoch erst am Anfang. Der Deutschen Ärztetag hat sich 1998 dafür ausgesprochen, in den Ärztekammern Ansprechpartner/innen für Mobbing-Fälle zu benennen. Dieser Beitrag geht auf den Begriff Mobbing sowie die persönlichen, betrieblichen und ökonomischen Konsequenzen ein. Die Erfahrungen der Mobbing-Beratung betroffener Ärztinnen und Ärzten werden dargelegt aus der Sicht der „Mobbingansprechpartner/innen“ der Ärztekammer Nordrhein. Schwerpunkt ist dabei die mögliche Prävention von und der Umgang mit Mobbing sowie die zunehmend an Bedeutung gewinnenden rechtlichen Aspekte. 12 z 04 | 01 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Begriffliche und inhaltliche Abgrenzungen Der Begriff Mobbing lässt sich vom englischen Verb „to mob“ herleiten. Es hat die Bedeutung von „jemanden anpöbeln, angreifen, über jemanden herfallen“. Im deutschsprachigen Raum hat sich „Mobbing“ als Bezeichnung für systematische Feindseligkeiten und Ausgrenzungen am Arbeitsplatz durchgesetzt. Schon vor 20 Jahren beschäftigte sich Prof. Heinz Leymann, ein schwedischer, aus Niedersachsen stammender Arbeitspsychologe, intensiv mit diesem Thema. Leymann definiert: 1 Herleitung aus dem Englischen Definition von Leymann 12 z 04 01 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt Suchen Treffer Hilfe z« Mobbing ist eine negative kommunikative Hand- lung, die gegen eine Person gerichtet ist und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommt und damit die Beziehung zwischen Tätern und Opfern kennzeichnet. Fünf Aspekte des Mobbings Dabei unterscheidet Leymann (1993) fünf Aspekte des Mobbings: z Angriffe auf Möglichkeiten sich mitzuteilen, z Angriffe auf die soziale Beziehung, z Auswirkung auf das soziale Ansehen, z Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation, z Angriffe auf die Gesundheit. z! Insgesamt gab Leymann (1993) zu diesen 5 Punkten weitere Unterpunkte an und benennt konkret 45 Mobbing-Handlungen. 2 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt Januar 2002 z z z Suchen Angriffe auf die Möglichkeit sich mitzuteilen — Der Vorgesetzte schränkt die Möglichkeiten des Betroffenen ein, sich zu äußern — Man wird ständig unterbrochen — Kollegen schränken die Möglichkeiten des Betroffenen ein, sich zu äußern — Anschreien oder lautes Schimpfen — Ständige Kritik an der Arbeit — Ständige Kritik am Privatleben — Telefonterror — Mündliche Drohungen — Schriftliche Drohungen — Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke oder Gesten — Kontaktverweigerung durch Andeutung, ohne dass man etwas direkt ausspricht Angriffe auf die sozialen Beziehungen — Man spricht nicht mehr mit dem/ der Betroffenen — Man lässt sich nicht ansprechen — Versetzung in einen Raum weitab von den Kollegen — Den Arbeitskolleg/innen wird verboten, die/den Betroffene/n anzusprechen — Man wird wie Luft behandelt Auswirkung auf das soziale Ansehen — Hinter dem Rücken des Betroffenen wird schlecht über ihn gesprochen — Man verbreitet Gerüchte — Man macht jemanden lächerlich — Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein — Man will jemanden zu einer psychiatrischen Untersuchung zwingen Hilfe Treffer z 12 z 04 01 — Man macht sich über eine Behinderung lustig. Man imitiert Gang, Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu machen — Man greift die politische oder religiöse Einstellung an — Man macht sich über das Privatleben lustig — Man macht sich über die Nationalität lustig — Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen — Man beurteilt den Arbeitsplatz des Betroffenen in falscher oder kränkender Weise — Man stellt die Entscheidungen des Betroffenen in Frage — Man ruft ihm/ihr obszöne Schimpfworte oder andere entwürdigende Ausdrücke nach — Sexuelle Annäherung oder verbale sexuelle Angebote Angriffe auf die Qualität der Berufsund Lebenssituation — Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen — Man weist dem Betroffenen keine Arbeitsaufgaben zu — Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, so dass er sich nicht einmal selbst Aufgaben ausdenken kann — Man gibt ihm sinnlose Aufgaben — Man gibt ihm Aufgaben weit unter seinem eigentlichen Können — Man gibt ihm ständig neue Aufgaben 3 12 z 04 01 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt z Suchen — Man gibt ihm „kränkende“ Aufgaben — Man gibt dem Betroffenen Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikation übersteigen, um ihn damit in Misskredit zu bringen Angriffe auf die Gesundheit — Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten — Androhung körperlicher Gewalt Definition des Bundesarbeitsgerichts Treffer Hilfe — Anwendung leichter Gewalt, zum Beispiel, um jemanden einen „Denkzettel“ zu verpassen — Körperliche Misshandlung — Man verursacht dem Betroffenen Kosten, um ihm zu schaden — Man beschädigt Eigentum oder vom Arbeitgeber anvertraute Sachen des Betroffenen — Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung Kurz und prägnant ist die Festlegung des Bundesarbeitsgerichts (1997): z« Mobbing ist systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte. Nicht jede Auseinandersetzung ist Mobbing Vorgesetzte, Organisationsmängel Ursachen Nicht jede Disharmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen ist gleich „Mobbing“. Es ist vielmehr ein multifaktorielles Geschehen, wobei die Grenzen zwischen alltäglichen Konflikten und Aggressionen am Arbeitsplatz sowie beginnendem Mobben fließend sind. Gemobbt wird aus machtpolitischen Erwägungen, aus persönlichen Interessen des Mobbers, aus Neid oder Rachegefühlen. Auch mangelndes Problembewusstsein oder fehlende Sensibilität von Seiten des Mobbers kann Ursache sein oder zumindest Mobbingverhalten unterstützen. Einige Mobber tragen zu Mobbingverhalten bei, um von sich selbst abzulenken. Die Einstellung und das Verhalten des Vorgesetzten spielt darüber hinaus für das Entstehen von Mobbing eine 4 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Januar 2002 Inhalt Suchen 12 z 04 01 Hilfe Treffer wichtige Rolle, teilweise sind sie sogar Initiator dieses Prozesses oder sehen dem Mobbing zu, ohne einzugreifen. Oft stehen Organisationsmängel, arbeits- oder berufsrechtliche Probleme, Probleme mit der Weiterbildung usw. im Vordergrund. In Krankenhäusern bieten insbesondere Einteilung der Urlaubs- und Dienstpläne, Gewährung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Einteilung zu weiterbildungsrelevanten Tätigkeiten (OP-Plan) usw. Anlass zu Unstimmigkeiten. Diese führen in ihren Auswirkungen zu Unzufriedenheit, „Ungerechtigkeiten“, Disharmonie etc., die den Nährboden für Mobbing-Handlungen schaffen können. Werden diese Bereiche klar geregelt, wird dem Mobbing häufig dieser Nährboden entzogen. Regelungen hierzu können z. B. im Rahmen einer Betriebsvereinbarung getroffen werden. Wer wird vom wem gemobbt? Konflikte am Arbeitsplatz sind zunächst einmal alltäglich und nicht jeder Konflikt bedeutet Mobben. Verschlechterung der Arbeitsbeziehung ist eine langfristige Angelegenheit. Oft dauert es Monate, bis unkollegiales Verhalten in Mobbing übergeht. Dann aber entwickelt Mobbing oft eine Eigendynamik. Leymann gliedert den Ablauf des Mobbingprozesses in fünf Phasen (abgewandelt nach Leymann 1995): z In der ersten Phase wird das Arbeitsklima durch Egoismus und Rücksichtslosigkeit bestimmt, durch Stress herrscht eine gereizte Arbeitsatmosphäre, es kommt zu Aggressionen und Gemeinheiten. Die entstehenden Konflikte werden nicht bearbeitet und ausdiskutiert. z In der zweiten Phase konzentrieren sich diese negativen Emotionen auf einige wenige Mitarbeiter, wobei 5 Krankenhaustypische Ursachen Ablauf des Mobbingprozesses 12 z 04 01 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt Suchen z z z Mobbing in und quer durch alle Ebenen In drei Viertel aller Fälle „Bossing“ Treffer Hilfe sich insbesondere ein Opfer herauskristallisiert, das in den Mittelpunkt persönlicher Angriffe gerät. Durch mangelnde Unterstützung kommt es zur Ausgrenzung des Arbeitgebers sowie zu Selbstzweifeln und Angst. In der dritten Phase nehmen Kränkungen und andere Mobbinghandlungen weiter zu, das Opfer reagiert mit innerer Kündigung, in manchen Fällen auch mit Auflehnen. Oft kommt es zum „Kaltstellen“ und Versetzen des Opfers. Die gesundheitlichen Belastungen durch die Situation nehmen zu und es kommt zu Fehlzeiten. In der vierten Phase empfindet das Opfer die Mobbingsituation als traumatisch. In dieser Phase kann auch externe Hilfe oft den Mobbingprozess nicht beenden, sondern nur Auswüchse begrenzen. In der fünften Phase sieht sich das Opfer den Anfeindungen nicht mehr gewachsen und verlässt das Unternehmen (eigene Kündigung oder verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber). Am Mobbinggeschehen können alle, die am Arbeitsplatz miteinander in Kontakt stehen, beteiligt sein. Es findet unter Kollegen und Kolleginnen statt, geht von Vorgesetzten gegen Untergebene, teilweise gemeinsam mit anderen Untergebenen oder auch von ganzen Abteilungen gegen Vorgesetzte oder einzelne Kolleginnen und Kollegen. Nach Angaben der IG-Metall (www.IG-Metall.de) sind Mobber zu 44% Kollegen, zu 37% Vorgesetzte, zu 10% Kolleginnen und Vorgesetzte gemeinsam und zu 9% Untergebene. Nach einer Studie des Arbeitspsychologen Dieter Zapf aus Frankfurt sind im deutschsprachigen Raum in über 70% der Mobbingfälle die Vorgesetzten am Mobbing beteiligt, d. h. in Deutschland ist „Bossing“, also Vorgesetzten-Mobbing, fast der Regelfall (Kerst-Würkner 2001). 6 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Januar 2002 Inhalt Suchen 12 z 04 01 Hilfe Treffer Auch in unseren Beratungen zeigt sich, dass das Mobbing in mehr als 80% von dem Vorgesetzten ausgeht. Mobbing von Vorgesetzten kann auf falsch verstandenem Führungsverhalten basieren. So wird z. B. die Machtbefugnis durch willkürliches Schikanieren von Untergebenen demonstriert. Mobbing kann auch eine Möglichkeit sein, um eigene Unzulänglichkeit zu kaschieren, oder um eigene Frustrationen abzubauen. Auch die Angst davor, dass Mitarbeiter sich offenkundig über Schwächen lustig machen könnten, oder Angst vor Imageverlust gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten können zu Mobbing-Aktionen führen. In einigen Fällen wird Mobbing von Vorgesetzen gezielt eingesetzt, um unliebsame Mitarbeiter aus dem Arbeitsprozess in der Abteilung herauszudrängen (Mobbing als personalwirtschaftliches Instrument zum Personalabbau oder -umbau). Denn ist ein Mitarbeiter lang genug dem Psychoterror am Arbeitsplatz ausgesetzt, weiß er sich innerbetrieblich nicht mehr zu helfen und wird als letzten Ausweg häufig die Kündigung sehen. Mobbing kann jeden treffen, unabhängig von Aufgaben und von der Position. Zur Entstehung von Mobbing scheinen eher die Arbeitsbedingungen beizutragen, als dass bestimmte Persönlichkeitsstrukturen als „mobbing-relevant“ gefunden wurden. Gemobbt werden häufig Menschen, die eine „normabweichende Verhaltensweise“ innerhalb ihres Arbeitsfeldes zeigen. Dies kann sich ausdrücken in anderer Kleidung, Sprache, Arbeitseifer, abweichendem Arbeitsstil, anderer Lebensführung. Betroffen sind insbesondere auch besonders leistungsstarke Mitarbeiter, die als Konkurrenz empfunden werden. Es gibt Arbeitsbedingungen, die das Mobbing innerhalb einer Abteilung oder eines Betriebes oder Kranken7 Warum die Chefs mobben „Instrument“ des gezielten Personalabbaus Nonkonformisten häufiger als Angepasste betroffen Mobbingfördernde Arbeitsbedingungen 12 z 04 01 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt Suchen Treffer Hilfe hauses fördern. Begünstigende organisatorische Rahmenbedingungen sind z. B. starkes autoritäres Führungsverhalten, ausgeprägte Hierarchien (wie gerade auch in Krankenhäusern üblich), geringer Handlungsspielraum der Beteiligten oder Rollenkonflikte. Auch nicht klar definierte Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in einer Abteilung können Ursache für entstehendes Mobbingverhalten sein. 4–10% aller Beschäftigen werden gemobbt Von psychosomatischen Störungen . . . Mobbing ist kein Randproblem Je nach zugrunde liegender Studie oder Erhebung werden sehr unterschiedliche Zahlen zur Häufigkeit von Mobbing angegeben. Geht man von der Festlegung von Leymann aus (mindestens eine der oben genannten 45 Mobbinghandlungen regelmäßig über ein halbes Jahr), so kommen zwischen 4 und 10% der Beschäftigten als Mobbingopfer in Betracht (Leymann 1995). In Schweden wird von einer Betroffenheit von 3,5% der erwerbstätigen Bevölkerung ausgegangen. Auch scheinen Berufe des öffentlichen Dienstes ein größeres Mobbingrisiko zu bergen als Tätigkeiten in der privaten Wirtschaft oder Produktionsbetrieben. Leymann rechnet, das ein Viertel aller Berufstätigen mindestens einmal in ihrem Berufsleben unter Mobbing leiden. Gesundheitliche Folgen für den Betroffenen Insbesondere in den Phasen drei, vier und fünf kommt es zu zum Teil irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Opfers. Psychosomatische Beschwerden wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Magenprobleme, Rückenschmerzen usw. können schon sehr frühzeitig auftreten. Es kommt zum Verlust des Selbstwertgefühls, depressiven Verstimmungen, Angst und Gereiztheit. Die Krankheitssymptome des Mobbens sind dem posttraumatischen 8 Grundsätzliche Fakten über Mobbing Inhalt Suchen Hilfe Treffer Stresssyndrom ähnlich. Auch wird eine Schwächung des Immunsystems diskutiert. Insgesamt sind die Wechselwirkungen zwischen Mobbing und Gesundheit noch nicht ausreichend erforscht. Nach einer Studie des Technischen Überwachungs-Vereins TÜV Rheinland gehen ca. 20% der Selbstmorde in Deutschland auf Mobbing-Aktivitäten zurück. Nach Hinweisen aus Schweden (Recherchen der Kranken- und Rentenversicherungskassen sowie Schätzungen der Gewerkschaften) wird angenommen, dass ungefähr 5–10% der jährlichen neuen Mobbingfälle in ihrem Verlauf zu schweren seelischen Erkrankungen führen (Leymann 1995). Januar 2002 12 z 04 01 Ökonomische Folgen für Unternehmen und Gesellschaft Die durch Mobbing verursachten betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten sind hoch. Für den Betrieb ergeben sich Kosten durch Fehlzeiten, Fluktuation, Minderleistungen der Betroffenen. Untersuchungen in Deutschland haben gezeigt, dass von Mobbing Betroffene zuerst mit erhöhter Leistung reagieren, dann aber, wenn sie die Sinnlosigkeit ihres Bemühens einsehen, mit Minderleistung (innere Kündigung). Neben den betrieblichen Kosten entstehen der Gesellschaft hohe Kosten durch Heilbehandlung, Rehabilitation, Dauerarbeitslosigkeit oder Frühberentung. Schätzungen gehen davon aus, dass den Unternehmen Kosten in Höhe von 50 000 bis 150 000 DM pro Jahr und gemobbter Person entstehen. Andere Hochrechnungen gehen von einem gesamtwirtschaftlichen Schaden von über 100 Mio. DM in Deutschland aus (Kerst-Würkner 2001). Darin sind die Kosten enthalten, die von der Gesellschaft getragen werden müssen, wie z. B. höhere Renten- und Krankenver9 . . . bis zum Selbstmord Innere Kündigung Hohe Kosten für Betriebe und Gesellschaft 12 z 04 02 Erfahrungen aus der Mobbingberatung Inhalt Suchen Treffer Hilfe sicherungsbeiträge wegen zunehmender Frühberentung und steigenden Behandlungskosten. 12 z 04 | 02 Erfahrungen aus der Mobbingberatung Die rechtliche Grundlage Beschluss des Deutschen Ärztetags Auf dem 101. Deutschen Ärztetag von 1998 wurde dieser Beschluss verabschiedet: z« Missbrauch und Repression in hierarchischen Arbeitsverhältnissen In den Ärztekammern sollen Ansprechpartner für Mobbing-Fälle benannt werden. Diese verstehen sich zunächst als Schlichter, vertreten in ernsten Fällen den beantragenden Arzt im Sinne der Berufsordnung. Vertraulichkeit im Kontakt mit dem Arzt wird zugesichert, solange der Betroffene es wünscht. Umsetzung Heilberufsgesetz NRW Diesem Beschluss sind bis November 2001 die Ärztekammern Nordrhein, die Ärztekammer Hamburg, die Landesärztekammer Hessen, die Landesärztekammer RheinlandPfalz und die Ärztekammer Schleswig-Holstein gefolgt. Seit Januar 1999 werden in der Ärztekammer Nordrhein Mobbingberatungen durchgeführt. Schlichtung Rechtlichen Hintergrund bietet für Nordrhein-Westfalen der § 6 Abs. 1 Punkt 8 Heilberufsgesetz NRW vom 9. 5. 2000: 10 Erfahrungen aus der Mobbingberatung Inhalt Suchen 12 z 04 02 Hilfe Treffer z« (1) Aufgabe der Kammer ist: . . . 8. Für ein gedeihli- Januar 2002 ches Verhältnis der Kammerangehörigen untereinander zu sorgen und Streitigkeiten zwischen Kammerangehörigen sowie zwischen ihnen und Dritten, die aus der Beurfsausübung entstanden sind, zu schlichten, soweit nicht andere Stellen zuständig sind. Die Möglichkeit, ein gemeinsames Schlichtungsgespräch unter Moderation der Ärztekammer Nordrhein zu führen, wurde bisher kaum in Anspruch genommen. Die Gemobbten befürchten, dass die Einschaltung der Ärztekammer als Berufsaufsicht missverstanden wird im Sinne von „Anschwärzen“ und das Verhältnis zwischen Mobber und Gemobbten nachhaltig zerstört. Berufsrechtliche Prüfung Unabhängig von der Mobbingberatung kann bei der Rechtsabteilung der Ärztekammer ein Antrag auf berufsrechtliche Prüfung gestellt werden. Rechtsgrundlage hierfür bietet der § 29 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 18. 3. 2000. Der Antrag auf berufsrechtliche Prüfung ist schriftlich an die Rechtsabteilung zu stellen. Dem Beschuldigten wird die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Im Falle der Feststellung eines Verstoßes gegen die Berufsordnung können Sanktionen erfolgen (wie Mahnung, Rüge, Geldbuße, Berufsgerichtsverfahren). 11 Große Vorbehalte der Betroffenen Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte 12 z 04 02 Erfahrungen aus der Mobbingberatung Inhalt Suchen Treffer § 29 Kollegiale Zusammenarbeit (1) Ärztinnen und Ärzte haben sich untereinander kollegial zu verhalten . . . Unsachliche Kritik an der Behandlungsweise oder dem beruflichen Wissen einer Ärztin oder eines Arztes wie herabsetzende personenbezogene Äußerungen sind berufsunwürdig. (2) Es ist berufsunwürdig, eine Kollegin oder einen Kollegen aus der Behandlungstätigkeit oder als Mitbewerberin oder Mitbewerber um eine berufliche Tätigkeit durch unlautere Handlung zu verdrängen... Ebenso ist es berufsunwürdig, in unlauterer Weise eine Kollegin oder einen Kollegen ohne angemessene Vergütung oder unentgeltlich zu beschäftigen oder eine solche Beschäftigung zu bewirken oder zu dulden. (3) Ärztinnen und Ärzte, die Kolleginnen und Kollegen zu ärztlichen Verpflichtungen bei Patientinnen und Patienten heranziehen, denen gegenüber nur sie einen Liquidationsanspruch haben, sind verpflichtet, diesen Ärztinnen und Ärzten eine angemessene Vergütung zu gewähren. Angemessen ist die Beteiligung für den nachgeordneten ärztlichen Dienst, die nach Art und Umfang ein Äquivalent zur erbrachten Leistung unter Berücksichtigung zu leistender Kostenerstattung bzw. Nutzungsentgelte oder Kosten aufgrund ärztlicher Tätigkeit durch die oder den Liquidationsberechtigten darstellt. Im Streitfall hat die oder der Liquidationsberechtigte die Angemessenheit darzulegen. (4) In Gegenwart von Patientinnen oder Patienten oder anderen Personen sind Beanstandungen der ärztlichen Tätigkeit und zurechtweisende Belehrungen zu unterlassen. Das gilt auch im Verhältnis von Vorgesetzten und Nachgeordneten und für den Dienst in Krankenhäusern. (5) Die zur Weiterbildung befugten Ärztinnen und Ärzte haben im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die weiterzubildenden ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unbeschadet deren Pflicht, sich selbst um eine Weiterbildung zu bemühen, in dem gewählten Weiterbildungsgang nach Maßgabe der Weiterbildungsordnung weiterzubilden. 12 Hilfe Erfahrungen aus der Mobbingberatung Inhalt Suchen Hilfe Treffer Januar 2002 Ablauf und Gegenstand der Beratung Ratsuchende Ärztinnen und Ärzte nehmen in der Regel zunächst telefonisch Kontakt mit den Mobbing-Ansprechpartnerinnen auf. Der überwiegende Teil der Kolleginnen/Kollegen und möchte zunächst allein die telefonische Beratung in Anspruch nehmen, etwa ein Viertel wünscht einen persönlichen Beratungstermin in der Ärztekammer Nordrhein. In diesem Fall wird nach telefonischer Kurzschilderung des Problems ein Termin in der Ärztekammer Nordrhein vereinbart. Bis 31.8.2001 wurden insgesamt 179 Beratungsgespräche durchgeführt, wobei 119 nur telefonisch stattfanden. Die 60 persönlichen Beratungen in der Kammer lassen sich stichwortartig wie folgt gliedern. z z z Alter — bis 35 Jahre: 12 — 36–45 Jahre: 30 — 46–55 Jahre: 9 — älter als 56 Jahre: 9 Berufliche Position — Assistenzarzt: 18 — Chefarzt: 1 — Facharzt: 21 — Oberarzt: 19 — niedergelassener Arzt: 1 Mobber (Mehrfachnennung möglich) — Vorgesetzter: 50 — Gleichgestellte: 13 — Personal: 4 — Verwaltung: 3 z z z z z 12 z 04 02 Telefonische oder persönliche Beratung Statistik der persönlichen Beratungsgespräche der Ärztekammer Nordrhein Zeitraum des Mobbens — weniger als 1 Jahr: 9 — 1–3 Jahre: 39 — 3–6 Jahre: 8 — mehr als 6 Jahre: 3 — nicht bekannt: 1 Einrichtung: — Praxis-Teilhaber: 1 — Praxis-Angestellter: 2 — Klinik: 49 — Gesundheitsamt: 5 — sonstige Institutionen: 3 Klage über Krankheitssymptome: 10 Arbeitsunfähig geschrieben: 20 Arbeitsverhältnis — beendet: 5 — soll beendet werden: 25 13 12 z 04 02 Erfahrungen aus der Mobbingberatung Inhalt Aspekte der Beratung Suchen Treffer Hilfe Alle Telefonate und persönlichen Gespräche werden von der Ärztekammer vertraulich behandelt. Es erfolgt keinerlei Kontaktaufnahme oder Intervention. Wünscht eine Kollegin oder ein Kollege das Einschreiten der Ärztekammer (berufsrechtliche Überprüfung, Schlichtungsverfahren usw.), muss dies bei der Ärztekammer schriftlich beantragt werden. Die Mobbingberatung bei der Ärztekammer Nordrhein erfolgt unter Berücksichtigung folgender Aspekte: z Herausarbeiten des Problems; ist Mobbing das primäre Problem oder stehen Organisationmängel, arbeitsoder berufsrechtliche Probleme, Probleme mit der Weiterbildung etc. im Vordergrund? z Gemeinsame Überlegung, durch welche Maßnahmen (z. B. organisatorische Maßnahmen in der Arbeitsplanung der Abteilung bzw. des Hauses, Gesprächsführung etc.) Verbesserung erreicht werden könnte. z Beratung bezüglich weiterer Vorgehensweise (z. B. Empfehlung eines persönlichen Gespräches oder schriftliche Äußerung gegenüber „Mobber“ und/oder an Klinikleitung, Betriebsrat etc. durch den „Gemobbten“). z Bei Problemen mit der Weiterbildung besteht bei der Ärztekammer Nordrhein die Möglichkeit, einen Ombudsmann einzuschalten. z Einleitung eines Schlichtungsgespräches zwischen den Beteiligten und der Ärztekammer (nur auf der Grundlage eines schriftlichen Antrags). z Stehen berufsrechtliche Fragen im Vordergrund, kann über die juristische Abteilung der Ärztekammer Nordrhein eine berufsrechtliche Überprüfung und ggf. Einleitung berufsrechtlicher Maßnahmen (nur auf der Grundlage eines schriftlichen Antrags) eingeleitet werden. 14 Erfahrungen aus der Mobbingberatung Inhalt Januar 2002 z Suchen 12 z 04 02 Hilfe Treffer Stehen arbeitsrechtliche Aspekte stehen im Vordergrund, wird den Betroffenen ggf. die Einschaltung eines Rechtsanwaltes oder des Marburger Bundes durch den Betroffenen empfohlen. Die Ärztekammer Nordrhein darf selbst keine arbeitsrechtlichen Beratungen durchführen. Problemfelder Auf Grund der bisher geführten Mobbing-Gespräche lassen sich folgende Problemfelder erkennen: z Es zeigte sich, dass Ärzte der unterschiedlichsten Fachgebiete betroffen sind, vorwiegend Klinikärzte, aber auch in Praxen oder anderen Institutionen des Gesundheitswesens tätige Kolleginnen/Kollegen. z Erschreckend ist, dass in vielen Fällen nicht nur keine Unterstützung des Opfers durch den Vorgesetzen erfahren wurde, sondern dass das Mobbing vom Vorgesetzten ausging. z In der Regel handelt es sich um hierarchische Arbeitsverhältnisse mit Abhängigkeit des „Gemobbten“. Ein Arbeitsplatzwechsel wird auf Grund der Arbeitsmarktsituation als schwierig beschrieben. z Die Schwelle, eine Mobbing-Beratung anzunehmen, liegt relativ hoch. In ca. 80% der Fälle betrug die Zeitspanne zwischen Beginn des Mobbing und Kontaktaufnahme mit den Mobbing-Ansprechpartner/innen mehr als ein Jahr. Das bedeutet, dass die Situation häufig festgefahren ist und bereits zu erheblichen psychischen Belastungen (in einem Drittel unserer Fälle auch zu teilweise langfristigen Krankschreibungen) geführt hat. z Einige der telefonisch avisierten Mobbing-Gespräche wurden abgesagt, da ein Arbeitsplatzwechsel vor15 Vorwiegend Klinikärzte 12 z 04 03 Maßnahmen gegen Mobbing Inhalt Suchen z z 12 z 04 | 03 Große „Leidensbereitschaft“ in der Weiterbildung und bei älteren Kollegen Treffer Hilfe genommen wurde. Wenn möglich, scheinen sich die „Gemobbten“ durch Arbeitsplatzwechsel der Situation zu entziehen. Es wird häufig die Sorge geäußert, dass der „Mobber“ von der Kontaktaufnahme mit der Ärztekammer erfährt und sich die Situation des „Gemobbten“ dadurch noch verschärft. Daher werden auch die häufig bestehenden arbeitsund berufsrechtlichen Möglichkeiten des Einschreitens nicht ausgeschöpft. Aus dem Arbeitsrecht ergibt sich z. B. eine allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (in den USA sind bereits Urteile rechtskräftig, die den Arbeitgeber zu Schmerzensgeldzahlungen wegen Krankheit durch Mobbing verpflichten, da der Arbeitgeber trotz entsprechender Hinweise durch das Mobbing-Opfer keine Änderung der Arbeitssituation herbeigeführt hat), nähere Regelungen finden sich im Arbeitssicherheitsgesetz, Arbeitszeitgesetz usw. Maßnahmen gegen Mobbing Allgemeine Maßnahmen Mobbing entsteht in aller Regel nicht „von heute auf morgen“. In unseren Beratungsgesprächen zeigte sich immer wieder, dass viele Betroffene die Situation lange „aushielten“, weil sie glaubten, es würde sich wieder beruhigen oder weil sie einer Konfrontation aus dem Weg gehen wollten. Gerade in der Zeit der Weiterbildung ist die Abhängigkeit von Wohlwollen des Vorgesetzten besonders groß und damit die Tendenz, die Arbeitssituation zu ertragen. Auch ältere Kollegen, die für sich keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt sehen, sind oft lange bereit, Repressionen und Schikanen zu ertragen. 16 Maßnahmen gegen Mobbing Inhalt Suchen Hilfe Treffer z! Unsere Erfahrungen in der Mobbingberatung aber ha- ben gezeigt, dass es nicht weiterführt, die gegen sich gerichteten Mobbinghandlungen zu „übersehen“ und zu hoffen, dass sich die Situation „totläuft“. Durch dieses Verhalten bringt man sich noch mehr in die Rolle des Mobbingopfers. Januar 2002 12 z 04 03 Es sollte bei den ersten Missstimmigkeiten eine Analyse des Problems möglichst mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam erfolgen, um die eigene Einschätzung zu objektivieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Sinnvoll ist es auch, sich im Kollegenkreis frühzeitig Unterstützung zu sichern (s. a. Kap. 3.05.02) z Wichtig ist es, Mobbingverhalten schon frühzeitig anzusprechen. Wird im Rahmen des Mobbings z. B. mit der Einteilung zu Diensten, mit der Gewährung von Urlaub, mit der Gewährung von Fortbildung usw. gezielt belohnt bzw. bestraft, sollte möglichst gemeinsam mit Kollegen und Vorgesetzten versucht werden, eine allgemeingültige Regelung zur Gewährung von Urlaub, Fortbildungen, Einteilung zu Diensten etc. herbeizuführen. z In Fällen von fortgesetztem Mobbing kann die Erstellung von „Mobbing-Protokollen“ sinnvoll sein (siehe hierzu den Anhang, vor allem die 10. Aufzählung des Urteils vom 15. 2. 2001). z In Fällen von mobbingbedingter Krankheit sollte das ärztliche Attest Angaben zur Mobbinghandlung enthalten. Mobbing als solches ist keine Krankheit. Jedoch sollte die ärztliche Diagnose eine Aussage über Mobbing als Ursache enthalten (z. B. im Sinne eines „Mobbing-Syndroms“, zur Beweislage siehe die Urteile des LAG Thüringen im Anhang). 17 Verdrängen verschlimmert Rasche Thematisierung Mobbing-Protokolle Ärztliches Attest 12 z 04 03 Maßnahmen gegen Mobbing Inhalt Verstöße gegen das faire Miteinander Suchen Treffer Hilfe Möglichkeiten des Vorgesetzten Weil gerade im Krankenhaus der fachliche Bereich so im Vordergrund steht, ist der Vorgesetzte der Meinung, dass Konflikte der Mitarbeiter ihn nichts angehen, da die Mitarbeiter diese selbst untereinander regeln sollen. Auch meinen manche Vorgesetzte, „harte und deutliche“ Worte im Umgang mit Mitarbeitern würden nicht schaden, denn „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Unachtsamkeit, Ignoranz oder fehlverstandenes Führungsverhalten führt so zu einem Verstoß gegen das „Fair Play“. Den Preis mangelnder Fairness beschreiben Chan Kim u. Mauborgne (1998) wie folgt: z« Sind Menschen wegen Verletzungen der Fairness bereits so verärgert, dass sie sich zu organisiertem Protest gedrängt fühlen, gehen ihre Ansprüche oft über ein vernünftiges Maß hinaus bis zu dem, was Theoretiker vergeltende Gerechtigkeit nennen: Dann wollen Menschen nicht nur wieder faire Verfahrensweisen wiedereingesetzt sehen, sondern trachten auch nach Bestrafung und Vergeltung. z! Dieser Mechanismus wird auch in einigen der von uns geführten Beratungsgespräche deutlich, in denen nicht von Mobbing gegenüber einzelnen Personen berichtet wird, sondern der Verstoß des Chefs gegen Fair Play geschildert wird. Der Protest der „Mannschaft“ kann seinen Ausdruck z. B. auch in „Massenkündigungen“, die eine ganze Abteilung lahmlegen können, finden. 18 Maßnahmen gegen Mobbing Inhalt Suchen Hilfe Treffer Grundsätzlich liegt es daher auch im Interesse des Vorgesetzten, sich um Konfliktvermeidung im Vorfeld zu bemühen. Er sollte seinen Mitarbeitern klar machen, dass ihm ein gutes Arbeitsverhältnis wichtig ist, er Mobbingverhalten in seiner Abteilung nicht duldet, für auftretende Probleme in seiner Abteilung immer ein offenes Ohr hat und das Mobbingverhalten für den Mobber negative Konsequenzen haben kann (Abmahnung, Versetzung usw.). Zur Konfliktvermeidung im Vorfeld gehört auch, konfliktträchtige Bereiche wie Einteilung der Urlaubs- und Dienstpläne, Gewährung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Einteilung zu weiterbildungsrelevanten Tätigkeiten (OP-Plan) usw. im Vorfeld (z. B. im Rahmen einer Betriebsvereinbarung) zu regeln. Januar 2002 12 z 04 03 Möglichkeiten von Betriebsrat, Personalrat, Mitarbeitervertretung Betriebsrat, Personalrat bzw. Mitarbeitervertretung stellen die Interessenvertretung der Beschäftigten dar. Sie haben u. a. die Aufgabe, z darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Vorschriften und Dienstvereinbarungen usw. durchgeführt werden, z Maßnahmen zu beantragen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen (z. B. die Einführung einer Dienstvereinbarung, Beantragung einer Mediation, Moderation, Supervision etc.), z Anregungen von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf Erledigung hinzuwirken. Das Einschalten der Interessenvertretung der Beschäftigten sollte frühzeitig in Erwägung gezogen werden. Das 19 Konfliktvermeidung im Vorfeld Aufgaben der Interessenvertretung 12 z 04 03 Maßnahmen gegen Mobbing Inhalt Fehlende ärztliche Interessenvertreter bedeuten großen Nachteil Aufgaben Chance der „kollegialen Vertraulichkeit“ Mediator, Moderator Suchen Treffer Hilfe Zugehen auf die Interessenvertretung der Mitarbeiter wurde in den Fällen als schwierig beschrieben, in denen kein ärztliches Mitglied der Interessenvertretung angehört. Möglichkeiten des Betriebsarztes Betriebsärzte haben die Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Dazu gehört sowohl die Beratung des Arbeitgebers zu arbeitspsychologischen Fragen als auch die Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen zu untersuchen, festgestellte Mängel dem Arbeitgeber mitzuteilen, Maßnahmen zur Beseitigung der Mängel vorzuschlagen und auf ihre Durchführung hinzuwirken. Unserer Erfahrung nach sind ein Drittel der „Gemobbten“ krank geschrieben, einige davon langfristig. Über durch Mobbing hervorgerufene Probleme wie Schlaflosigkeit, innere Unruhe, Magenbeschwerden klagen über 90%. Der Betriebsarzt nimmt eine Sonderstellung in einem Krankenhaus ein. Er hat in der Regel keinen direkten Vorgesetzten, ist damit nicht in die Hierarchie eines Hauses eingebunden. Er ist an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Ein Kontakt von „Kollege zu Kollege“ ist für den Gemobbten häufig leichter als zu der Interessenvertretung. Externe Hilfsangebote In vielen Fällen ist es sinnvoll, eine festgefahrene Situation durch objektive Dritte beurteilen und vermitteln zu lassen. Hauptberufliche Mediatoren bzw. Moderatoren bieten hierzu ihre Dienste an. Teilweise sind auch Betriebsärzte hierin fortgebildet. Sie versuchen in gemein20 Maßnahmen gegen Mobbing Inhalt Suchen 12 z 04 03 Hilfe Treffer Januar 2002 samen Gesprächen mit den Betroffenen Lösungen zu entwickeln. Sind Gesprächsversuche mit dem Mobber nicht fruchtbar verlaufen, sollte daher ein schriftlicher Antrag an die Verwaltung gestellt werden, in dem die Problematik geschildert und um Einschaltung eines Mediators oder Moderators gebeten wird. Betriebsvereinbarung („Anti-Mobbingvereinbarungen“) in Betrieben und Krankenhäusern In unseren Beratungen hat sich oft gezeigt, dass in den Krankenhäusern und Kliniken keine „Strukturen“ gegen das Mobbing existieren. Der Betroffene weiß nicht, an wen er sich mit seinen Problemen wenden soll. Hier zeigt es sich, dass die Festlegung eines Verhaltenscodexes sowie die Beschreibung der Rahmenbedingungen, an die sich Vorgesetzte und Mitarbeiter zu halten bereit erklären, sinnvoll ist. Die Regeln können in einer Betriebsvereinbarung niedergelegt werden. Betriebsvereinbarungen sind freiwillige Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Sie gelten für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes unmittelbar und zwingend. Sie bieten die Möglichkeit, Rahmenbedingungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festzulegen, die ein einvernehmliches Miteinander fördern. Für den Bereich der Krankenhäuser erarbeitet die Ärztekammer Nordrhein derzeit in Abstimmung mit dem Marburger Bund eine Muster-Betriebsvereinbarung, die speziell den Problemen im ärztlichen Tätigkeitsfeld Rechnung tragen soll. Hierin werden Problemfelder, die unserer Erfahrung nach häufigen Anlass zu Unstimmigkeiten bieten, wie Einteilung der Urlaubs- und Dienstpläne, Gewährung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Einteilung zu weiterbildungsrelevanten Tätigkeiten (OP21 Es fehlen „Strukturen“ gegen das Mobbing Betriebsvereinbarungen MusterBetriebsvereinbarung 12 z 04 04 Rechtliche Aspekte des Mobbens Inhalt Suchen Treffer Hilfe Plan) usw. angesprochen. Die Muster-Betriebsvereinbarung kann nach Fertigstellung auf der Homepage der Ärztekammer Nordrhein (www.aekno.de) abgerufen werden. 12 z 04 | 04 Rechtliche Aspekte des Mobbens Berufs- und arbeitsrechtliche Probleme In vielen Mobbingfällen liegen gleichzeitig berufsrechtliche und arbeitsrechtliche Probleme vor. Die berufsrechtliche Prüfung wird durch die juristische Abteilung der Ärztekammern durchgeführt. Hierzu bedarf es eines schriftlichen Antrages. In Mobbing-Fällen mit gleichzeitiger arbeitsrechtlicher Problematik, z. B. Kündigungsschutzklagen, sollte anwaltlicher Beistand gesucht werden! Ein klassischer Mobbingfall mit arbeitsrechtlicher Problematik, der auch in der Mobbing-Beratung der Ärztekammer Nordrhein wiederholt vorgetragen wurde, soll hier beispielhaft vorgestellt werden. Ein Oberarzt soll nach Chefarztwechsel zur Kündigung gedrängt werden und wird von seinem neuen Chef mit Aufgaben betraut, die normalerweise ein Assistenzarzt in den ersten Weiterbildungsjahren ausübt (z. B. Oberarzt der Chirurgie, der zur Platzwundenversorgung in der Ambulanz eingeteilt wird). Diese Arbeit wird vom Oberarzt als demütigend empfunden und im Sinne von Mobbing verstanden. Hierzu hat es einen gerichtlichen Entscheid gegeben, der es der Klinikleitung verbietet, einen Oberarzt zu typischen Assistenzarzt-Tätigkeiten heranzuziehen (s. Urteil des LAG Baden-Württemberg im Anhang). Beispielfall Anrufung von Gerichten bei Mobbing Bei dem Begriff „Mobbing“ handelt es sich nicht um einen eigenständigen juristischen Tatbestand. „Mobbing“ 22 Rechtliche Aspekte des Mobbens Januar 2002 Inhalt Suchen 12 z 04 04 Hilfe Treffer ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, d. h. es muss im Einzelfall eine Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang allgemein Üblichen oder rechtlich Erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhalten und dem im Einzelfall Unzulässigen getroffen werden. Die Anrufung von Gerichten im Falle von Mobbing kann im Gegensatz zur sonstigen arbeitsrechtlichen Problematik nur als allerletztes Mittel betrachtet werden. Zunächst sollte Maßnahmen wie Einschaltung der Personalvertretung, Betriebsarzt, Mediation, Versuch der Schlichtung (z. B. über die Ärztekammer), Betriebsvereinbarung etc. Vorrang gegeben werden. Die rechtliche Auseinandersetzung kann in der Regel (auch bei gewonnenem Arbeitsstreit) den Arbeitsfrieden nicht wiederherstellen, sondern z. B. einen finanziellen Ausgleich schaffen. Der Arbeitsplatz ist also häufig verloren. Dennoch gibt es Fälle, in denen die Erwägung rechtlicher Schritte erforderlich ist. Das Thüringer Landesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen zum Thema Mobbing grundlegend Stellung bezogen. Da hier der Begriff Mobbing erstmalig rechtlich gewürdigt wurde, sind die Mobbing-Urteile im Anhang vorgestellt. Im ersten Fall (Urteil vom 10. 4. 2001) handelt es sich um einen Sparkassenleiter, der im Rahmen eines Mobbinggeschehens mit den Tätigkeiten eines Sachbearbeiters sowie unsinnigen Tätigkeiten beauftragt wurde und mit Erfolg auf Unterlassung klagte. Im zweiten Fall (Urteil vom 15. 2. 2001) handelt es sich um einen Vorgesetzten, der einen ihm unterstellten Arbeiter durch Mobbing zum Suizid-Versuch trieb. Dem Mobber wurde fristlos gekündigt, seine anschließende Kündungsschutzklage wurde abgewiesen. 23 „Mobbing“ als unbestimmter Rechtsbegriff Der prozessuale Weg ist „dornig“ 12 z 04 04 Rechtliche Aspekte des Mobbens Inhalt Suchen Treffer z zusammenfassung Mobbing stellt ein zunehmendes Problem in Einrichtungen des Gesundheitswesens dar. Es belastet dabei nicht nur das Arbeitsklima und das Wohlbefinden Einzelner, sondern verursacht durch hohe Fluktuation, hohen Krankenstand und verminderte Arbeitsleistung des Einzelnen betriebswirtschaftliche Kosten in der Größenordnung von 50 000 bis 150 000 DM pro gemobbter Person und Jahr. Die Rechtsprechung nimmt sich zunehmend der Mobbing-Problematik an, inzwischen stärken Urteile die Position des Gemobbten. Der Arbeitgeber als Vertragspartner haftet z. B. bei Schadensersatzansprüchen Gemobbter. Das Problem Mobbing sollte daher ernst genommen werden. Präventiv wirksam sind dabei — hohe soziale Kompetenz des Vorgesetzten — klare Aussage zur Betriebsmoral — sowie transparente Organisationsstrukturen. Vorbeugend empfiehlt sich z. B. die Einführung von Betriebsvereinbarungen. Bei existenten Mobbing-Problemen ist es hilfreich, sich externer Hilfen von Moderatoren, Mediatoren und Supervision zu bedienen. 24 Hilfe Rechtliche Aspekte des Mobbens Inhalt Suchen 12 z 04 04 Hilfe Treffer Literatur Januar 2002 Bauer D (2000) Krank durch Mobbing im Betrieb. In: Bödecker AW (Hrsg) Mobbing – vom Erleben zur Krankheit. Martina Galunder Verlag, Nümbrecht Bundesarbeitsgericht (1997) Urteil vom 15.1.1997. Der Betrieb: 1475 Chan Kim W, Mauborgne R (1998) Mit Fairness führen: Warum rücksichtsvolle Chefs erfolgreicher sind. Harvard Business Manager 1: 60–70 Kerst-Würkner B (2001) Das schleichende Gift „Mobbing“ und die Gegenarznei. Arbeit + Recht 7: 251–261 Leymann H (1993) Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann. Rowohlt, Reinbek Leymann H (Hrsg) (1995) Der neue Mobbing-Bericht: Erfahrungen und Initiativen, Auswege und Hilfsangebote. Rowohlt, Reinbek 25 12 z 04 Anhang Inhalt Suchen Treffer Hilfe Anhang: Urteile Musterentscheidung Versetzung als Mobbing sanktioniert Verpflichtung des Arbeitgebers Urteil des LAG Thüringen vom 10. 4. 2001, Az. 5 Sa 403/2000 Am 10. 4. 2001 hat das Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG) in einer Musterentscheidung zu dem in der Rechtsprechung bislang nicht grundlegend erfassten Bereich des Mobbing am Arbeitsplatz im Rahmen einer einstweiligen Verfügung umfassend Stellung bezogen. In dem Fall ging es um einen Sparkassenleiter, der als Mobbing-Opfer mit unsinnigen Tätigkeiten beauftragt wurde und im Rahmen einer einstweiligen Verfügung die Unterlassung bewirkte. Das Gericht wertete die Versetzung des Klägers als Bestandteil eines gegen den Kläger gerichteten systematischen Mobbings, durch das dieser zur freiwilligen Aufgabe seines Arbeitsplatzes gebracht werden sollte. Das Thüringer LAG sah in diesem Vorgehen der Beklagten einen schweren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie in die Gesundheit des Klägers. Es entschied, dass ein solches Mobbing unter Androhung von 50 000 DM Ordnungsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung mit einem im Eilverfahren durchsetzbaren Unterlassungsanspruch abgewehrt werden kann. Leitsätze aus diesen Verfahren 1. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeitsoder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder Dritte, auf die er einen Einfluss hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern. Zur Einhaltung dieser Pflichten kann 26 12 z 04 Anhang Januar 2002 Inhalt Suchen Hilfe Treffer der Arbeitgeber als Störer nicht nur dann in Anspruch genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen wird. 2. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers kann nicht nur im Totalentzug der Beschäftigung, sondern auch in einer nicht arbeitsvertragsgemäßen Beschäftigung liegen. Eine solche Rechtsverletzung liegt vor, wenn der Totalentzug oder die Zuweisung einer bestimmten Beschäftigung nicht bloß den Reflex einer rechtlich erlaubten Vorgehensweise darstellt, sondern diese Maßnahmen zielgerichtet als Mittel der Zermürbung eines Arbeitnehmers eingesetzt werden, um diesen selbst zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bringen. 3. Aus dem Umstand, dass bloß für einen vorübergehenden Zeitraum in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen wird oder dem Arbeitnehmer dadurch keine finanziellen Nachteile entstehen, kann kein diesen Eingriff rechtfertigendes, überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers hergeleitet werden. 4. Bei dem Begriff „Mobbing“ handelt es sich nicht um einen eigenständigen juristischen Tatbestand. Die rechtliche Einordnung der unter diesen Begriff zusammenzufassenden Verhaltensweisen beurteilt sich ausschließlich danach, ob diese die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rechtsvorschrift erfüllen, aus welcher sich die gewünschte Rechtsfolge herleiten lässt. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff „Mobbing“ gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung Verhaltensweisen zugänglich zu machen, die bei isolierter 27 Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers Kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers Zum Begriff „Mobbing“ 12 z 04 Anhang Inhalt Anhaltspunkte für das Vorliegen von „Mobbing“ Abhilfe der Beweisnot des Betroffenen Suchen Treffer Hilfe Betrachtung der einzelnen Handlungen die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-, Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite des Falles angemessenen Umfang erfüllen können. 5. Ob ein Fall von „Mobbing“ vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang im Allgemeinen üblichen oder rechtlich erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhalten erforderlich. Im arbeitsrechtlichen Verständnis erfasst der Begriff des „Mobbing“ fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach Art und Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen. Ein vorgefasster Plan ist nicht erforderlich. Eine Fortsetzung des Verhaltens unter schlichter Ausnutzung der Gelegenheiten ist ausreichend. Zur rechtlich zutreffenden Einordnung kann dem Vorliegen von falltypischen Indiztatsachen (mobbingtypische Motivation des Täters, mobbingtypischer Geschehensablauf, mobbingtypische Veränderung des Gesundheitszustands des Opfers) eine ausschlaggebende Rolle zukommen, wenn eine Konnexität zu den von dem Betroffenen vorgebrachten Mobbinghandlungen besteht. Ein wechselseitiger Eskalationsprozess, der keine klare TäterOpfer-Beziehung zulässt, steht regelmäßig der Annahme eines Mobbingsachverhaltes entgegen. 6. Die vielfach dadurch entstehende Beweisnot des Betroffenen, dass dieser allein und ohne Zeugen Verhaltensweisen ausgesetzt ist, die in die Kategorie Mobbing ein28 Anhang Inhalt Suchen 12 z 04 Hilfe Treffer Januar 2002 zustufen sind, ist durch eine in Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und damit den Grundsätzen eines fairen und auf Waffengleichheit achtenden Verfahrens entsprechende Anwendung der §§ 286, 448, 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO auszugleichen. Dabei muss die im Zweifel erforderliche Anhörung einer Partei bei der gerichtlichen Überzeugungsbildung berücksichtigt werden. Urteil des LAG Thüringen vom 15. 2. 2001, Az. 5 Sa 102/2000 Am 15.2.2001 hat das Thüringer Landesarbeitsgericht die Berufung eines Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Eisenach zurückgewiesen. Dem Kläger war von seinem Arbeitgeber ohne Abmahnung fristlos gekündigt worden, da er durch Mobbing-Handlungen einen ihm unterstellten Kollegen in einen Suizid-Versuch getrieben hatte. Gegen die fristlose Kündigung hatte der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben, die jedoch zurückgewiesen wurde. Leitsätze aus diesen Verfahren 1. Der Staat, der Mobbing in seinen Dienststellen und in der Privatwirtschaft zulässt oder nicht ausreichend sanktioniert, kann sein humanitäres Wertesystem nicht glaubwürdig an seine Bürger vermitteln und gibt damit dieses Wertesystem langfristig dem Verfall preis. Entsprechend dem Verfassungsauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG muss die Rechtsprechung in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung, in Verantwortung gegenüber dem Bestandsschutz der verfassungsmäßigen Wertordnung und zur Gewährleistung der physischen und psychischen Unversehrtheit der im Arbeitsleben stehenden Bürger gegenüber Mobbing ein klares Stoppsignal setzen. 29 Niederwerfung der Klage eines „Mobbers“ Staat muss Betroffene schützen 12 z 04 Anhang Inhalt Auch kein „Freibrief“ für Arbeitnehmer Schutz des Arbeitgebers Konkretisierung des Schadens für den Arbeitgeber Suchen Treffer Hilfe 2. Auch die Arbeitnehmer sind in der Konsequenz des von der Verfassung vorgegebenen humanitären Wertesystems verpflichtet, das durch Art. 1 und 2 GG geschützte Recht auf Achtung der Würde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit der anderen bei ihrem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer nicht durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- und Freiheitssphäre zu verletzen. 3. Zur Achtung der Persönlichkeitsrechte der ArbeitskollegInnen sind die Arbeitnehmer eines Betriebes unabhängig von den Ausstrahlungen der Verfassung auf die zwischen den Bürgern bestehenden Rechtsverhältnisse auch deshalb verpflichtet, weil sie dem Arbeitgeber keinen Schaden zufügen dürfen. 4. Aufgrund von Mobbinghandlungen kann ein solcher Schaden für den Arbeitgeber u. a. deshalb entstehen, weil für den von dem Mobbing betroffenen Arbeitnehmer – abhängig von den Umständen des Einzelfalles – nach § 273 Abs. 1 BGB die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung, die Ausübung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung mit anschließendem Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB, unabhängig von der Ausübung eines solchen Kündigungsrechts die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Schadensersatz wegen dessen eigener Verletzung von Organisations- und Schutzpflichten (positive Vertragsverletzung, § 823 Abs. 1 BGB) oder nach den hierfür einschlägigen Zurechnungsnormen des Zivilrechts (§§ 278, 831 BGB) für das Handeln des Mobbingtäters in Betracht kommen und bei Vorliegen der Zurechnungsvoraussetzungen des § 831 BGB grundsätzlich auch Schmerzensgeldansprüche gegen den Arbeitgeber gerichtet werden können. 5. Das sog. Mobbing kann auch ohne Abmahnung und unabhängig davon, ob es in diesem Zusammenhang zu 30 Anhang Januar 2002 Inhalt Suchen 12 z 04 Hilfe Treffer einer Störung des Betriebsfriedens gekommen ist, die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Mobbingopfers in schwerwiegender Weise verletzt werden. Je intensiver das Mobbing erfolgt, um so schwerwiegender und nachhaltiger wird die Vertrauensgrundlage für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses gestört. Muss der Mobbingtäter erkennen, dass das Mobbing zu einer Erkrankung des Opfers geführt hat und setzt dieser ungeachtet dessen das Mobbing fort, dann kann für eine auch nur vorübergehende Weiterbeschäftigung des Täters regelmäßig kein Raum mehr bestehen. 6. Für die Einhaltung der für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bestehenden zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB kommt es bei einer mobbingbedingten außerordentlichen Kündigung entscheidend auf die Kenntnis desjenigen Ereignisses an, welches das letzte, den Kündigungsentschluss auslösende Glied in der Kette vorangegangener weiterer, in Fortsetzungszusammenhang stehender Pflichtverletzungen bildet. 7. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff „Mobbing“ gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung Verhaltensweisen zugänglich zu machen, die bei isolierter Betrachtung der einzelnen Handlung die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-, Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite des Falles angemessenen Umfang erfüllen können. Wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen Mobbingkomplex vorliegen, ist es zur Vermeidung von Fehlentscheidungen erforderlich, diese in die rechtliche Würdigung mit einzubeziehen. Kündi31 Dem Mobber darf außerordentlich gekündigt werden Zur Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung Juristische Erfassung von „Mobbing“ 12 z 04 Anhang Inhalt Zwar ist Mobbing ohne medizinischen Befund justiziabel . . . . . . aber Vorliegen eines Befunds hat große Auswirkung Suchen Treffer Hilfe gungsrechtlich bedeutet dies, dass die das Mobbing verkörpernde Gesamtheit persönlichkeitsschädigender Handlungen als Bestandteil einer einheitlichen Arbeitsvertragsstörung sowohl den sachangemessenen Anknüpfungspunkt und Grund für den Ausspruch einer Kündigung als auch die Grundlage für deren gerichtliche Überprüfung bildet. 8. Da es aus rechtlicher Sicht bei Mobbing um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und/oder der Ehre und/oder der Gesundheit geht und die in Betracht kommenden Rechtsfolgen das Vorliegen eines bestimmten medizinischen Befundes nicht in jedem Fall voraussetzen, ist jedenfalls für die juristische Sichtweise nicht unbedingt eine bestimmte Mindestlaufzeit oder wöchentliche Mindestfrequenz der Mobbinghandlungen erforderlich. 9. Unabhängig davon, ob es bei der gerichtlichen Prüfung um eine Kündigung, Abwehr- oder Schadensersatzansprüche geht, kann allerdings das Vorliegen eines „mobbingtypischen“ medizinischen Befundes erhebliche Auswirkungen auf die Beweislage haben: Wenn eine Konnexität zu den behaupteten Mobbinghandlungen feststellbar ist, muss das Vorliegen eines solchen Befundes als ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen werden. Die jeweilige Ausprägung eines solchen Befundes kann ebenso wie eine „mobbingtypische“ Suizidreaktion des Opfers im Einzelfall darüber hinaus Rückschlüsse auf die Intensität zulassen, in welcher der Täter das Mobbing betrieben hat. Wenn eine Konnexität zu feststehenden Mobbinghandlungen vorliegt, dann besteht eine von der für diese Handlungen verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person zu widerlegende tatsächliche Vermutung, dass diese Handlungen 32 Anhang Januar 2002 Inhalt Suchen 12 z 04 Hilfe Treffer den Schaden verursacht haben, den die in dem medizinischen Befund attestierte Gesundheitsverletzung oder die Suizidreaktion des Opfers zur Folge hat. 10. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Wahrung des Rechtsfriedens erfordern für die Durchführung von Gerichtsverfahren Regeln, die unabhängig von der Komplexität von Sachverhalten und ohne Ansehen der für die Justiz durch das Verfahren entstehenden Belastungen, der Durchsetzung des materiellen Rechts und damit der Gerechtigkeit Geltung verschaffen. Bei einem sich über einen unbestimmten Zeitraum erstreckenden Geschehen, wie es z. B. bei Mobbing der Fall ist, kann von dem Betroffenen nicht ohne weiteres erwartet werden, dass er ohne Rückgriff auf ggf. tagebuchartig zu führende Aufzeichnungen zu einer vollständigen und damit wahrheitsgemäßen Aussage in der Lage ist, sei es, dass er als Partei in einem von ihm selbst betriebenen Mobbingschutzprozess nach § 141 ZPO angehört oder nach § 448 ZPO vernommen wird oder sei es, dass er als Zeuge in einem den Täter des Mobbings betreffenden Kündigungsschutzprozess aussagen muss. Bei der Aussage über länger zurückliegende Ereignisse kann deshalb ein Zeuge oder eine Partei auf seine bzw. ihre im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesen Ereignissen zur Gedächtnisstütze gefertigten Notizen und erst recht auf eine zu diesem Zweck gefertigte eidesstattliche Versicherung Bezug nehmen, wenn die Nichtgestattung der Bezugnahme auf eine Verhinderung der Beweisführung hinausliefe und diese Schriftstücke zu den Akten gereicht werden oder sich bereits dort befinden. Zur Ausschließung der schriftlichen Vorbereitung einer zum Zwecke der Wahrheitsverschleierung dienenden „Aussagekosmetik“ oder von dritter Seite vorformulierter Aussagen muss 33 Zur Bedeutung und Glaubwürdigkeit von Zeugen, Aufzeichnungen usw. 12 z 04 Anhang Inhalt Suchen Treffer Hilfe allerdings die vorzunehmende Glaubwürdigkeitsprüfung einem besonders strengen Maßstab unterworfen werden. Dabei kommt es insbesondere auf die Umstände des Zustandekommens der schriftlichen Aufzeichnungen an, die ggf. durch gerichtliche Rückfragen und Vorhaltungen überprüft werden müssen. „Leitsatz“ Oberärztin bekam Recht Die beiden unterschiedlichen Positionen Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 19. 12. 1991, Az. 6 AZR 476/89 (Oberarzturteil) Ist einem Arzt arbeitsvertraglich die Stellung eines Oberarztes eingeräumt worden, so ist er nicht verpflichtet, den am Krankenhaus typischen Bereitschafts- und Stationsdienst der Assistenzärzte zu übernehmen. So entschied das Landesarbeitsgericht BadenWürttemberg über die Klage einer Oberärztin (= Klägerin), die klären wollte, ob sie verpflichtet sei, aufgrund einer Anordnung des Krankenhausträgers (= Beklagte) Bereitschafts- und Stationsdienste, wie sie im Krankenhaus typischerweise die Assistenzärzte ausüben, zu verrichten. Das Arbeitsgericht hatte die Klage in erster Instanz noch abgewiesen, das LAG sah es anders und gab der Ärztin mit diesem Urteil Recht. Die Klägerin meinte, sie sei weder zur Teilnahme am Bereitschafts- noch am Stationsdienst der Assistenzärzte verpflichtet, weil damit ein Entzug der vertraglich zugesicherten Oberarzttätigkeit verbunden sei (s. a. Kap. 12.05.04 und 12.01.04). Der Krankenhausträger stellte sich dagegen auf den Standpunkt, die Klägerin sei gemäß der Sonderregelung BAT zur Leistung von Bereitschaftsdiensten verpflichtet. Dies gelte auch, soweit diese die Tätigkeit eines Assistenzarztes betreffe. Wie beim angeordneten Stationsdienst der Assistenzärzte bestehe die vertraglich auszuübende Tätigkeit in der Behandlung von Patienten 34 Anhang Januar 2002 Inhalt Suchen 12 z 04 Hilfe Treffer auf der Station. Die Stellung der Klägerin als Oberärztin werde durch den Einsatz im Stationsdienst nicht berührt. Im Arbeitsverhältnis der Klägerin war eine Beschäftigung als Oberärztin auf der Kinderabteilung vereinbart worden. Diese Tätigkeit übte die Klägerin in der Folgezeit auch aus. Daraus ergab sich, dass die Klägern vertraglich nur verpflichtet ist, die Tätigkeiten einer Oberärztin auszuüben. Bei dieser Rechtslage kann die Beklagte kraft Direktionsrecht keinen Bereitschafts- und Stationsdienst anordnen, bei dem die Klägerin Assistenzarzttätigkeiten zu verrichten hat. Denn nach den bindenden Feststellungen des Gerichts unterscheidet sich im Krankenhaus der Beklagten die Tätigkeit eines Oberarztes von der eines Assistenzarztes. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst der Assistenzärzte entspricht daher nicht der vertraglich von der Klägerin geschuldeten Tätigkeit als Oberärztin. Angesichts der vertraglichen und tatsächlichen Beschäftigung der Klägerin als Oberärztin und der bei der Beklagten praktizierten Trennung zwischen Oberarzt- und Assistenztätigkeit ist die Klägerin arbeitsvertraglich dann nur zu einem Bereitschaftsdienst mit Oberarzttätigkeit verpflichtet. Aus den gleichen rechtlichen Gründen kann die Beklagte die Klägerin im Stationsdienst nur mit Oberarzt-, nicht jedoch mit Assistenzarzttätigkeiten beschäftigen. Weiter 35 Ein Oberarzt ist kein Assistenzarzt
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