淳Xmш|om - Chesa Rosatsch

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Tages-Anzeiger – Samstag, 21. September 2013
Kultur & Gesellschaft
Die saisonale Lücke ist der neue Luxus
Die junge Equipe im Hotel Chesa Rosatsch in Celerina GR kocht nach den Leitlinien von Slow Food,
je nach Jahreszeit mit unterschiedlichen regionalen Produkten. Gerade im Winter ist das eine grosse Herausforderung.
Von Paul Imhof
«Entschleunigung», das wird bald einmal
klar, ist ein Lieblingswort von Michael
Stutz. Der junge Hoteldirektor aus dem
Aargauer Seetal ist eben aus dem Val
Müstair zurückgekehrt, nun sitzt er entspannt auf der Terrasse der Chesa Rosatsch in Celerina. Er hat 25 Liter Gin mitgebracht, abgefüllt in Halbliterflaschen,
die ganze Produktion eines Münstertaler
Brenners. Stutz und sein Restaurantleiter
Jörg Waldthaler haben bei der Feinabstimmung des Wacholderbrandes mitdiskutiert. «Nicht schlecht», kommentiert
Stutz das Resultat, «etwas mehr Zeste von
der Gardasee-Zitrone würde ihm guttun,
das sind Nuancen, extrem heikel». Aber
keine Frage, «ich gehe davon aus, dass die
Flaschen in einem Jahr weg sind».
Der Gin aus dem Val Müstair rundet
ein Programm ab, das Stutz und seine
Equipe seit Anfang Juli mit Begeisterung
und mit beeindruckender Kompetenz
und Konsequenz umsetzen. Im Oberengadin, wo Hummer und Kaviar und all
die Leckereien der Welt so selbstverständlich verzehrt werden wie andernorts Sandwiches, steht nicht heimische
Kost im Vordergrund, sondern internationale: alles, was auch in Zürich, Genf
und Mailand erhältlich ist. Zu Zeiten von
Frédy Girardet und Hans Stucki brauchte
es aufwendige logistische Übungen, um
frisches Meeresgetier in die Schweiz fliegen zu lassen – heute flitzen die Lieferwagen des Zürcher Feinkosthändlers
Bianchi in die entlegensten Täler. Was
einst mondän war, ist heute alltäglich.
Grösserer Aufwand
In diesem Umfeld war es nur eine Frage
der Zeit, bis das Gute im Nahen wiederentdeckt wurde. Exklusiv ist nun nicht
mehr die ganzjährige Verfügbarkeit,
sondern das Gegenteil: Der neue Luxus
ist die Lücke und damit das Kribbeln, bis
die Bergerdbeeren im nächsten Jahr wieder reif geworden sind. Das Erlebnis
heisst Einschränkung.
«Die Mauern unserer Stüva sind
400 Jahre alt», sagt Michael Stutz, der im
Spätsommer 2011 mit 26 Jahren die Leitung des Hotels übernommen hat. «Das
Essen soll in diese Mauern passen, zur
Geschichte. Wir wollen Produkte, die vor
gebung nördlich und südlich des Engadins, aus dem Albulatal und der Surselva,
kommen zum Zug, etwa Erdbeeren aus
Surrein, Capunsli aus dem Val Lumnezia.
Und aus den Bündner Südtälern Bergell,
Puschlav und Münstertal: beispielsweise
Puschlaver Berglamm, Kalb aus Brusio,
Käse von Malögin im Bergell. «Dieser Malöginkäse! Wie ein sehr feiner Brie»,
schwärmt Stutz, «da brauchen Sie kein
Fleisch als Superstar». Fleischliebhaber
kommen im zweiten Restaurant des Rosatsch auf ihre Rechnung, im Uondas, wo
hausgereifte Steaks und Koteletts angeboten werden.
In der gut besuchten Stüva
Chesa-Küchenchef Jan Gassen mit Laviner Wollschwein. Foto: Daniel Marinek (13 Photo)
der Haustür wachsen, und Saisonalität.
Wirkliche, nicht halbbatzige. Und wir
wollen darauf achten, so wenig Essen wie
möglich wegzuwerfen.» Das klingt wie
ein Bekenntnis, und Stutz betont denn
auch, das Ideal seiner Küche sei das Konzept von Slow Food. Dieses «Geniessen
im Schneckentempo», wie das Symbol
der Bewegung verheisst, steigert indes
den Aufwand und verlangt von der Küche Flexibilität. Der Chef muss zwölf Anrufe tätigen statt zwei, bevor er seine Gerichte beisammen hat, und die Köche
schälen nicht mehr stromlinienförmig
gezüchtete Kartoffeln, sondern urwüchsig verwachsene mit Dellen und Kurven.
Es ist einfacher, ohne Rücksicht auf Region und Jahreszeiten zu arbeiten, als sie
zu respektieren. Wer Saisonalität betont,
muss immer an den Winter denken.
«Eine Herausforderung», sagt Stutz,
«die Winterkarte wird wohl deftiger.»
Noch aber kann Jan Gassen, der Küchenchef aus der Nähe von Köln, aus dem Vollen schöpfen. Spätsommer und Herbst
schenken ein, Früchte und Gemüse werden eingemacht, damit die winterliche
Vegetationspause keine reine Wurzelzeit
wird. «Mit diesem Konzept kann ich mich
identifizieren», sagt Gassen, «es ist bes-
ser als das alte.» Die Ouvertüre verlief allerdings harzig: Als Anfang Juli die neue
Karte umgesetzt wurde, hatte ihm das
Wetter mit drei Wochen Wachstumsrückstand einen Strich durch die Rechnung
gemacht. Die bestellten Kartoffeln aus
dem Albulatal waren noch nicht erntereif. Der Bauer nahm seine Pflanzungen
unter die Lupe und grub einzelne Knollen aus, sodass er am Ende immerhin
35 Kilo der Sorte Maikönig ins Rosatsch
liefern konnte. Für den Anfang reichte
es, Gassen brauchte seine Komposition
«Cremesüppli von der Filisurer MaikönigKartoffel, Lauch-Ravioli und luftgetrockneter Wollschweinschinken» nicht von
der Karte zu streichen.
Der Käse als Superstar
Klassische und beliebte Rezepte müssen
nicht neu erfunden werden, doch bei den
Kombinationen und Zutaten öffnet sich
ein weiter Raum. So lange wie möglich
sollen die Produkte aus dem Engadin
stammen, zum Beispiel Fleisch aus Scuol,
Ziegenkäse aus Tschlin, Alpziger aus der
Morteratschkäserei bei Pontresina, Artischocken aus Lavin, LatschenkieferSchösslinge vom Hotelgelände am Inn.
Aber auch Produkte aus der näheren Um-
Superstars braucht es ebenso wenig im
Keller, auch wenn vereinzelt ein Gewächs
von Romanée-Conti auf der Weinkarte
steht – das sind Reminiszenzen aus der
Vergangenheit. Viel interessanter und
preiswerter sind regionale Rebsorten wie
Completer aus Malans, Bondola aus dem
Tessin oder Nebbiolo aus dem Veltlin.
Die Sonne steht jetzt tief, kühle Luft
senkt sich an diesem Spätsommertag
übers Oberengadin. Das Restaurant mit
seinen drei Stüvas (Stuben) ist gut besucht, die Kunde von der Hinwendung
zum Lokalen hat sich herumgesprochen.
Das Menü kann man frei zusammenstellen, jeden Gang gibt es als normale und
als kleine Portion. Wir wählen fünf Gänge
(108 Franken): Engadiner Bergvacherin
und Surreiner Alpkäse, Hirschsalsiz,
Puschlaver Mortadella und Bio-Bauchspeck als ersten Gang, gefolgt vom
Cremesüppli, dem Risotto mit selbst gepflückter Latschenkiefer und gehobeltem Käse Tschücha da dschember aus Lavin und dem Hauptgang mit gebratenen
Eglifilets aus dem Bodensee an Beurre
noisette auf Laviner Artischocken und
Roosevelt-Kartoffeln. Als Dessert dann
Romanoff mit hausgemachter Vanilleglace, leicht geschlagenem Rahm und
Erdbeer-Granité mit Xellent Swiss Premium Vodka, begleitet von frischen Erdbeeren aus Surrein. Es waren die letzten.
Ab jetzt gilt die Herbstkarte.
Restaurant Stüvas Rosatsch, Hotel Chesa
Rosatsch, Via San Gian 7, 7505 Celerina,
Tel. 081 837 01 01; www.rosatsch.ch
Rezept
Cremesüppli von der Filisurer
Maikönig-Kartoffel, Lauch-Ravioli
und luftgetrockneter Wollschweinschinken
Für 6 Personen (Suppe mit 6 Ravioli)
Suppe
150 g Knollensellerie schälen, in 1 cm kleine
Würfel schneiden.
150 g Rüebli schälen, in 1 cm kleine Würfel
schneiden.
2 Schalotten fein schneiden.
400 g Maikönig-Kartoffel (eignet sich auch
gut für Püree) schälen, in 1 cm kleine Würfel
schneiden.
Alles mit Butter anschwitzen, mit 300 ml
Geflügelbouillon aufgiessen und kochen lassen,
bis alles weich geworden ist (ca. 25 Minuten).
150 ml Milch dazugeben, aufkochen
(kein Rahm, sonst wird die Suppe zu schwer).
Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Mit dem Stabmixer alles fein pürieren.
Frischen Majoran hacken und in die Suppe geben,
danach nochmals aufmixen.
Lauchfüllung
20 g Zwiebel fein hacken.
60 g Lauch in feine Streifen schneiden.
Beides in wenig Butter andünsten, mit Salz
und Pfeffer abschmecken. Nach Gusto etwas
Muskatnuss dazugeben.
Ravioli
(1 Raviolo pro Person
oder nach Belieben)
Nudelteig fein (0,5 mm) auswallen.
Eine Seite mit Ei bestreichen.
Ca. 4×4 cm grosse Formen ausstechen.
Eine Form jeweils mit einem Häufchen Füllung
belegen. Ravioli mit anderer Teighälfte decken,
an den Rändern andrücken.
Die gefüllten Ravioli 2 Minuten in Wasser kochen,
herausnehmen und kurz in der Pfanne mit feiner
Butter schwenken. Anrichten.
Edlen luftgetrockneten Rohschinken
(z. B. vom Wollschwein) kalt als Garnitur
um den Raviolo wickeln.
Tipp: Den Schinken im Ofen oder
in der trockenen Bratpfanne kurz wärmen
(nicht erhitzen), damit sich die Aromen
kräftiger entfalten.
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