Universitätsklinikum Ulm Klinik für Urologie und Kinderurologie Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. M. Schrader Erweiterte Saturationsbiopsie bei persistierendem klinischen Verdacht auf ein Prostatakarzinom nach vorhergehenden negativen Stanzbiopsien Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin Medizinische Fakultät der Universität Ulm vorgelegt von Matthias Fricke geboren in Bremen 2013 Amtierender Dekan : Prof. Dr. Thomas Wirth 1. Berichterstatter : PD Dr. Jörg Simon 2. Berichterstatter : PD Dr. Roland Schmidt Tag der Promotion : 17.01.2014 meinen Eltern Bärbel und Berthold Fricke in Dankbarkeit gewidmet I ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS III 1. EINLEITUNG 1 1.1 Epidemiologie des Prostatakarzinoms 1 1.2 Ätiologie 2 1.3 Vorsorgeuntersuchungen zum Prostatakarzinom 2 1.4 Stellenwert des Prostatakarzinom Screenings 5 1.5 Insignifikantes Prostatakarzinom 7 1.6 Übersehene Prostatakarzinome bei negativer Stanzbiopsie 8 1.7 Fragestellung 10 2. MATERIAL UND METHODEN 11 2.1 Patienten 11 2.2. Vorbereitung und periinterventionelles Management 11 2.3 Durchführung der Erweiterten Saturationsbiopsie der Prostata 12 2.4 Schema der Erweiterten Saturationsbiopsie 13 2.5 Klinische Signifikanz der Tumore 14 2.6. Nachsorge 14 2.7 Statistik 15 3. ERGEBNISSE 16 3.1 Patientenkollektiv 16 3.2 Präinterventionelle Daten 16 3.3 Periinterventionelle Daten 17 II 3.4 Ergebnisse der Erweiterten Saturationsbiopsie 17 3.5 Patienten mit Karzinom in der Erweiterten Saturationsbiopsie 21 3.6 Patienten ohne Karzinom in der Erweiterten Saturationsbiopsie 23 4. DISKUSSION 28 4.1 Karzinomdetektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im Vergleich zu Schemata mit geringerer Zylinderanzahl im Rahmen einer Wiederholungsbiospie 29 4.1.1 Vergleich mit Sextantenbiopsie 29 4.1.2 Vergleich mit Sättigungsbiopsien 29 4.2 Detektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im Zusammenhang mit den unauffälligen vorhergehenden Biopsien 31 4.3 Upgrading nach OP im Vergleich zur Biopsie 32 4.4 Erweiterte Saturationsbiopsie Detektion insignifikanter Tumore 34 4.4.1 Definition des insignifikanten Karzinoms an den pathologischen Präparaten 34 4.4.2 Signifikanz des Prostatakarzinoms, welches bei der ESB gefunden wurde 36 4.4.3 Ist die Rate an insignifikanten Karzinomen erhöht, wenn schon mehrere unauffällige Prostatastanzbiopsien vorlagen? 38 4.5 Nachsorge 39 5. ZUSAMMENFASSUNG 43 6. LITERATUR 45 7. DANKSAGUNG 50 8. LEBENSLAUF 51 III ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AMACR Alpha-methyl-CoA-Racemase BPH benigne Prostatahyperplasie BPH-Zone zentrale paraurethrale Organzone (auch: Übergangszone) Charr Charrier : Maß für den Außendurchmesser von Kanülen und Katheter. CT Computertomographie DRU digital-rektale Untersuchung EAU European Association of Urology ERSPC1 Screening and Prostate -Cancer Mortality in a Randomized European Study ESB erweiterte Saturationsbiopsie NU Nachuntersuchung OP Operation p statistisches Signifikanzniveau PCA Prostatakarzinom PET Positronen-Emissions-Tomographie PIN prostatische intraepitheliale Neoplasie PLCO2 The Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial PSA Prostataspezifisches Antigen PSA-ratio Verhältnis des freien PSA zum gesamt PSA (auch: PSA-Quotient) pT-Stadium pathologische Klassifikation / Stadiummodell zur Näherung an die Tumorgröße RPX radikale Prostatovesikolektomie SEER Surveillance, Epidemiology and End Results Program (A premier source for cancer statistics in the United States) SPSS Statistik- und Analysesoftware der Firma IBM (USA) TUR Transurethrale Resektion TUR-P Transurethrale Resektion der Prostata TRUS transurethraler Ultraschall Upgrading Heraufstufung (hier: in der patholhistologischen Nachbearbeitung von gewonnenem Gewebe 1+2 zwei großangelegten Studien zum Nachweis der Wirksamkeit von Screening Untersuchungen auf die Todesrate spezieller Karzinomerkrankungen 1 1. Einleitung 1.1 Epidemiologie des Prostatakarzinoms Das Prostatakarzinom ist weltweit eines der dominierenden Malignome des Mannes und hat sich zu einem der vorrangigen medizinischen Probleme der männlichen Population entwickelt. In Europa ist es mit einer Inzidenz von 214 pro 100.000 Männern der häufigste solide Tumor vor dem Lungenkarzinom und kolorektalen Malignomen [8]. Darüber hinaus ist das Prostatakarzinom die zweithäufigste, krebsbedingte Todesursache [47]. Sowohl die Inzidenz als auch die Mortalitätsrate sind in den industrialisierten Ländern höher als in Entwicklungsländern. 15% der Tumorerkrankungen in erstgenannten Regionen, aber nur 4% in unterentwickelten Ländern sind ein Prostatakarzinom. In den USA war die Mortalität bis 1991 steigend, danach kam es zu einer stetigen Abnahme von jährlich 1,9%. Im Gegensatz dazu war in Europa keine Veränderung der Mortalitätsrate zu beobachten, die gleichbleibend 34,1/100.000 Männer beträgt [64] . Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen der ethnischen Herkunft und dem Risiko, an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Detaillierte Daten hierzu liegen aus den USA vor (SEER Programm des National Cancer Institutes der USA) [72]. Hiernach weist die schwarze US-Bevölkerung die mit Abstand höchste Inzidenz und krebsbedingte Mortalität auf, während die Bewohner der Inselgruppe Hawaii, die indianische Bevölkerung und vor allem die chinesisch stämmigen Amerikaner das geringste Risiko haben, an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Beim Prostatakarzinom ist ein „stage shift“ und ein „age shift“ zu beobachten: Es besteht eine deutliche Tendenz, günstigere pathologische Stadien, im Sinne von mehr lokalisierten Prostatakarzinomen, zu entdecken. Weiterhin werden interessanterweise immer mehr jüngere Männer mit einem bösartigen Prostatatumor diagnostiziert. 2 1.2 Ätiologie Als wesentliche Ursache für die Unterschiede in der beobachteten Inzidenz des Prostatakarzinoms werden genetische Faktoren und Umwelteinflüsse gesehen. Vergleichbar mit dem Kolon- und dem Mammakarzinom findet sich auch beim Prostatakarzinom eine familiäre Disposition [61]. Das Risiko, mit einem Prostatakarzinom diagnostiziert zu werden, verdoppelt sich schon bei Erkrankung eines einzigen erstgradig Verwandten und ist sogar 5- bis 11-fach erhöht, wenn zwei oder mehr Verwandte betroffen sind. 5-10% der Patienten weisen ein sogenanntes hereditäres Prostatakarzinom auf. Definitionsgemäß liegt dieses dann vor, wenn mehr als zwei erstgradig Verwandte betroffen sind oder mindestens zwei Verwandte ein Prostatakarzinom im jüngeren Alter (vor dem 55.Lebensjahr) entwickelten („Early onset“). Bei dieser Gruppe liegt eine Erhöhung des relativen Risikos um den Faktor 5,1 im Vergleich zur Normalpopulation vor [12, 13]. Ein deutlicher Anstieg der Prostatakarzinominzidenz in Personengruppen, die von Ländern mit niedriger Inzidenz in Länder mit hoher Inzidenz emigrierten, legt einen signifikanten Einfluss von Umwelt- und Ernährungsfaktoren nahe [91]. Vielfach wurde früher die Vermutung geäußert, dass eine Vasektomie mit einem erhöhten Risiko vergesellschaftet ist, an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Dies konnte durch entsprechende Studien mittlerweile widerlegt werden [43]. Ein mutmaßlicher Einfluss von Körpergröße und Körpergewicht, Nikotin- und Alkoholkonsum oder sexueller Aktivität konnte ebenfalls ausgeschlossen werden. 1.3 Vorsorgeuntersuchungen zum Prostatakarzinom Die klinische Etablierung der PSA-Wert Bestimmung Ende der 1980er Jahre hat die Früherkennung in der Prostatakarzinomdiagnostik verändert [81]. Das PSA ist eine Protease, die fast ausschließlich in den Epithelialzellen der Prostata produziert wird. Dieser Wert ist dadurch ein organ- und nicht 3 tumorspezifischer Marker. Außer durch ein Karzinom kann eine Veränderung des PSA-Wertes durch viele andere Faktoren hervorgerufen werden: Pharmakologische Einflüsse (Alpha-1-Reduktase Hemmer), andere Erkrankungen der Prostata (akute/chronische Prostatitis, benigne Prostatahyperplasie (BPH), Harnverhalt) und urologische Manipulationen (Biopsie, digital rektale Untersuchung) [68]. In der Interpretation des PSA-Wertes in der Diagnostik des Prostatakarzinoms ist zu beachten, dass kein Schwellenwert existiert, ab dem ein Karzinom sicher vorliegt, bzw. unterhalb von dem ein Karzinom ausgeschlossen werden kann. Die Festlegung eines PSA-Schwellenwertes stellt somit einen Kompromiss zwischen einer optimalen Sensitivität und Spezifität dar. Senkt man zum Beispiel den PSA-Grenzwert von 4 auf 2 ng/ml, ab dem eine Prostatastanzbiopsie durchgeführt werden sollte, so steigt zwar die Rate an diagnostizierten Karzinomen, andererseits werden jedoch vermehrt Patienten dieser Intervention unterzogen, die schlussendlich kein Karzinom haben [73]. Im Bemühen um eine Verbesserung der Spezifität des PSA-Screenings sind inzwischen vielfältige Modifikationen des Serum PSA-Wertes beschrieben worden. Zu diesen gehören die PSA-Dichte, die PSA-Dichte der Übergangszone, altersspezifische Grenzwerttabellen und molekulare Formen des PSA. Die meisten Derivate und Isoformen des PSA (cPSA, proPSA, BPSA, iPSA) sind allerdings für den klinischen Gebrauch noch ungeeignet. International anerkannt und weit verbreitet sind allerdings die PSA-Ratio (freies-/GesamtPSA), die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit sowie die PSA-Verdopplungszeit. Die PSA-Ratio ist das am besten untersuchte und am weitesten in der Praxis verbreitete Konzept zur Diskriminierung von BPH und Prostatakarzinom bei Männern mit einem PSA-Wert zwischen 4 und 10 ng/ml und einem negativen Tastbefund: Studien zeigen ein Prostatakarzinom in der Biopsie bei 56% der Männer mit einer PSA-Ratio von <0,1, aber von nur 8% bei einer Ratio von 0,25 [15]. Dennoch muss auch dieses Konzept mit Vorsicht angewandt werden, da verschiedene präanalytische und klinische Faktoren die PSA-Ratio beeinflussen können [85]. Darüber hinaus ist die PSA-Ratio ab einem PSAWert von >10 ng/ml nicht mehr sinnvoll anwendbar. 4 Die digital-rektale Untersuchung (DRU) ist ein grundlegendes und kostengünstiges Untersuchungsverfahren, das seit der Einführung der gesetzlichen Früherkennung in Deutschland 1971 empfohlen wird. Allerdings muss die Leistungsfähigkeit der DRU nach jüngeren Studienergebnissen kritisch hinterfragt werden. So ist die Interobserver-Variabilität selbst in ausschließlich urologischer Hand maximal ausreichend [80] und es werden nur 10-15% der Prostatakarzinome mit einem PSA-Wert unter 4ng/ml durch die DRU entdeckt [55]. Trotz der geringen Detektionsrate ist jedoch gerade für PSA- Werte unter 4ng/ml der positiv-prädiktive Wert einer suspekten DRU ausreichend hoch (5-30%), da diese Karzinome zum größten Teil die Kriterien eines signifikanten Tumors erfüllen und ohne die digital rektale Untersuchung übersehen worden wären [14]. Eine suspekte DRU ist eine absolute Indikation zur Biopsie der Prostata, um ein eventuell vorhandenes Karzinom zu entdecken. Die Untersuchung der Prostata mittels des transrektalen Ultraschall (TRUS) ist aufwendig, kostenintensiver und nicht flächendeckend verfügbar. Darüber hinaus konnten mehrere Studien belegen, dass der transrektale Ultraschall lokalisierte Prostatakarzinome nicht identifizieren kann [24, 32, 53]. Dennoch besteht Konsens, dass zusätzliche Gewebeproben im Rahmen einer randomisierten Prostatastanzbiopsie aus sonographisch suspekten Arealen nützlich sein können [38]. Ergibt sich in den laborchemischen und/oder klinischen Untersuchungen der Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms, so kann dies nur durch eine Prostatastanzbiopsie verifiziert werden. Diese kann entweder gezielt oder systematisch durchgeführt werden. Bei letzterer werden aus der Prostata die Gewebeproben nach einem standardisierten Muster entnommen. Bisher galt die Prostatastanzbiopsie nach Hodge et al. [41] mit der transrektalen ultraschallgesteuerten Entnahme von sechs Zylindern als Standardtechnik. Zunehmend wird diese aber von Schemata mit 10- oder 12-fach Biopsien abgelöst, da sich in Studien eine entscheidende Verbesserung der Tumordetektionsrate ergab [20, 36]. Es herrscht inzwischen Konsens, dass bei einer Drüsengröße von 30-40 ml mindestens 8 Prostatazylinder entnommen werden sollten [30, 38, 54, 67]. 5 Besteht der Verdacht auf ein Prostatakarzinom nach unauffälliger Prostatastanzbiopsie weiter, so wird in einigen Instituten eine sogenannte Sättigungsbiopsie der Prostata durchgeführt. Diese beinhaltet eine erhöhte, teilweise dem Volumen der Prostata angepasste Anzahl von Stanzproben (mindestens 20). Dabei sollten Gewebeproben möglichst aus allen Organbereichen entnommen werden. Eine einheitliche Entnahmesystematik besteht dabei bislang nicht. Die Prostata wird laut Raja et al. [71] möglichst „durchgesamplet“, um ein eventuell vorhandenes Prostatakarzinom zu finden. Noch fehlt es bislang jedoch an ausreichenden Studien, die einen zusätzlichen Gewinn dieser Methode belegen würden, wie auch an geeigneten EntnahmeSchemata. 1.4 Stellenwert des Prostatakarzinom Screenings Der Stellenwert des Screenings im Sinne einer regelhaften Untersuchung von Risikogruppen ohne Symptome ist derzeit beim Prostatakarzinom, im Gegensatz zu anderen Tumorentitäten, nicht abschließend geklärt. Zu den Faktoren, die ein Screening effektiv gestalten, gehört einerseits das genaue Wissen über die Tumoridentität, deren Frühstadium, Verlauf und prognostische Faktoren. Andererseits ist das Vorliegen eines einfachen, sicheren, validierten und präzisen Tests mit hoher Sensitivität und hoher Spezifität und damit einem hohen prädiktiven Wert notwendig. Es besteht Übereinstimmung, dass die Effektivität eines Screenings nur dann bewiesen ist, wenn ein Zusammenhang zwischen Frühdetektion und Verminderung der Sterblichkeit bei akzeptabler Lebensqualität und Kosteneffektivität festgestellt werden kann [19]. Der bislang fehlende Nachweis der Auswirkung des Prostatakarzinom Screenings mittels PSA-Wert und digital rektaler Untersuchung auf die prostatakarzinomspezifische Todesrate bedingte zwei großangelegte Screening-Studien: In den USA „The Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial“ (PLCO) und in Europa die „European Randomized Study for Prostata Cancer“ (ERSPC), deren erste Ergebnisse im Jahr 2009 veröffentlicht wurden [2, 78]. 6 In der PLCO-Studie ergab sich kein signifikanter Überlebensvorteil für Männer, die regelmäßig an PSA-Tests teilnahmen (Screeninggruppe). Im Gegensatz dazu kam es in der europäischen Studie zu einem Überlebensvorteil durch ein regelmäßiges PSA-Screening von 20% gegenüber der Kontrollgruppe. Diese widersprüchlichen Aussagen können durch das unterschiedliche Studiendesign und methodische Mängel erklärt werden. Kritikpunkte an der amerikanischen Studie sind ein zu kurzes Follow-up von im Mittel 7 Jahren, sowie eine Kontamination der beiden Studiengruppen. Einerseits erhielten nur 85% der Patienten der Screeninggruppe wirklich eine PSA-Wert Bestimmung und eine digital rektale Untersuchung, andererseits ließ die Hälfte der Patienten in der Kontrollgruppe außerhalb des Studienprotokolls ihren PSA-Wert bestimmen. In der europäischen Studie wurden die Screeningintervalle z.T. so groß gewählt, dass einige Patienten sogar nur ein einziges Mal untersucht wurden. Trotz dieser qualitativen Mängel konnte in der europäischen Studie nach einem Follow-up von nur 9 Jahren ein Unterschied von 20% in der prostatakarzinomspezifischen Mortalität beider Gruppen festgestellt werden. Weiterhin lag die Rate der Patienten, die mit ossären Filiae eines Prostatakarzinoms diagnostiziert wurden, in der Screeninggruppe sogar um 41% unter der der Kontrollgruppe. Beide Studien zeigen dennoch, dass trotz der Kritikpunkte an dem Studiendesign, ein PSA-Screening eine effektive und darüber hinaus auch wenig invasive Screeningmaßnahme darstellt. Ein längeres Follow-up der Studien sollte weitere dringende Fragen klären: Welches ist der PSAGrenzwert, ab dem eine Prostatastanzbiopsie durchgeführt werden sollte? Wie ist der Nutzen des Screenings für bestimmte Altersgruppen und wie groß ist die Gefahr der Entdeckung klinisch insignifikanter Tumore? 7 1.5 Insignifikantes Prostatakarzinom Eine Besonderheit des Prostatakarzinoms ist seine mögliche Erscheinungsform als insignifikanter Tumor, der den Patienten zu Lebzeiten nicht beeinträchtigt, indolent zu verlaufen. Autopsiestudien zufolge liegt die Prävalenz des Prostatakarzinoms mit 42% der Männer in der 5.Lebensdekade und sogar 64% in der 7.Lebensdekade weit über der Inzidenz [34, 74]. Diese sogenannten „Autopsiekarzinome“ werden auch als „insignifikante Tumore“ bezeichnet [19]. Demnach liegt das Risiko eines Mannes, an einem Prostatakarzinom zu erkranken bei 1:6, wobei das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu sterben, bei 1:30 liegt [46, 89]. In PSA-Screening Untersuchungen wird die Zahl der diagnostizierten, aber klinisch insignifikanten Tumore mit 18% bis 85% angegeben [57]. Aufgrund dieser Besonderheit des biologischen Verhaltens ist es in der Therapie der Patienten unabdingbar, zwischen Prostatakarzinomen zu unterscheiden, die keiner weiteren Therapie bedürfen und „high risk“ Tumoren, die ein signifikantes Potential für eine Progression und somit eine absolute Behandlungsnotwendigkeit haben. Im Bemühen um solche Kriterien definierten Epstein et al. [28] einen „klinisch nicht signifikanten Tumor“ als begrenzt auf die Prostata, Tumorvolumen <0,2 ml und Gleason Summe <7 (histologisches Grading). Alle anderen Karzinome wurden als minimal (begrenzt auf die Prostata, 0,2-0,5 ml, Gleason Summe <7), moderat (Kapseleinbruch und Gleason Summe <7 oder Volumen >0,5 ml und begrenzt auf die Prostata) oder fortgeschritten Schnittränder, (Kapseleinbruch Samenblasen- und oder Gleason Summe Lymphknotenbeteiligung) ≥7, positive bezeichnet. Kürzlich veröffentlichte dieselbe Arbeitsgruppe eine leicht abgewandelte Definition des klinisch nicht signifikanten Tumors: Das Karzinom muss organbegrenzt und <0,5 ml im Volumen sein und es darf kein Gleason Grad 4 oder 5 vorliegen [29]. Das entspricht der einstigen Definition des minimalen Tumors. 8 In der klinischen Anwendung bleibt das Problem der Signifikanzeinschätzung trotz dieser Kriterien bestehen, da die präoperative Volumetrie des Tumors unter anderem wegen des meist multifokalen Auftretens des Prostatakarzinoms unzureichend ist. Die histologische Einschätzung nach Gleason wird außerdem in mindestens 30% der Fälle in den Biopsiepräparaten als zu „gutartig“ eingeschätzt, wie Studien im Vergleich der Biopsie und den postoperativen Präparaten zeigen [16, 76, 84]. In der Literatur wurde immer wieder die Vermutung geäußert, dass eine hohe Anzahl der im Screening aufgefallenen Patienten mit einem Prostatakarzinom übertherapiert werden. Bestätigt werden diese Bedenken durch eine Studie an Männern mit einem “low risk“ Prostatakarzinom, das im Rahmen einer Screeninguntersuchung detektiert wurde. Die Hälfte der Patienten, die für ein abwartendes Management in Frage gekommen wären, wurden in den USA aktiv behandelt [83]. 1.6 Übersehene Prostatakarzinome bei negativer Stanzbiopsie Bei 75-80% der Männer mit PSA-Werten zwischen 4,5 und 10 ng/ml und normaler DRU findet sich bei der TRUS gesteuerten Sextantenbiopsien kein Karzinom [62]. Häufig werden benigne Befunde, wie eine benigne Prostatahyperplasie oder Prostatitis, für erhöhte PSA-Werte verantwortlich gemacht [6]. Allerdings wird eine signifikante Anzahl an Prostatakarzinomen durch die Stanzbiopsie nicht entdeckt, wie Ellis et al., Keetch et al. und Stroumbakies et al. zeigen konnten [25, 49, 87]. Nach einer negativen Sextantenbiopsie fanden Ellis et al. [25] und Keetch et al. [49] bei Patienten mit persistierend erhöhtem PSA-Wert oder auffälliger digital rektaler Untersuchung in einer zweiten Sextantenbiopsie ein Prostatakarzinom in 20% bzw. 19% der Fälle. In letztgenannter Arbeit wurde durch eine dritte oder vierte Sextantenbiopsie in 8% bzw. 7% der Patienten ein Karzinom entdeckt [49]. Zur Erhöhung der Karzinomdetektionsrate bei Rebiopsien wurde in verschiedenen Studien die Anzahl der Stanzzylinder erhöht, sowie die Regionen aus denen die Biopsien genommen wurden verändert [4, 33, 69, 70, 86] (Tabelle 1). 9 Tab. 1:Prostatakarzinom Detektionsraten in Studien mit Sättigungsbiopsien der Prostata nach vorhergehenden unauffälligen Biopsien (Pat.: Anzahl der Patienten, PSA: Prostataspezifisches Antigen, PCA: Prostatakarzinom) Literatur Pat. Anzahl PSA Anzahl PCA (n) Vorbiopsien (ng/ml) Stanzzylinder Detektions- (n) rate (n) (%) Barboroglu et al.[4] Stewart et al. [86] 57 224 mean 2,1 (1-4) mean 1,8 (1-7) mean mean 22,5 8,6±5,4 (15-31) median 8,7 mean 23 30% 34% (14-45) Rabets et al.[70] 116 1 biopsy: 70 pts. mean 9,2 2 biopsies: 28 pts. (1,7-48,6) 20-24 1 biopsy: 33% 2 biopsies: 25% ≥3 biopsies: 18 ≥3 biopsies: 22% pts. Fleshner et al.[33] 5 37 3 biopsies: 11 pts. median 22,4 4 biopsies: 12 pts. (7,8-73,8) 30-36 13,5% median 21 31,7% 5 biopsies: 8 pts. 6 biopsies: 6 pts. Pryor et al.[69] 35 2 biopsies: 29 pts. 4,5-46 3 biopsies: 5 pts. (14-28) 5 biopsies: 3 pts. +TUR in 17pts. Trotz der Intensivierung der Stanzschemata muss aber dennoch davon ausgegangen werden, dass einige Karzinome unentdeckt bleiben: Pryor et al. [69] führten eine „Sättigungsbiopsie“ mit 14-28 Proben (Median: 21) bei persistierendem Verdacht auf ein Prostatakarzinom durch. Bei einer Detektionsrate von 20% bei 35 Patienten wurde ein Karzinom bei mindestens 6 Patienten nicht detektiert . Bei diesen Patienten wurde mittels einer parallelen TUR-Biopsie oder einer weiteren TRUS gesteuerten Biopsien nach einem Median von 24 Monaten Prostatakarzinom diagnostiziert. nach der ersten Sättigungsbiopsie ein 10 1.7 Fragestellung Aufgrund der oben genannten Ausführungen muss davon ausgegangen werden, dass herkömmliche Sättigungsbiopsien nach vorhergehenden negativen Prostatastanzbiopsien bei persistierendem Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms, einen wesentlichen Anteil an Karzinomen nicht entdecken. Ziel der vorliegenden prospektiven Untersuchung war es zu untersuchen, ob es bei Patienten nach negativen Vorbiopsien und weiterhin erhöhtem oder steigendem PSA-Wert, sowie klinischen oder histologischen Hinweisen auf das Vorliegen eines PCA durch eine weitere Erhöhung der Stanzzylinderzahl (Erweiterte Saturationsbiopsie) eine signifikant höhere Anzahl an Karzinomen diagnostiziert werden kann. 11 2. Material und Methoden 2.1 Patienten Von Februar 1999 bis Oktober 2004 wurden 82 Männer im Alter von 48-88 Jahren (Median: 64 Jahre) in diese prospektiv angelegte Untersuchung eingeschlossen. Die Patienten hatten aufgrund des klinischen Verdachts auf ein Prostatakarzinom mindestens eine randomisierte TRUS gesteuerte Stanzbiopsie der Prostata erhalten, die jedoch nicht den Nachweis eines Malignoms erbrachte. Dennoch bestand aufgrund der klinischen Befunde weiterhin die Mutmaßung, dass ein eventuell vorhandenes Karzinom durch die Stanzbiopsie nicht entdeckt wurde. Alle Patienten des Studienkollektivs wurden von den betreuenden niedergelassenen Urologen an die Klinik für Urologie und Kinderurologie der Universität Ulm zur Festlegung des weiteren diagnostischen Vorgehens überwiesen. Den Patienten wurde eine Erweiterte Saturationsbiopsie (ESB) angeboten, wenn die Anamnese oder die klinische Untersuchung mindestens eines der folgenden Einschlusskriterien ergab: - PSA-Wert > 4 ng/ml, - PSA-Ratio (freies/Gesamt PSA) < 25%, - PSA-Anstiegsgeschwindigkeit (PSA – Velocity) >0,75 ng/ml pro Jahr, - vorhergehender histologischer Befund mit verdächtigem Ergebnis auf das Vorliegen eines Karzinoms, - auffälliger Tastbefund der Prostata, - auffälliger sonographischer Befund. 2.2. Vorbereitung und periinterventionelles Management Die Vorbereitung zur ESB der Prostata lehnte sich an das Protokoll der Urologischen Klinik der Universität Ulm zur Durchführung der „normalen“ randomisierten Stanzbiopsie der Prostata an. Identisch war die Gabe eines 12 oralen Fluoroquinolon (Tarivid® 200mg p.o. oder Tavanic® 250mg p.o.) am Abend vor dem Eingriff, sowie am Morgen und am Abend des Eingriffs. Zur Vermeidung von infektiösen Komplikationen aufgrund der wesentlich gesteigerten Anzahl von Stanzzylindern, erhielten die Patienten diese Antibiose zusätzlich für weitere 5 Tage. Weiterhin erhielten die Patienten ein BisacodylSuppositorium am Vorabend zur Vorbereitung des Enddarms. Im Unterschied zu dem Standardvorgehen bei der Stanzbiopsie der Prostata wurde allen Patienten ein transurethraler Harnblasenspülkatheter mit einer Größe von 18 oder 20 Charr. eingelegt. Ziel war die Vermeidung eines postinterventionellen Harnverhalts, sowie die Möglichkeit, bei eventuell stärkerer Blutung aus der Prostata eine Harnblasentamponade durch das Anlegen einer Dauerspülung zu vermeiden. Der Katheter wurde so lange belassen, bis nach subjektiver Einschätzung durch den betreuenden Stationsarzt nicht mehr die Gefahr einer Blutungskomplikation bei einem weitgehend klaren Urin bestand. In der Annahme, dass die ESB der Prostata einen deutlich höheren Schmerzreiz als die Standardbiopsie darstellt und der Eingriff auch wesentlich länger dauerte, wurde nach ausführlicher Aufklärung zur Verbesserung des Patientenkomforts die Intervention in Vollnarkose oder Spinalanästhesie durchgeführt. 2.3 Durchführung der Erweiterten Saturationsbiopsie der Prostata Der Eingriff wurde im Operationstrakt der Urologischen Klinik der Universität Ulm durchgeführt. Nach Einleitung des gewählten Anästhesieverfahrens wurde der Patient für die Biopsie mit Hilfe von Beinschienen in eine modifizierte Lithotomie-Position gebracht. Das Skrotum wurde mit Hilfe von Pflastern nach kranial fixiert, um einen ungestörten Zugang zum Rektum zu erlauben. Der Enddarm wurde mit einem Gleitgel (Instillagel®, Firma Farco Pharma, Köln) vorbereitet. Die TRUS gesteuerte Stanzbiopsie der Prostata erfolgte mit einem handelsüblichen dreidimensionalen 7,5 Mhz Prostata-Schallkopf (Combison 530D, General Electric, Milwaukee, USA). Zur Verkürzung der Interventionszeit wurden jeweils zwei Biopsiegeräte mit einer 18 G Biopsienadel verwendet. In der Zeit, in der der Operateur eine Stanzbiopsie durchführte, gab die Operationsschwester/-pfleger den Stanzzylinder aus der zuvor verwendeten 13 Biopsiepistole in den gekennzeichneten Aufbewahrungsbehälter und bereitete das Instrument für die nächste Gewebeentnahme vor. Im Anschluss an die Intervention wurde der Harnblasenspülkatheter (siehe oben) eingebracht und eine Rektumtamponade mit Kompressen durchgeführt, die mit einem Desinfektionsmittel getränkt waren. Nach Maßgabe des Operateurs erfolgte am selben Tag die Entfernungen der Tamponade auf Station. Es wurde angestrebt, die Patienten mindestens einen Tag in der Klinik zu überwachen, um mögliche Komplikationen behandeln zu können. 2.4 Schema der Erweiterten Saturationsbiopsie Das Standardschema zur Durchführung einer randomisierten Stanzbiopsie der Prostata an der Urologischen Klinik der Universität Ulm lehnte sich den Empfehlungen von Barbaroglou et al. [4] an. Es wurde eine 10-fach Stanzbiopsie der Prostata mit je einem Stanzzylinder aus folgenden Arealen durchgeführt: Vorderhorn, Apex, Mitte, Basis und Übergangszone (jeweils rechts und links) (siehe Abbildung 1). Bei der ESB entnahm der Operateur aus jedem dieser Areale die Stanzzylinder. Zusätzliche Biopsien wurden aus sonographisch suspekten Arealen entnommen. Es wurden keine Vorgaben zur Gesamtzahl der Gewebeproben gemacht. Abbildung 1: Entnahmezonen Prostata (nach Barbaroglou et al. [4]) 14 2.5 Klinische Signifikanz der Tumore Ein wesentlicher Faktor in der Beurteilung der Ergebnisse der Erweiterten Saturationsbiopsie ist die Einschätzung, ob ein entdecktes Prostatakarzinom eine klinische Signifikanz aufweist. In der vorliegenden Studie wurden die Kriterien von Epstein et al. (2005) [29] angewandt. Entsprechend deren Definition ist ein Prostatakarzinom nicht klinisch signifikant, wenn a) die Gleason Summe 6 oder kleiner und b) das Tumorvolumen unter 0,5 ml liegt. Problematisch in der vorliegenden Studie war die genaue Bestimmung der Tumorgröße. Die Aufarbeitung der Prostatapräparate erfolgte entsprechend dem Protokoll der Pathologischen Klinik der Universität Ulm, die eine exakte Bestimmung der Tumorgröße, wie sie nur an Serienschnitten möglich ist, nicht zulässt. Deswegen wurde zur Näherung an die Tumorgröße das T-Stadium des Prostatektomiepräparates verwandt: Wir nahmen an, dass alle pT2a Tumoren ein Volumen <0,5 ml haben und deswegen klinisch insignifikant sein könnten (unter Berücksichtigung der Gleason Summe) und alle pT2c Tumoren ein Volumen >0,5 ml haben und damit immer klinisch signifikant sind. Bei den pT2b Tumoren müssen wir davon ausgehen, dass deren Volumen entweder <0,5 ml oder >0,5 ml ist und wir deswegen nur eine Spannbreite angeben können, wie viele Prostatakarzinome unter Berücksichtigung der Gleason Summe klinisch signifikant oder insignifikant sind. 2.6. Nachsorge Die Patienten, bei denen in der ESB kein Karzinom war, wurden nach im Median 79 Monate (Range 55-123) telefonisch nachbefragt. Von insgesamt 46 Patienten konnten 44 Patienten im Verlauf kontaktiert werden, was einem Anteil von 95,7% entspricht. 1 Patient (2,2%) war unbekannt verzogen und trotz intensiver Recherche nicht auffindbar. Ein Patient ist wenige Jahre nach der ESB an den Folgen einer schweren internistischen Erkrankung verstorben. Die Nachbefragung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens. 15 Abgefragt wurden: - aktueller PSA-Wert - weitere urologische Interventionen im Nachbeobachtungszeitraum: - Stanzbiopsie der Prostata - operative Therapie (TUR, Adenomenukleation, RPX) - Diagnose eines PCA - urologische Medikation 2.7 Statistik Für den Vergleich klinischer Parameter in Hinblick auf Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Karzinom wurde der Mann-Whitney-U-Test verwendet. Alle statistischen Analysen wurden mittels der Statistiksoftware SPSS (SPSS, Chicago, Illinois, USA) durchgeführt, wobei p<0,05 als signifikant gewertet wurde. 16 3. Ergebnisse 3.1 Patientenkollektiv Von Februar 1999 bis Oktober 2004 wurden 82 Männer im Alter von 48-88 Jahren (Median: 64 Jahre) in diese prospektiv angelegte Untersuchung eingeschlossen. Alle diese Patienten erfüllten die in Material und Methoden beschriebenen Einschlusskriterien der Studie. Aufgrund des klinischen Verdachts auf ein Prostatakarzinom hatten diese mindestens eine TRUS gesteuerte 6-fach Stanzbiopsie der Prostata erhalten, die jedoch nicht den Nachweis eines Malignoms erbrachte. Dennoch bestand aufgrund der klinischen Befunde weiterhin die Mutmaßung, dass ein eventuell vorhandenes Karzinom durch die vorhergehende(n) Stanzbiopsie(n) nicht entdeckt worden war. Alle Patienten des Studienkollektivs wurden von den betreuenden niedergelassenen Urologen an die Klinik für Urologie und Kinderurologie der Universität Ulm zur Festlegung des weiteren diagnostischen Vorgehens überwiesen. 3.2 Präinterventionelle Daten Die Anzahl der unauffälligen Vorbiopsien lag im Median bei 2,05 (Range 1-8). Zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Urologischen Klinik lag der PSA- Wert der Patienten bei Median 16,1 ng/ml (Range 2,9-68,8), die PSA-Ratio wurde mit Median 16% (Range 7-30) bestimmt. In den auswärtigen, vorhergehenden Stanzbiopsien hatte sich bei 11 Patienten eine prostatische intraepitheliale Neoplasie (PIN) gezeigt. Die mittels transrektalem Ultraschall vermessene Größe der Prostata betrug im Median 63 ml (Range 18-140), bei 54 Patienten wurde zusätzlich die Größe der BPH Zone bestimmt, die bei Median 39 ml (Range 5-116) lag. 17 3.3 Zur Periinterventionelle Daten Durchführung der ESB wurde bei 34 Patienten (42%) eine Spinalanästhesie und bei 48 Patienten (58%) eine Intubationsnarkose angewendet. Insgesamt wurden bei den Patienten des Kollektivs im Median 57 Stanzzylinder (Range 35-139) entnommen. Der transurethrale Katheter, der zur Prävention einer Harnblasentamponade bei Blutungskomplikationen eingelegt wurde, wurde nach einem Tag entfernt. Vereinzelt kam es jedoch zu einer persistierenden Makrohämaturie, sodass der Dauerkatheter in seltenen Fällen bis zu 4 Tage belassen wurde. Lediglich ein 61-jähriger Patient musste wegen einer postinterventionellen erneuten Marcumareinstellung insgesamt 15 Tage stationär behandelt werden. Eine ambulante Umstellung war aufgrund einer schwerwiegenden internistischen Grunderkrankung nicht möglich. Insgesamt betrug der stationäre Aufenthalt im Median 1,8 Tage (Range 1-15). Nachdem der Dauerkatheter entfernt wurde, gab es keinen Harnverhalt und nach der prophylaktischen 6-tägigen Antibiose hatte keiner der Patienten symptomatische Infektionen des Harntraktes. 3.4 Ergebnisse der Erweiterten Saturationsbiopsie Bei 36 der 82 Patienten (44%) konnte in mindestens einem der Stanzzylinder ein Karzinom der Prostata nachgewiesen werden. Die Basisdaten der Patienten (Alter, Anzahl der vorhergehenden Stanzbiopsien, PSA-Wert, PSARatio, Prostatavolumen, BPH-Volumen, Anzahl der Stanzzylinder, Quotient Volumen Prostata/Stanzzylinder, stationärer Aufenthalt) mit und ohne Karzinom und ein eventueller statistisch signifikanter Unterschied in den Gruppen sind in Tabelle 2 aufgeführt. 22 Tabelle 5: pTNM-Klassifikation der Patienten aus der untersuchten Patientengruppe, die vom Februar 1999 bis Oktober 2004 an der Universität Ulm eine radikale Prostatektomie erhielten (n=32). pT Kategorie Gleason Summe Patienten (n) pT2a 3 1 7 5 4 1 5 3 6 2 7 2 5 1 6 7 7 5 8 1 pT3a 7 3 pT3b 7 1 pT2b pT2c pN-Kategorie Patienten (n) pN0 30 pN1 2 Wie in Material und Methoden ausgeführt, ist aufgrund der Aufarbeitung der Präparate eine exakte Größenangabe des Tumors und somit eine genaue Festlegung der Anzahl an entdeckten insignifikanten Karzinomen nicht möglich. Näherungsweise kann entsprechend der Kriterien von Epstein et al. [29] ein Minimum an insignifikanten Karzinomen angegeben werden, welches bei 1/32 Patienten (3,1%) lag (pT2a Tumor mit Gleason Summe von 3). Das Maximum an insignifikanten Karzinomen liegt dementsprechend bei 7/32 (22%) Patienten (1 Patient wie oben beschrieben und weiteren 6 Patienten mit einem pT2b Prostatakarzinom, aber einem Gleason Score von unter 7). Alle anderen Patienten haben nach der angewandten Näherung ein signifikantes Karzinom, welches mittels einer radikalen Prostatovesikulektomie therapiert wurde. 23 Bei den 4 Patienten (11,1%), die keine RPX erhielten, wurde bei 2 (5,5%) eine externe Bestrahlung der Prostata durchgeführt. Ein Patient (2,8%) erhielt eine Brachytherapie und ein Patient (2,8%) eine Hormontherapie. 3.6 Patienten ohne Karzinom in der Erweiterten Saturationsbiopsie Bei 46/82 Patienten (56%) zeigte sich trotz persistierendem Verdacht auf ein Prostatakarzinom eine unauffällige Stanzbiopsie der Prostata im Rahmen der ESB. Von diesen 46 Patienten konnten 44 Patienten im Verlauf nachbefragt werden, was einem Anteil von 95,7% entspricht. Ein Patient (2,2%) war unbekannt verzogen und trotz intensiver Recherche nicht auffindbar. Ein Patient ist wenige Jahre nach der ESB an den Folgen einer schweren internistischen Erkrankung verstorben. Im Median 79 Monate (Range 55-123) nach erfolgter ESB wurden die Patienten nachbefragt. Dabei wurde bei Prostatastanzbiopsie 19/44 noch Patienten eine (43,2%) operative weder Therapie an eine erneute der Prostata durchgeführt, bei 16/44 (36,4%) Patienten wurde aufgrund persistent erhöhter PSA-Werte eine nochmalige Stanzbiopsie durchgeführt (Tabelle 7). Zwei Patienten, entsprechend 4,5% (2/44) der Nachbeobachtungsgruppe, hatten im Follow-up die Diagnose eines Prostatakarzinoms (Tabelle 6). Ein Patient erhielt 5,5 Jahre nach der ESB eine radikale Prostatovesikulektomie. Histologisch zeigte sich ein pT2c pN0 Mo Gleason Summe 7 (3+4) Adenokarzinom der Prostata. Der andere Patient hatte in einer Prostatastanze, die gesteuert nach einem PET-CT Befund durchgeführt wurde, ein Gleason Summe 6 (3+3) Adenokarzinom in einem der entnommenen Stanzzylinder. Laborchemisch wurde vor der Gewebeentnahme der PSA-Wert mit 10 ng/ml bei einem Quotienten PSA frei/gesamt von 20% bestimmt. Daraufhin wurde ebenfalls eine radikale Prostatovesikulektomie durchgeführt, die trotz intensiver Aufarbeitung kein Karzinomnachweis im endgültigen Präparat erbrachte. 26 Über die Häufigkeit urologisch bedingter Medikamenteneinnahme konnten nur 27 (61,36%) der 44 Patienten verlässlich Auskunft geben. 17 Patienten benötigten keinerlei Medikamente. 10 Patienten erhielten eine medikamentöse Therapie einer benignen Prostatahyperplasie. Der durchschnittliche PSA-Wert aller Patienten mit einer karzinomfreien ESB lag in der Nachuntersuchung bei 9,6 ng/ml (0,05-74,7) und war damit im Vergleich zum Zeitpunkt der ESB (15,60 ng/ml, Range: 4,9-68,8) niedriger. Ein verlässlicher Vergleich ist jedoch nur bei den Patienten ohne weitere Interventionen möglich. Nach der ESB war bei 29 Patienten keine weitere Therapie einer subvesikalen Obstruktion notwendig. In dieser Subgruppe lässt sich eine moderatere Reduktion des PSA-Wertes in der Nachuntersuchung erkennen. Der PSA lag im Mittel bei 11,5 ng/ml (0,9-74,7) und war damit erwartungsgemäß etwas höher als im Gesamtkollektiv der Patienten mit Karzinomfreiheit in der ESB. In der Gruppe der Patienten, die eine volumenreduzierende operative Maßnahme wie eine TUR oder eine Adenomenukleation erhielten, war der PSA-Abfall von im Mittel 18,3 (5,4-47,4) bei ESB auf 4,2 (0,05-11,8) bei der Nachuntersuchung deutlich zu erkennen. Dies basiert auf dem Umstand, dass die Verkleinerung des Prostatavolumens gleichzeitig auch das PSA produzierende Gewebe reduziert. Die beiden Patienten, die sich im Verlauf einer RPX unterziehen mussten, hatten zum Zeitpunkt der Nachbefragung einen PSA-Wert im nicht nachweisbaren Bereich. Ein wesentlicher Unterschied im mittleren Alter der verschiedenen Subgruppe bestand nicht (Tabelle 8). 28 4. Diskussion Seit der wegweisenden Publikation von Hodge et al. [42] ist die randomisierte TRUS-gesteuerte Sextantenbiopsie der Prostata der anerkannte Standard im Nachweis eines eventuell vorhandenen Prostatakarzinoms [38]. Diese Probengewinnung ist nach den aktuellen Leitlinien der EAU (European Association of Urology) aus dem Jahre 2011 bei auffälliger DRU und/oder einer unklaren PSA-Erhöhung > 4 ng /ml indiziert [38]. In diesem Zusammenhang ist es jedoch entscheidend, zwei Fakten zu erwähnen: Einerseits ist bekannt, dass nicht jeder Patient mit auffälligen klinischen und laborchemischen Untersuchungen ein Prostatakarzinom hat. So zeigte sich in der Studie von Morote et al. [62] tatsächlich nur bei 20-25% der Männer ein Prostatakarzinom, die einen PSA-Wert zwischen 4,5 und 10 ng/ml und eine unauffällige DRU hatten. Histologische Befunde wie eine BPH oder Prostatitis wurden für die erhöhten PSA-Werte verantwortlich gemacht. Andererseits wird durch die klassische Sextantenbiopsie eine signifikante Anzahl an Karzinomen nicht entdeckt. Stroumbakis et al. [87] führten bei Patienten mit nachgewiesenem Prostatakarzinom vor der radikalen Prostatektomie eine erneute Sextantenbiopsie durch und fanden hierbei eine falsch negative Rate von 20%. Insofern sind Patienten, bei denen trotz vorhergehender unauffälliger Stanzbiopsie der Prostata weiterhin der Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms aufgrund eines auffälligen Tastbefundes, verdächtigem TRUS oder weiterhin erhöhtem bzw. ansteigendem PSA-Wert besteht, eine medizinische Herausforderung für den klinisch tätigen Urologen. Derzeit existieren zwei Möglichkeiten, in einem solchen Fall diagnostisch weiter vorzugehen: Einerseits die Wiederholung des gleichen Biopsieverfahrens, andererseits die Anwendung eines extensiveren Stanzverfahrens (Sättigungsbiopsie) mit der Intention, die Wahrscheinlichkeit der Detektion eines bisher übersehenen Karzinoms zu erhöhen. In der vorliegenden Studie wurde bei Patienten mit dem persistierenden Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms ein wesentlich erweitertes 29 Biopsieverfahren angewandt, um die Detektionsrate gegenüber den oben genannten Vorgehen noch einmal zu erhöhen: Die von uns so bezeichnete „Erweiterte Saturationsbiopsie“ (ESB). Im Rahmen derselben wurden im Median 57 Gewebezylinder (35-139) entnommen, welches eine deutliche Steigerung gegenüber bisherigen Sättigungsbiopsien mit 14 bis 24 Zylindern darstellte [71]. 4.1 Karzinomdetektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im Vergleich zu Schemata mit geringerer Zylinderanzahl im Rahmen einer Wiederholungsbiospie In der vorliegen Studie zur ESB konnte bei 36 von 82 Patienten mit einer oder mehreren vorhergehenden negativen Biopsien, aber weiterhin bestehenden Karzinomverdacht, ein Karzinom entdeckt werden, was einer Detektionsrate von 44 % entspricht. Dieser Wert ist deutlich höher als der entsprechende von Sextanten - und Sättigungsbiopsie in derselben Fragestellung. 4.1.1 Vergleich mit Sextantenbiopsie Nach einer negativen Sextantenbiopsie hatten Ellis et al. [25] und Keetch et al. [49] bei Patienten mit konstant erhöhten PSA-Werten oder auffälliger DRU in einer weiteren, zweiten Sextantenbiopsie eine Karzinomdetektionsrate von 20% bzw. 19%. In einer der Studien zeigten sich interessanterweise allerdings Prostatakarzinome in der dritten bzw. vierten Sextantenbiopsie in 8% und 7% der Fälle, was dafür spricht, dass diese Karzinome in der ersten Kontrollbiopsie nicht entdeckt worden waren [49]. Die Sextantenbiopsie als Wiederholungsbiopsie hat also erneut eine relativ hohe falsch negative Rate, wie die Nachuntersuchungen zeigten. 4.1.2 Vergleich mit Sättigungsbiopsien Aufgrund der schlechten Ergebnisse der Sextantenbiopsie propagierten andere Autoren ein erweitertes Biopsieverfahren für Wiederholungsbiopsien, hauptsächlich verändert in der erhöhten Anzahl an Stanzproben und veränderten Regionen der Prostata, aus denen Zylinder entnommen wurden 30 [4, 33, 69, 70, 86]. Mit diesen Sättigungsbiopsien zeigten sich Karzinomdetektionsraten zwischen 20-34% bei Patienten mit negativen Vorbiopsien. Borboruglu et al. [4] erreichten mit ihrem erweiterten Biopsieverfahren eine Karzinomdetektionsrate von 30%. Sie wandten ein Verfahren an, das verglichen mit der ESB ebenfalls den lateralen Anteil und die Transitionalzone der Prostata mit einbezog, allerdings mit durchschnittlich 22,5 Zylinder deutlich unter der Probenzahl der ESB (Median 57 Stanzzylinder) lag. Die Gruppen um Rabets et al. [70], Stewart et al. [86] und Pryor et al. [69] konnten mit ähnlichen Schemata (mittlere Anzahl der Stanzzylinder 24, 23, 21) in entsprechend 29%, 34% und 20% der Patienten mit negativen Vorbiopsien ein PCA diagnostizieren [69, 70, 86]. Aber selbst mit diesen Verfahren muss davon ausgegangen werden, dass einige Karzinome unentdeckt bleiben. Hinweise darauf finden sich in der Studie von Pryor et al. [69], die eine Sättigungsbiopsie mit 14-28 Proben (Median 21) anwendeten. Obgleich die Detektionsrate bei 20% lag, wurde bei 6 von 35 Patienten ein Prostatakarzinom nicht diagnostiziert. Dieses zeigte sich in dieser Studie entweder nur in einer parallelen TURP-Biopsie oder im Verlauf durch zusätzliche TRUS gesteuerten Biopsien nach einem Median von 24 Monaten nach der ersten Sättigungsbiopsie [69]. Lediglich eine Studie zeigte durch eine Sättigungsbiopsie (Median 24 Zylinder) mit 41% eine Karzinomdetektionsrate, die deutlich höher lag als in den oben genannten Studien zur Sättigungsbiopsie [90]. Im Vergleich zu diesen Studien zeigte sich kein Unterschied im Hinblick auf die Anzahl der vorangegangenen Biopsien, dem mittleren PSA oder dem Patientenalter. Weitere Patientencharakteristika, die die deutliche Differenz zu den anderen Sättigungsbiopsiestudien aus Unterschieden im Patientenkollektiv erklären könnten, wurden nicht dargestellt. Insofern bleibt der Grund für die 10-15% höhere Detektionsrate bei Walz et al. ungeklärt. 31 4.2 Detektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im Zusammenhang mit den unauffälligen vorhergehenden Biopsien Man könnte argumentieren, dass die erhöhte Karzinomdetektionsrate darauf zurückzuführen ist, dass in der vorliegenden Studie im Vergleich zu anderen schon frühzeitig - nach eventuell nur einer unauffälligen Vorbiopsie - eine ESB durchgeführt wurde und dadurch eine Selektion des Patientengutes erfolgte. Tatsächlich besteht im direkten Vergleich zu den meisten oben erwähnten Studien kein nennenswerter Unterschied in der Anzahl vorhergehender Biopsien, die keinen Karzinomnachweis erbrachten. Im Median hatten die Patienten in der vorliegenden Arbeit zwei vorhergehende negative Biopsien. Diese Zahl ist vergleichbar zu den Studien von Borboroglu et al. (Median 2,1 (Range 1-4) Vorbiopsien bei 57 Patienten)[4], Stewart et al. (Median 1,8 (Range 1-7) Vorbiopsien bei 227 Patienten) [86], Rabets et al. (Median 1,6 (Range 1-5) Vorbiopsien bei 116 Patienten) [70], Walz et al. (Median 2,6 (Range 2-6) Vorbiopsien bei 161 Patienten) [90] und Pryor et al. (Median 2,4 (Range 2-5) Vorbiopsien bei 35 Patienten) [69]. Einzig die Arbeitsgruppe um Fleshner et al. [33] untersuchte 37 Patienten, die mit im Median 4,2 Vorbiopsien (Range 3-6) deutlich mehr Vorbiopsien aufwiesen (Tabelle 10). Die Studien der Wiederholungsbiopsien zeigen mit steigender Anzahl der vorhergehenden negativen Biopsien ein Abfall der Karzinomdetektionsrate. Die Untersuchung von Keetch et al. [49] fand durch Sextantenbiopsien in der ersten Biopsie bei 34% der Patienten ein Karzinom. Bei der Durchführung weiterer Biopsien aufgrund konstant erhöhtem PSA-Wert, auffälliger rektaldigitaler Untersuchung oder Ultraschalluntersuchung, betrug die Detektionsrate in jeweils der zweiten, dritten oder ≥ vierten Biopsie 19%, 8% und 7%. Ein vergleichbarer Zusammenhang konnte durch Rabets et al. [70] auch für Sättigungsbiopsien gefunden werden. Im Gegensatz zur Sextantenbiopsie wurde die Anzahl der Stanzzylinder auf 24 erhöht. Sie diagnostizierten Karzinome nach 1, 2 oder 3 vorhergehenden Biopsien in jeweils 33%, 25% und 22% der Patienten. 32 In der vorliegenden Untersuchung konnte dies nicht beobachtet werden. Vielmehr zeigt sich folgender Zusammenhang zwischen der Detektionsrate des Prostatakarzinoms und der Anzahl vorhergehender Negativbiopsien: a) sinkende Detektionsrate von 50% auf 35 % bei entsprechend einer und zwei vorhergehenden negativen Biopsien und b) ein Anstieg der Karzinomdetektion auf 66,7% bei ≥ 3 vorhergehenden Biopsien. Dies könnte der Besonderheit des vorliegenden Patientenkollektivs zugeschrieben werden. Bei einem Patienten, der nach 2 unauffälligen Biopsien zur weiteren Beurteilung und Diagnostik überwiesen wurde, müssen sehr klare Hinweise auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms bestehen. Damit kann man von einer gewissen, nicht zu beeinflussenden Selektion dieser speziellen Untergruppe ausgehen, welche auch die Detektionsrate beeinflusst. Die Tatsache, dass die Technik der ESB ihrerseits die gesamte Prostata – auch Regionen, die Standardverfahren oder normale „Sättigungsbiopsien“ nicht erreichen – untersucht, führt dann in einem höheren Maße auch zu einer Detektion des Karzinoms in diesem Patientenkollektiv. Zusätzlich könnte das höhere Detektionsergebnis auch statistisch durch den Bias der niedrigen Patientenzahl in dieser Untergruppe entstehen. 4.3 Upgrading nach Opertion im Vergleich zur Biopsie In der Abschätzung der möglichen Therapien für den individuellen Patienten spielt die histologische Differenzierung des Prostatakarzinoms eine wesentliche Rolle. Bekannt ist jedoch, dass die pathologische Untersuchung des Prostatektomiepräparates im Vergleich zu der Untersuchung der Biopsien oft zu einem „Upgrading“ führt. Das heißt, dass die histologische Untersuchung der Biopsien zu einem hohen Prozentsatz eine zu positive Einschätzung des Tumors ergibt. Im Vergleich zu der seltenen Notwendigkeit eines so genannten „Downgradings“ kommt es in bis zu über 70% der Fälle zu einem postoperativen „Upgrading“ [31, 65]. Die Ursache für die in allen Studien zu beobachtende Unterschätzung des Gradings in der Biopsie liegt unter anderem in der Multifokalität und Heterogenität des Prostatakarzinoms. Cheng et al. stellten 2005 fest, dass die Mehrzahl der Karzinome multifokal und bilateral wächst [16]. Zwangsläufig muss das führende Tumorgewebe in der Biopsie nicht dem des Haupttumors im Prostatektomiepräparat entsprechen. 33 Außerdem kann sogar ein einzelner Tumorknoten niedrig- als auch hochdifferenzierte Areale zeigen [26]. Da einerseits im Verhältnis zum Drüsenvolumen durch die Proben nur wenig „Volumen“ entnommen wird und andererseits die einzelnen Stanzzylinder sich nicht einem gemäß seinem Volumen relevanten Tumorknoten zuordnen lässt, ist es nachvollziehbar, dass letztlich das Karzinom in seiner Gesamtheit im postoperativen Präparat den Wert des Gleason Scores bestimmt und somit zu dem oben genannten Prozentsatz vom Biopsieergebnis abweicht [76]. Für Standard-Sextantenbiopsien liegen die Angaben über den Prozentsatz der „Upgrades“ in der Literatur bei 41-43% der Fälle [26, 50], in der Studie von Fernandes et al. sogar bei 74,6% [31]. Die Erweiterung der Biopsieverfahren auf Sättigungsbiopsien senkte in direkten Vergleichsstudien den Prozentsatz des „Upgradings“ auf 35% und sogar 17% [50, 58]. Diese Daten geben einen Hinweis darauf, dass erweiterte Biopsieverfahren die diagnostische Unterschätzung der Karzinomaggressivität mindern können. Betrachtet man in der vorliegenden Studie die 32 Patienten, bei denen in der ESB ein Karzinom diagnostiziert wurde und die sich einer anschließenden Operation unterzogen, kam es nur bei 3 Patienten (9,4%) zu einem Upgrade der Histologie. Dieses Ergebnis legt den Schluss nahe, dass die deutliche Erhöhung der Stanzzylinderzahl in der ESB die Verbesserung der histologischen Einschätzung des vorliegenden Tumors weiter fortsetzt, wo bereits Sättigungsbiopsien einen Fortschritt bedeuteten. Da die histologische Einschätzung nach der Biopsie eine wichtige Grundlage in der Therapieentscheidung darstellt, bedingt eine Fehleinschätzung hin zu einem Tumor mit weniger aggressivem Potential unter Umständen eine abwartende therapeutische Haltung trotz Vorliegen eines therapiebedürftigen Karzinoms. Der Einsatz erweiterter Biopsieschemata, insbesondere der ESB kann dieses Risiko senken. 34 4.4 Erweiterte Saturationsbiopsie Detektion insignifikanter Tumore Nach der Detektion des Prostatakarzinoms ist die richtige therapeutische Strategie für die vorliegende Befundkonstellation zu wählen, was voraussetzt, dass man die klinische Relevanz des entdeckten Karzinoms kennt. Kritiker werfen den erweiterten Biopsieschemata vor, grundsätzlich vermehrt insignifikante Tumore zu entdecken und damit zu einer Überbehandlung des betroffenen Patienten zu führen [3, 9, 11, 60]. Dem halten andere Gruppen entgegen, dass die Möglichkeit der „Overdetection“ gegen das Risiko abgewogen werden muss, ein klinisch signifikantes Malignom durch eine inadäquate Biopsiestrategie mit einer hohen falsch negativen Rate zu übersehen [48, 49, 87]. 4.4.1 Definition des insignifikanten Karzinoms an den pathologischen Präparaten Zur Einschätzung der klinischen Relevanz von Prostatakarzinomen haben Stamey et al.[82] Prostatae von 139 Patienten untersucht, die aufgrund eines Harnblasenkarzinoms eine Zystoprostatektomie erhielten. 40% hatten in der pathologischen Untersuchung ein Prostatakarzinom, bei 7,9% aller Patienten betrug das Volumen des Karzinoms >0,5 ml. Da das geschätzte Lebenszeitrisiko für die Diagnose eines PCA in den USA bei ungefähr 8% liegt, haben die Autoren geschlussfolgert, dass Tumore mit einer Größe >0,5 ml klinisch relevant werden. Epstein et al.[28] schlossen in der Folge das histologische Grading nach Gleason in die Definition des insignifikanten Karzinoms mit ein. Grundlage dieses Gradings sind die verschiedenen Wachstumsmuster des Prostatakarzinoms. Da das Prostatakarzinom häufig multifokal wächst und in den einzelnen Foci unterschiedliche Wachstumsmuster vorliegen, teilt dieses System das Karzinom in ein primäres (vorherrschendes) und ein sekundäres Muster ein. Die beiden vorherrschenden Muster werden einzeln als „Gleason Grad“ bezeichnet und können einen Wert von 1-5 einnehmen; beide Grade 35 werden anschließend zum Gleason Score addiert. So lässt sich ein Gleason Score von 1 plus 1= 2 für das Karzinom mit der besten histologischen Differenzierung bis 5 plus 5= 10 für den Tumor mit der schlechtesten Differenzierung festlegen. Epstein et al. [28] definierten 1994 entsprechend den „klinisch insignifikanten Tumor“ als begrenzt auf die Prostata, Tumorvolumen < 0,2 ml und Gleason Score <7. Alle anderen Karzinome wurden als minimal (begrenzt auf die Prostata, 0,2-0,5 ml, Gleason <7) , moderat (Kapseleinbruch und Gleason < 7 oder Volumen >0,5 ml und begrenzt auf die Prostata) oder fortgeschritten (Kapseleinbruch und Gleason ≥7, positive Schnittränder, Samenblasen- oder Lymphknotenbeteiligung) bezeichnet. Kürzlich ver- öffentlichten Epstein et al. [29] eine leicht abgewandelte Definition des klinisch nicht signifikanten Tumors: Insignifikant sei ein PCA dann, wenn das Karzinom organbegrenzt ist, kein Gleason Pattern 4 oder 5 und ein Tumorvolumen <0,5 ml vorliegt. Das entspricht einer Erweiterung um den minimalen Tumor aus der einstigen Definition. Dugan et al. [22] entwickelten ein anderes Modell zur Definition des klinisch insignifikanten Karzinoms mit folgenden Faktoren: Tumorvolumen, angenommene Verdopplungszeit des Tumorvolumens und Lebenserwartung des Patienten. Demzufolge werden klinisch nicht signifikante Karzinome als solche Karzinome definiert, die bis zum erwarteten Todeszeitpunkt des Patienten nicht größer als 20 ml sein würden und deren Gleason Score kleiner als die Dekade des Alters des Patienten ist. Die Grundlage des gewählten Grenzwertes für das Prostatavolumen war die Studie von Bostwick et al. [7], die bei einem Tumorvolumen von 20 ml eine Wahrscheinlichkeit von 87,4% für eine Metastasierung fanden. Die Schwierigkeit einer Vorhersage der geschätzten Tumorverdopplungszeit entsteht durch weit gestreute Angaben zur Verdopplungszeit des Prostatakarzinoms von 1,2 Monaten [18] bis zu 4 Jahren [77]. International anerkannt zur Einschätzung der Signifikanz eines Prostatakarzinoms ist im Moment allerdings alleinig das Tumorvolumen von 0,5 ml gemäß den Guidelines der European Association of Urology [39]. 36 Das Tumorvolumen selbst wird von verschiedenen Arbeitsgruppen als geeignetes Kriterium für die Signifikanz eines Prostatakarzinoms in Frage gestellt. Die These, dass kleine Karzinome (<0,5 ml), besonders wenn sie zusätzlich gut differenziert sind, im Laufe des Patientenlebens vermutlich keinen Progress zeigen werden [3], konnte in verschiedenen Studien nicht bestätigt werden. El-Gabry et al. [23] präsentierten eine Studie, bei der 37% aller Patienten, deren Tumor von „insignifikanter“ Größe (<0,5 ml) war, an einem nach sonstigen Gesichtspunkten signifikanten Tumor (Organüberschreitung, Gleason Score >6, Infiltration Blasenhals) erkrankt waren. Auch bei Anast et al. [1] zeigten 18% der Patienten mit einem Tumorvolumen <0,5 ml eine extraprostatische Ausbreitung. Epstein et al. [28] veröffentlichten 1994 Daten von 720 Patienten, bei der sich bei der Untersuchung von Tumorvolumen und Gleason Score folgendes zeigte: Von 106 Tumoren mit einem Gleason Score von 8, 9 oder 10 zeigten 46% ein Volumen von unter 1 ml [28]. Die Ergebnisse, dass auch relativ kleine Karzinome ein aggressiveres Verhalten zeigen können, wurden durch eine weitere Studie von Cheng et al. [16] bestätigt. Trotz der eingeschränkten Aussagekraft wird das Tumorvolumen in den meisten Studien und in den Guidelines als Stratifizierungsmerkmal eingesetzt. In der vorliegenden Studie konnte dieser Parameter jedoch nicht bestimmt werden, was den Vergleich mit anderen Studien erschwert, aber nicht unmöglich macht. Eine Kenntnis des Tumorvolumens könnte die Auswertungen nur zu Gunsten der signifikanten Tumore verschieben, so dass die Zahlen und Prozentanteile für die maximale Anzahl an insignifikanten Tumoren stehen. 4.4.2 Signifikanz des Prostatakarzinoms, welches bei der ESB gefunden wurde Die Bestimmung des Tumorvolumens setzt eine Lamellierung der Prostata sowie die zu Hilfenahme eines computergesteuerten Bildanalyseverfahrens voraus [27, 28]. Die Aufarbeitung der Prostata erfolgt jedoch in den meisten Pathologien - so auch an der Universitätsklinik Ulm - entsprechend einer Konsensusempfehlung, die Serienschnitte nicht vorsieht [75]. Eine exakte Bestimmung des Tumorvolumens anhand der Präparate der radikalen Prostatektomie in der vorliegenden Studie war somit nicht möglich. 37 Aufgrund der fehlenden Tumorvolumenbestimmung wird in der Abschätzung der Signifikanz der entdeckten Prostatakarzinome das pTNM-Tumorstadium neben dem postoperativen Gleason Score - herangezogen. Näherungsweise wurde davon ausgegangen, dass alle Prostatakarzinome, die als pT2a eingruppiert wurden, ein Tumorvolumen von <0,5 ml hatten und die Tumorgröße bei allen pT2c Tumoren >0,5 ml lag. Bei den pT2b Prostatakarzinomen liegt das Volumen dementsprechend entweder bei < oder >0,5 ml. Diese Annahme führt dazu, dass sich mindestens ein insignifikantes Karzinom (1/32, entsprechend 3.1%) nach den Kriterien von Epstein et al. [29] in den Prostatektomiepräparaten fand (pT2a, Gleason Summe von 3). In der Gruppe der Patienten mit einer Gleason Summe <7 und einem pT2b Tumor (6 Patienten) können maximal alle ein Tumorvolumen von <0,5ml haben und somit ausschließlich insignifikante Karzinome vorliegen. Andererseits kann theoretisch auch bei allen dieser Patienten ein Tumorvolumen von >0,5 ml mit der dann daraus resultierender Signifikanz der Karzinome vorliegen. Dementsprechend bewegt sich die Rate an insignifikanten Karzinomen zwischen 3,1% und 21,8% (7/32 Patienten). In den Studien mit Sättigungsbiopsien zeigten sich vergleichbare Raten an insignifikanten Karzinomen. Barboroglu et al. [4] fanden ein Tumorvolumen von >0,5 ml bei 12 von 13 Patienten nach radikaler Prostatektomie, was nach den Kriterien von Stamey et al. einer Rate an insignifikanten Karzinomen von 8% entsprach [4, 5]. Bei Rabets et al. [70] hatten alle Patienten, die sich für eine radikale Prostatektomie entschieden, einen Gleason Score von 6 oder 7 sowie ein Tumorvolumen >0,5 ml [70] und wiesen damit immer ein signifikantes Prostatakarzinom auf. Unter Einbeziehung der Kriterien von Dugan et al. [22] und einer angenommenen mittleren Tumorverdopplungszeit von 3 Jahren hatten nur 14,3% der Patienten von Stewart et al. [86] ein klinisch insignifikantes Karzinom. Die anderen zitierten Studiengruppen mit Sättigungsbiopsien nach vorhergehenden unauffälligen Stanzbiopsien und persistierendem klinischen Verdacht auf ein Prostatakarzinom äußerten sich nicht zu der Rate insignifikanter Tumore in den Prostatektomiepräparaten. Vor diesem Hintergrund kann eine vermehrte Detektion insignifikanter Tumore durch erweiterte Biopsieschemata nicht angenommen werden. 38 4.4.3 Ist die Rate an insignifikanten Karzinomen erhöht, wenn schon mehrere unauffällige Prostatastanzbiopsien vorlagen? Eine Mutmaßung könnte sein, dass bei Patienten, bei denen schon mehrere unauffällige Prostatastanzbiopsien vorliegen, die ESB vermehrt insignifikante Karzinome entdeckt, da größere Tumore schon bei einer der vorhergehenden Biopsien hätten entdeckt werden müssen. Tatsächlich zeigte sich in der vorliegenden Studie, dass Patienten mit mehr als 3 negativen vorherigen Biopsien in 4 von 5 Fällen einen pT2a Tumor mit potentiell kleinem Tumorvolumen hatten. Entsprechend den o.g. Ausführungen gehen wir davon aus, dass alle pT2a Tumore <0.5 ml groß sind. Nur ein Patient wies einen pT2c Tumor in der Aufarbeitung des Prostatektomiepräparates auf. Der Gleason Score dieser Patienten lag im Gegensatz zum niedrigen Tumorstadium postoperativ in allen Fällen bei 7 (3+4). Bei konsequenter Anwendung der Insignifikanzkriterien von Epstein et al. [29] mit einer Forderung von Gleason <7 für insignifikante Tumore sind alle diese Karzinome als signifikant zu betrachten. Das heißt, dass in der vorliegenden Studie nach >3 Vorbiopsien hauptsächlich kleinere Tumore gefunden werden (pT2a), die allerdings eine relevante Aggressivität (histologisches Grading) aufweisen. Die Annahme, dass durch die ESB und andere erweiterte Verfahren nach vielen negativen Vorbiopsien hauptsächlich insignifikante Tumore gefunden würden, ist damit entkräftet. Es ist sogar davon auszugehen, dass es mit der ESB gelingt, eben kleinere, dafür aber signifikante Tumore zu finden, wo andere Verfahren im Vorfeld nicht „treffen“ konnten, aber klare klinische oder laborchemische Hinweise auf ein Karzinom vorlagen. Dass der Zusammenhang von Tumorvolumen und –aggressivität nicht immer korreliert, konnten Miller et al. [59] nachweisen, die beides fanden: Großvolumige Tumore mit einem niedrigen Gleason Score, aber eben auch kleinvolumige Prostatakarzinome mit hoher Aggressivität [59]. Genauso konnten Epstein et al. [27] bei 37% der Karzinome <1 ml und bei noch 29% der Karzinome <0,5 ml ein Gleason Grad von 4 oder 5 nachweisen. 39 Unsere Ergebnisse könnten als Hinweis dafür interpretiert werden, dass Patienten mit >3 Vorbiopsien besonders von der Anwendung der ESB profitieren. Wegen der geringen Fallzahlen in unserer Studie ist eine generelle Empfehlung für erweiterte Verfahren oder sogar die ESB gerade für die Gruppe der mehrfach mittels Stanzbiopsien der Prostata voruntersuchten Patienten nicht zulässig. Es scheint aber vielversprechend, für diese Untergruppe von Patienten die ESB in größeren Studien zu untersuchen. 4.5 Nachsorge Das Bewusstsein, dass trotz ESB Karzinome übersehen werden können, macht eine Nachbetrachtung der Patienten im Follow up essentiell. Hier kann insbesondere im Vergleich zu anderen Studien die Wertigkeit der ESB überprüft werden. In einer telefonischen Befragung konnten 95,6% der in der ESB karzinomfreien Patienten der Studie nach im Median von 79 Monaten (>6,5 Jahren) kontaktiert werden. Der PSA-Wert lag in der Verlaufsbeobachtung dieser Patienten im Mittel bei 9,6 ng/ml (0,05-74,7 ng/ml) und damit im Vergleich zum Zeitpunkt der ESB (15,6 ng/ml) niedriger. Der niedrigere Wert muss allerdings auch unter dem Aspekt betrachtet werden, dass sich insgesamt 9 Patienten einer TUR-P und 4 Patienten einer Adenomektomie bei benigner Hyperplasie unterziehen mussten. Durch die TUR-P und die Adenomektomie wird das Prostatavolumen deutlich reduziert, damit auch das PSA produzierende Gewebe. Damit könnte argumentiert werden, dass die Volumenreduktion ursächlich für den niedrigen mittleren PSA-Wert ist und die Detektion eines Prostatakarzinoms verschleiert. Betrachtet man jedoch ausschließlich die Patienten, die im Follow-up keine volumenreduzierende Therapie (TUR-Prostata oder Adenomenukleation) erhalten haben, so ist der PSA-Wert mit 11,5 ng/ml immer noch deutlich niedriger als zum Zeitpunkt der ESB. 40 Im Follow-up wurde lediglich bei 2 von 44 Patienten ein Prostatakarzinom diagnostiziert, die sich beide einer radikalen Prostatektomie unterzogen. In einem Fall fand sich bei dem Eingriff 5,5 Jahre nach ESB einen pT2c pN0 M0 Gleason 3+4 Prostatakarzinom. Beim zweiten Patienten wurde dieser Eingriff bei einer positiven Rebiopsie (Karzinomnachweis in einer Stanzbiopsie, Gleason Summe 3+3, PSA 10, Ratio 20%) durchgeführt. In der postoperativen histologischen Untersuchung des Gewebematerials konnte interessanterweise jedoch kein Karzinom nachgewiesen werden. Das Fehlen des Nachweises eines Prostatakarzinoms nach der radikalen Prostatektomie (pT0) wird in der Literatur mit einer Häufigkeit von 0,07%-4,2 % beschrieben [56]. Das von Goldstein et al. [35] 1995 als „Phänomen des verschwindenden Karzinoms“ („vanishing cancer phenomenon“) bezeichnete Fehlen eines postoperativen Karzinomnachweises nach vorhergehender positiver Biopsie könnte den Eindruck vermitteln, die Prostata sei unnötigerweise entfernt worden. Die Analyse und Diskussion der Fälle von pT0 in der Literatur zeigen allerdings vielfältige Gründe auf, warum die postoperative pathologische Untersuchung karzinomfrei sein kann. Bereits präoperativ können kleine Tumore durch das initiale Verfahren (TUR oder Biopsie) in toto entfernt worden sein. Falls im postoperativen Präparat oder in Schnitten desselben, Teile der peripheren Zone fehlen, die womöglich auch denen der positiven Stanzzylinder entsprächen, ist es möglich, dass das Karzinom im Patienten verblieben ist [56]. Eine grundsätzliche analytische, postoperative Fehlerquelle stellt die Menge des histologisch untersuchten Materials dar. Man geht davon aus, dass im Durchschnitt nur 1% der verfügbaren Oberflächen einer komplett in Paraffin eingebetteten Prostata tatsächlich in Schnitten beurteilt werden, so dass kleinere Tumoren ungesehen im Paraffinbett verbleiben könnten [17]. Humphrey et al. errechneten in diesem Zusammenhang, dass mindestens 2678 Schnitte analysiert werden müssten, wenn die gesamte Prostata in seriellen Schnitten vom Pathologen gesehen werden sollte [45]. Darüber hinaus könnten bei der technischen Aufarbeitung und Vorbereitung des Präparates (z.B. Zuschneiden des Paraffinblockes mit dem Präparat) kleine Tumoren sogar aus dem Präparat gelöst werden. 41 Bei fehlendem Karzinomnachweis gibt es bislang kein Standardvorgehen für die Suche nach einem Karzinom, dennoch konnten durch anschließende weitere Analysen des Präparates in einem hohen Prozentsatz doch noch Karzinome festgestellt werden [10, 21, 56, 66]. Zu den möglichen Schritten gehören heute: Erneute pathologische Untersuchung der Biopsie, erneute Untersuchung des Prostatektomiepräparates durch einen zweiten Pathologen, weiterführende Aufarbeitung des Präparates durch Erhöhung der Schnittzahlen und neuerdings auch Immunfärbemethoden z.B. mit Alpha-methyl-CoARacemase (AMACR) oder anderen Markern. Über eine höhere Inzidenz von pT0 in hormonvorbehandelten Patienten wird von mehreren Arbeitsgruppen berichtet [37, 40, 51, 52, 63, 79, 88]. Köllermann et al. analysierten eine Gruppe von 174 Patienten mit einer längeren Androgenentzugstherapie und beobachteten eine pT0 Histologie der Prostata bei 36 Patienten (21%) [52]. Es wird angenommen, dass die Hormontherapie tatsächlich vereinzelt zum präoperativen Verschwinden eines Karzinomfokus führen kann. Letztendlich bleiben als Gründe für ein pT0 nach radikaler Protatektomie natürlich auch Fehler im Prozess des Probentransportes und der Dokumentation (fehlerhafte Etikettierung, Verwechslung von Probenbehältern und Präparateschnitten oder fehlerhafte Dateneingabe in das Informationssystem oder in einen Bericht). Eine Studie, die diese Fehlerquellen untersuchten, bedienten sich unter anderem der Genanalyse zur Sicherstellung der Patienten/ Probenidentität und fanden Verwechslungen in 1 von 46 Fällen von pT0 Prostatektomiepräparaten [10]. Im Falle des Patienten mit fehlendem Karzinomnachweis in der vorliegenden Studie wurde im Vorfeld keine Hormontherapie durchgeführt, es wurde das komplette Prostatektomiepräparat eingebettet und in Schnitten untersucht. Marker wie AMACR befanden sich zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht im klinischen Einsatz, so dass am ehesten von einer kompletten Entfernung des kleinen Fokus durch die Biopsien ausgegangen werden kann. 42 Bei einer angenommenen Tumorverdopplungszeit von im Mittel 2 Jahren wäre davon auszugehen, dass ein zum Zeitpunkt der Biopsie signifikanter Tumor bis zum Nachbefragungszeitpunkt diagnostiziert worden wäre. Dieses Ergebnis kann als weiterer Hinweis gewertet werden, dass die ESB eine hohe Detektionsrate signifikanter Tumore aufweist. Im Nachbeobachtungszeitraum von im Mittel 6,5 Jahren war die Rate der in der ESB unentdeckten, aber im Verlauf signifikanten Tumore lediglich bei 1 von 44 Patienten (2,3%) festzuhalten. Im Vergleich zur Sextantenbiopsie mit einer falsch negativen Rate von 19-39% in den Studien von Keetch et al. [49], Ellis et al. [25] und Hong et al. 2004 [44] und sogar im Vergleich zu erweiterten Biopsieverfahren mit ca. 17% bei Pryor et al. 2002 [69], ist die ESB in unserem Patientengut damit ein wertvolles Diagnostikum mit der zuverlässigsten Entdeckung signifikanter Tumore. 43 5. Zusammenfassung Die Stanzbiopsie der Prostata ist die einzige Methode zum Nachweis eines Prostatakarzinoms bei Vorliegen klinischer oder laborchemischer Hinweise auf ein Karzinom. Die seit 1989 als Standard eingeführte Sextantenbiopsie mit 6 Stanzzylindern detektiert als Erstbiopsie allerdings in bis zu 30% der Fälle ein signifikantes Karzinom nicht. Bei negativer Stanzbiopsie und weiterhin bestehenden Hinweisen auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms (Digitalrektale Untersuchung, Prostataspezifisches Antigen oder Histologie) sind im Verlauf zwei Vorgehensweisen möglich: Wiederholung des gleichen Biopsieschemas oder Anwendung einer so genannten Sättigungsbiopsie mit deutlich höheren Stanzenzahlen. Im Falle der bisher angewandten Sättigungsbiopsien liegt die Streubreite der Zylinderzahlen pro Biopsie zwischen 12 und 23. Dennoch bleiben auch mit den erwähnten Sättigungsbiopsien Karzinome in bis zu 7-20% der Fälle unentdeckt. In der vorliegenden Studie wurde nun eine Erweiterte Sättigungsbiopsie mit im Median 57 Stanzen und zusätzlichen Entnahmeregionen entwickelt. Es sollte die Frage geklärt werden, ob ein auf diese Art deutlich erweitertes Biopsieverfahren eine höhere Karzinomdetektionsrate signifikanter Tumore bei Patienten mit vorhergehenden negativen Biopsien aber persistierendem Karzinomverdacht aufweist. Die Erweiterte Sättigungsbiopsie findet nach einer oder mehreren vorhergehenden negativen Biopsien eine signifikant höhere Gesamtzahl an Karzinomen im Vergleich zu den vorliegenden Arbeiten zu Sextanten-, aber auch zu herkömmlichen Sättigungsbiopsien. In der Untergruppe der Patienten, die schon mehr als eine vorhergehende Biopsie hatten, ist dieser Unterschied noch deutlicher. Einen besonderen Vorteil scheint die Erweiterte Sättigungsbiopsie bei Patienten zu bieten, bei denen man trotz mehr als 3 vorhergehenden Biopsien bisher kein Karzinom diagnostizieren konnte, die aber dennoch klare Anzeichen für das Vorliegen eines Prostatakarzinoms hatten. In dieser Gruppe detektiert die Erweiterte Sättigungsbiopsie vornehmlich kleine, aber histologisch durchgängig aggressive, signifikante Tumoren. 44 Mit der Erweiterte Sättigungsbiopsie ist es außerdem möglich, das histologische Grading des vorliegenden Tumors nach Gleason bereits in der Biopsie genauer vorherzusagen, als es mit anderen Verfahren möglich ist. Dieses Ergebnis ist deswegen von besonderer Relevanz, da die Histologie der Biopsie über das weitere therapeutische Vorgehen mit entscheidet. In den bisherigen Biopsieverfahren, besonders allerdings in der Sextantenbiopsie, zeigte sich in höherer Zahl ein postoperatives „Upgrading“. Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Nachbeobachtung der Patienten mit einer karzinomfreien Erweiterte Sättigungsbiopsie nach im Mittel 6 Jahren konnte die guten Detektionsraten von Prostatakarzinomen in der Erweiterte Sättigungsbiopsie bestätigen: Nur bei 2,2% der Patienten wurde in der Folge ein signifikantes Karzinom detektiert und behandelt. 45 6. Literatur 1. Anast JW, Andriole GL, Bismar TA, Yan Y, Humphrey PA: Relating biopsy and clinical variables to radical prostatectomy findings: can insignificant and advanced prostate cancer be predicted in a screening population? Urology 64: 544-550 (2004) 2. 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Danksagung Ich möchte mich beim Ärztlichen Direktor der Urologischen Abteilung des Universitätsklinikums Ulm Herrn Prof. Dr. Schrader bedanken, dass er mir die Möglichkeit gab, diese Dissertation in seiner Abteilung veröffentlichen zu können. Einen besonderen Dank gilt Herrn PD. Dr. Simon, der mich mit viel Zeit und fachlicher Aufmerksamkeit betreute und trotz eigener Zeitnot mit viel Tatkraft in der Erstellung der Arbeit unterstützte. Frau Dr. Schmelz und Herrn Prof. Dr. Schmelz danke ich sehr herzlich für ihre moralische und freundschaftliche Unterstützung. Auch möchte ich mich bei meiner Familie bedanken: Meinen Eltern Bärbel und Berthold, dass sie mir mein ganzes Leben über mit all ihrer Kraft zur Seite stehen, mich begleiten und unterstützen. Bei meiner Frau Dr. Marlis Fricke und meinen beiden Jungs Julian und Daniel möchte ich mich ebenfalls ganz herzlich bedanken, dass sie mit viel Verständnis für meine Arbeit immer über die fehlende Anwesenheit hinwegsahen und mich antrieben, diese Arbeit zu erstellen. 51 8. Lebenslauf - Lebenslauf aus Gründen des Datenschutzes entfernt -
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