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Diplomarbeit
Titel der Diplomarbeit
„Wir zieh’n den Chanchan die Hälse lang!“
Kobayashi Kiyochikas Karikaturenserie Hyakusen
hyakushō exemplarisch beleuchtet
Verfasserin
Sonja Margaretha Hotwagner, Bakk.
angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag. phil.)
Wien, im Juni 2008
Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 315
Studienrichtung lt. Studienblatt: Kunstgeschichte
Betreuerin: Univ.-Doz. Dr. Jorinde Ebert
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort ........................................................................................................4
2. Einleitung.....................................................................................................6
3. Der Sino-Japanische Krieg 1894-95 ..........................................................7
4. Der Künstler ..............................................................................................13
4.1. Kobayashi Kiyochika – Sein Leben ......................................................13
4.2. Die Forschungslage..............................................................................23
5. Das Werk....................................................................................................25
Die Karikaturenserie Nippon Banzai. Hyakusen hyakushō (日本万歳百選百笑)
......................................................................................................................25
5.1. Exkurs: Satire und politische Karikatur in Meiji-Japan ..........................28
5.1.1. Charles Wirgman und sein Japan Punch........................................28
5.1.2. Marumaru Chinbun 丸丸珍聞..........................................................29
5.2. Formales zur Serie ...............................................................................29
5.3. Ukiyo-e, ein Nachrichtenmedium mit „Ablaufdatum“.............................31
5.4. Der Zauber der Zeichnung ...................................................................34
5.5. Der Chanchan – Zwischen Zerrbild und Vertrautheit............................36
5.6. Bild versus Schrift.................................................................................41
6. DIE BEISPIELE ............................................................................................43
6.1. Inhaltsverzeichnis .................................................................................44
„Prolog“ (Abb. 5) ............................................................................................
6.2. Blatt 1: ...................................................................................................57
„Chanchans großer Schrecken“ (Abb. 6) .......................................................
6.3. Blatt 2: ...................................................................................................65
„Das Lied vom Zerstampfen“ (Abb. 7)............................................................
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.4. Blatt 3: ...................................................................................................71
„Eilmeldung! Eilmeldung!“ (Abb. 8) ................................................................
6.5. Blatt 4: ...................................................................................................78
„Hochkonjunktur in der Unterwelt“ (Abb. 9)....................................................
6.6. Blatt 5: ...................................................................................................85
„Fluchtvorbereitungen“ (Abb. 10) ...................................................................
6.7. Blatt 6: ...................................................................................................92
„Köpfeziehen“ (Abb. 11).................................................................................
6.8. Blatt 7: ..................................................................................................98
„Ein dickhäutiges Gesicht“ (Abb. 12) .............................................................
6.9. Blatt 8: ................................................................................................104
„Vergnügen an modernem Kriegsspielzeug“ (Abb. 13)..................................
6.10. Blatt 9: ..............................................................................................111
„Eine in China neu erfundene Maschine“ (Abb. 14) .......................................
6.11. Blatt 10: ............................................................................................119
„Großes Gedränge am Fluss Sanzu“ (Abb. 15) .............................................
7. Zusammenfassung .................................................................................126
8. Glossar.....................................................................................................128
9. Literaturverzeichnis................................................................................133
10. Zeittafel ...................................................................................................139
12. Abbildungsverzeichnis..........................................................................141
13. Anhang....................................................................................................143
13.1. Abstract ..............................................................................................143
13.2. Lebenslauf der Verfasserin.................................................................144
3
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
1. Vorwort
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Karikaturenserie Nippon Banzai.
Hyakusen hyakushō, zu deutsch „Lang lebe Japan! Hundertmal gewählt,
hundertmal gelacht“, des japanischen Künstlers Kobayashi Kiyochika.
Im
Rahmen
meines
Doppelstudiums
der
Kunstgeschichte
sowie
der
Japanologie wurde schon früh mein Interesse für asiatische Kunst geweckt,
insbesondere die unglaubliche Vielfältigkeit des japanischen Farbholzschnittes
konnte mich bald in seinen Bann ziehen – einen Bann, der bis heute anhält.
Je länger ich mich mit dem ukiyo-e beschäftige, desto mehr faszinierende
Facetten scheinen sich zu bieten, desto mehr spannende Fragen gilt es zu
bedenken.
Ich habe im Zuge dieser Diplomarbeit viel gelernt und ich möchte gleich an
erster Stelle die Gelegenheit nutzen, mich bei den Menschen zu bedanken, die
dies erst möglich gemacht haben.
Bedanken möchte ich mich an erster Stelle ganz herzlich bei meiner Betreuerin,
Frau Univ.-Doz. Dr. Jorinde Ebert, die mich durch ihren Unterricht für die
Ostasiatische Kunstgeschichte begeisterte und mir beim Verfassen dieses
Papiers hilfreich zur Seite stand.
Ein besonders herzlicher Dank gilt des Weiteren dem Leiter des Instituts für
Ostasienkunde, Herrn Univ.-Prof. Dr. Sepp Linhart, der mir die Teilnahme an
einem Forschungsprojekt, die Karikatur im ukiyo-e betreffend, ermöglichte und
mit seinem Wissen Hürden zu überwinden half.
Ohne die Hilfe und Geduld Frau Noriko Brandls wäre mir das Übersetzen der, in
gar mancherlei Fällen kniffligen, Begleittexte sicherlich nicht gelungen. Sie
begleitete mich bei dieser Arbeit und nahm stets Anteil an meinen Sorgen.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Meine Familie trug mit Verständnis für die Tücken und Mühen des
Studentenlebens sowie dem richtigen Blick für die wesentlichen Dinge des
Lebens maßgeblich zum Abschluss meines Studiums sowie dem Entstehen
dieser Arbeit bei.
Liebe Eltern, Ba und Lis – Danke…Hab euch sehr sehr lieb!
Sehr geholfen haben mir außerdem meine Freunde, insbesondere Martin,
Micha und Sabine, drei bewundernswerte Menschen.
Ihnen und euch allen vielen herzlichen Dank!
In dieser Arbeit verwendete chinesische Eigennamen (Orte, Personen u.a.)
wurden großteils im ISO–7098:1991–standardisierten Hanyu Pinyin 漢語拼音文
字 romanisiert und unterscheiden sich daher von den meisten zitierten Quellen,
die sich vorwiegend den früher verwendeten Methoden wie der nach WadeGiles, bedienen.
Englische Zitate wurden vorwiegend belassen, vereinzelte Übertragungen ins
Deutsche wurden von mir vorgenommen.
Die Übersetzungen der japanischen Texte entstanden im Rahmen des
Forschungsprojektes
„Ukiyo-e
Karikaturen
1842-1905“
am
Institut
für
1
Ostasienkunde/Wien und finden sich auch in der entsprechenden Datenbank .
1
http://kenkyuu.jpn.univie.ac.at/karikaturen/ger/db_use.htm
5
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
2. Einleitung
Ukiyo-e, also der japanische Farbholzschnitt, gilt hierzulande trotz stetig
steigendem Interesse und dem Japan-Boom der letzten Jahre wohl leider
immer noch als Exot unter den kunsthistorischen Fachgebieten.
Namen wie Hiroshige, Hokusai oder Utamaro haben zwar längst, nicht zuletzt
auch wegen der unbestreitbaren Impulse, welche ihre Kunst der westlichen
Malerei zu geben vermochte (man denke hierbei etwa an Toulouse-Lautrec,
van
Gogh
oder
den
Wiener
Jugendstil),
auch
in
europäische
Kunstbetrachtungen Eingang gefunden, der wahre Umfang und die immense
Vielfältigkeit des Mediums bleibt jedoch bis dato nur wenig bekannt.
So war es für mich auch eine neue Herausforderung, mich im Zuge meiner
Diplomarbeit auf neues Terrain zu begeben, ein Terrain fernab der so
genannten „Hohen Kunst“, nahe am Menschen und seinem täglichen Umfeld,
an Gedanken und Ideologien – der Karikatur.
Der Sino-Japanische Krieg 1894-95 war von oftmals unterschätzter Wichtigkeit
für
das
aufstrebende
Inselreich.
Erstmals
konnte
Japan
sich
der
Weltöffentlichkeit als moderne Industrienation präsentieren und aus dem
Schatten
seines
übermächtigen
Nachbars
China
treten.
Abseits
der
Schlachtfelder werden in jedem Krieg jedoch auch andere Kämpfe gefochten,
Kämpfe auf Papier, zwischen Propaganda, Kunst und Kommerz.
Kobayashi Kiyochikas Karikaturenserie ist ein solcher Kampf und ich möchte
versuchen, ihn anhand einiger Beispiele in verschiedenen Facetten zu
beleuchten.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
3. Der Sino-Japanische Krieg 1894-95
Die Beschäftigung mit Kobayashi Kiyochikas Karikaturenserie Nippon banzai.
Hyakusen hyakushō muss zwangsläufig bei der Betrachtung des historischen
Kontextes beginnen, welches hier in besonders enger Verbindung mit dem
Werk selbst steht, ja eigentlich die grundlegende Thematik lieferte.
Über Jahrhunderte hinweg hatte die Verbindung zu China in Japan einen
besonders
großen
Platz
eingenommen,
die
räumliche
Nähe
machte
wechselseitige Beeinflussung leicht möglich. Vor allem auf technischem und
kulturellem Felde partizipierte Japan stets an der deutlichen Überlegenheit des
chinesischen Nachbarn; ob klassische Literatur, militärische Grundkenntnisse
oder höfisches Zeremoniell - chinesischer lifestyle fand auf vielerlei Arten
Eingang in japanische Traditionen, bereicherte und ergänzte sie.
Auch die Schrift verdankte man der chinesischen Hochkultur, aufbauend auf
und ergänzend zu den Schriftzeichen chinesischen Ursprungs (kanji)
entwickelte Japan sein eigenes Schriftsystem; bis in die Zeit des SinoJapanischen Krieges hielt sich jedoch der Usus, spezielle offizielle oder
literarische Dokumente in Chinesisch zu verfassen.
Ende des 19. Jahrhundert sollte sich das Kräfteverhältnis nun maßgeblich und
bis heute nachwirkend ändern – der Sino-Japanische Krieg 1894-95 legte die
Weichen für Japans weiteren Aufschwung und seinen heutigen Platz auf der
internationalen Bühne. Der Sieg über China sollte nicht nur zu einem neuen
Selbstbewusstsein
und
dem
Ausprägen
eines
Nationalstolzes
bislang
ungeahnten Ausmaßes, sondern auch zu wirtschaftlichem und politischem
Progress führen.
Auch wenn oftmals lediglich als Fußnote der Geschichte erwähnt, war der kaum
ein Jahr währende Krieg für Japan von fundamentaler Bedeutung, er steht
heute ungerechtfertigt im Schatten des Pazifischen Krieges, welcher erst
Jahrzehnte später Raum greifen sollte.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Meine Arbeit beschäftigt sich mit einer Serie an Farbholzschnitten, welche noch
während des Krieges in Japan erschienen. Um sich ihnen wissenschaftlich zu
nähern, möchte ich an den Anfang dieser Beschäftigung einen kurzen Abriss
des Kriegsverlaufes stellen.
Weiterführend verweise ich auf das grundlegende englischsprachige Werk zum
Sino-Japanischen Krieg 1894-95 von Nathan Chaïkin (1983), sowie die
Publikationen von Sarah Paine (2003) und Stewart Lone (1997).
Einen empfehlenswerten Überblick bietet auch Okamoto Shumpei im Vorkapitel
seines Buches Impressions of the Front. Woodcuts of the Sino-Japanese War,
1894-1895 (1983).
Ausgangspunkt des Sino-Japanischen Krieges waren politische Interessen in
Korea. Lange Zeit hatten China und Japan hier bereits um Domänen und
Einflusssphären gebuhlt, kriegerische Auseinandersetzungen schienen über
kurz oder lang vorprogrammiert.
Während China sich eher zurückhaltend gab und gröberen Konflikten aus dem
Weg zu gehen schien (landesinterne Probleme mögen hierbei eine bedeutende
Rolle gespielt haben), war Japan förmlich bestrebt, die Früchte der im Zuge der
Meiji-Revolution 1868 durchgeführten umfassenden Modernisierung des Militärs
und der Industrie zu ernten und im Rahmen eines Kräftemessen auf die Probe
zu stellen. Ein Anlass war bald gefunden.
In Korea rivalisierten konservative Parteien, welche eine engere Verbindung zu
China forderten, und progressiv gesinnte, pro-japanische Gruppen miteinander;
im Jahre 1894 brach schließlich im Süden des Landes eine ernstzunehmende
Revolte aus. Urheber war eine Sekte namens Tonghak, eine Gruppe Japan
feindlich gesinnter koreanischer Nationalisten, die sich bald schon gegen die
eigene reaktionäre Regierung in Seoul richtete.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
In dieser prekären Lage sah diese keinen anderen Ausweg, als China um
militärische Unterstützung bei der Niederschlagung des Aufstandes zu bitten –
ein Wunsch, dem China rasch nachkam, nicht jedoch ohne in genauer
Beachtung des Vertrages von Tientsin Japan von der Truppenbewegung zu
informieren.
Der Vertrag von Tientsin war am 18. April 1885 zwischen dem japanischen
Beauftragten Itō Hirobumi und dem chinesischen Oberbefehlshaber Li
Hongzhang
abgeschlossen
worden
und
legte
fest,
dass
bei
Truppenbewegungen oder Vorkommnissen jeglicher Art der Vertragspartner zu
informieren sei.
Prompt sah Japan seine Stunde gekommen und schickte am 2. Juni 1894
entgegen
des
ausdrücklichen
Wunsches
der
koreanischen
Regierung
seinerseits Truppen, zahlenmäßig den chinesischen weit überlegen, gen Korea,
um einen Machtüberhang zugunsten Chinas tunlichst zu unterbinden.
Am 8. Juni landeten 2.000 chinesische Soldaten bei Asan, während die
japanischen bei Inchor, nahe Seoul, an Land gingen. Am 23. Juli drangen
letztere in den koreanischen Regierungspalast ein und nahmen die königliche
Familie gefangen. Derart unter Druck gesetzt, bat der Taewongon Japan, Korea
von den chinesischen Truppen zu befreien – die Legitimation des Krieges war
erreicht.
Noch vor der offiziellen Kriegserklärung am 1. August 1894 begannen erste
Kampfhandlungen, so etwa bei Phungtao (Hōtō 豊 島 , 25. Juli), Songhwan
(Seikan 盛観, 29. Juli) sowie bei Asan (Gazan 牙山, 30. Juli), einer südlich von
Seoul gelegenen Festung.
Als sich im August beide Nationen schließlich formell den Krieg erklärten, waren
die Begründungen recht schwammig: Während Japan sich, wie bereits erwähnt,
auf die „Bitte“ der koreanischen Regierung berief und den Vorsatz, Korea zu
reformieren, vorschützte, beschwor China die Mission, von Japan ausgehende
Aggressionen zu unterbinden.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bereits am 16. September nahmen japanische Truppen die Festung von
Pjöngjang (Heijō 平城) ein und zwangen damit ihren Gegner zum Rückzug
jenseits des Flusses Yalu.
Damit verlor China nicht nur seine letzte Position in Korea, auch sein Ansehen
litt unwiderruflich an der schweren Niederlage. Ab nun sollten die Kämpfe auf
chinesischer Erde stattfinden.
Einen Tag später, am 17. September, standen sich die japanische und
chinesische Flotte im Gelben Meer (Kōkai 黄海) gegenüber und beschworen
damit
die
erste
mit
Dampfschiffen
ausgetragene
Seeschlacht
der
Weltgeschichte herauf. Auf Seiten Japans standen zwölf Schlachtschiffe,
angeführt von dem Flaggschiff Matsushima, auf chinesischer Seite vierzehn
Schlachtschiffe unter dem Flaggschiff Dingyuan 2 .
Doch trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit blieben die Japaner im offenen
Feuer siegreich. Die folgenschwere, vier Stunden andauernde Schlacht sollte in
Folge in zahlreichen Darstellungen wie auch einigen hier behandelten
thematisiert werden.
Gleichzeitig rückten weitere japanische Truppen zu Lande über den Yalu-Fluss
vor und nahmen auf chinesischem Grund einen Stützpunkt nach dem anderen
ein. Am 21. November folgte schließlich der nächste große Schlag für China.
Port Arthur, die bedeutsamste Festung in der Mandschurei (nicht zuletzt auch
das Heimatland der herrschenden Dynastie) fiel an Japan, der Weg nach
Peking lag offen.
Als am 2. Februar 1895 auch noch Weihaiwei eingenommen und der Rest der
chinesischen Flotte versenkt werden konnte, entschloss sich China, den
altgedienten
Oberbefehlshaber
Friedensverhandlungen
nach
Li
Hongzhang
Japan
zu
mit
entsenden.
der
Nach
Bitte
um
bewegten
Verhandlungen und Verzögerungen aufgrund des Schussattentats eines
japanischen Nationalisten auf Li (er überlebte, lediglich leicht verletzt) erfolgte
Auch häufig Ting Yuen. Gepanzertes Flagschiff der chinesischen Marineflotte und eines der
modernsten Schlachtschiffe seiner Zeit.
2
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
am 17. April desselben Jahres schließlich die Unterzeichnung eines
Friedensvertrages, des Friedensvertrages von Shimonoseki.
China wurde gezwungen, die Autonomie Koreas anzuerkennen.
Des Weiteren sollten jährlich Kriegsentschädigungszahlungen von 200 000 000
tael an Japan gezahlt werden, in Anbetracht der Lage der durch den Krieg
bereits finanziell und politisch ausgebluteten chinesischen Regierung eine
schier unglaubliche Summe.
Außerdem sollte neben den Pescadoren-Inseln
3
und der Halbinsel von
Liaodong 4 auch Taiwan an Japan fallen und chinesische Häfen für allgemeinen
Handel geöffnet werden.
Der Sino-Japanische Krieg 1894-95 führte zu einer vollkommenen Umkehr des
Kräfteverhältnisses
zwischen
China
und
Japan
sowie
einer
neuen
Wahrnehmung der bislang lediglich sekundär wahrgenommenen Insel - das
moderne Meiji-Japan hatte die Bewährungsprobe erfolgreich bestanden.
Kobayashi Kiyochikas Karikaturen schöpfen aus den Ereignissen des Krieges,
sie sind gespickt mit Anspielungen auf wichtige Schlachten und Ereignisse und
fungierten so als kommentierend-lenkender Vermittler zwischen Front und
Heimatland.
3
澎湖島, jap. Hōkotō, chin. Pénghú. Archipel in der Straße von Taiwan
遼東, jap. Ryōtō. Zwischen dem Golf von Korea und dem Golf von Bohai gelegene Halbinsel in
der chinesischen Provinz Liaoning.
4
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Abbildung 1: Karte zum Verlauf des Sino-Japanischen Krieges 1894-95
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
4. Der Künstler
4.1. Kobayashi Kiyochika – Sein Leben
Kobayashi Kiyochika wurde 1847 als neuntes und letztes Kind seiner Eltern in
Edo, dem heutigen Tōkyō geboren. Sein Vater, Kobayashi Mohei (小林茂兵衛),
war Beamter, zuständig für den am südöstlichen Ufer des Sumida-Flusses
gelegenen Distrikt Honjo (本所) und ein vormaliger Gefolgsmann des Tokugawa
Shoguns 5 (Smith 1988:6).
Wie bei Ōmagari nachzulesen ist, ließ Kiyochikas Vater seinen Namen später
auf „Seibei“ 6
umändern, vielleicht aufgrund von Differenzen mit dem Shogun
Iemochi. Sein Name enthielt ein Schriftzeichen, welches auch in „Mohei“ 7
verwendet wird (Ōmagari 1931:9).
Seine Mutter stammte aus ähnlichem familiären Umfeld, auch ihre Vorfahren
standen einstmals im Shogunalen Dienst und waren nun für die Reisvorräte am
anderen Ufer des Sumida, nördlich der Asakusa-Brücke zuständig (Smith
1988:6).
Als koage-gashira sō-tōdori, so der offizielle Titel, verdiente Kobayashi Mohei
gerade genug, um seine Familie zu erhalten; aufgrund einer Darstellung in
Kiyochikas autobiographischem Skizzenbuch (Abb. 2) liegt die Vermutung nahe,
er habe sich darüber hinaus durch kleinere Handwerksarbeiten ein Zubrot
verdient.
Das kleine Büchlein gibt episodenhaft Szenen aus Kiyochikas Jugend wieder,
die politischen Unruhen der 1860er Jahre, den Tod des Vaters und die
Einnahme seiner Stellung als Familienoberhaupt 1862 sowie eine Reise nach
Tokugawa Iemochi 徳川 家茂 (1846–1866, Reg. 1858-66)
Seibei 清兵衛
7
Mohei 茂兵衛
5
6
13
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Kyōto, die Kiyochika in Gefolgschaft des Shoguns 1865 antrat. Im Rahmen
meiner Arbeit werde ich noch auf das autobiographische Skizzenheftchen sowie
die Liebe zur Zeichnung zurückkommen (Smith 1988:7).
Abbildung 2: Auszug aus dem autobiographischen Skizzenbuch Kobayashi Kiyochikas
Über die frühen Jahre Kiyochikas ist, abgesehen von den im Skizzenbuch
dargestellten Begebenheiten, wenig bekannt, Smith spricht von einer „era of
wandering“, schränkt aber gleichzeitig ein, dass die Wanderschaft wohl nicht
allzu weit reichend gewesen sein mag (Smith 1988:7).
Bekannt ist die Tatsache, dass der junge Mann sich unter die Gefolgschaft des
letzten Shoguns, Tokugawa Keiki 8 , mischte und ihm im neunten Monat 1868 in
die Präfektur Shizuoka zu dessen neuen Residenz folgte. Hier, genauer gesagt
in
8
der
Region
Chamachi,
ist
die
Tokugawa Yoshinobu, auch Keiki 徳川 慶喜 (1837-1913)
14
Ankunft
eines
„Kobayashi
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Katsunosuke 9 “ (Kiyochikas Name in Kindestagen) in einem Dokument belegt.
Yoshida und Urushibata nennen weiters Aufzeichnungen, die eine Anwesenheit
des Künstlers 1869 in Washizu, einem am See Hamana gelegenen Ort im
südwestlichen Teil der Präfektur erwähnen (Yoshida 1971:28 und Urushibata
1977:31).
Über den Aufenthalt Kiyochikas in Washizu von 1869 bis 1874 ist wenig
bekannt, lediglich seine Heirat mit der Bauerntochter Fujita Kino gilt als
gesichert (Urushibata 1977:31).
Kurzzeitig schloss er sich einer fahrenden Truppe unter der Führung des
bekannten Schwertkämpfers Sakakibara Kenkichi an, der angeblich im Ort
Station gemacht und den jungen Mann angeworben haben soll. Sollte dem so
gewesen sein, dürfte es sich jedoch nur um einen kurzen Zeitraum gehandelt
haben, zumal sich Sakakibara um 1872 bereits wieder in Tōkyō befand, wo er
eine Schule gründete.
Berichte meinen zu wissen, dass Kiyochika mit der Truppe durch die Lande zog,
Ise und Nagoya besuchte und zumeist aufgrund seiner Körpergröße
eindrucksvoll am Eingang der Schau eingesetzt wurde (Smith 1988:7).
Im Frühjahr 1874 kehrte er schließlich zusammen mit seiner Frau und Mutter
nach Tōkyō zurück, wo er sich wahrscheinlich bessere Zukunftschancen
erhoffte. Quartier bezog er hier in Honjo Sotode-chō, etwas nördlich von seinem
ehemaligen Heim entfernt. Die darauffolgenden zwei Jahre, von der Ankunft in
der Stadt bis zu seinem Debüt im Bereich des Farbholzschnittes, liegen bis dato
größtenteils im Dunklen. Über die Lehrjahre Kiyochikas wurde von Seiten der
Wissenschaft viel spekuliert, das gänzliche Fehlen einer direkten Überlieferung
zu Lebzeiten macht genaue Angaben aber unmöglich.
Wie Smith in seiner Monographie zu Kobayashi Kiyochika meint, ist der kurze
Eintrag zu einer Ausstellung, wahrscheinlich von Kiyochika selbst verfasst, das
wichtigste greifbare Indiz. Dieser lautet in deutscher Übersetzung: „Geboren im
9
小林勝之助
15
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
achten Monat des Jahres 1847 als Sohn des Kobayashi Sebei. Keine
vorangegangene Lehre von irgendeinem Meister (katsute shiden o ukezu).
Beeinflusst von dem Stil Iwasas und Hishikawas“.
Iwasa Matabei (1578-1650) sowie Hishikawa Moronobu (1618-1694) gelten als
die „Begründer des ukiyo-e“ in der frühen Edo-Zeit – für die These des
Autodidakten ein wesentliches Indiz, sah sich Kiyochika somit also nicht mit
Vertretern respektive Lehrmeistern der zeitgenössischen Kunst, sondern
vielmehr mit den Granden des Genres verbunden (Smith 1988:7).
In dem ausführlichen Bericht einer Zeitschrift meint Kobayashi Gentarō kurz
nach dem Tod des Künstlers 1915, Besseres zu wissen. Er meint, Kobayashi
hätte „unter Chingaku, Zeshin, Nanrei und Kyōsai studiert, jedoch nicht
lange“ (Kobayashi 1916:43).
Smith gibt hier berechtigt zu bedenken, dass Suzuku Nanrei (1775-1844) zum
Zeitpunkt Kobayashis Geburt bereits verstorben war und er als Lehrer somit
wohl auszuscheiden sei. Kontakt mit Kawanabe Kyōsai (1831-1889) gelte als
gesichert, auch zu Shibata Zeshin (1807-1891) ließe sich eine Verbindung
herstellen, Kontakt zu Awashima Chingaku (1822-1888) lasse sich jedoch nicht
nachweisen (Smith 1988:7).
Wichtig erscheint mir hier in Bezug auf das Thema der Karikatur der Hinweis,
dass auch eine Schulung durch den englischen Karikaturisten Charles Wirgman
(1832-1891), den ich anschließend kurz behandeln möchte, angedacht und
vertreten wurde (siehe Kinoshita, Keene u.a.).
Ich möchte nicht näher auf die einzelnen Standpunkte eingehen, denn die
Frage nach der Schulung Kiyochikas bedarf noch einiger Betrachtung und ist
für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit nicht relevant.
1876 begann die Zusammenarbeit mit dem Verleger Matsuki Heikichi, der
zwanzig Jahre später auch für die Blätter der hier behandelten Serie
verantwortlich zeichnen sollte. Es entstanden Drucke im westlichen Stil, die
Phase zwischen 1876 und 1881 ist von großer Experimentierfreude und
Originalität in der Bildfindung geprägt. Ab 1879 erschienen Kiyochikas Drucke
16
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
von Ansichten aus Tōkyō (Tōkyō meisho zu, 東京名所図) auch bei einem
anderen Verleger, Fukuda Kumajirō (Smith 1988:8).
Das Jahr 1881 stellt eine deutliche Zäsur im Leben Kiyochikas dar. Aus bislang
strittigem Grund stellten beide Verleger, Matsuki sowie Fukuda, Mitte des
Jahres die Produktion seiner Drucke ein und sollten sie bis 1883 nicht wieder
aufnehmen. Gleichzeitig brach Kiyochika (trotz Erfolgen) mit dem westlich
beeinflussten Farbholzschnitt und wendete sich unmittelbar der Karikatur zu.
Wodurch die abrupte Abkehr herbeigeführt wurde, ist uns heute leider nicht
überliefert, als möglicher Grund wurde jedoch das große Ryōgoku-Feuer,
welches am 26. Jänner in Tōkyō wütete, genannt. Überlieferungen zufolge sei
Kiyochika, anstatt sich um Familie und Heim zu kümmern, in die Nacht
hinausgelaufen um Skizzen der Szenerie anzufertigen – eine Haltung, die
vermutlich zu Konflikten führte (Smith 1988:8).
Wie Kondō ausführt, können jedoch wahrscheinlich nicht allein private Gründe
für diese radikale Abkehr verantwortlich gemacht werden. Vielmehr sei es wohl
die zunehmend nationalistische Gesinnung im Lande, die Kiyochika gezwungen
habe, seinen westlich geprägten Arbeitsstil abzulegen (Kondō Ichitarō:
Kiyochika to Yasuji – Meiji no hikari no hangaka tachi. Tōkyō 1944, in: Smith
1988:8).
Smith hingegen spricht sich gegen diese These aus, Kiyochika habe zu wenig
Kontakt zu einschlägigen intellektuellen Gruppierungen gehabt, um die erst
verborgen keimende Stimmung derart deutlich wahrzunehmen (Smith 1988:8).
Ausschlaggebend sei schlicht die Erschöpfung des Marktes gewesen. Zum
einen hatte die Serie der Ansichten Tōkyōs (東京名所図) in kürzester Zeit
bereits die hohe Auflage von dreiundneunzig Stück erreicht, zum anderen ließ
sich allmählich eine Änderung des Publikumsgeschmacks erkennen.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
So erfreuten sich zunehmend grelle Farbtöne (im Gegensatz zu Kiyochikas
gedeckter
Farbpalette
der
frühen
Jahre)
sowie
historische
oder
gesellschaftliche Themen allgemeiner Beliebtheit (Smith 1988:8).
Das Jahr 1881 war ein politisch außerordentlich bewegtes für die noch junge
Meiji-Regierung, es gilt aufgrund der Aneinanderreihung verschiedener
Skandale auf dem Finanzsektor sowie Unruhen unter der Bevölkerung auch als
die „Political Crisis of the Fourteenth Year of Meiji 10 “. Ab 1881 entstanden
Kiyochikas humoristische Blätter, die unter der Bezeichnung Kiyochika Punch
( 清 親 ポ ン チ , Abb. 3) bekannt waren, und es ist wohl nicht zufällig, dass
zumindest einer der Drucke die politischen Ereignisse dieser Tage karikiert.
Abbildung 3: "Fukugawa Susaki in Tokyo." Blatt aus dem Kiyochika Punch 1881.
10
Mit der Revolution und dem Amtsantritt des Meiji-Kaisers 1868 begann eine neue Ära, die
nunmehrige Zeitrechnung begann mit „Meiji 1“
18
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Es bleibt zu bedenken, dass der Künstler als ehemaliger Anhänger des
Shoguns
große
Sympathie
für
die
Freiheitsbestrebungen
Bürgerrechtsbewegung hegte, welche sich in Satsuma und Chōshu
sowie
11
die
gegen die
Dominanz der Meiji-Regierung stellte und insbesondere von vormaligen
Samurai getragen wurde. So sei Kiyochika zunehmend in politische Aktivität
verstrickt worden und habe durch seine langjährige Karikaturistentätigkeit die
Bewegung unterstützt (Smith 1988:9).
Ein von Hara Taneaki (1853-1942) veröffentlichtes Blatt führte 1883 zur
Verhaftung des Verlegers; Kiyochika, dessen Signatur glücklicherweise nicht
auf dem Druck erschienen war, kam ungeschoren davon (Inoe Kazuo:
„Kiyochika to Hara Taneaki-ō“, Ukiyo-e no Kenkyū 12. Tōkyō 1924, S. 7-16. in:
Smith 1988:9).
Die Zeit von 1881 bis 1894, dem Ausbruchsjahr des Sino-Japanischen Krieges,
ist gekennzeichnet von einem großen Output an Drucken, welche jedoch kaum
die Qualität früherer Blätter zeigen. Seit 1882 war Kiyochika gleichzeitig als
Karikaturist für das satirische Journal Marumaru Chinbun tätig, eine Aufgabe,
der er sich gerne und nach gänzlicher Aufgabe der nishiki-e 1886 voll widmete.
Die späten 1880er Jahre waren gekennzeichnet durch schwere persönliche
Verluste, 1889 starb Kiyochikas enger Freund Kawanabe Kyōsai, kurz darauf
sein Lieblingskind Inoue Yasuji. Zudem verlor Kiyochika 1891 nach langen
Jahren der fruchtbaren Zusammenarbeit seinen Mitstreiter und Verleger
Matsuki Heikichi und im September darauf den Redakteur des Marumaru
Chinbuns, Nomura Fumio. Mit letzterem ging die politische Ära des Blattes zu
Ende, fortan sollte seichte Zerstreuung das Hauptkennzeichen der Zeitung sein
(Smith 1988:9).
Bald darauf endete auch die Tätigkeit Kiyochikas als Karikaturist des Maruchin.
Nach der Entlassung eines Mitarbeiters und Freundes, Tsuda Jinzaburō, folgte
japanische Präfekturen und Ausgangspunkt einer von ehemaligen Samurai getragenen
Revolte gegen die Regierung
11
19
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
der Künstler ihm solidarisch nach und stellte seine Arbeit für das Journal ein
(Smith 1988:9).
Der Ausbruch des Krieges mit China im Spätsommer 1894 brachte
zunehmende Nachfragen an Schlachtendarstellungen und lieferte Kiyochika ein
neues Betätigungsfeld. Er war nicht der einzige, Donald Keene schätzt die Zahl
der in dieser Zeit entstandenen Blockdrucke auf 3.000 Stück, was einen Output
von zehn neuen Drucken pro Tag (!) bedeuten würde (Keene 1971:135). Er
bezieht sich hierbei auf Angaben des Ezōshi ten (1896:149).
Meech-Pekarik merkt hierzu 1986 an, dass diese hohe Zahl sich jedoch
sicherlich nicht nur auf Blockdrucke, sondern auf Medien jeglicher Art wie etwa
Lithographien u.Ä. beziehe (Meech-Pekarik 1986:20).
Mit über siebzig Triptychen und zahlreichen Einzelblatt-Drucken gehört
Kobayashi Kiyochika jedoch zweifelsohne zu den produktivsten Künstlern
seiner Zeit.
Der Ausbruch des Sino-Japanischen Krieges im Sommer 1894 brachte für
Kiyochika eine neue künstlerische Wandlung. Nach seiner Tätigkeit als
Illustrator und Karikaturist für Marumaru Chinbun (丸丸新聞) wandte er sich
plötzlich
wieder
dem
seit
Langem
vernachlässigten
Medium
des
Farbholzschnitts zu.
Die steigende Nachfrage nach kriegsrelevanten Arbeiten scheint den Künstler
nach einer Phase der Orientierungslosigkeit nunmehr wieder zu neuen
Höchstleistungen
beflügelt
zu
haben.
Kiyochika,
aus
einer
alten
Beamtenfamilie stammend und ehemaliger Anhänger des Shogunats hatte sich
der Meiji-Regierung gegenüber stets kritisch gezeigt, nun stellte er sich wohl
aus finanziellen Motiven in den Dienst ihrer Kriegspropaganda.
Besondere Berühmtheit erlangten die Darstellungen heroischer Schlachten in
Form von Triptychen, von welchen während der Kriegszeit nahezu 70 Stück
entstanden. Darüber hinaus fertigte Kiyochika auch eine unüberschaubare
20
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Reihe an satirischen Einzelblattdrucken an, zu denen auch die Serie Nippon
Banzai. Hyakusen hyakushō (日本万歳百選百笑)zählt (Smith 1988:82).
1899 verstarb Sei, eine der Töchter des Künstlers, und Kiyochika flüchtete aus
der Enge Tōkyōs in die Präfektur Nagano, von dort aus weiter nach Tohoku und
in die Präfektur Yamaguchi und schließlich wieder nach Nagano zurück.
1900 übersiedelte die Familie in ein neues Haus östlich des Flusses Sumida,
nahe dem Akiba-Schrein, und Kiyochika nahm einen neuen Posten als
Illustrator für das politische Blatt Niroku shinpō (二六新報) an.
Doch ein nicht näher überlieferter Zwischenfall zwang ihn schon 1903, seine
Tätigkeit einzustellen, ein Konflikt kam dem in Kriegsthemen geschulten
Künstler gerade recht. Doch trotz einer Reihe an Blättern konnte Kiyochika nur
mühsam an frühere Erfolge zur Zeit des Sino-Japanischen Krieges anknüpfen
und so sah sich seine Frau gezwungen, zum Wohle der Familie einen kleinen
Souvenirladen in Asakusa zu eröffnen – und ihn kurze Zeit darauf aufgrund der
kriegsbedingten Rezession wieder zu schließen (Smith 1988:10).
Wiederum übersiedelte die Familie, diesmal nach Fujimi-chō, in eine elitärere
Gegend, in welcher Kiyochika, durch Reisen unterbrochen, bis 1915 bleiben
sollte.
Nach dem Tod seiner zweiten Frau Yoshiko begab sich Kiyochika im April 1913
erneut auf eine Reise, die ihn in verschiedene Provinzen führen sollte und mit
einem achtmonatigen Aufenthalt in der Präfektur Nagano endete. Hier blieb er
bis Mai 1914 und fertigte Skizzen für eine Landschaftsserie an, die später unter
Matsuki Heikichi erscheinen sollte.
Im Juli 1915 verließ er Tōkyō, um in Nagano seinen sich immer weiter
verschlechternden Rheumatismus mithilfe der heißen Quellen von Asano zu
lindern, von wo er erst im Oktober desselben Jahres zurückkehrte.
Kaum einen Monat später, am 28. November 1915, verstarb Kobayashi
Kiyochika in seinem Haus in Takinogawa.
21
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Dichter Kurumizawa Kannai (1885-1940), der Kiyochika im Sommer 1914
als einer der letzten persönlich kennen lernte, schildert seine Eindrücke
folgendermaßen (Smith 1988:13):
„From his sophisticated comic pictures, I had imagined him to be a rather
urbane old man, completely bald and small of stature with a whitish complexion.
I was surprised to discover just the opposite. His hair was thick and still mostly
black despite his age of near seventy. The long hair hung untidily down to his
chest below a long and narrow face with a ruddy complexion. He was a large
man, very solid, and my first impression, I now recall, was one of those local
men of influence who were such a set type in that day…Although born and bred
in Edo, he had none of the easy-going character of the so-called Edokko, and
spoke little.”
Abbildung 4: Kobayashi Kiyochika (Fotografie)
22
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
4.2. Die Forschungslage
Kobayashi Kiyochika zählt zu den von westlicher Seite eher vernachlässigten
japanischen Künstlern. Eine gewisse Präferenz zum „klassischen“ ukiyo-e
herrscht hier ganz offensichtlich vor.
Ungeachtet dessen scheint ebenso die japanische Forschung, insbesondere
die der letzten Jahrzehnte, hier eine deutliche Lücke aufzuweisen.
Grundlegend sind daher nach wie vor die Arbeiten von Yoshida Susugu
(Kobayashi Kiyochika. The Last Ukiyoe Artist, Tōkyō 1971) und Sakai Tadayasu
(Kiyochika. Ukiyoe Printmaker in Early Meiji Period, Tōkyō 1978), deren
Publikation jedoch bereits mehr als 30 Jahre zurück liegen.
Eine unschätzbare Bedeutung für die Forschung haben weiters die Memoiren
Kobayashi Katsus, der Tochter des Künstlers. Stellvertretend sei hier der
Aufsatz „Kiyochika no tsuioku“ (Chūō kōron 39/6, S. 1-43. neu aufgelegt in:
Kanagawa-ken bijutsu fudoki – Meiji Taishō hen. Yurindō 1971) aus dem Jahre
1924 erwähnt.
Eine wertvolle und unverzichtbare Quelle in englischer Sprache ist Henry Smith
mit seiner 1986 erschienenen Monographie Kiyochika. Artist of Meiji Japan.
Neben einer fundierten Aufarbeitung der Biographie Kiyochikas finden sich hier
Besprechungen einzelner Serien und Werke des Künstlers, auch die
Karikaturen werden behandelt.
Auch Gunter Diesingers 1988 erschienenes Büchlein zu Kriegsdarstellungen
der Meiji-Zeit bietet weitere wertvolle Informationen zu Kiyochika und der Serie
im Allgemeinen. Manche im Rahmen dieser Arbeit behandelte Blätter
erscheinen auch hier in Begleitung einer kurzen Erläuterung.
Aus kunsthistorischer Sicht ebenso wertvoll sind zwei Werke, die Kiyochika
zwar lediglich streifen, dem Farbholzschnitt zur Zeit des Sino-Japanischen
23
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Krieges jedoch im Allgemeinen ihr Augenmerk zuwenden. Es handelt sich
hierbei um Okamoto Shumpeis Impressions of the Front. Woodcuts of the SinoJapanese War, 1894-95 (1983) sowie Nathan Chaïkins The Sino-Japanese War
1894-95 (1983). Ihr Fokus liegt insbesondere auf den heroisch überhöhten
Triptychen. Beide Publikationen stellen ein wichtiges Mosaiksteinchen in der
Beschäftigung mit Kiyochika und seinem Milieu dar.
Mit dem Œuvre des Künstlers sowie dem Sino-Japanischen Krieg beschäftigt
sich auch John W. Dower auf der Internetseite Throwing Off Asia. Woodblock
prints of the Sino-Japanese War (1894-95) and Russo-Japanese War (1904-05).
Exemplare aus der Jean S. and Frederic A. Sharf Collection des
Museum of Fine Arts in Boston werden hier zielgerichtet und optisch reizvoll
präsentiert und kommentiert.
Die Einschätzung Kiyochikas ist widersprüchlicher Art. So konstatiert Hillier in
seiner Publikation The Japanese Print. A New Approach, Kiyochikas Drucke
seien „die nächste Stufe in der Zerstörung des nationalen Stils des
Farbholzschnittes“ (Hillier. London 1960. in: Okamoto, Shumpei 1983: 8).
24
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
5. Das Werk
Die Karikaturenserie Nippon Banzai. Hyakusen hyakushō (日本
万歳百選百笑)
Kobayashi Kiyochika gilt als einer der bedeutendsten Künstler des SinoJapanischen Krieges. Zusammen mit Männern wie Kubota Beisen (1852-1906),
Toyohara Chikanobu (1838-1912), Suzuki Kason (1860-1919), Taguchi Beisaku
oder dem ebenfalls autodidaktisch tätigen Ogata Gekkō (1859-1920) schuf er
zahlreiche Drucke zu den knapp ein Jahr andauernden Kampfhandlungen,
Drucke, die bis heute durch ihre atmosphärischen Qualitäten sowie die oftmals
unkonventionellen Kompositionen zu faszinieren vermögen.
So konstatiert etwa Yoshida Susugu: „Das Werk Kobayashi Kiyochikas zum
Sino-Japanischen Krieg stellt einen Höhepunkt in der kurzen Geschichte des
ukiyo-e und nishiki-e dar, es verdient gewiss einen vorrangigen Platz in der
Geschichte des japanischen Farbholzschnittes.“ (Yoshida 1964:262).
Neben seinen, meist als Tryptichon konzipierten, heroisch überhöhten
Darstellungen von Schlachten und Triumphen, mit welchen er zu großem Ruhm
gelangte und die auch heute noch stellvertretend für sein gesamtes Œuvre
herangezogen werden, befasste sich Kiyochika auch auf unkonventionelle
Weise mit dem brandaktuellen Thema des Krieges.
So entstand beispielsweise eine Serie von Einzelblatt-Darstellungen unter dem
Titel „Spiegel der Helden zu Land und zu Wasser“ (Rikukai gunjin kōmeikan 陸
海 軍 人 高 名 鑑 ), in welcher der Künstler sich dezidiert dem (japanischen)
Individuum im Kriegsgeschehen zuwendet. Es sind Helden des Kriegsalltages,
die hier großformatig und kraftvoll ins Bild gerückt erscheinen (Dowe
2007:Kiyochikas War).
25
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Doch mit dem Erfolg der den Krieg bizarr-ästhetisch überhöhenden Drucke gab
sich Kiyochika nicht zufrieden. Die bereits seit Längerem entdeckte Liebe zur
Karikatur fand in dem Aufkeimen eines neuen Nationalismus und der
Dämonisierung des Feindes einen neuen Nährboden.
Herausgegeben von Matsuki Heikichi (1818-1923), welcher auch für zahlreiche
andere Drucke Kobayashis verantwortlich zeichnete, entstand eine Reihe an
Einzelblattdrucken in Farbe, die unter dem Titel Nippon banzai. Hyakusen
hyakushō („Lang lebe Japan! Hundertmal gewählt, hundertmal gelacht“) im
Zeitraum zwischen Oktober 1894 bis ins Frühjahr 1895.
Laut Smith ist die Serie Nippon banzai eigentlich zweiteilig zu sehen, es
existieren
zwei
verschiedene
Serien
mit
diesem
Obertitel,
jedoch
divergierenden Themen und ebenso unterschiedlichen Untertiteln (Smith
1988:94).
Ich teile diese Sichtweise nicht, sondern ziehe es vor, die beiden Serien als
nicht zusammenhängende Produktionen anzusehen. Trotz beibehaltenem
Haupttitel ist der Fokus der Arbeiten zu verschieden als Teile einer einzigen
Serie gelten zu können.
Vom Oktober 1894 bis zum Frühjahr 1895, also zeitgleich mit den
Kampfhandlungen auf koreanischem und chinesischem Boden, erschienen 50
Blätter unter dem Titel Nippon banzai. Hyakusen hyakushō.
Hierauf folgte ein abschließendes Blatt, welches die bisher ausgegebenen
Drucke auflistete und somit als Inhaltsverzeichnis bezeichnet werden kann; auf
dieses wird in Folge noch zurückzukommen sein. Im begleitenden Prolog findet
sich weiters der Hinweis auf eine Abänderung des Serientitels in Nippon banzai.
Shakai gentō (日本万歳社会幻燈、„Lang lebe Japan! Eine Magische Laterne
der Gesellschaft).
Diese Serie, die abgesehen von dem Titelanfang Nippon banzai sowie den
„üblichen Verdächtigen“ Kiyochika, Koppi Dōjin sowie Verleger Matsuki Heikichi
thematisch nichts mit der ersten Serie gemein hatte, wurde nach dem Ende des
26
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Krieges im Herbst 1895 bis ins Jahr 1896 herausgegeben, ob sie jemals die
komplette Stückzahl von 50 Ausgaben erreichte, wird von Smith bezweifelt
(Smith 1988:94).
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich lediglich mit dem ersten Teil der Serie,
also den dem Krieg gewidmeten und den Untertitel Hyakusen hyakushō
tragenden Drucken beschäftigen.
Der Titel Nippon banzai. Hyakusen hyakushō (日本万歳百選百笑) bezieht sich
auf den der klassischen chinesischen Militärtheorie entnommenen Spruch
„Hyakusen – hyakushō“, „Hundert Schlachten – Hundert Siege“ 百 戦 百 勝
(Diesinger 1986:17).
Er wird hier durch die feinsinnige Verwendung anderer Schriftzeichen (das
Schriftzeichen sen 選 für „auswählen“ anstatt des ursprünglichen 戦 für Schlacht,
Krieg; das Zeichen shō 勝 für „Sieg“ wird durch 笑 für „lachen“ ersetzt) auf
„Hundertmal gewählt, hundertmal gelacht“ abgewandelt – ein Hinweis auf den
humoristisch-karikaturhaften Charakter der Blätter.
Diesinger übersetzt es in seinen Erläuterungen zu Kiyochikas Werk mit
„Hundertmal China (bzw. Russland) – hundertmal gelacht!“ und betreibt damit
eine bereits sinngemäße Exegese (Diesinger 1986:17).
Smith bleibt in seiner grundlegenden Monographie zum Künstler bei der
Übertragung des Titels ins Englische enger am ursprünglichen Ausspruch, er
spricht von „One Hundred Victories, One Hundred Laughs“ ungeachtet der
Tatsache, dass es sich, wie oben ausgeführt, um ein kanji anderer Bedeutung
handelt (Smith 1988:94). In einer Fußnote weist er jedoch auf das eigentliche
„auswählen“ hin.
Die Zahl Hundert im Titel deutet eine große Anzahl an Drucken an, sie ist
jedoch nicht zwingend als genaue Stückanzahl zu verstehen (Diesinger
1986:17).
27
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
5.1. Exkurs: Satire und politische Karikatur in Meiji-Japan
5.1.1. Charles Wirgman und sein Japan Punch
Charles
Wirgman
wurde
1832
in
London
geboren
und
schlug
die
Offizierslaufbahn in der Britischen Armee ein, bevor er als Autodidakt im
Bereich der Karikatur tätig wurde. 1860 war er in China als Illustrator für die
Zeitung Illustrated London News tätig, später war er für selbige in Japan
beschäftigt.
Als europäischer Künstler zog er hier reges Interesse auf sich, nicht wenige
japanische Künstler, unter ihnen auch Takahashi Yuichi, kamen nach
Yokohama, um bei Wirgman westliche Malerei zu studieren. Bekannt wurde der
englische Aussteiger aber insbesondere durch seine, nach dem Vorbild des
englischen Satiremagazins Punch gestalteten, Zeitschrift Japan Punch. Sie
richtete sich als erstes in Japan erscheinendes englischsprachiges Magazin in
erster Linie an die in Japan ansässige nicht-japanische Minderheit und erschien
in den Jahren zwischen 1862 und 1887.
Anfangs nur gelegentlich erscheinend, mauserte sich der Japan Punch rasch zu
einer monatlich erscheinenden Zeitschrift mit einer Auflage von zwei- bis
dreihundert Stück. Nach seinem Vorbild entstand in weiterer Folge ein, diesmal
von einem Japaner, Nomura Fumio, herausgegebenes Magazin, Marumaru
Chinbun (Meech-Pekarik 1987:179f).
Für ihn sollte Kobayashi Kiyochika zahlreiche Karikaturen fertigen und auf dem
Gebiet der ironischen Feder zur Meisterschaft gelangen.
28
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
5.1.2. Marumaru Chinbun 丸丸珍聞
Nomura Fumio, der Gründer des Marumaru Chinbun, stammte aus Hiroshima
und hatte drei Jahre lang (1865-68) in England studiert. Zurück in Japan
verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Unterricht in „westlichen Studien“. Ab
1870 war er als Regierungsbeamter in seiner Heimatstadt tätig (Meech-Pekarik
1987:181).
Die Erinnerung an englische Satirepublikationen wie dem Punch blieb jedoch
weiterhin präsent und so begann Nomura ab 1877 eine eigene Zeitschrift,
Marumaru Chinbun, herauszugeben. Der Ausdruck Marumaru bedeutet soviel
wie „Kreise“ und bezieht sich auf die kleinen kreisförmigen Zeichen, welche in
Sammlerkreisen als selbst auferlegtes Kontrollsymbol galten. Chinbun (珍聞)
lehnt sich an das japanische Wort für Zeitung, shinbun (新聞), an, verfremdet
die Bedeutung jedoch durch Austauschen eines Schriftzeichens hin zu
„verrückte Texte“.
Die Darstellungen waren, wie auch im Japan Punch, humoristische Karikaturen,
die sich aktuellen Ereignissen und dem Leben im Zeitalter der durch große
Umwälzungen
gekennzeichneten
Meiji-Regierung
(1868-1912)
widmeten
(Meech-Pekarik 1987:181f).
5.2. Formales zur Serie
Alle Blätter der Serie umfassen circa 25 x 37 cm und entsprechen damit dem
japanischen ō-ban (大判) Format. Leichte Abweichungen in der Größe sind bei
Drucken generell zu erwarten, zumal die Besitzer gerne ausgefranste Enden an
den Blättern wegzuschneiden pflegten.
29
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bei den im Rahmen meiner Arbeit behandelten Drucken (sowie generell allen
bekannten dieser Serie) findet sich der Titel der Serie, „Nippon banzai.
Hyakusen hyakushō“ (日本萬歳百撰百笑, „Lang lebe Japan! Hundert mal (den
Feind) ausgewählt, hundertmal gelacht“) in einer rechteckigen Kartusche im
rechten oberen Eck des Blattes. Sie ist farblich unterlegt und zeigt je nach Blatt
einen unterschiedlichen dreitonigen Farbverlauf (bokashi), zumeist in Blau- und
Grüntönen.
Daneben birgt ein querrechteckiges Feld Texte, die die Darstellungen
kommentieren. Der japanischen Leseart entsprechend beginnt der Textfluss
rechts und setzt sich in Spalten von oben nach unten nach links fort.
Nach dem etwas stärker gedruckten Titel des Blattes rechterhand folgt die
Nennung eines Namens bzw. Pseudonyms, Koppi Dōshin (骨皮道人). Er gilt als
Verfasser der Texte und erscheint auf jedem der bekannten Drucke dieser
Serie. Die Bezeichnung „Koppi Dōshin“ setzt sich aus den Schriftzeichen
„Knochen“ (hone 骨 ) und „Haut“ (kawa 皮 ), sowie „Weg“ (michi 道 ) und
„Mensch“ (hito 人) zusammen, Gunter Diesinger übersetzt dies als „der wahre
Meister über Knochen und Haut“ (Diesinger 1986:17).
Während Diesinger schlicht bekennt, es sei in der Forschung leider „nichts
Näheres“ über den rätselhaften Namen bekannt (Diesinger 1986:17), meint ihn
Smith Nishimori Takeki (西森竹気、1861-1913) zuschreiben zu können (Smith
1988:94). Dieser war einer der führenden Comic-Schreiber bei Marumaru
Chinbun (丸丸新聞) und hatte bereits hier mit Kiyochika zusammengearbeitet.
Der Verleger der Serie war Matsuki Heikichi (松本平吉), ein enger Freund und
Förderer Kiyochikas. Er war Inhaber des in Tōkyō gelegenen Verlages Daikokuya (大黒屋) und zeichnete als solcher für die Veröffentlichung einer Reihe von
Werken verantwortlich (Genshoku ukiyoe daihyakka jiten 1982:142).
30
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Angeblich soll Matsuki Heikichi Schüler des großen Kuniyoshi gewesen sein
(Peters 2008:Yoshitoshi).
Entstehungszeit des Druckes, Angabe des Verlagsortes sowie des Verlegers
befinden sich am linken Rand des Blattes, die Schrift ist (nach japanischer
Schreibweise in Spalten von oben nach unten) in roter Farbe direkt auf den
Bildgrund gesetzt. Die Jahresangabe erfolgt in traditioneller Weise nach ÄraNamen und lautet somit Meiji 27 bzw. 28.
5.3. Ukiyo-e, ein Nachrichtenmedium mit „Ablaufdatum“
In einer Welt des überreichen Informationsflusses, des Überangebots an
Medien verschiedenster Art fällt es oft nicht leicht, sich die Gegebenheiten des
Lebens vor dem Einsetzen moderner Technologien vorzustellen und sich die
Kostbarkeit und Attraktivität aktueller Nachrichten vor Augen zu halten.
Ende
des
19.
Jahrhunderts
waren
fotografische
Aufnahmen
am
Kriegsschauplatz noch Zukunftsmusik. Die Aufgabe, die Neugierde des
heimatlichen Bürgertums zu befriedigen, erfüllten Brokatdrucke (Yumoto
1998:68), wie sie unter anderem auch von Kiyochika in großer Anzahl
entworfen wurden.
In der Tat waren Farbholzschnitte vor dem Siegeszug des Zeitungswesens eine
der wenigen Möglichkeiten, die neuesten Nachrichten zu erfahren. Das
Repertoire reichte von Berichten großer Katastrophen wie Bränden oder
Erdbeben über dokumentarische Blätter, die Symptome diverser Krankheiten
behandelten, bis hin zu tragischen Liebesgeschichten aus der Nachbarschaft.
Als Vorläufer des modernen Printmediums werden im Allgemeinen die Edozeitlichen kawaraban (auch ichimaizuri 一枚摺り „Einblatt-Drucke“ oder tsujiuri
ezōshi 辻売り絵草紙 „an Straßenkreuzungen verkaufte, illustrierte Drucke“),
wörtlich die „Ziegel-Drucke“ angesehen - ein Wort, das in Japan auch heute
31
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
noch für minderwertige Drucke hoher Auflage verwendet wird (Linhart
2007:232).
Während
sich
das
Militär
im
Zuge
der
Kriegszeit
vorbehielt,
Kriegskorrespondenten sowie die Presse generell strenger Zensur zu
unterwerfen (Insbesondere was ausländische Pressestimmen anlangte – denn
Japan war sehr daran gelegen, sich der Weltöffentlichkeit als fortschrittliche,
siegreiche
Nation
zu
präsentieren).
Trotzdem
war
die
japanische
Zivilbevölkerung durch Medien diverser Art überraschend gut informiert.
So berichtet Lone (Lone 2007b:78) von dem in einer Lokalzeitung der Präfektur
Ibaraki erscheinenden Brief eines Kriegsteilnehmers, der mit kaum einem
Monat Verzögerung von dem Massaker japanischer Truppen an chinesischen
Zivilisten bei Port Arthur im November 1894 berichtet – ein Geschehen, das
anderorts nur allmählich bekannt wurde.
Die frei auf der Straße verkauften Einzelblattdrucke erfüllten somit einen
wichtigen Informationsauftrag, wenn auch naturgegeben auf sehr nationalistisch
eingefärbte Weise. Neben den ebenfalls ausgesprochen beliebten LichtspielVorführungen war es erst durch sie möglich, Neuigkeiten von der Front zu
erhalten und sich Schlachten in den schönsten Farben und natürlich voller
japanischer Identifikationsfiguren wie dem Helden Shirakami „ins Wohnzimmer
zu holen“.
Lafcadio Hearn 12 berichtet folgendes:
„The announcement of each victory resulted in an enormous manufacture and
sale of colored prints rudely and cheaply executed, and mostly depicting the
fancy of the artist only, but well fitted to stimulate the popular love of
glory.“ (Hearn 1896:91)
Schriftsteller (1850 – 1904), nach Annahme der japanischen Staatsbürgerschaft auch bekannt
unter dem Namen Koizumi Yakumo 小泉八雲
12
32
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Krieg 1894-95 führte zu einer letzten Blüte des, allmählich von neu
aufkommenden Techniken wie der Litho- und Fotografie verdrängten,
Farbholzschnittes (ukiyo-e). In einem Zeitraum von knapp einem Jahr
entstanden an die 3.000 Holzschnitte, was einem Durchschnitt von ca. 10
neuen Drucken pro Tag entspricht. Die pure Quantität sowie die Eile, mit
welcher die Blätter produziert wurden, führten generell zu einer schlechteren
Qualität. Sie waren kaum mehr mit den kunstvollen und kostbaren nishiki-e der
Edo-Zeit vergleichbar (Diesinger 1986:12).
In seiner Publikation zu den Beständen des Museums für Kunst und Gewerbe
Hamburg plädiert Gunter Diesinger für eine neue Bewertung des satirischen
Werkes Kiyochikas. Entgegen der größtenteils negativen Einschätzung
japanischer Experten sieht er insbesondere in den Karikaturenserien neue
Qualitäten, welche aufgrund historisch-politisch motivierter Zurückhaltung von
japanischer Seite nur selten berücksichtigt würde. Diese lägen vor allem in der
zeichnerischen Ausführung, als auch in den diffizilen Anspielungen (Diesinger
1986:13).
Anders sieht es Nathan Chaïkin. In seiner Publikation zum Sino-Japanischen
Krieg 1894-95 meint er zwar, Kiyochika „is considered the last of the important
Ukiyo-e printmakers“, gleichzeitig fällt sein Urteil zu dessen Karikaturenwerk
kurz und vernichtend aus.
„ […] however he (Kiyochika) could not refrain from some appallingly bad
caricatures, offensive to our taste. “ (Chaïkin 1983:36).
Ich möchte mich an dieser Stelle Diesinger anschließen. Auch wenn der
augenscheinlich
propagandistische
und
rassistische
Hintergrund
den
künstlerischen Gehalt überschattet, ist eine Neubewertung der humoristischen
Blätter angebracht.
Gerade die Populärkultur, zu denen Kiyochikas Drucke eindeutig gehören, birgt
einen großen Fundus kunsthistorisch interessanter Facetten; Bildthemen
33
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
werden originell verfremdet, spielerisch interpretiert oder gänzlich neu erfunden,
Blätter werden zu Zeitzeugen, sie lassen uns auch heute noch nahe an die
Lebensumstände der damaligen Bevölkerung heranrücken.
Kiyochikas Serie Nippon banzai. Hykusen hyakushō lässt sich, obwohl
satirischen Charakters und von britischer Karikaturentradition beeinflusst, auf
ein bestimmtes Genre des ukiyo-e zurückführen.
So waren in Literatur und Druckgraphik sogenannte „Travestie-Bilder“ (mitate-e
見立て絵) weit verbreitet (Diesinger 1986:12). Ihre Beliebtheit beruhte darauf,
Personen zu verfremden bzw. in bekannte Kontexte zu verpflanzen und so
humoristisch umzudeuten.
Beispielsweise wurden japanische Helden in chinesischer Verkleidung gezeigt –
Diesinger sieht in dem ironischen Unterton solcher Darstellungen bereits einen
Ansatz für einen, auch den hier behandelten Karikaturen anhaftenden,
Nationalstolz
und
die,
wie
er
es
nennt,
„volkstümliche
Geschichtsklitterung“ (Diesinger 1986:12).
5.4. Der Zauber der Zeichnung
Die Zeit Kobayashi Kiyochikas war eine Zeit der großen Umbrüche, eine Zeit
der Neuerungen und Transformationen. Durch die Öffnung des Landes und den
zunehmenden Einfluss des Westens begann man rasch, alte Traditionen in
Frage zu stellen und nahezu hörig dem „Neuen, Modernen“ nachzueifern – eine
Entwicklung, die Kiyochika auf ironisch-bissige Art in seinen Karikaturen für
Marumaru Chinbun kommentierte.
Doch gerade hier profitierte der Künstler - insbesondere seine Frühwerke
zeigen eine erstaunliche Bandbreite verschiedenster Genres geprägt von
Experimentierfreude und dem Interesse an den Vorzügen westlicher Malerei.
34
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
So entstanden beispielsweise eine Reihe an kitschigen Landschafts- und
Jagddarstellungen (letztere bis dahin eine in Japan gänzlich unbekannte
Gattung), einige davon im Diptychon-Format, welches bislang lediglich für
Karikaturen und komische Darstellungen verwendet wurde.
Ausschlaggebend für die künstlerische Ausrichtung der Blätter Kiyochikas war
der Erfolg der durch westliche Stilmittel wie Schattenwirkung geprägten TōkyōAnsichten aus dem Jahr 1876 sowie von „Katze und Laterne“ im Herbst 1877 beide unter dem uns wohlbekannten Verleger Matsuki Heikichi erschienen
(Smith 1988:30).
Auffällig ist andererseits Kiyochikas Leidenschaft zur Zeichnung, insbesondere
zu solcher direkt nach der Natur. Aufgewachsen in einem künstlerischen
Umfeld, in dem die Zeichnung á la nature zwar bekannt, generell jedoch eher
als lockerer Zeitvertreib denn als Vorbereitungsarbeit gesehen wurde, kann er
auf diesem Gebiet doch als Ausnahme gesehen werden (Smith 1988:30).
Schon die frühen autobiographischen Skizzen belegen diese Vorliebe. Sie sind
von erfrischend unmittelbarer Art in offenem, impulsivem Duktus zu Papier
gebracht. Die Ausdrucksvielfalt menschlicher Physiognomie und das Interesse
am alltäglichen Leben sind Qualitäten, die sich sowohl in Kiyochikas Studien
wie auch seinen Drucken ablesen lassen. Sind Sharakus Porträts von feinem
Einfühlungsvermögen und subtilen Dissonanzen geprägt, so zeichnet sich
Kiyochika durch Unmittelbarkeit sowie einen Hang zum Ironisch-Humoristischen
aus – Kriterien, die ihn für das Medium der Karikatur prädestinierten.
Die Serie Hyakumensō (百面相, „Hundert Gesichter“) zeigt dies auf besonders
eindrucksvolle Art. Sie entstand 1882, ein Jahr nach dem Erscheinen der
Kiyochika
Punch-Blätter.
Das
Thema
lässt
sich
auf
eine
Form
der
Alleinunterhaltung in der ausgehenden Edo-Zeit zurückführen, in welcher ein
einzelner Darsteller sein Publikum durch rasches Wechseln des Mienenspiels,
stellvertretend für verschiedene Gemütsverfassungen und/oder Menschentypen
35
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
bzw. soziale Stellungen, unterhält (rakugo 落語). Wie Shimizu ausführt, war das
professionelle Charaktertheater Inspirationsquelle für eine Reihe von Ukiyo-eKünstlern der damaligen Zeit (Shimizu 1982:12-13).
5.5. Der Chanchan – Zwischen Zerrbild und Vertrautheit
Bei der Beschäftigung mit Kiyochikas Karikaturenserie ist es oftmals nicht leicht,
über die plumpe Propaganda hinweg dem künstlerischen Gehalt des Werkes
nachzuspüren.
Bis heute bleibt das Verhältnis zwischen Japan und China ein gespanntes, zu
tief und zahlreich sind die Wunden der Kriege der Vergangenheit, zu leichtfertig
und provokant teilweise der Umgang der heutigen Politik mit ihnen. So scheint
es auch kaum verwunderlich, dass augenscheinlich propagandistische Zwecke
verfolgende Werke wie die Blätter zum Sino-Japanischen Krieg 1894-95 auf
japanischer wie chinesischer Seite nur ungern und mit allergrößtem Unbehagen
als Thema wissenschaftlicher Forschung akzeptiert wird.
Nishiki-e (錦絵), also Vielfarben- oder Brokatdrucke, spielten eine bedeutende
Rolle in der Darstellung des chinesischen Widerparts und der Ausformung und
Rezeption eines Feindbildes. Als Teil der Populärkultur fanden sie große
Verbreitung, ihre oftmals plakativen Darstellungen und mit furigana (siehe
Kapitel Text vs. Schrift) ausgestatteten humoristischen Texte machten es
besonders der einfachen Bevölkerung möglich, am Kriegsgeschehen zu
partizipieren und die allgemeine Stimmung in gewünschte Bahnen zu lenken.
Besonders prädestiniert hierfür waren in erster Linie die großformatigen
Schlachtendarstellungen, durch welche auch Kiyochika zu großer Berühmtheit
gelangte. Heroische japanische Soldaten inmitten des Kriegsgeschehens,
entweder vereinzelt gegen Naturgewalten, den Feind bekämpfend, oder als
organisches Ganzes gegen eine Horde unorganisierter Chinesen. Der Krieg als
36
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
schönfarbige Panoramaaufnahme war allseits beliebt und fand reißenden
Absatz – ein letztes Mal, bevor die Fotografie endgültig ihren Siegeszug antrat.
Schon im Herbst des Jahres 1895 erschien ein Bericht in der Zeitung Yomiuri
Shinbun (読売新聞), der von dem rasanten Absturz der Verkaufszahlen im
Bereich der nishiki-e berichtet. Der Krieg war vorbei, Schlachtendarstellungen
nicht
mehr
erwünscht,
ja
–
auch
die
vormals
so
beliebten
Schauspielerdarstellungen erreichten nur noch Auflagen von circa 200 Stück.
Der Farbholzschnitt sollte nie mehr an seine vergangene Blüte anknüpfen
können (Asakura und Imamura 1965:373, in: Keene 1998:271).
Wie in den großen Schlachtendarstellungen, so lassen sich auch in den
Karikaturen Kiyochikas einige Grundcharakteristika bei der Darstellung von
Chinesen ausfindig machen.
Die Kleidung der chinesischen Protagonisten ist in den meisten Fällen in
schreiend grellen Rot-, Blau- oder Grüntönen gehalten, während die
japanischen Soldaten durch ihre dunklen Uniformen erkennbar sind. Grelle
Farben wie diese waren 15 Jahre zuvor bereits bei Drucken der Rebellion in
Satsuma verwendet worden, damals jedoch für die japanischen Truppen selbst.
Zur Zeit des Sino-Japanischen Krieges waren schreiende Anilin 13 -Farben
bereits wieder aus der Mode gekommen und konnten daher zum Sinnbild für
Primitives und Plumpes verwendet werden (Keene 1998:257).
Auch Physiognomie und Miene ziehen eine deutliche Linie zwischen Japanern
und ihren Gegnern. Letztere sind deutlich verhässlicht, mit ihren hohen
Wangenknochen, den breiten Nasen und vorstehenden Zähnen bilden sie einen
starken Kontrast zu den dargestellten japanischen Soldaten. Diese sind von
Soldaten europäischer Herkunft kaum zu unterscheiden – eine Problematik der
im Rahmen des bald darauf ausbrechenden Krieges mit Russland durch
13
1. künstlich hergestellte Druckfarben die ab ca. 1860 die natürlichen Pflanzenfarben ablösten
37
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Überzeichnung russischer Grobschlächtigkeit sowie wild wuchernden roten
Bärten in den Gesichtern des Gegners begegnet wurde.
Charakterlich ist die Darstellung „des Chinesen“ in der Propaganda des SinoJapanischen Krieges stets dieselbe. Er wird als feige und niederträchtig, als
unfähig und rückständig geschildert, sowohl an Intelligenz als auch an Mut und
Ethos ist er den japanischen Truppen weit unterlegen.
Wie Keene in seinem Artikel ausführt, wurde dieses Zerrbild insbesondere
durch die Bereitschaft der Chinesen, sich im Zuge der Kampfhandlungen
gefangen nehmen zu lassen, begünstigt. So zeigen viele Drucke chinesische
Soldaten, die verzweifelt um ihr Leben oder die Erlaubnis, sich den japanischen
Streitkräften anzuschließen zu dürfen, betteln (Keene 1998:257).
Das Verhältnis zu China war ein zwiespältiges. Hunderte Jahre der geistigen
Befruchtung und Vorbildwirkung konnten nicht mit einem Schlag hinweggefegt
werden.
Chinesische Klassiker der Literatur waren nach wie vor fester Bestandteil einer
guten Bildung, die seit jeher hochgeschätzte chinesische Kunst vermochte es,
dem ästhetischen japanischen Empfinden stärker entgegenzukommen, als der
neu propagierte Realismus westlicher Prägung (Keene 1894:250).
„The image of China imprinted on our minds before the Sino-Japanese War was
of a splendid, romantic and heroic country“, so fasste es der japanische
Philosoph Tsurumi Shunsuke 14 in Worte (Tsurumi 1963:149).
Vielleicht bot gerade dieses über lange Zeit hinweg gehegte und nach wie vor
wohl unterschwellig in der japanischen Wahrnehmung verhaftete Gefühl der
Unterlegenheit und Minderwertigkeit gegenüber China Anlass zu dem
offenkundigen Rassismus, welcher gerade zur Zeit des Sino-Japanischen
Krieges in bislang ungekannter Weise grassierte. Er sollte in Zukunft im
Rahmen der Idee eines pan-asiatischen Kolonialismus weiter Raum gewinnen
und zu unglaublichen Gräueltaten führen.
14
鶴見 俊輔 (geb. 1922)
38
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Auf der anderen Seite waren in Japan bereits vor dem Ausbruch des Krieges
1894 kritische Stimmen gegen die scheinbar natürliche Vorherrschaft Chinas
sowie die Hörigkeit und unhinterfragte Verehrung chinesischer Kultur zu hören
gewesen. Insbesondere die volkstümliche Kunst und Literatur pflegte einen
recht freien Umgang mit dem großen Nachbarn, die große Anzahl an
Spottversen (kyōka 狂歌) spricht hier wohl für sich (Diesinger 1986:12).
Wie Dowe in seiner virtuell veröffentlichten umfassenden Arbeit zu den Drucken
zum Sino-Japanischen und Russo-Japanischen Krieg ausführt, stand China
1894-1895 für Asien selbst, jedoch im Sinne eines mit alten Traditionen
überladenen, zum Stillstand gekommenen Asiens der Vergangenheit, welches
in krassem Gegensatz zu den fortschrittlicheren westlichen Industriemächten zu
stehen schien (Dowe 2007:Old China, New Japan).
Auch Keene kommt in seinen Arbeiten zu diesem Ergebnis.
Japan sah sich als Nutznießer einer neuen Epoche, als Land, welches die
Zeichen der Zeit erkannt und im Gegensatz zum ewiggestrigen China in seinem
Sinne zu nutzen verstand. So beschwor der japanische Gelehrte Fukuzawa
Yukichi (1835-1901) schon in den frühen 1880er Jahren einen künftigen Konflikt
zwischen West und Ost herauf, welchem auf asiatischer Seite jedoch lediglich
Japan gewachsen sei.
Es hätte, so Fukuzawa, sein „hölzernes Haus“ neu aus Stein gebaut und sei
somit vor Feuersbrünsten geschützt, seine Nachbarn, sprich China, Korea, u.a.
hätten dies jedoch bislang verabsäumt. Um Japans Bemühungen nicht
aufgrund der Rückständigkeit der anderen umliegenden Länder zunichte zu
machen, sei es nötig, diese zu „bekehren“ und notfalls mit Gewalt zur
Modernisierung zu zwingen.
Der Krieg erschien somit als fortschrittlich gerechtfertigte Maßnahme, um den
gemeinsamen Untergang zu verhindern. Japan wurde zum weitblickenden
Kämpfer zum Wohle Asiens (Blacker 1964:135-136).
39
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Einen oftmals außer Acht gelassenen, meiner Meinung nach jedoch nicht
unbedeutenden Faktor für den Erfolg von Karikaturenserien wie Kobayashi
Kiyochikas erwähnt Stewart Lone in seinem Kapitel „The Wars of Meiji Japan:
China (1894-95) and Russia (1904-05)“.
Er weist hier auf die wichtige katalysatorische Funktion des Humors in Zeiten
kriegerischer Anspannung hin. So sei es nur natürlich, die Angst, welche ein
(auch nicht auf heimischem Boden ausgetragener) Krieg unweigerlich mit sich
bringe, zumindest kurzfristig in ein herzhaftes Lachen zu lenken (vgl. Lone
2008:85).
Auch wenn dieses dem heutigen Betrachter ob der offenkundig rassistischen
Darstellungen im Halse stecken bleibt, für die damalige Bevölkerung stellten
Blätter wie diese sicherlich heitere Zerstreuung dar.
Der Charakter des Humors hing selbstverständlich in hohem Maße mit dem
Verlauf des Krieges zusammen, positive Entwicklungen evozierten lässigen,
verlustreiche Einbußen beißenden Umgang mit dem Gegenüber (Lone
2008:86).
So gesehen bergen propagandistische Darstellungen nicht nur den Blick auf
das gehegte Feindbild, überzeichnete Fratzen und Klischees, sondern werfen
immer auch einen Schein auf die Befindlichkeit der eigenen Nation.
40
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
5.6. Bild versus Schrift
Schrift findet sich, die Buchmalerei ausgenommen, in Werken westlicher
Malerei nur selten, ganz im Gegensatz zur asiatischen Kunst. In China entstand
im 11. Jahrhundert mit dem Dichter Su Dongpo 15 eine neue Schule, die der
Literatur in der bildenden Kunst einen großen Stellenwert gewährte. Sie
gelangte in der Yuan-Zeit (1272-1378) die Führung in der chinesischen Kunst.
Bild und Gedicht bildeten eine Einheit, sie lassen sich nicht isoliert betrachten
sondern stehen in Wechselwirkung zueinander (Odendahl 2001: Chinesische
Malerei).
Während in Europa Mitte des 15. Jahrhunderts die Erfindung des Buchdruckes
durch Gutenberg zu einer Abkehr vom zuvor üblichen Holzschnitt zugunsten
des Buchstabendrucks führte, blieb diese Entwicklung in Japan aus. Hier galt
das Wort „Druck“ (mokuhan insatsu 木版印刷) seit seiner Entstehungszeit im 8.
Jahrhundert gleichbedeutend mit „Holzschnitt“; Schrift und Text wurden in
dieselbe Platte geschnitzt (May 2007:26).
Ende des 16. Jahrhunderts wurde Japans Drucktradition mit neuen Einflüssen
konfrontiert, die insbesondere durch den Kontakt mit iberischen Missionaren in
Verbindung gebracht werden können (May 2007:26).
Weitere Faktoren waren, wie May ausführt, die im Rahmen von Toyotomi
Hideyoshis Korea-Expeditionen 16 erbeuteten Druckwerkzeuge, welche dem
heimischen Druckwesen zusätzliche Impulse lieferten. Ich möchte mich im
Sinne unseres Themas dem seihan (製版) zuwenden.
Trotz Kenntnis der Vorteile des Letterndrucks wandte sich Japan bald wieder
dem altbekannten Holzschnitt zu – aus gutem Grund.
Nur durch ihn war es möglich, dem japanischen Schriftsystem gerecht zu
werden, das neben den komplizierten Schriftzeichen chinesischen Ursprungs
15
16
蘇東坡, auch Su Shi 蘇軾(1037-1101)
1592-1593 sowie 1594-1596
41
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
eine Art „Lautschrift“ in Form kleinerer Silbenschriftzeichen setzte, um dem
Leser die Lektüre zu erleichtern. Diese phonetischen Zeichen, furigana (振り仮
名 ) genannt, ermöglichten es auch einer weniger gebildeten Käuferschicht,
Texte rasch zu entschlüsseln (May 2007:27).
Der Begriff seihan ( 製 版 ) bedeutet soviel wie „Druck in einem Stück“, er
bezeichnet die Koexistenz von Bild und Text auf ein und derselben Druckplatte
sowie dass beides in einem einzigen Vorgang gedruckt wird.
Blätter wie jene der hier behandelten Serie weisen somit nicht nur eine formale
Verbindung von Darstellung und Kommentar auf, sie sind auch allein durch die
Gegebenheiten des Herstellungsprozesses untrennbar miteinander verbunden.
Nicht selten weisen die Drucke Überschneidungen auf, das querrechteckige
Textfeld überschneidet (siehe z.B. Blatt 6.2.) und wird überschnitten. Zehn
Jahre später wird Kiyochika in der Serie zum Russo-Japanischen Krieg in
einigen Blättern die, durch die Einfassung in ein klar definiertes Feld betonte,
Trennung von Text und Bild weiter aufheben und die Schrift direkt auf den
Seitengrund setzen.
Daneben herrscht ebenso eine inhaltliche Verbindung zwischen beiden Medien,
der zugeordnete Text enthält Dialoge der dargestellten Figuren oder beschreibt
die darunter anschließende Szene. Es ist anzunehmen, dass hierbei eine enge
Kooperation der beiden ausführenden Meister bestand, wofür die diffizile
Abstimmung von Bild und Text in allen untersuchten Fällen spricht.
42
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6. Die Beispiele
In weiterer Folge werde ich mich exemplarisch mit zehn aus Kobayashi
Kiyochikas
Serie
Nippon
banzai.
Hyakusen
hyakushō
entnommenen
Druckbeispielen beschäftigen. Die Auswahl erfolgte willkürlich.
Jedoch wollte ich damit den Versuch unternehmen, dem Reiz und der
besonderen Qualität Kiyochikas im Bereich der Karikatur nachzuspüren.
Meine Arbeit ist als Anfang zu sehen, die bislang in Übersetzung
unveröffentlichten Texte der Serie einem breiteren Publikum zugänglich zu
machen.
Die Blätter sind chronologisch gereiht, sie umspannen den Zeitraum vom
September 1894 bis Mai 1895 und können als repräsentativ für die gesamte
Dauer des Krieges genommen werden.
Als Methode habe ich mich folgender Vorgangsweise bedient: Ich betrachte
zuerst den Text. Nach dem Text des Druckes im Original sowie dessen
Transkription in lateinische Schrift (romanji) folgt eine erste Übersetzung ins
Deutsche.
Hierauf wende ich mich der Darstellung und ihren Besonderheiten zu. An eine
kurz gehaltene Bildbeschreibung gliedern sich Anmerkungen zur Sprache, dem
kulturellen Kontext und historischen Gegebenheiten.
Alle hier besprochenen Werke stammen (mit einer Ausnahme) aus Wiener
Privatbesitz. Ihre Abbildungen wurden mir für diese Arbeit freundlicherweise zur
Verfügung gestellt.
43
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.1. Inhaltsverzeichnis
„Prolog“ (Abb. 5)
Ohne Datum (vermutlich Spätsommer/Herbst 1895)
Abbildung 5: „Prolog“
44
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
口上
百撰百笑(ひやくせんひやくせう)の飛出(とびだ)したる以来(いらい)非
常(ひじやう)に江湖(こうこ)の喝采(かつさい)を博(はく)し東京(と
うきやう)の紙問屋(かミとひや)をして為(た)める / 紙値(しち)を貴
(たか)からしめたるハ今更(いまさら)道人(たうじん)の吹聴(ふいちよ
う)をまたずして諸君(しよくん)も亦(また)既(すで)に御存(ごぞん)
じ / の事(こと)たりと雖(いへど)も今(いま)や戦争(せんさう)も平和
(へいわ)に帰(き)し大日本全勝(だいにほんぜんしやう)の局(きよく)
を結(むす)びたるに / 就(つい)てハ此(この)百撰(せん)百笑(せう)
も亦(また)清親君(きよちかくん)万歳(ばんざい)し骨皮道人(こつぴど
うじん)才蔵(さいぞう)の拍手(はくしゆ)中(ちう)に於(おい)て両/人
(にん)とも獅子(しし)ッ鼻(ばな)をピコ付(つか)せツツ筆硯(ひつけ
ん)を洗(あら)つて政(まさ)にアバヨを極込(きめこ)まんとせり然(し
か)るに / 敢(あえ)て期(き)せざりし忠告(ちゆうこく)ハ四方(はう)
八方(はう)より来(きた)る曰(いわ)く其名(そのな)元(もと)百撰
(せん)と称(しやう)しながら突然(とつぜん)/ 中途(ちうと)にして引
込(ひつこ)むハ恰(あたか)も杯洗(はいせん)の音(おと)を聞(きい)
て酒(さけ)を飲(のま)ざりの感(かん)あり宜(よろ)しく鴬初の / 約
(やく)を履(ふ)んで百笑(せう)を全(まつた)からしむべしと板元主人
(はんもとしゆじん)も亦(また)得手(えて)に帆(ほ)を揚(あ)げてど
うか左(さ)/様(やう)な事(こと)に願(ねが)ひ度(たい)ふし請(こ)
ふや切(せつ)なり是(ここ)に於(おい)てか道人(だうじん)も小首(こ
くび)を捻(ひね)り直(なほ)して以為(おもへ)/ らく百撰(せん)百笑
(せう)ハ百戦(せん)百勝(せう)と国音相通(こくおんあいつう)ずるに
しすれバ如何(いか)さま凱旋(がいせん)と共(とも)に筆(ひつ)/鋒 (は
う)を納(おさ)むべきハ勿論(もちろん)の事(こと)なれども百撰(せ
ん)百笑(せう)ハ読(よ)んで字(じ)の如(ごと)しとすれバ強(あな
45
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
が)ち / 戦争(せんそう)の事(こと)のみに限(かぎ)らず社会(しやくわ
い)百般(ばん)の出来事(できごと)何(なに)しを担(かつ)ぎ出(だ)
しても差支(さしつか)へなき / 筈(はづ)なり況(まし)て人様(ひとさ
ま)の兎(と)や角(かく)緒仰(おつしや)つて下(くだ)さる時(とき)
に素直(すなお)ならざれバ後悔(こうくわい)或(ある)ひは / 臍(ほぞ)
を噛(か)むことあるやも知(し)るべからずと遂(つゐ)に踏止(ふミと
ま)つて清親子(きよちかし)と笑談熟戯(せうだんじゆくぎ)/ の上(う
え)既出(きしゆつ)平和(へいわ)に至(いた)るまでを上(うえ)の巻
(まき)と為(な)し是(これ)より以下(いか)ハ冠字(かんじ)日本万歳
に代(か)/ ふるに社会幻燈(しやかいげんとう)の四字(じ)を以(もつ)
てして之(これ)を下(げ)の巻(まき)と為(な)し猶(なほ)引続(ひき
つづ)いて諸君(しよくん)のお目(め)/ にブラ下(さげ)ると共(とも)
に絵草紙屋(ゑざうしや)の店頭(てんたう)にもブラ下(さけ)んと欲(ほ
つ)す而(しか)して其(その)顕(あらハ)れ出(いづ)る處(ところ)/
のものハ鬼(おに)なるかはた仏(ほとけ)なるか何(いづ)れ尋常(じんじ
やう)一様(やう)の物(もの)にハあらさるべけれは / 何卒(なにとぞ)相
変(あいかは)らず御愛翫(ごあいぐわん)を賜(たま)はらんことを願(ね
が)ふと云爾(しかいふ)
骨皮道人識
目録
ちやんちやんの膽潰(きもつぶ)し
李鴻章(りこうしやう)の大頭痛(おほづつう)
おか支那兵士(しなへいし
踏(ふみ)潰(つぶ)しの歌(うた)
人間(にんげん)の皮剥(かわは)ぎ
御敗将(おんはいしやう)
龍宮(りうぐう)の騒(さハ)ぎ
46
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
御注進御注進
地獄(ぢごく)の大繁盛(おほはんじやう)
奉天府(ほうてんふ)の荷厄介(にやつかい)
日兵(につぺい)の一捻(いちねん)
敗将の泣別(なきわか)れ
清代(しんだい)限(かぎ)り
逃(に)げ支度(したく)
木偶(でく)の防(ぼう)
豚(ぶた)の當惑(とうわく)
分鳥(ぶんどり)
首(くび)ッ引(ぴき)
厚(あつ)い面(つら)の皮(かわ)
清兵(しんへい)の冷(ひや)かされ
長足(ちやうそく)の進歩(しんぽ)
飛(とん)だ老大国(らうだいこく)
北京嬢(ぺきんじよう)の落涙(らくるい)
討清翫弄遊(とうせいおもちやあそ)び
自業自得(じごふじとく)
清狂言(しんきようげん)の降状(こうじやう)
向(むか)ふ處(ところ)に敵(てき)なし
威海衛(いかいえい)の大漁(たいりやう)
愉快(ゆかい)な運動(うんどう)
帒(ふくろ)の鼠(ねずミ)
大兵降(おほへいかう)
支那人形(しなにんげう)
漢兵(かんぺい)の切腹(せつぷく)
勇(いさ)ましい子供遊(こどもあそ)び
頓知盗難除(とんちとうなんよけ)
清発明(しんはつめい)の危械(きかい)
47
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
北京(ぺきん)の摘草(つみくさ)
三途川(さんづがわ)の大混雑(おほこんざつ)
支那土産(しなミやげ)
患吁(かんう)と愁傷(しゆうしやう)
臆病神(おくびやうがミ)
是(これ)ハ澎湖島(ほうことう)
大歯(だいば)を抜(ぬ)く
ぶるぶる大将(たいしやう)
案山子(かかし)に驚(おどろ)く
清国困苦民兵(しんこくこんくミんへい
支那玉遣(しなだまつか)ひ
漁翁島(ぎよおうたう)の阿き家(いへ)
新日本(しんにつぽん)の開拓(かいたく)
二奥(におく)の到来(とうらい)
48
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Kōjō
Hyakusen hyakushō no tobidashitaru irai hijō ni kōko no kassai o hakushi Tōkyō
no kamitoiya o shite tameru / shichi o takakarashimetaru wa imasara Dōjin no
fuichō o matazushite shokun mo mata sudeni gozonji / no koto tari to iedomo
ima ya sensō mo heiwa ni kishi Dainihon zenshō no kyoku o musubitaru ni /
tsuite wa kono Hyakusen hyakushō mo mata Kiyochika-kun banzai shi Koppi
Dōjin
Saizō
no
hakushu-chū
ni
oite
ryō/nin
tomo
shishippana
o
pikotsukasetsutsu hikken o aratte masa ni abayo o kimekoman to serishikaru ni
/ aete kisezarishi chūkoku wa shihōhappō yori kitaru. Iwaku sono na moto
Hyakusen to shōshinagara totsuzen / chūto ni shite hikkomu wa ataka mo
haisen no oto o kiite sake o nomazari no kan ari. Yoroshiku dōsho no / yaku o
funde Hyakushō o mattōkarashimubeshi to hanmoto shujin mo mata ete ni ho o
agete dōka sayōna koto ni negaitai fushi kō ya setsunari. Koko ni oite ka Dōjin
mo ko-kubi o hinerinaoshite omoe/raku Hyakusen hyakushō wa Hyakusen
hyakushō to kokuon aitsūzuru ni shisureba ikasama gaisen to tomo ni hi/ppō o
osamubeki wa mochiron no koto naredomo Hyakusen hyakushō wa yonde ji no
gotoshi to sureba anagachi / sensō no koto nomi ni kagirazu shakai hyappan no
dekigoto nanishi o katsugidashite mo sashitsukae naki / hazunari. Mashite
hitosama no toyakaku osshatekudasaru toki ni sunao narazareba kōkai arui wa
/ hozo o kamu koto aru ya mo shirubekarazu to tsui ni fumitomatte Kiyochika-shi
to shōdanjukugi / no ue kishutsu. Heiwa ni itaru made o ue no maki to nashi
kore yori ika wa kanji Nippon banzai ni ka/waru ni Shakaigentō no yoji o motte
shite kore o ge no maki to nashi nao hikitsuzuite shokun no o-me / ni
burasageru to tomo ni ezōshiya no tentō ni mo burasagen to hossu. Shikashite
sono arawareizuru tokoro / no mono wa oni naru ka hata hotoke naru ka izure
jinjōichiyō no mono ni wa arazarubekereba / nanitozo aikawarazu go-aigan o
tamawaran koto o negau to shikaiu.
49
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Koppi Dōjin shiki
Mokuroku
(Meiji 28)
1. Chanchan no kimotsubushi *)
(Meiji 27/9)
2. Rikōshō no ō-zutsū
k. A.
3. Okashina heishi
(Meiji 27/9)
4. Fumitsubushi no uta *)
(Meiji 27/9)
5. Ningen no kawahagi
(Meiji 27/10)
6. On-taishō
(Meiji 27/11)
7. Ryūgū no sawagi
(Meiji 27/11)
8. Go-chūshin go-chūshin *)
(Meiji 27/11)
9. Jigoku no ōhanjō *)
(Meiji 27/11)
10. Hōtenfu no ni-yakkai
(Meiji 27/11)
11. Nippei no ichinen
(Meiji 27/12)
12. Taishō no nakiwakare
(Meiji 27/12)
13. Shindai kagiri
(Meiji 27/12)
14. Nigeshitaku *)
(Meiji 27/12)
15. Dekunobō
(Meiji 27/12)
16. Buta no tōwaku
k. A.
17. Bundori
k. A.
18. Kubippiki *)
(Meiji 27/11)
19. Atsui tsura no kawa *)
(Meiji 28/2)
20. Shinpei no hiyakasare
(Meiji 28/2)
21. Chōsoku no shinpo
(Meiji 28)
22. Tonda Rōdaigoku
(Meij 28/2)
23. Pekinjō no rakurui
(Meiji 28)
24. Tōsei omocha asobi *)
(Meiji 28/2)
25. Jigōjitoku
(Meiji 28/3)
26. Shinkyōgen no kōjō
(Meiji 28)
27. Mukau tokoro ni teki nashi
(Meiji 28)
28. Ikaiei no tairyō
(Meiji 28/4)
29. Yukaina undō
(Meiji 28)
50
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
30. Fukuro no nezumi
(Meiji 28/4)
31. Ō-heikō
(Meiji 28)
32. Shinaningyō
(Meiji 28/3)
33. Kanpei no seppuku
(Meiji 28/3)
34. Isamashi kodomo asobi
(Meiji 28)
35. Tonchi tōnan-yoke
(Meiji 28)
36. Shin-hatsumei no kikai *)
(Meiji 28/4)
37. Pekin no tsumikusa
(Meiji 28)
38. Sanzugawa no ō-konzatsu *)
(Meiji 28/5)
39. Shina miyage
(Meiji 28)
40. Kan’u to Shūshō
(Meiji 28)
41. Okubyōgami
(Meiji 28)
42. Kore wa Hōkotō
(Meiji 28)
43. Daiba o nuku
(Meiji 28)
44. Buruburu taishō
(Meiji 28)
45. Kakashi ni odoroku
(Meiji 28)
46. Shinkoku konkuminhei
(Meiji 28)
47. Shinadamatsukai
(Meiji 28/6)
48. Gyoōtō no akiie
(Meiji 28)
49. Shin-Nippon no kaitaku
(Meiji 28)
50. Nioku no tōrai
(Meiji 28)
*) Im Zuge dieser Arbeit besprochene Blätter
unterstrichen – nicht im Besitz des National Museum of Japanese History (Sakura) befindliches Exemplar
51
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Übersetzung ins Deutsche
Prolog
Seit der Herausgabe der Serie Hyakusen hyakushō hat sich die Öffentlichkeit
begeistert gezeigt, müßig zu sagen, dass der außerordentliche Erfolg allerorts
die Blattpreise des Verlegerhauses in die Höhe schießen ließ.
Da nun der Krieg vorbei und mit dem totalen Sieg des großen Japans der
Friede zurückkehrt ist, wollten wir die Serie – bei welcher Kiyochika triumphiert
und ich, Koppi Dōjin, ebenfalls großen Beifall gefunden habe – zu Ende bringen.
Als wir uns bereits zufrieden die Nasen gerieben und unsere Pinsel und
Tuschsteine wieder abgewaschen hatten, kam von allen Seiten der Ratschlag,
die Serie doch fortzusetzen, die „hundert Auswahlen“ seien doch schließlich
noch gar keine hundert Stück.
Die Arbeit nicht zu vollenden, wäre so wie wenn man den bereits gewaschenen
Sakebecher nicht füllen und zum Mund führte - sehr bedauerlich. Da dies auch
der innige Wunsch des Verlegers ist, scheint es wohl besser, das Angekündigte
einzuhalten und dem Anspruch „hundertmal gelacht“ gerecht zu werden.
In dieser Lage haben wir ein weiteres Mal überlegt und uns gedacht, wenn man
die
Serie
gelacht“
Hyakusen
gleichklingend
hyakushō,
mit
„Hundertmal
„Hundertmal
gewählt,
gekämpft,
hundertmal
hundertmal
gesiegt“ annähme, sollten wir natürlich zusammen mit dem Kriegstriumph auch
unsere Pinsel weglegen. Aber wenn man den Titel „Hundertmal gewählt,
hundertmal gelacht“ als solchen versteht, können wir nicht nur den Krieg,
sondern auch Begebenheiten des gesellschaftlichen Alltages zum Thema
nehmen.
Außerdem sollten wir auf das derzeitige Interesse von Seiten der Kundschaft
eingehen, sonst könnte es sein, dass wir es später bereuen. Deshalb haben wir
innegehalten in den Abschlussvorbereitungen, uns lange mit Vergnügen
besprochen
und
sind
schließlich
weiterzumachen.
52
zu
dem
Entschluss
gekommen
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Alle Werke von Anfang bis zum Ende des Krieges erklären wir zu „Teil Eins“.
Alle weiteren führen wir als Teil Zwei der Serie und anstatt des Titelanfangs
„Nippon banzai“ jetzt mit dem Titel „Shakai gentō“ (Eine magische Laterne der
Gesellschaft). So wollten wir euch, werte Kundschaft, weiterhin mit Vergnügen
dienen und unsere Werke im ezōshi 17 -Laden feilbieten.
Ob Teufel oder Buddha darin auftreten werden, weiß ich noch nicht zu sagen,
aber es werden wohl keine banalen Dinge, sondern sicher außergewöhnliche
sein und so bitten wir auch weiterhin um Gunst und Interesse.
Koppi Dōjin
Inhaltsverzeichnis
(1895)
1. Chanchans großer Schrecken *)
(Sep. 1894)
2. General Lis
18
große Kopfschmerzen
k. A.
3. Komische / chinesische 19 Soldaten
(Sep. 1894)
4. Das Lied vom Zerstampfen *)
(Sep. 1894)
5. Häuten von Menschen
(Okt. 1894)
6. Der geschlagene Feldherr
(Nov. 1894)
7. Aufruhr im Palast des Drachenkönigs
(Nov. 1894)
8. Eilmeldung! Eilmeldung!
*)
(Nov. 1894)
9. Hochkonjunktur in der Unterwelt *)
(Nov. 1894)
10. Die lästige Mandschurei
(Nov. 1894)
11. Das große Ziel der japanischen Soldaten
(Dez. 1894)
12. Tränenreicher Abschied des besiegten Generals
(Dez. 1894)
13. Das Ende der Qing-Dynastie
20
/ der Erbfolge
(Dez. 1894)
14. Fluchtvorbereitungen *)
(Dez. 1894)
15. Der Einfaltspinsel / Die Verteidigung der Holzpuppe
(Dez. 1894)
16. Herumirrende Schweine
k. A.
17. Entreißen
k. A.
17
illustrierte Populärkultur
Anspielung auf den chinesischen Oberbefehlshaber General Li Hongzhang
19
Wortspiel auf okashina „seltsam, komisch“/ Shina „China“
20
Qing zhao 清朝, letzte von der Manchu-Familie 1644 begründete und bis 1912 regierende
Dynastie Chinas
18
53
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
18. Köpfeziehen *)
(Nov. 1894)
19. Ein dickhäutiges Gesicht
*)
(Feb. 1895)
20. Eine Abreibung für das chinesische Heer
(Feb. 1895)
21. Rasanter Fortschritt / Spaziergang mit langen Beinen 21
(1895)
22. Ein altehrwürdiges Großreich wird hinweggefegt / fliegt weg
(1895/02)
23. Wehklagen Fräulein Pekings
(1895)
24. Vergnügen an modernem Kriegsspielzeug *)
(Feb. 1895)
25. Selber schuld! / Eigenarbeit-Eigenleistung
(März 1895)
26. Monolog über die schlechte Lage der Truppen in einem
(1895)
chinesischen kyōgen 22
27. Kein Feind in Sicht
(1895)
28. Großes Fischen bei Weihaiwei
(April 1895)
29. Bewegung aus Reue
(1895)
30. Ratten im Sack
(April 1895)
31. Totale Erschöpfung / Großer militärischer Untergang
(1895)
32. Chinesische Puppen
(März 1895)
33. Seppukku 23 eines chinesischen Soldaten /
(März 1895)
„Kambeis 24 Selbstmord“
34. Lebhaftes Kinderspiel
(1895)
35. Ein geistreicher Diebstahlschutz
(1895)
36. Eine in China neu erfundene Maschine *)
(April 1895)
37. Das Kräutersammeln zu Peking
(1895)
38. Großes Getümmel am Fluss Sanzu *)
(Mai 1895)
39. Mitbringsel aus China
(1895)
40. Weh und Klag / Kan’u
25
und Ryūhō
26
(1895)
41. Die furchtsame Gottheit
(1895)
42. Das also sind die Pescadores!
(1895)
21
Wortspiel auf chōsoku
Wörtlich für „verrückte Wörter“, eine Form des traditionellen jap. Theaters.
23
Art des rituellen Selbstmordes von Samurai, bei dem man sich mit dem Schwert den Bauch
aufschlitzt.
24
einer der legendären „Sieben Samurai“
25
Feldherr in China im Zeitalter der Drei Reiche (220-280). Er diente Liu Bei (Ryūbi) und schlug
Tsao Tsao (Sōsō) in der Schlacht von Sekiheki. Protagonist in einem beliebten Kabukistück.
26
Ebenfalls chinesischer Held
22
54
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
43. Der große Zahn wird gezogen
(1895)
44. Der zitternde General
(1895)
45. Erschrecken von Vogelscheuchen
(1895)
46. Das chinesische Leide-Volksheer
(1895)
47. Der Jongleur des chinesischen Balls
(Juni 1895)
48. Ein verlassenes Haus auf der Insel Gyoōshima
(1895)
49. Urbarmachung des neuen Japans
(1895)
50. Ankunft der zwei Bräute / 200 Millionen [tael]
Kriegsentschädigung
(1895)
Obwohl das vorliegende Blatt (Abb. 5) chronologisch an letzter Stelle der hier
behandelten Drucke zu stellen wäre, möchte ich es ob seines außerordentlich
wichtigen Informationsgehalts an den Anfang des Bildteiles stellen.
Der Druck ist eine Quelle ersten Ranges für die Beschäftigung mit Kobayashi
Kiyochikas Serie Nippon banzai. Hyakusen hyakushō, liefert er doch eine
genaue Auflistung der unter diesem Titel erschienen fünfzig Drucke. Wie bereits
erwähnt handelt es sich bei dieser, also der ersten Ausgabe, um Blätter, welche
das tagespolitische Thema des Krieges aufgreifen.
Der erläuternde Text nennt nicht nur die beiden beteiligten Künstler, Kobayashi
Kiyochika und Koppi Dōjin, sondern gibt auch einen wichtigen Hinweis auf den
weiteren Verlauf der künstlerischen Tätigkeit. Nicht mehr der bereits zu Ende
geführte Krieg, vielmehr spannende Episoden und gesellschaftliche Spitzen
sollten nun den Fokus darstellen – der Serientitel wird in „Shakai gentō“ („Eine
Magische Laterne der Gesellschaft“) umgewandelt.
Doch bleiben wir bei der für uns relevanten, mit „Lang lebe Japan! Hundertmal
gewählt, hundertmal gelacht“ betitelten Serie.
Die umfangreichste Sammlung an Drucken befindet sich im National Museum
of Japanese History/Sakura. Von den insgesamt 50 Blatttiteln befinden sich 45
im Besitz des Museums (nicht vorhanden: „Die lästige Mandschurei“, „General
55
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Lis große Kopfschmerzen“, „Das Ende der Qing-Dynastie/der Erbfolge“,
„Fluchtvorbereitungen“ sowie „Aufschwung in der Unterwelt“). Auch ein
Exemplar des mokuroku, des Inhaltsverzeichnisses, befindet sich hier.
Einige
Blätter
Schrecken“,
„Tränenreicher
(„Seltsame/chinesische
„Häuten
von
Abschied
Menschen“,
des
Soldaten“,
„Der
geschlagenen
„Chanchans
geschlagene
Generals“,
großer
Feldherr“,
„Die
lästige
Madschurei“ sowie „Das große Ziel der japanischen Soldaten“) befinden sich
außerdem im Besitz der National Gallery in Prag (siehe: Catalogue of Japanese
Art in The National Gallery, Prague. The International Research Center for
Japanese Studies Nichibunken Japanese Studies Series 5. Report of Japanese
Art Abroad Research Project Vol. 4, Kyoto 1994), um nur ein weiteres Beispiel
zu nennen.
Die Nummerierung bzw. Datumsangabe der Titel ist auf dem Blatt nicht
vorhanden, sondern stellt eine Beifügung von mir selbst dar. Leider war es mir
nicht möglich, für alle Blätter eine genaue Datierung zu ermitteln.
56
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.2. Blatt 1:
„Chanchans großer Schrecken“ (Abb. 6)
明治 27 年 9 月 / September 1894
松本平吉 / Matsuki Heikichi
Abbildung 6: "Chanchans großer Schrecken"
57
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
ちやんちやんの膽潰(きもつぶ)し
骨皮道人
怖(こわ)いと思(おも)やア箒(ほうき)が鬼(おに)に見(みへ)ると言
(い)ふが自己(おら)ア虫(むし)の / 故(せへ)か日本(にほん)の兵隊
(へいたい)が怖(こわ)くて怖くて堪(たま)らねへ尤(もつと)も日本
(にほん)の / 兵隊(へいたい)百発百中(はつちう)だの百戦百勝(せんし
やう)だのと言(い)ツて。 / 軍艦(ぐんかん)を打沈(うちしづ)めたり牙
山(がざん)の・・・キヤツ・・・/
「オヤオヤちやんちやん坊主(ばうず)めが兵隊(へいたい)の / 人形(にん
ぎやう)を見(み)て目(め)を廻(まわ)しやアがつた態(ざま)ア見
(み)ろ / 頭(あたま)から水(ミづ)でも打掛(ぶつかけ)て呼(よん)で
見(ミ)ろ見ろ /
「ちやんちやん坊主(ばうず)ヤーイ南京坊主(なんきんばうず)ヤ/ーイ「オ
オ膽(きも)を潰(つぶ)した・・ヘイ有(あり)/がたう御座(ござ)いま
す・・きと / もう大丈夫(だいじやうぶ)で御/座(ござ)います
「気(き)が附(つい)たか / 気が附たか。どうした貴様(きさま)は / 癲癇
持(てんかんもち)と見(ミ)へるナ「イエ私(わたくし)ハ臆病(おくびや
う)で / ございます
58
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Chanchan no kimotsubushi
Koppi Dōjin
Kowai to omoyā hōki ga oni ni mieru to iu ga orā mushi no /sē ka Nihon no
heitai
ga
kowakute
kowakute
tamaranē mottomo Nihon
no / heitai
hyappatsuhyakuchū da no hyakusen hyakushō da no to itte / gunkan o
uchishizumetari Gazan no…kya…/
„Oya oya Chanchan- bōzume ga heitai no / ningyō o mite me o mawashāgatta
zamā miro. / Atama kara mizu demo bukkakete yonde miro miro” /
“Chanchan- bōzu yāi, Nankin- bōzu yā/i” “Ō kimo o tsubushita…hei ari/gatō
gozaimasu…kito mō daijōbu de go/zaimasu”
“Ki ga tsuita ka / ki ga tsuita ka dōshita kisama wa / tenkanmochi to mieru nā”
“Ie watakushi wa okubyō de / gozaimasu”
Übersetzung ins Deutsche
Chanchans großer Schrecken (Abb. 6)
Koppi Dōjin
Wenn man sich fürchtet, sieht man in Gedanken Besen als Teufel, sagt man.
Wahrscheinlich sitzen meine Bandwürmer am falschen Platz, ich habe nämlich
fürchterliche Angst vor den japanischen Soldaten.
Man sagt von ihnen, wenn sie hundert Mal schießen, treffen sie hundert Mal,
wenn sie hundert Mal kämpfen, siegen sie hundert Mal, und so versenkten sie
unsere Militärschiffe in der Bucht von Asan…ach!
„Oioi, der Chanchan-Glatzkopf erblickte japanische Soldatenpuppen und er fällt
in Ohnmacht - er verdient es nicht besser! Gieß ihm Wasser über seinen Kopf
und weck ihn auf!“
„Chanchan-Glatzkopf, heda!…Nanjing-Glatzkopf, he!“
59
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
„Oh, bin ich erschrocken…Vielen Dank…Alles in Ordnung.“
„Du bist wieder bei Bewusstsein. Was ist passiert?
Bist du an Epilepsie
erkrankt?“
„Nein, ich bin nur krank vor Angst…(Wortspiel auf okubyō)“
Bildbeschreibung
Ein im Profil wiedergegebener Mann nähert sich rechterhand dem Bildzentrum,
verharrt jedoch in einer Geste größten Entsetzens. Der durch Tracht sowie den
langen Zopf gekennzeichnete Chinese hat scheinbar etwas entdeckt, was sich
in der linken Hälfte der Darstellung Raum greift.
Hier
befindet
sich
ein
durch
den
Bildrand
lediglich
abgeschnitten
wiedergegebenes Strohbündel, in welchem mehrere Stöcke stecken. An diesen
baumeln wie an Angelruten zwei kleine Püppchen japanischer Soldaten, gut an
ihren Uniformen zu erkennen. Des Weiteren tragen die Miniaturen große
Rucksäcke, selbst Gewehre haben sie geschultert.
Außerdem stecken zwei, die japanische Flagge tragende Fähnchen in dem
Bündel, bei näherer Betrachtung lässt sich auch eine kleine, ebenfalls an einer,
jedoch
durch
die
Textkartusche
überschnittenen,
Angelrute
hängende
Schildkröte ausmachen.
Der Handlungsraum ist durch keinerlei Zugabe näher definiert, lediglich ein
zarter blauer bokashi - Farbverlauf hinterfängt die Darstellung. So lenkt auch
der großformatige Chinese die Aufmerksamkeit ungeteilt auf sich, in einer
expressiven Geste reißt er den Mund auf, Arme und Beine weit von sich
gestreckt verharrt er mitten in der Bewegung.
Seine Kleidung ist farbenfroh, neben weißen Beinkleidern und Gamaschen trägt
er ein grün verbrämtes Lederwams über einem ebenfalls weißen Unterhemd,
60
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
einen Farbpunkt bildet ein unter dem Wams hervorlugendes knallrotes
Untergewand.
In karikaturhafter Übersteigerung ist sein Blick unverwandt auf die japanischen
Soldatenpüppchen gerichtet, die ihrerseits ihm entgegenzublicken scheinen.
Erläuterungen
In bewundernswerter Weise schafft es Kiyochika hier, durch gezielten Einsatz
der verfügbaren Mittel lediglich durch Blicke und Gesten Spannung zu erzeugen.
Die Konfrontation Püppchen – Chinese wird dem Betrachter spürbar, man
kommt nicht umhin, selbst eine gewisse Scheu vor den kleinen Figürchen zu
empfinden, gleichzeitig macht die groteske Übersteigerung der Reaktion eine
Sympathie für den furchtsamen Mann unmöglich – sie macht ihn ganz im Sinne
der angestrebten pro-japanischen Propaganda zu einem Bild der Lächerlichkeit.
Das Blatt thematisiert den Sieg japanischer Truppen bei Asan (29. Juli 1894) im
Rahmen des 1. Sino - Japanischen Krieges 1894-95. Als China dem Wunsch
der koreanischen Regierung um Entsendung von Truppen zur Niederschlagung
der Tonghak-Revolte nachkam, lieferte es Japan einen guten Grund, gemäß
des Vertrages von Tianjin (1884) seinerseits Truppen nach Korea zu entsenden
- der Ausgangspunkt des Krieges.
Die Darstellung illustriert den beigefügten Text, der die große Angst der
chinesischen Truppen nach ihrer Niederlage bei Asan im Juli 1894 in einem
humoristischen Dialog zwischen dem abgebildeten Chinesen und einem nicht
näher definierten „Erzähler“ heraufbeschwört.
Auf die Frage, warum ihm denn der Schrecken so ins Gesicht geschrieben sei,
ob er denn etwa an einem körperlichen Gebrechen leide verneint der,
herabwürdigend als „Chanchan-Glatzkopf“ ( ち や ん ち や ん 坊 主 、 chanchanbōzu) titulierte, Chinese.
61
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Nein, es wäre keineswegs ein epileptischer Anfall, welcher ihn quäle, vielmehr
sei er vor Angst ganz krank. Die Pointe bezieht sich auf ein Wortspiel, sie lebt
vom ähnlichen Klang der beiden Ausdrücke im Japanischen.
Der im Text verwendete Ausdruck chanchan (auch chankoro u.Ä.) leite sich,
wie Keene vermutet, vom chinesischen Wort für „Chinese“ chungkuo jen ab
(Keene 1998:257), Dowe vermutet als Ursprung vielmehr den englischen
Slangausdruck Chink (Dowe 2007:Old China, New Japan).
Von ebenfalls äußerst negativer Konnotation ist das japanische Wort tombi, das
eine wörtliche Übersetzung des englischen Wortes „pigtail“ darstellt. Entgegen
der ursprünglichen Bedeutung von „Pferdeschwanz, Zopf“ steht es in
Verbindung mit der durch die Kriegspropaganda verbreitete Meinung, Chinesen
würden wie Schweine stinken oder sich wie solche gebärden.
Wie Keene unter Berufung auf den Bericht eines Reporters anführt, gab es bei
den
japanischen
Soldaten
den
Brauch,
die
Zöpfe
der
chinesischen
Kriegsgegner als Trophäen zu sammeln, um so die Zahl der getöteten
Kontrahenten belegen zu können (Keene 1998:257).
In den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Drucken wird die Bezeichnung
chanchan-bōzu generell als Synonym für „Chinese“ verwendet, ich nehme mir
die Freiheit heraus, nicht in jedem Fall gesondert auf den abschätzigen
Charakter dieses Ausdrucks hinzuweisen.
Leider
lassen
sich
die,
auch
in
den
nachfolgenden
Texten
häufig
anzutreffenden, Wortspiele nur sehr schwer ins Deutsche übertragen; selbst bei
dem Vorhandensein einer einigermaßen akzeptablen Entsprechung der
gewählten Ausdrücke geht zumeist die Frische und Unmittelbarkeit des
japanischen Originals verloren.
Darstellungen wie diese dienten in erster Linie der Propaganda, nicht selten
sind sie diskriminierender Natur. Das vorliegende Blatt stellt die Überlegenheit
62
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
der japanischen Soldaten in den Vordergrund, selbst nach ihrem Vorbild
gefertigte Puppen würden noch ausreichen, den Gegner das Fürchten zu lehren
und ihn in die Flucht zu schlagen.
Während interessanterweise die Miniaturausgaben japanischer Soldaten
bewaffnet und in Uniform dargestellt sind, ist ihr chinesischer Gegenpart auch in
Sachen Ausrüstung nicht ebenbürtig.
Die Ausrüstung spielte, wie in allen Kriegen, auch im Sino-Japanischen Krieg
1894-95 eine bedeutende Rolle, der stetige siegreiche Vorstoß der japanischen
Truppen lässt sich besonders auf die gute Kooperation mit den lokal
ansässigen
Chinesen
zurückgeführt
werden.
Die
japanische
Haltung
unterschied generell zwischen chinesischen Zivilisten und den Truppen der
Qing-Dynastie. Das wird auch in der japanischen Namensgebung des Krieges
deutlich: Er wird im Allgemeinen als Nisshin sensō (日清戦争), also „Krieg
zwischen Japan und Qing“ bezeichnet (Lone 1994:137).
Zu erwähnen bleibt zudem der deutliche Unterschied der Kleidung. Die im Zuge
der Meiji-Revolution (1868) durchgeführte Modernisierung des japanischen
Heeres brachte eine Änderung der Uniform mit sich.
Die dunklen Uniformen der Soldaten wurden denen der Husaren, der
Reitereinheit des bewunderten ungarischen Militärs, nachgebildet und erfreuten
sich in dieser Zeit auch innerhalb Europas großer Beliebtheit (Meech-Pekarik
1987:203).
Nach dem großen Sieg der japanischen Truppen bei Sōnghwan war der
Kampfesmut der chinesischen Truppen soweit gesunken, dass ein Großteil
bereits vor Eintreffen der Japaner in Asan die Flucht ergriffen haben soll. Damit
waren die chinesischen Bestrebungen vereitelt, von Pjöngjang im Norden sowie
Asan im Süden einen neuerlichen Vorstoß auf die Hauptstadt Seoul zu wagen.
63
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der rasche Rückzug des Gegners gab japanischer Kriegspropaganda reichlich
Nahrung für schmähende Darstellungen und Berichte, genüsslich konstatierte
beispielsweise die Japan Weekly Mail am 4. August (Paine 2003:159):
„The Chinese are indeed skilled in the art of running away. As they fled they
generally cast off their uniforms and donning the clothes of Koreans made the
best of their way to what they considered safe places. The directions toward
which they fled are unmistakably indicated by the cast-off uniforms. Even the
Vice-commander of the Chinese troops appears to have been tempted to avail
himself of this method, for his uniform was left behind in camp.”
Anders sah es die chinesische Presse. Ein Korrespondent der in Shanghai
ansässigen Zeitung North-China Herald wusste vom heroischen Widerstand
einer kleinen chinesischen Truppe gegen die japanische Übermacht zu
berichten (Paine 2003:159):
„The Chinese have retired from the Yashan [Asan] district after several days of
heavy fighting, 10.000 Japanese against 3.500 Chinese. In the first days, the
Japanese met with a sharp reverse and severe losses, the Chinese loss being
unimportant. On July 29th the Chinese withdrew, leaving the camp in charge of
a guard of 300 men, who were attacked and captured by an overwhelming force
of Japanese before dawn. The guard was killed. The Japanese lost 500 men,
found only heavy baggage in the camp, and took no prisoners, many Chinese
non-combatants in the vicinity being slain.”
Tatsächlich handelte es sich bei der besiegten „kleinen Truppe” jedoch um
einen großen Teil der chinesischen Kampfkraft, wie Paine betont, der
chinesische Hof wurde, wahrscheinlich um mögliche tödliche Konsequenzen für
die Verantwortlichen zu verhindern, in Sicherheit gewiegt (Paine 2003:160).
64
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.3. Blatt 2:
„Das Lied vom Zerstampfen“ (Abb. 7)
明治 27 年 9 月 / September 1894
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 7: "Das Lied vom Zerstampfen"
65
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
踏潰(ふミつぶ)しの歌(うた)
骨皮道人
潰(つぶ)せや潰せやミな潰(つぶ)せ。滅多矢鱈(めつたやたら)に踏潰
(ふミつぶ)せ。/ 喩(たと)ひメソメソ泣(ない)たとて。喩(たと)ひ吠
面(ほへずら)かはくとて。/ 元(もと)わ彼等(かれら)の士出(しで)か
した。身(み)から湧(わき)たる錆(さび)なるぞ。/ 是(これ)まで餘
(あん)まり馬鹿(ばか)にして。生意気(なまいき)ぬかした罰(ばち)な
るぞ。/ 今更(いまさら)後悔(こうくわい)するとても。後(あと)の祭
(まつ)りで仕方(しかた)なし。/ いくら敵(てき)對(たい)為(な)す
とても。丸(まる)で無駄(むだ)なり無益(むえき)なり。陸地(りくち)
ハ政歓(せいくわん)また牙山(がざん)。平壌
(へいじやう)までも踏潰
(ふミつぶ)し。/ 又(また)軍艦(ぐんかん)ハ十餘艘(よさう)。美事
(みごと)に沈(しづ)めて仕舞(しまひ)たり。/ いでやちやんちやん覚悟
(かくご)せよ。是(これ)からだんだん大股(おほまた)に。/ 満州(まん
しう)に入(ゐ)り奉天府(ほうてんふ)。とどの詰(つま)りハ南京(なん
きん)も。北京(ぺきん)ミシミシ潰(つぶ)すべし。/ 北京(ぺきん)ミシ
ミシ潰(つぶ)すべし。
66
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Fumitsubushi no uta
Koppi Dōjin
Tsubuse ya tsubuse ya mina tsubuse. Mettayatara ni fumitsubuse. / Tatoi
mesomeso naita tote. Tatoi hoezura kawaku tote./ Moto wa karera no
shidekashi da. Mi kara wakitaru sabi naru zo. Kore made anmari baka ni shite.
Namaiki nukashita bachi naru zo. / Imasara kōkai surutote mo. Ato no matsuri
de shikata nashi. / Ikura tekitai nasu tote mo. Maru de muda nari mueki nari.
Rikuchi wa seikan mata Gazan. Heijō made mo fumitsubushi. / Mata gunkan wa
jūyo-sō. Migoto ni shizumete shimaitari. / ideya Chanchan kakugo seyo. Kore
kara dandan ōmata ni. / Manshū ni iri Hōtenfu. Todo no tsumari wa Nankin mo.
Pekin mo mishi mishi tsubusu beshi. / Pekin mo mishi mishi tsubusu beshi.
Übersetzung ins Deutsche
Das Lied vom Zerstampfen (Abb. 7)
Koppi Dōjin
Zerstampfen, zerstampfen, alles zerstampfen. Blindlings zerstampfen.
Auch wenn sie schluchzen. Auch wenn sie jammern. Sie haben es
heraufbeschworen. Sie sind selber schuld. Bis jetzt habt ihr uns für dumm
verkauft. Das habt ihr davon, eure Großtuerei wird bestraft.
Auch wenn ihr es bereut. Es ist zu spät dafür. Auch wenn ihr mit ganzer Kraft
gegen uns kämpft, es ist nutzlos, vergebliche Mühe!
Uns gehört schon das Festland und Asan. Auch Pjöngjang haben wir bereits
zermalmt. Mehr als 10 eurer Kriegsschiffe haben wir bereits komplett versenkt.
Ihr Chinesen, ihr Chanchan, macht euch auf das Ende gefasst!
Ab hier in großen Schritten nach Mukden, zum Eingang in die Mandschurei.
Letztlich auch Nanking. Peking müssen wir noch zerstampfen. Peking müssen
wir noch zerstampfen!
67
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Die Darstellung zeigt spielzeugartig anmutende Miniaturen chinesischer
Soldaten und Schiffe sowie zwei junge Männer.
Einer der beiden, Kleidung und Haartracht nach zu schließen, Chinese, sitzt
wehklagend am Boden und bedeckt seine Augen, während der andere, ein
japanischer Soldat, sich anschickt, eine durch beschriftete Fähnchen als
chinesische Stützpunkte gekennzeichnete Figurengruppe nach der anderen mit
grimmigem Gesichtsausdruck zu zerstampfen.
Er ist frontal wiedergegeben und wiederum bekleidet mit weißen Beinkleidern,
Gamaschen, Uniformjacke, Gürtel sowie einem Käppi, um die Brust trägt er
eine gelbe Schärpe. Die rechte Hand reckt er in einer wütenden Geste zur
Faust geballt vorwärts, die linke hält den Schaft seines Gewehres. Kopf, Hand
sowie Gewehrlauf überschneiden hier bereits den Rand der dem Bild
zugewiesene Fläche – sie überschneiden das oben abschließende Textfeld bzw.
ragen davor empor.
Der linkerhand im Schneidersitz am Boden sitzende Chinese ist ebenfalls
frontal dargestellt, seine Kleidung greift die Farben der zuvor beschriebenen
Uniform nochmals auf, ist jedoch „chinesisch“ umgedeutet. Die beiden noch heil
gebliebenen Miniatur-Stützpunkte befinden sich wohl nicht zufällig direkt vor
seiner
Gestalt,
sie
sind
ihm
direkt
zugewiesen.
Mit
einer
raschen,
entschlossenen Reaktion wäre ihre Zerstörung noch zu verhindern, dem Wüten
des Japaners noch Widerstand zu leisten… einerlei, der Mann hat die Augen
bedeckt und wehklagt.
Den Hintergrund des Blattes bildet hier ein blau – durchscheinend – grüner
Farbverlauf, welcher jedoch diesmal etwas greller in der Titelkartusche am
rechten Rand nochmals aufscheint.
68
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Zur Entstehungszeit dieses Druckes im Oktober 1894 konnten die japanischen
Truppen bereits große Siege für sich verbuchen, so etwa bei Toshima (25. Juli
1894), Asan (29. Juli 1894) oder Pjöngjang (15. September 1894).
Diese drei Stationen sind auch unter den auf der Darstellung angeführten, die
sie symbolisierenden Figürchen wurden von dem japanischen Soldaten bereits
zerstampft. Mitten in der Bewegung festgehalten, wendet sich dieser nun den
beiden
verbleibenden
und
als
Mandschurei
und
Peking
beschrifteten
Stationen zu.
Im Sinne propagandistischer Motive wird hier die militärische Übermacht
Japans in humoristischer Weise dargestellt. Der japanische Soldat zermalmt mit
zur Faust geballten Hand einen chinesischen Stützpunkt nach dem anderen, es
ist ihm ein Leichtes, sie dem Erdboden gleichzumachen. Die feindlichen
Truppen werden symbolisch zu passiven Püppchen degradiert. Der chinesische
Widersacher kann oder will dem Wüten des übermächtigen Japaners nichts
entgegensetzen, er sitzt lediglich daneben und wehklagt.
Die Frage, ob es sich bei den dargestellten Personen um Männer oder Knaben
handelt muss lässt sich meiner Meinung nach nicht eindeutig beantworten.
Auch wenn die Szene in der Tat stark an ein kindliches Sandkastenspiel
erinnert, handelt es sich in Hinblick auf die Physiognomie und das Faktum, dass
beide Soldatenkleidung tragen meiner Meinung nach um erwachsene Männer wenn sie sich auch wie Kinder verhalten. Ein Knabe wäre schwerlich in den
Besitz des Gewehres gekommen, welches die dargestellte Person so prominent
geschultert trägt.
Mit einem Augenzwinkern stellt Kiyochika hier den Streit der beiden
Kontrahenten dar. Weder die grimmige Miene des Japaners noch das Klagen
des Chinesen scheinen dramatische Auswirkungen zu haben, das Agieren der
beiden wirkt vielmehr kindlich trotzig.
69
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der wahre „Sieger“ ist der Künstler selbst, gelingt es ihm doch, seinen
Karikaturen abseits vordergründiger Kriegspropaganda eine ironische Note
beizufügen.
Die Diktion des zugeordneten Textes ist, wie der Titel des Blattes bereits
vermuten lässt, ähnlich der eines Liedtextes und lässt sich wie ein anfeuernder
Schlachtgesang verstehen.
In der Tat spielten Lieder wohl auch in der Propaganda des Sino-Japanischen
Krieges eine wichtige Rolle.
70
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.4. Blatt 3:
„Eilmeldung! Eilmeldung!“ (Abb. 8)
明治 27 年 11 月 / November 1894
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 8: "Eilmeldung! Eilmeldung!
71
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
御注進御注進(ごちうしんごちうしん)
骨皮道人
国(くに)乱(ミだ)れて注進(ちうしん)顕(あら)はるるとハ云(い)へ、
さうノベツに / 四方八方(しはうはつはう)から御注進御注進(ごちうしんご
ちうしん)と来(こ)られてハ、餘(あま)/り注進(ちうしん)が顕(あら)
はれ過(すぎ)てどうにも 手(て)が廻(まわ)らないで / 目(め)が廻(ま
わ)るワ「御注進御注進(ごちうしんごちうしん)
「エエ騒々寿(さうさうしい)わい最少(もすこ)し / 静(しずか)にしろ
へ・・・ムム成(なる)ほど又(また)平壌(へいじやう)で負(まけ)て、/
黄海(くわうかい)でも軍艦(ぐんかん)を四艘(さう)沈(しづ)められた、
義/州(ぎしう)を追払(おいはら)はれて、九連城(れんじやう)も占領(せ
んりやう)されて / 奉天府(ほうてんふ)もとうとう日本(にほん)の 物
(もの)になつた /・・・イャ此奴(こいつ)が此奴(こいつ)が何(なに)
を申(まを)す。負(まけ)た事(こと)/ ばかりを報知(しらせ)るのが注
進(ちうしん)でハないゾ、偶(たま)には / 勝(かつ)た事(こと)も申
(まを)すものぢや、サァ今度(こんど)ハ勝(かつ)た事(こと)/ を申
(まを)せ勝(かつ)た事(こと)を「へー是(これ)ハ困(こま)りました、
オット / ありますあります「さうだろうさうだろう其(その)勝(かつ)た事
(こと)を早(はや)/く申(まを)せ「エート先(まつ)第一(だいいち)が
日本兵(にほんへい)に負(まけ)て口惜(くやし)かつた、/ 味方(ミか
た)の兵(へい)が弱(よわ)かつた、腹(はら)が減(へつ)てひもじかつ
た、首(くび)を / 切(き)られて痛(いた)かつた、夫(それ)から苦(く
る)しかつた悲(かな)しかつた /「ヤイヤイヤイヤイ此奴等(こいつら)ハ
何(なに)を申(まを)す其様(そん)な / 事(こと)でハない軍(いくさ)
に勝(かつ)た事(こと)ぢや「イエ其辺(そのへん)の / 所(ところ)ハ斥
候(せきこう)に存(ぞん)じませぬ
72
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
「平壌も亦た負けました
「黄海でもまた負けました
「義州も取られて仕舞ました
「九連城も追払はれました
「奉天府もメチャメチャに成りました
「いよいよ北京へ押掛て参ります
73
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Go-chūshin go-chūshin
Koppi Dōjin
Kuni midarete chūshin arawaruru to wa ie, sō nobetsu ni / shihō happō kara gochūshin go-chūshin to korarete wa, amari chūshin ga araware sugite dō ni mo
te ga mawaranai de / me ga mawaru wa 「 Go-chūshin go-chūshin 「 Ee
sōzōshii wai mosukoshi / shizuka ni shiro e…mumu naruhodo mata Heijō de
makete, / Kōkai de mo gunkan o yonsō shizumerareta, Gishū o oiharawarete.
Kyūrenjō mo senryō sarete, / Hōtenfu mo tōtō Nihon no mono ni natta /...iya
koitsu ga koitsu ga nani o mōsu. Maketa koto bakari o shiraseru no ga chūshin
de wa naizo, tamani wa / katta koto mo mōsu mono ja. Sā kondo wa katta koto /
o mōse katta koto o 「Hē kore wa komarimashita, otto / arimasu arimasu 「Sō
darō sō darō sono katta koto o haya/ku mōse「Ēto mazu daiichi ga nihonhei ni
makete kuyashikatta. / Mikata no hei ga yowakatta. Hara ga hette himojikatta.
Kubi o / kirarete itakatta. Sore kara kurushikatta kanashikatta / 「Yaiyaiyaiyai
koitsura wa nani o mōsu, sonna / koto de wa nai ikusa ni katta koto ja 「Ie sono
hen no tokoro wa sekkō ni zonjimasen.
「Heijō mo mata makemashita.
「Kōkai demo mata makemashita.
「Gishū mo torarete shimaimashita.
「Kyūrenjō mo oiharawaremashita.
「Hōtenfu mo mecha mecha ni narimashita.
「Iyoiyo Pekin e kakete mairimasu.
74
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Übersetzung ins Deutsche
Eilmeldung! Eilmeldung! (Abb. 8)
Koppi Dōjin
Man sagt, ist das Land in Aufruhr, treten Helden (chūshin) auf den Plan, aber
aus zu vielen Richtungen treffen mittlerweile Eilboten (chūshin) ein. Von überall
her dringen Hilferufe, in meinem Kopf dreht sich schon alles.
„Ah, es ist so schrecklich laut, seid doch ein wenig leiser…verstehe, wir haben
nun auch bei Pjöngjang verloren. Und auch im Gelben Meer wurden vier
unserer Kriegsschiffe versenkt?
Qiuliancheng wurde okkupiert, auch Mukden wurde letztendlich japanischer
Besitz…. Du Kerl, was sagst du da… Nur von verlorenen Schlachten zu
berichten ist keine (passende) Nachricht! Du musst gelegentlich auch von
gewonnenen Dingen erzählen! Nun gut, jetzt berichte mir einmal von einem
Sieg, einer gewonnen Schlacht.“
„ Oh weh, damit habe ich wohl Probleme. Doch halt, da habe ich was!“
„Wenn das so ist, wenn das so ist, berichtet rasch von unseren Siegen (katta
koto)!“
„Nun ja, zuerst haben wir gegen die japanischen Truppen verloren, was für ein
Kummer (kuyashikatta). Die Truppen unserer Verbündeten waren schwach
(yowakatta). Unser Magen knurrte, es herrschte großer Hunger (himojikatta).
Unsere Köpfe wurden abgeschlagen, es herrschte großer Schmerz (itakatta).
Es war so leidvoll (kurushikatta), so traurig (kanashikatta).“
„Du Kerl, was redest du da, das klingt überhaupt nicht nach einem Sieg!“
„Leider verstehe ich einfacher Bote (sekkō) nichts (ikkō) von solchen Dingen…“
„Pjöngjang wurde auch verloren.“
„Auch am Gelben Meer eine Niederlage.“
„Guizhou 27 ebenso eingenommen.“
„Qiuliancheng wurde in Trümmer gelegt.“
„Letztlich marschiert man gen Peking…!“
27
Provinz im Südwesten der Volksrepublik China
75
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Den
Mittelpunkt
der
Darstellung
nimmt
die
imposante
Gestalt
eines
chinesischen Mandarins, erkennbar an der typischen Kopfbedeckung mit
Quaste, ein, dessen Augen und Mund vor Schrecken geweitet sind und wie
Windräder zu rotieren scheinen.
Seine in ein blau-gelbes Gewand gehüllte Gestalt ist stark vereinfacht und in
den Proportionen verzerrt dargestellt – fast genauso breit wie hoch und mit
stark vergrößertem Kopf erinnert er weniger an einen Menschen denn an eine
Pappfigur.
Die Mimik ist so überzeichnet und gestaltet dass das Rotieren der kugelrunden
Augenhöhlen und des ebenso kugelrund geöffneten Mundes die atemlose
Orientierungslosigkeit des Mandarins zeigen, der dem Betrachter geradewegs
entgegenstarrt.
Vor ihm knien sechs weitere, im Sinne der Bedeutungsperspektive deutlich
kleinere Gestalten, ebenfalls (durch ihre Zöpfe erkennbar) Chinesen, die dem
Mandarin zugewandt Bericht erstatten. Sie sind in Dreiergruppen im
Vordergrund platziert, sodass lediglich neben den halb- und verlorenen Profilen
ihre gebeugten Rücken sichtbar sind.
Die beiden am äußersten Rand der Darstellung befindlichen Männer im Profil
treten in grotesker Art verhässlicht in Erscheinung treten.
Über den kauernden Gestalten erscheinen ein- bis dreizeilige Schriftspalten, die
ohne hinterfangende Kartusche direkt auf den Blattgrund gesetzt wurden und
ähnlich den allseits bekannten Sprechblasen die Äußerungen der Männer
wiedergeben.
76
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Der abgebildete Mandarin vernimmt gerade mit Schrecken die schlechten
Nachrichten, die ihm von Eilboten überbracht werden. Ihre Kunde kann der
Betrachter über den Figuren lesen, sie beinhaltet etwa den Fall von Pjöngjang
am 16. September 1894, die Niederlage in der Schlacht am Gelben Meer am
Tag darauf sowie den Fall der Festung Qiuliancheng am 26. Oktober (vgl.
Diesinger 1986:20).
Der Sino-Japanische Krieg 1894-95 wurde insbesondere durch vier große
Schlachten entschieden, zwei davon (Pjöngjang sowie das Gefecht am Gelben
Meer) sind hier genannt. Neben dem symbolischen Charakter waren beide
Standorte auch vom strategischen Standpunkt aus von eminenter Bedeutung.
Der Schrecken, den solche Verluste auf chinesischer Seite hervorriefen, wird
hier thematisiert und wie bei den
meisten Blättern propagandistisch
überzeichnet.
So scheint es, als wären lediglich japanische Siege zu überbringen, den
chinesischen Befehlshabern dreht sich ob dieser Hiobsbotschaften im wahrsten
Sinne des Wortes alles vor Augen.
Der Text beinhaltet einige Wortspiele. So fordert der Befehlshaber katta koto,
also Kunde von Siegen (wörtlich: „gewonnenen Dingen“), seine Boten
interpretieren dies jedoch auf recht eigenwillige Art. Sie berichten einfach
Negatives in der auf -katta endenden Vergangenheitsform.
Außerdem wird eine japanische Redensart herangezogen, der zufolge immer,
wenn die Not im Land am Größten ist, Helden auf den Plan treten würden. Das
Wort chūshin lässt sich auf zwei verschiedene Arten verstehen: einerseits im
Sinne der Redensart als „Held“, hier jedoch wiederum humoristisch umgedeutet
als den keineswegs Gutes verheißenden „Eilboten“ (注進).
77
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.5. Blatt 4:
„Hochkonjunktur in der Unterwelt“ (Abb. 9)
明治 27 年 11 月 / November 1894
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 9: „Hochkonjunktur in der Unterwelt“
78
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
地獄(ぢごく)の大繁昌(おほはんじやう)
骨皮道人
豊島海(ほうとうかい)でちやんちやん船(ぶね)が一艘(さう)沈(しづ)
められて以来(このかた)。閻(えん)/魔大王(まだいわう)ハ夜(よ)を日
(ひ)に継(つい)での取調(とりしら)べ「コリヤ其方(そのほう)は / 何
(なに)と申(まを)す「ヘイ私(わた)しハ土左衛門(とさえもん)「其次
(そのつぎ)ハ「ヘイ私(わた)しも / 土左衛門(どざえもん)「其次(その
つぎ)ハ「私(わた)しも同(おな)じく「其次(そのつぎ)ハ「私(わた)
しも / 右(みぎ)同断(どうだん)と云(い)ふので大王(だいわう)ハとう
とう七日七夜(なぬかななよ)土左(どざ)/衛門(えもん)の書続(かきつ
づ)け其(その)の取調(とりしら)べでさへ未(ま)だ済(すま)ない所
(ところ)へ持(もつ)て / 来(き)て直(すぐ)に成歓(せいくわん)牙山
(がざん)から何千人(なんせんにん)其(その)又(ま)た下調(したし
ら)べも / 済(すま)ない中(うち)に、今度(こんど)ハ平壌(へいじや
う)と来(き)て此(この)亡者(もうじや)が何万人(なんまんにん)。
/ それから之(これ)に続(つづ)いて黄海(くわうかい)と来(き)て是
(これ)が又(また)何(なん)百/人(にん)。イクラちやんちやんと云
(い)つたからとて、爾(さ)うチャン/チャンと片付(かたつ)きやう筈(は
づ)がないから。流石(さすが)/ の閻魔王(えんまわう)も驚(おどろ)い
て居(い)ると
鬼「イヤモウ忙数(いそがしい)の / 忙数(いそがし)く無
(な)いのッて。此様(このやう)に亡的(もうてき)がドヤドヤ柙掛(おし
か)けて / 来(く)るなんざア。地獄(ぢごく)の開闢(かいびやく)以来
(いらい)始(はじ)めててせう。/ お負(まけ)に来(く)る奴(やつ)も
来(く)る奴(やつ)も皆(みん)なちやんちやん坊/主(ばうず)ばかしです
が。何故(なぜ)又(また)ちやんちやん坊主(ばうず)/ ハ此様(こんな)
に死去(くたば)るのでせうと云(い)へば
/ 閻「それだから国(くに)の名(な)を死國(しにこく)と云(い)ふのだ
79
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Jigoku no ōhanjō
Koppi Dōjin
Hōtōkai de Chan-chan-bune ga issō shizumerarete irai. Enma-daiō wa yo o hi ni
tsuide no torishirabe 「Korya sono hō wa / nani to mōsu 「 Hei watashi wa
dozaemon 「Sono tsugi wa 「Hei watashi mo / dozaemon 「Sono tsugi wa
「Watashi mo onajiku 「Sono tsugi wa 「Watashi mo / migi dōdan to iu no de
daiō wa tōtō nanoka nanayo doza/emon no kakitsuzuke sono torishirabe de sae
mada sumanai tokoro e motte/kite sugu ni Seikan Gazan kara nanzennin sono
mata shitashirabe mo / sumanai uchi ni, kondo wa Heijō to kite kono mōja ga
nanmannin. / Sore kara kore ni tsuzuite Kōkai to kite kore ga mata nanbyakunin.
Ikura Chan-chan to itta kara tote, sō jan/jan to katatsuki yō hazu ga nai kara.
Sasuga / no Enma-ō mo odoroite iru to
Oni 「 Iya mō isogashii no / isogashiku nai no tte. Kono yō ni mōteki ga
doyadoya oshikakete / kuru nan zā. Jigoku no kaibyaku irai hajimete deshō. /
Omake ni kuru yatsu mo kuru yatsu mo mina Chan-chan-bō/zu bakari desu ga.
Naze mata Chan-chan-bōzu / wa konna ni kutabaru no deshō to ieba
En「Sore dakara kuni no na o shinikoku to iu no da
Übersetzung ins Deutsche
Hochkonjunktur in der Unterwelt (Abb. 9)
Koppi Dōjin
Nachdem im Meer von Hōtō wiederum ein chinesisches Schiff versenkt wurde.
König Enma verhört ununterbrochen bei Tag und Nacht.
„Wie heißt du?“.
„Ich heiße Dozaemon (Wortspiel, dozaemon 土左衛門, jap. für „Ertrunkener“)“.
„Und der Nächste?“
80
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
„Mein Name ist auch Dozaemon“.
„Gut, und der Nächste?“
„Ich heiße genauso!“
„Der Nächste?“
„Ich heiße genauso wie mein Vorgänger.“
So schrieb König Enma sieben Tage und sieben Nächte immer nur
ununterbrochen den Namen Dozaemon. Er war noch gar nicht zu Ende
gekommen, da erschienen bereits wieder Tausende Verstorbene von Seikan
und Asan. Und damit nicht genug, schon trafen wiederum zahllose Tote aus
Pjöngjang ein. Und daran anschließend eine große Anzahl vom Gelben Meer
kommend.
Doch auch wenn sie alle Chanchan heißen, geht die Abfertigung nicht zack
zack (Wortspiel, Chanchan als Schimpfwort für „Chinesen“ in Verbindung mit
janjan „schnell, rasch“). Da ist selbst König Enma erstaunt.
Ein Teufel: „Puh, ich bin schon ganz erschöpft. Hat es seit Bestehen der
Unterwelt je so viele Verstorbene auf einmal gegeben? Und noch dazu, wie
viele auch kommen, alle, sie alle sind Chinesen! Warum bloß sterben derartig
viele Chinesen?“
Daraufhin antwortet König Enma: „Das ist weil der Name des Landes Shikoku
(Wortspiel, shi(ni)koku „Sterbeland“ und Shinkoku „China“) lautet.“
81
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Eine Masse von Hinterköpfen mit Totenhauben füllt den Vordergrund. Lediglich
ihre Zöpfe sind zu sehen.
Ein paar Gestalten stehen linkerhand, ihre Gruppierung um das Podest gibt den
Blick frei auf die stark vereinfachten, hässlichen Gesichter und blau-weißen
Gewänder
der
chinesischen
Verstorbenen
(die
angedeuteten
weißen
Kopftüchlein, welche in japanischer Ikonographie den Totenstatus einer Person
anzeigen, legen eine solche Vermutung nahe).
Ihnen gegenüber ragt hinter einem wuchtigen Podest eine in ein kostbares
Gewand gehüllte grimmige Gestalt empor. Sie ist durch ihre Kopfbedeckung,
auf welcher sich das Zeichen für „König“ 王 befindet, sowie die purpurne
Hautfarbe als Herrscher der Unterwelt, König Enma, ausgewiesen.
Mit wütender Miene und weit von sich gestreckten Armen schreit er die
Ankömmlinge an. Neben dem Herrscher befinden sich auf einem schwarzgoldenen Sockel mit lotosverziertem Kalyx zwei Köpfe, ebenfalls mit weit
geöffneten Mündern und angsteinflößendem Gesichtsausdruck.
Am rechten Bildrand, noch vor dem Podest, hält ein grünhäutiger Teufel mit
Stab und Hörnern Wache. Die eine Hand mit gespreizten Fingern von sich
gestreckt,
die
andere
um
seine
Waffe
geschlossen
starrt
blutunterlaufenen Augen unter buschigen Augenbrauen vor sich hin.
82
er
mit
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Zur Entstehungszeit des vorliegenden Blattes im November 1894 konnten sich
die japanischen Truppen bereits über eine Reihe von wichtigen Siegen freuen,
insbesondere über solche zur See. Auf einen nimmt auch der vorliegende Text
bezug: Die Schlacht im Gelben Meer am 17. September 1894.
Der König der Unterwelt, König Enma, sieht sich einer wahren Flut an
Verstorbenen gegenüber, nur mit Mühe wird er dem Ansturm der in der
Schlacht ertrunkenen chinesischen Soldaten gerecht. Nicht ein einziger
Japaner lässt sich in der Masse entdecken, im propagandistischen Sinne
werden die prekäre Lage des Feindes und seine Verluste überzeichnet.
Die verwendete Ikonographie der Unterwelt sowie ihrer „Bewohner“ entspricht
dem gängigen Schema, das sich unter dem Einfluss der aus China
eindringenden Jūōzu (Porträtdarstellungen der zehn Höllenkönige) im Laufe der
Kamakura-Periode 28 ausgebildet hatte.
Jūōzu stellen jeden König einzeln auf einem Blatt und zumeist hinter einem Pult
mit Unterlagen sitzend dar. Flankiert von Würdenträgern empfangen die
Herrscher Verstorbene, während vor dem Pult oni ( 鬼
Dämonen bzw.
Teufelsgestalten) Wache halten. Ihre Aufgabe ist es, die Sünder vor den König
zu bringen und sie nach der Urteilsverkündigung zu foltern (Wakabayashi
2004:304).
Die beiden Köpfe (miru me, kagu hana 見る目かぐ鼻) neben dem König helfen
bei der Beurteilung der Verstorbenen – sie sind in der Lage, gute und böse
Taten zu sehen bzw. zu riechen.
鎌倉時代 Kamakura-jidai (1185–1333)
28
83
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der erläuternde Text ist gespickt mit Wortspielen. So ist dozaemon eigentlich
das japanische Wort für „Ertrunkener“, hier wird es als stets gleichförmiger
Name der Verstorbenen verwendet.
Der abschätzig für Chinesen gebrauchte Ausdruck chanchan wird aufgrund des
ähnlichen Klangs in Verbindung gebracht mit janjan, was soviel wie „einfach,
mühelos, im Handumdrehen“ bedeutet.
84
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.6. Blatt 5:
„Fluchtvorbereitungen“ (Abb. 10)
明治 27 年 12 月 / Dezember 1894
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 10: "Fluchtvorbereitungen"
85
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
逃(に)げ仕度(したく)
骨皮道人
日本(にほん)の軍隊(ぐんたい)が愈々(いよいよ)奉天府(ほうてんふ)
まで押掛(おしかけ)たと云(い)ふので。/ 同處(どうしよ)近邊(きんぺ
ん)から北京(ぺきん)へ掛(かけ)てハ上(うえ)を下(した)へと大騒動
(おほそうどう)/ 此家(このや)ハ主人(しゆじん)が出陣(しゆつぢん)
した留守中(るすちう)。殊(こと)に婦人(ふじん)計(ばか)りと / 見
(ミ)えて其(その)狼狽(らうばい)ハ一方(かた)ならぬ様子(やうす)。
折(をり)から慌(あワただ)/ しく駆(かけ)て来(き)た一人(ひとり)
の下女(げぢよ)「御新造(ごしんぞ)さんやァあに / をマゴマゴして居
(い)さッしやるだァよ、早(はや)く突(つ)ッ走(はし)/ らねへと日本
(にほん)の兵隊(へいたい)にハァおッ殺(ころ)されて仕舞(しまい)ま
/ すべエじやねへか・・・ホヲ聞(き)かつしやれへ。彼(あ)のハァ / ズドー
ンちうな鉄砲(てつぱう)だァ・・・オオ可恐(おッか)ねへ可恐(おッか)
ねへ / ・・・サアョー早(はや)く突(つ)ッ走る(はし)らせへョー「然
(だ)ッてお前(まえ)誰(だれ)か / 連(つれ)て行(いつ)て呉(くれ)
なけりやァ一人(ひとり)ぢやァ迚(とて)も歩朝(あるけ)ない / のだもの
「アラマアどうしたら宣(よ)かんベエ。もう / ひやァ腰(こし)が抜(ぬ)
けたダァ「ナーニさうぢや無(な)い / けれど何(なん)にしても此(この)
足(あし)だから「ホンにさうだ/ツけよ。夫(それ)ぢやァ突(つ)ッ走(は
し)る事(こと)ア出来(でき)ましねへ。/ 然(だ)けんど何(なん)だァ
チウて又(また)そげへな摺木(すりこぎ)見(み)た / やうな足(あし)を
して居(い)さッしやるだんべエ夫(それ)/ だァからハァ旦那(だんな)さ
んが味噌(みそ)べエ附(つけ)て居(ゐ)る/だァ
86
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Nige-jitaku
Koppi Dōjin
Nihon no guntai ga iyoiyo Hōtenfu made oshikaketa to iu no de. / Dōsho kinpen
kara Pekin e kakete wa ue o shita e to ō-sōdō. / Kono ya wa shujin ga shutsujin
shita rusuchū. Koto ni fujin bakari to / miete sono rōbai wa hitokata naranu yōsu.
Ori kara awatada shiku kakete kita hitori no gejo 「Goshinzo-san yā nani o
magomago shite irassharu dā yō, hayaku tsuppashi / ranē to Nihon no heitai ni
ā okkorosarete shimaimasu / bē ja nē ka…hō kikassharē. Ano ā / zudon chū na
teppō da…Ō okka nē okka nē / sā yō hayaku tsuppashi rasēyō「Datte omae
dareka / tsurete itte kurenakeryā hitori jā totemo arukenai / no da mono
「Aramā dōshitara yokanbē. Mō / hyā koshi ga nuketa dā 「Nāni so ja nai /
keredo nan ni shite mo kono ashi dakara 「 Hon ni sō dakke yo. Sore jā
tsuppashiru kotā dekimashinē. Dakedo nan da chūte mata sogē na surikogi
mita yō na ashi o shite isassharu danbē. Sore / da kara wā danna-san ga miso
bē tsukete iru / dā.
Übersetzung ins Deutsche
Koppi Dōjin
Fluchtvorbereitungen (Abb. 10)
Das japanische Heer rückt immer weiter nach Mukden (Fengtianfu) vor, alles
von hier bis Peking ist deshalb im Aufruhr.
Das Haus liegt verlassen da, der Hausherr wurde zum Militärdienst eingezogen.
Besonders die Frauen sind in Panik, sie sind allein zurück geblieben. Eine
Dienstmagd kommt in großer Eile am Haus vorbeigelaufen.
„Gnädige Frau, was treiben Sie denn da? Laufen Sie schnell weg, sonst töten
Sie japanische Soldaten! …Horchen Sie! Da hört man schon das Donnern der
Gewehre…Ah, schrecklich schrecklich, bitte laufen Sie schnell!“.
„Aber ich kann nicht ohne fremde Hilfe gehen“.
87
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
„Oh weh…was machen wir nur? Haben Sie so große Angst, dass sie ihre Beine
nicht tragen?“.
„Nein, daran liegt es nicht. Wegen meinen Füßen kann ich nicht gehen“.
„Ja wirklich, ich verstehe. Wieso haben sie bloß so dünne Beine wie SurikogiReibestöcke? Das ist allein die Schuld ihres Mannes!“.
88
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Die Darstellung zeigt als einzige der hier behandelten Arbeiten zwei weibliche
Gestalten.
Die Figur im Vordergrund stellt eine, der Kleidung nach, vornehme chinesische
Dame dar, die gestürzt zu sein scheint. Unter dem rechten Arm trägt sie zwei
mandolinenartige Musikinstrumente. An ihr rechtes Handgelenk ist eine Leine
mit einem kleinen Hausschwein gebunden.
Einen prominenten Platz in der Bildmitte nehmen die Beine der am Boden
Liegenden ein, ihre Füße sind auffallend klein und abgerundet dargestellt. In
Übergewand und chinesische Hosen in grellen Pink- und Blautönen gekleidet
sowie weiß geschminkt hebt sich die Dame deutlich von ihrem Umfeld sowie
dem monotonen Hintergrund der Darstellung ab.
Eine Dienstmagd, beladen mit allerlei Küchengerät und mit einer Laterne den
Weg leuchtend, wendet sich zu der Dame um. Sie ist einfacher gekleidet und
durch ihr grobschlächtig anmutendes Gesicht als Person niedrigerer Herkunft
charakterisiert.
Die typisch chinesische Liege sowie das umgestürzte Tischchen mit dem
Narzissentopf in der rechten unteren Ecke ergänzen die Szene und weisen sie
als im häuslichen Bereich angesiedelt aus.
89
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Der rasche Vorstoß der japanischen Truppen und die Eroberung des
Verwaltungsbezirks
Fengtianfu
(Mukden)
zwang
die
chinesische
Zivilbevölkerung im Dezember 1894 zur Flucht. Die dargestellte Szene bezieht
sich auf die panischen Versuche der allein und schutzlos zurück gebliebenen
Frauen, der heranrückenden fremden Armee zu entgehen.
Gezeigt wird eine augenscheinlich höhergestellte chinesische Dame, deren
kleine Füße sie zu Fall gebracht haben. Dies wird im beigefügten Text, einem
Dialog der beiden Frauen, deutlich, er spielt auf den chinesischen Brauch der
„Lotusfüße“, also die durch Zusammenschnüren am Wachsen gehinderten
Füßen an (Diesinger 1988: 22). Sie galten als Schönheitsideal höhergestellter
Damen und machten längeres Marschieren für diese unmöglich.
Japan, das sich lange Zeit am großen Nachbarn China orientiert hatte, kannte
dessen Bräuche und Gepflogenheiten gut und nutzte dieses Wissen, um sich wie hier – nicht ohne eine gewisse Schadenfreude darüber lustig zu machen
und die eigene Überlegenheit und Modernität zu unterstreichen.
In der Gestalt der feinen Dame versucht China hier, seine kulturellen Schätze
vor
dem
heranrückenden
Narzissentöpfchen
ist
bereits
Feind
in
zu
Bruch
Sicherheit
gegangen,
zu
nun
bringen.
gilt
es,
Das
die
Musikinstrumente als Symbol feinen Zeitvertreibs und Kunstsinn zu retten.
Doch gerade diese Last und ihre Trägerin sind es, die dem Untergang geweiht
scheinen. Die pragmatische Dienstmagd vermag zu fliehen, mitleidig wendet sie
sich nach der großen Kultur um, die hinter ihr zurückbleibt.
Kiyochika wendet sich in diesem Blatt den Sorgen der Zivilbevölkerung zu,
anstatt Soldaten zeigt er hier die Frauen des Feindes. Nicht genug, dass dieser
seine Pflicht, sie zu beschützen, nicht erfüllen kann, selbst die Flucht ist ihnen
durch die Bürde alter, überkommener Traditionen verwehrt.
90
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Interessant ist auch der im Dialog anhand des Dialektes erkennbare
Standesunterschied der beiden Frauen. Nicht immer ist hohe Herkunft von
Vorteil, die Dienstbotin erweist sich in der Krisensituation als „lebensfähiger“.
Die Physiognomie beider Figuren ist verhässlicht, das im Profil deutlich zutage
tretende fliehende Kinn der Dame sowie der breite grobgezeichnete Mund der
Dienstmagd verspielen den Bonus der Weiblichkeit.
91
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.7. Blatt 6:
„Köpfeziehen“ (Abb. 11)
明治 27 年 11 月 / November 1894
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 11: „Köpfeziehen“
92
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
首(くび)ツ引(ぴき)
骨皮道人
形(なり)が小造(こづく)りだから力(ちから)も無(な)からうと。猿
(さる)よりも劣(おと)つた / 浅墓(あさはか)な量見(りやうけん)でさ
んざん人(ひと)を軽蔑(ばか)にして居(い)たが。/ 汝等(うぬら)ハ一
体(たい)杓子(しやくし)あるを知(しつ)て耳掻(みみか)きを知(し)
らず。一寸(すん)/ 八分(ぶ)の観世音(くわうんぜおん)ハ一丈(ぜう)
餘(よ)の仁王(にわう)を門番(もんばん)使(つか)つて / 居(ゐ)る事
(こと)を知(し)らないのに。論(ろん)より証拠(せうこ)。自己(お
れ)の
力量(りきりやう)/ の程(ほど)を見(ミ)せて遣(や)るからサ
ァ首(くび)ツ引(ぴき)で来(き)て見(ミ)ろ。/ 汝等(うぬら)のやう
な芋虫(いもむし)同様(どうやう)のコロコロ野郎(やらう)が。十疋(ぴ
き)や / 二十疋(ぴき)一ツ固(かたま)りになつて来(き)からッて多寡
(たくわ)の / 知(し)れたものだ・・・ソラ来(こ)いサアどうだ・・・只
(たつ)た夫(それ)ッ/ ばかりの力(ちから)か。イヤハヤなさけねへ奴等
(やつら)だ。其様(そん)な / 逃腰(にげこし)でどうして自己(おれ)の
小指(こゆび)一本(ぽん)にも叶(かな)ふものか/・・・ウントコドッコイ
しよ。もつと確乎(しつかり)来(こ)い来(こ)い/・・・ソーラ宣(いい)
かとウンと一ツ力(ちから)を入(い)れると。五六/人(にん)の首(くび)
が一度(ど)にミリミリズルズルズルと。生大(なまだい)/根(こ)でも引
(ひつ)こ抜(ぬく)やうに抜(ぬい)て仕舞(しまつ)たから。/傍(そば)
に居(い)たちやんちやん坊主(ぼうず)めハ皆(みな)驚/いたの驚かないの
でハない。アツと云(いひ)さま首の / 無(な)い身体(からだ)に取捕(と
ツつか)まつて此(こ)りや胴(どう)だ。
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Kubippiki
Koppi Dōjin
Nari ga kozukuri da kara chikara mo nai kara to saru yorimo ototta / asahaka na
ryōken de sanzan hito o baka ni shite ita ga. / Unura wa ittai shakushi aru o
shitte mimikaki o shirazu. Issun / hachibu no Kanzeon wa ichijō yo no Niō o
monban ni tsukatte / iru koto o shiranai no da. Ron yori shōko. Ore no rikiryō /
no hodo o misete yaru kara sā kubippiki de kite miro. / Unura no yō na
imomushi dōyō no korokoro yarō ga jūppiki ya / nijuppiki hitotsu katamari ni
natte kitakaratte taka no / shireta mono da…sora koi sā dō da…Tatta sore /
bbakari no chikara ka. Iyahaya nasakenē yatsura da. Sonna / nigekoshi de
dōshite ore no koyubi ippon ni mo kanau mono ka/… untokodokkoi sho. Motto
shikkari koi koi/… sōra ii ka to un to hitotsu chikara o ireru to. Go-roku nin no
kubi ga ichido ni mirimiri zuruzuruzuru to namadai/ko de mo hikkonuku yō ni
nuite shimatta kara soba ni ita Chanchan-bōzume wa mina odoroita no
odorokanai no de wa nai. Atto iisama kubi no / nai karada ni tottsukamatte
korya dō da.
94
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Übersetzung ins Deutsche
Köpfeziehen (Abb. 11)
Koppi Dōjin
Ihr seid noch dümmer als Affen, weil ihr uns (Japan) für klein und kraftlos
gehalten und uns lange zum Narren gemacht habt. Ihr beachtet nur grobe
Dinge
(wie
Schöpflöffel),
die
kleinen
aber
bedeutenden
Dinge
(wie
Ohrenputzer) seht ihr nicht. Die 1,8 sun (1 sun = 3,03 cm) kleine Kannon 29
verwendet Niōs 30 als Wächter, die mehr als ein jō (1 jō = 3,03 m) messen, doch
das wisst ihr nicht.
Ich zeige euch Beweise anstatt zu argumentieren. Ich werde euch zeigen, wie
stark ich bin, kommt nur her und wir kämpfen gegeneinander beim kubippiki!
Ihr seid allesamt wertlose Schufte wie Raupen. Wenn ihr mich auch zu zehnt
oder zwanzig auf einmal attackiert, ist es doch keine Herausforderung für
mich…
Na kommt, wie gefällt euch das? Ist das das Einzige, was ihr an Kraft aufbieten
könnt? Widerliche Kerle seid ihr! Ihr seid so feige, nicht einmal gegen die Kraft
meines kleinen Fingers kommt ihr an. Hau ruck! Kommt, kommt, strengt euch
an…
Ha, ich gebe nur ein bisschen mehr Kraft hinzu und schon strecken sich die
Köpfe von fünf, sechs Männern auf einmal, länger und länger wie weißer
Rettich, den man aus der Erde zieht.
Dass die Chanchan-Glatzköpfe in der Nähe nicht allesamt erschauern, ist
unmöglich. Und so klammern sie sich an die kopflosen Körper und schreien:
„Wie kommt das…?/ Das sind nur noch Rümpfe! (dō da) “
meist weibliche Inkarnation des Bodhisattvas für Güte und Barmherzigkeit
Wächter der buddh. Lehre; als Figuren oft links und rechts des Zuganges zu buddh. Tempeln
platziert
29
30
95
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Das Blatt zeigt fünf Männer, einen an der westlich geprägten Uniform
erkennbaren Japaner sowie vier durch ihrer Kleidung sowie den langen Zöpfen
als Chinesen dargestellte Männer. Der rechts im Bild erscheinende Japaner
trägt um den Hals eine Schlinge, mit der er die Köpfe dreier vor ihm auf dem
Bauch liegender Chinesen in die Länge zieht. Ein weiterer Chinese kniet
daneben und verfolgt die Szene mit Entsetzen.
Die abgebildete Szene bezieht sich auf ein japanisches Spiel, kubippiki. Es
handelt sich dabei um eine Art Kräftemessen, bei dem die Kontrahenten
versuchen, sich mit um den Hals gelegten Schnüren gegenseitig wegzuziehen.
Gleich drei der chinesischen Gegner hat der japanische Soldat hier in seiner
Schlinge, mit grimmigem Gesicht zieht er ihnen wortwörtlich die Hälse lang.
Besonders expressiv sind die Köpfe der malträtierten Chinesen – ihre Augen
quellen aus den Höhlen und sind blutunterlaufen.
Erläuterungen
Einmal mehr handelt es sich hierbei um eine propagandistische Darstellung.
Die überlegene Stärke des Japaners wird mit der angeblichen Schwäche der
Chinesen kontrastiert. Ein einziger Mann reicht aus, um dreien von ihnen das
Handwerk zu legen sowie einen weiteren mit Grauen und Furcht zu erfüllen.
Das Blatt entstand im November 1894 als japanische Truppen bereits die
Festung von Dalian (jap. Dairen, 7. November) einnahmen und der Fall von
Port Arthur (21. November) nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Doch auch hier gibt es bei aller vordergründigen Propaganda einen feinen
Unterton. Der japanische Soldat schafft es zwar, die Hälse seiner Gegner
langzuziehen, alsdann verharrt er jedoch ratlos in dieser nicht gerade
96
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
angenehmen Position. Mögen Stärke und Überlegenheit demonstriert und der
Feind besiegt sein, nun fehlt es an einem „Masterplan“ des Japaners.
Der Text beinhaltet ein Wortspiel, sein Ende lässt sich sowohl als „Was ist
los?“ wie auch als Aussage „Das sind (doch nur) Rümpfe!“ verstehen (dō da –
胴 für „Rumpf“ anstatt どうだ für „Wie kommt das/Wie ist das?“).
97
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.8. Blatt 7:
„Ein dickhäutiges Gesicht“ (Abb. 12)
明治 27 年 9 月 / September 1894
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 12: "Ein dickhäutiges Gesicht"
98
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
厚(あつ)い面(つら)の皮(かわ)
骨皮道人
面(つら)の皮(かわ)が厚(あつ)いの厚(あつ)く無(な)いのと云(い
つ)て凡(をよ)そ世界(せかい) / 中(ぢう)に是(これ)ほど鉄面皮(て
つめんぴ)の奴(やつ)ハ無(な)い、恥(はぢ)も知(し)らなけれ/バ外聞
(がいぶん)も知(し)らない、面(つら)の皮(かは)千枚張(せんまいば
り)とハ此奴等(こいつら) / の事(こと)だらう、其(その)癖(くせ)ヒ
ン剥(むい)たのハ二度(ど)や三度で / ハないのだが 「面(つら)の皮(か
わ)剥(むか)れる度(たび)に厚(あつ)くなり」と / 云(い)ふ古(ふ
る)川柳(せんりう)もあるから大方(おおほう)剝(む)けバ剝(む)く /
ほど厚(あつ)くなるものかも知(し)れん、間(ま)て間(ま)て今度(こ
んど)ハ / 少(すこ)し方法(はうはふ)を替(かへ)て、片(かた)ッ端
(ぱし)から鉋(かんな)で削(けづ)って / 遣(や)らう・・・ガリガリガ
リ・・・其處(そこ)でと、此奴(こいつ)ハ イ/ヤに人(ひと)を見下(み
さげ)る癖(くせ)があるから、先(ま)づ斯(か)う眼玉(めだま)/ を削
(けづ)り取(とつ)て、夫(それ)から今度(こんど)ハ此(この)高慢
(かうまん)の鼻(はな)を削(けづ)/るか、エエ夫(それ)からと、此奴
(こやつ)ハ又(また)兎角(とかく)に大法螺(おほぼら)を吹(ふ)き /
腐(くさ)るから、此口(このくち)も斯(か)う削(けず)り取(とつ)て
と、頻(しきり)にガリ/ガリ削(けづ)つて居(い)ると、流石(さすが)の
無神経(むしんけい)も是(これ)/ にハ少(すこ)し閉口(へいこう)した
と見(ミ)えて 「オイ痛(いた)い痛(いた)い、もう / どうぞ其(その)位
(くらゐ)で御勘弁(ごかんべん)を・・・・「イヤまだ勘弁(かんべん) /
ハ出来(でき)ぬ
「それぢやア片(かた)ッ方(ばう)の目(め)だけハ其
侭(そのまま)削(けづ)/らずに置(おい)て下(くだ)さい「シテどうする
積(つも)りだ
「ハイ是(これ)か/らハ一目(もく)置(お)つくと云
(い)ふ印(しる)し
99
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Atsui tsura no kawa
Koppi Dōjin
Tsura no kawa ga atsui no atsuku nai no to itte oyoso sekai / jū ni kore hodo
tetsumenpi no yatsu wa nai haji mo shiranakere/ba gaibun mo shiranai, tsura no
kawa senmaibari to wa koitsura / no koto darō, sono kuse hinmuita no wa nido
ya sando de / wa nai no da ga ´Tsura no kawa mukareru tabi ni atsuku nari, to /
iu furu senryū mo aru kara ōhō mukeba muku / hodo atsuku naru mono ka mo
shiren, mate mate kondo wa / sukoshi hōhō o kaete, katappashi kara kanna de
kezutte / yarō …. gari gari gari … Soko de to, koitsura wa i/yani hito o misageru
kuse ga aru kara, mazu kō medama / o kezuritotte, sore kara kondo wa kono
kōman no hana o kezu/ru ka. Ē sore kara to, koyatsu wa mata tokaku ni ōbora o
fuki/kusaru kara, kono kuchi mo kō kezuritotte to, shikiri ni gari / gari kezutte iru
to, sasuga no mushinkei mo kore / ni wa sukoshi heikōshita to miete “Oi itai itai,
mō /dōzo sono kurai de go-kanben o“ “Iya mada kanben / wa deki nu“ “Sore jā
katahō no me dake wa sono mama kezu/razu ni oite kudasai“ “Shite dōsuru
tsumori da“ “Iya kore ka/ra wa ichi moku oku“ to iu shirushi
100
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Übersetzung ins Deutsche
Ein dickhäutiges Gesicht (Abb.12)
Koppi Dōjin
Man kann es kaum in Worte fassen, wie dickhäutig sie sind; nirgendwo auf der
Welt gibt es arrogantere eisenhäutige Schufte als diese hier. Sie kennen weder
Scham noch Ehre, das muss es sein, was man mit „eine tausendschichtige
Haut“ meint.
Wir haben ihnen schon zwei-, dreimal die Haut vom Gesicht gezogen und
trotzdem bleibt sie dick.
Vermutlich ist es so wie es das alte Kurzgedicht (senryū) sagt: „Jedes Mal wenn
Haut abgezogen wird, wird sie nur noch dicker“.
Nun gut, dann werde ich einfach zu einer anderen Methode greifen und
versuchen, sie eine nach der anderen abzuhobeln!
Gari gari, Ritsch, Ratsch.
Dieser Schuft hier hat die Angewohnheit, auf uns herabzublicken, so will ich bei
den Augäpfeln beginnen. Als nächstes hoble ich die allzu hoch gehaltene Nase
ab! Und dann? Tja, er spricht gern große Worte, so rasple ich auch gleich den
Mund ab.
Und nach eifrigem gari gari, ritsch ratsch scheint es selbst ein gefühlloser Kerl
wie dieser hier nicht mehr auszuhalten.
„Au weh!! Das schmerzt…bitte…das genügt, bitte verzeih mir!“
„Nein, ich kann dir nicht vergeben.“
„Wenn das so ist, so lass mir doch bitte wenigstens ein einziges Auge.“
„Was möchtest du denn damit anstellen?“
„Ich würde ihnen gerne ab jetzt Respekt zollen (ichi moku oku, Wortspiel mit
„ein Auge belassen“).
101
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Das Blatt zeigt zentral positioniert und prominent in Szene gesetzt zwei Männer,
einen in Uniform gekleideten japanischen Soldaten sowie die Figur eines
seltsam deformierten Chinesen.
Letzterer liegt, auf die Arme gestützt, bäuchlings am Boden, während sich der
andere mit einem Hobel an seinem Kopf zu schaffen gemacht hat.
Hierfür hat sich der Japaner auf seinen Widersacher gestellt, mit seinem
Werkzeug geht er daran, Schicht um Schicht von dem überdimensional großen
Haupt ab zu raspeln. Späne bedecken bereits reichlich Boden und Schulter des
Chinesen, von seinem Kopf ist nur noch die Hälfte übrig.
Wie sehr die Behandlung schmerzen muss, ist an den weit aufgerissenen
Augen und dem zum Schrei geöffneten Mund, der eine Reihe weiße Zähne
blitzen lässt, im frontal wiedergegebenen Gesicht des Mannes zu sehen.
Angelehnt
an
frisch
geschnittenes
Holz,
ist
die
Schnittfläche
heller
wiedergegeben als das übrige Inkarnat des Gesichts.
Die Kleidung des Chinesen besteht wiederum aus schwarzen Schuhen, weißen
Beinkleidern sowie einem weiß-violetten Obergewand mit roter Borte an Ärmeln
und Bund. Abgerundet wird die kennzeichnende Tracht durch den schwarzen
Hut sowie den obligaten langen Zopf.
Wie in den meisten Darstellungen ist auch in dieser die Kleidung des Chinesen
eher leger und einfach, die Uniform des Japaners kontrastiert hier deutlich. Sie
besteht aus Käppi, schwarz-goldener Jacke, einer dunkelroten Hose mit
seitlichem blauen Streifen und schwarzen Stiefeln. Das nur im Profil sichtbare
Gesicht des Soldaten trägt einen fein getrimmten Schnauzbart, sein Blick ist
konzentriert auf den Hobel gerichtet.
Im Hintergrund der Szene lassen sich weitere Werkzeuge wie verschiedene
Sägen und Schleifmaterialien erkennen.
102
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Das zwiespältige Verhältnis der beiden Nationen, die Diskrepanz zwischen dem
neuen Selbstbewusstsein Japans sowie dem tiefsitzenden Respekt vor der,
über Jahrhunderte hinweg bestehenden, Vormachtstellung Chinas ist hier
thematisiert.
Der Krieg erscheint als längst nötig gewordene Maßregelung, als Strafe für die
angebliche Überheblichkeit des Feindes; gnadenlos hobelt der propere
japanische Soldat Schicht um Schicht ab, um seinen übergroßen chinesischen
Konterpart schrumpfen zu lassen.
Und doch scheint das Unterfangen von zweifelhaftem Erfolg gekrönt, der Riese
blickt dem Betrachter trotz herber Einbußen nach wie vor geradezu
herausfordernd entgegen. Fast scheint es so als hätte die anmaßende Tat des
kleinen Japaners erst seine Wut geweckt.
Kiyochikas Karikatur enthält unter der Oberfläche plakativer Propaganda
durchaus zynische Untertöne, die erst bei näherer Betrachtung in Erscheinung
treten.
Auch in diesem Text bildet ein Wortspiel den Abschluss. Der gequälte Chinese
bittet darum, „ihm doch ein Auge zu lassen“, der Ausdruck ichi moku oku
bedeutet jedoch gleichzeitig auch, die eigene Unterlegenheit anzuerkennen. Er
ist insbesondere im Go-Spiel geläufig.
Ein „dickhäutiges Gesicht“ haben im Wortgebrauch besonders arrogante,
hochnäsige Personen; der Ausdruck „die Haut vom Gesicht ziehen“ meint, die
Person zu demütigen bzw. sie wieder auf den Boden zurückzuholen (vgl. Smith
1988:94).
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.9. Blatt 8:
„Vergnügen an modernem Kriegsspielzeug“ (Abb. 13)
明治 28 年 2 月 / Feber 1895
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 13: „Vergnügen an modernem Kriegsspielzeug“
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
討清(とうせい)翫弄物(おもちや)遊(あそ)び
骨皮道人
枕(まくら)屏風(べうふ)を立廻(たてまわ)して此處(ここ)へ紙細工
(かみさいく)の翫弄物(おもちや)/ を並(なら)べ左(さ)も面白(おも
しろ)さふに餘念(よねん)もなく遊(あそ)んで居(い)る子(こ)/供(ど
も)熟(いづ)れも當世風(とうせいふう)の活潑(くわつばつ)にて
「僕(ぼく)ハ陸軍大(りくぐんたい)/将(しやう)だよ
甲
乙「君(きみ)が
陸軍大将(りくぐんたいしやう)なら僕(ぼく)ハ海軍大将(かいぐんたいし
やう)だ。 / 僕(ぼく)が定遠(ていえん)と致(鎮)遠(ちんえん)を引繰
返(ひつくりかへ)して見(ミ)せるから其(その)団(うち)/扇(は)を貸
(かし)たまへ
甲「ムム僕(ぼく)が先(さき)だよ、彼(あ)のちやんち/
やん坊主(ばうず)を踊(おど)らして見(ミ)せるから、君(きみ)ハ其所
(そこ)で / 見(ミ)て居給(いたま)へな 乙「ムム僕(ぼく)から先(さ
き)にして呉(く)れたま /へ 甲「夫(そ)れぢやァじやん拳(けん)よ
チツチツチツ
/
夫(そ)れ僕(ぼく)が勝(かつ)たろう、陸軍(りくぐ
ん)万(ばん)ザーイ
うず)め
ソ/ラね
ソ/ラね
此野郎(このやらう)ちやんちやん坊主(ば
ちやんちやん坊主(ばうず)が一生懸命(いつしやうけん
めい)に逃(にげ)るだらう
/ 帝国(ていこく)万(ばん)ザーイ
度(こんど)ハ僕(ぼく)の番(ばん)だよ
乙「今
/此(こ)ン畜生(ちくしやう)
此奴(こいつ)めへソラね定遠(ていえん)が引繰返(ひつくりかへ)/ッたら
う日本海軍万(ばん)ザーイと頻(しきり)に面白(おもしろ)/ がッて遊
(あそ)んで居(い)ると此處(ここ)へ来(き)た女(おんな)の子(こ)
が /「アラマァ面白(おもしろ)い事(こと)皆(みな)さんも来(き)て御
覧(ごらん)な支那(チヤイナ)
105
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Tōsei omocha asobi
Koppi Dōjin
Makura- byōbu o tatemawashite koko e kamizaiku no omocha / o narabe sa mo
omoshirosō ni yonen mo naku asonde iru ko/domo izuremo tōsei-fū no
kappatsu nite
Kō 「Boku wa rikugun tai/shō da yo
Otsu「 Kimi ga rikugun taishō nara boku wa kaigun taishō dai / Boku ga Teien
to Chinen o hikkurikaeshite miseru kara sono uchiwa o kashi tamae
Kō 「Mumu boku ga saki da yo, ano chanchan- bōzu o odorashite miseru kara,
kimi wa soko de / mite itame e na
Otsu「Mumu boku kara saki ni shite kure tama/e
Kō「…sorejā janken yo chi chi chi / ...sore boku ga kattarō. Rikugun banzāi
sora ne kono yarō chanchan-bōzu me so/ra ne chanchan-bōzu ga isshōkenmei
ni nigeru darō. / Teikoku banzāi
Otsu 「Kondo wa boku no ban da yo/ konchikushō koitsumē sora ne Teien ga
hikkurikaettarō Nippon kaigun banzāi to shikiri ni omoshiro / gatte asonde iru to
koko e kita onna no ko ga /「Ara mā omoshiroi koto mina-san mo kite go-ran na
Chaina
106
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Übersetzung ins Deutsche
Vergnügen an modernem Kriegspielzeug (Abb. 13)
Koppi Dōjin
Vor einem aufgestellten Kopfkissen-Wandschirm (makura-byōbu), davor
interessantes, aus Papier gefertigtes Spielzeug aufgereiht, so vergnügen sich
die Kinder ganz vertieft in ihr Spiel.
Sie sind lebhaft und erzogen im Sinne der neuen Zeit (tōsei).
Der Erste: „Ich bin der Feldmarschall!“
Der Zweite: „Wenn du der Feldmarschall bist, bin ich der Admiral! Ich möchte
zeigen, wie ich die Dingyuan 31 und die Zhenyuan 32 versinken lasse, borg mir
mal den Fächer…“
Der Erste: „Nichts da, ich bin der Erste! Ich will zeigen, wie ich die Chinesen
nach meiner Pfeife tanzen lasse, du schau zuerst mal her.“
Der Zweite: „Nicht doch, ich möchte zuerst!“
Der Erste: „Also dann lassen wir Schere-Stein-Papier (janken) entscheiden…
Eins, zwei, drei… Ich habe gewonnen! Lang lebe die Armee! Schau her,
niederträchtiger Chinese, schau her, wie der Feind verzweifelt versucht, sich zu
retten. Ein Hoch auf das Kaiserreich!“
Der Zweite: „Diesmal bin aber ich an der Reihe! Du Missgeburt, schau her, jetzt
wird das Kriegsschiff Dingyuan versenkt, die japanische Marine lebe hoch!“
Während die beiden sich amüsieren, kommt ein Mädchen und ruft: „Kommt alle
her, hier gibt es Interessantes zu sehen/China!“ (go-ran na Chaina anstatt von
go-ran nasai)
31
Auch häufig Ting Yuen. Gepanzertes Flagschiff der chinesischen Marineflotte und eines der
modernsten Schlachtschiffe seiner Zeit.
32
In Deutschland gebautes, ebenso gepanzertes und mit Krupp-Gewehren ausgestattetes
Schlachtschiff. Begleitschiff der Dingyuan.
107
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Zwei japanische Buben mit kurz geschorenen Haaren knien lachend vor einem
Stellschirm, hinter dem ein in einen Kimono gekleidetes Mädchen und ein
kleiner Bursche die Szene beobachten. Der niedrige Schirm ist aufgestellt und
leicht eingeknickt, er schließt direkt an den rechten Bildrand an und nimmt eine
prominente Position im Bildfeld ein.
Auf ihm befindet sich eine mit wenigen Strichen angedeutete topografische
Darstellung, die durch einen Schriftzug in der linken oberen Ecke mit „Bild von
Weihaiwei (Weihaiwei no zu 33 )" bezeichnet ist.
In der linken unteren Ecke der Darstellung, räumlich gesehen vor dem
Stellschirm knien die beiden Buben, beide in durch Gürtel gehaltene Gewänder
gekleidet. Mit einem Blattfächer, auf welchem sich eine rote Sonne als
japanische Flagge befindet, wirbelt der Bursche im Vordergrund fünf
Papierfigürchen durch die Luft. Drei davon sind menschlich geformt, mit ihren
langen Zöpfen sollen sie augenscheinlich Chinesen darstellen. Die restlichen
beiden Papiermodelle sind große, mit jeweils zwei Masten ausgestattete Schiffe.
Merkwürdigerweise weisen auch diese durch die Luft flatternden Schiffe
Extremitäten auf, Günter Diesinger meint, hierin ein Indiz auf eine
„Rattengestalt“ der Objekte sehen zu können (Diesinger 1986:24).
Auch wenn das Vorhandensein von Augen auf den Modellen eine solche These
stützen würde, kann ich mich ihr nicht anschließen. Um tatsälich eine
Assoziation mit Ratten zu wecken, wäre meiner Meinung nach ein wichtiges
Charakteristikum, nämlich der lange Schwanz vonnöten.
Hinter dem Stellschirm werden die beiden weiteren Gestalten sichtbar, von dem
lachenden Mädchen mit Hochsteckfrisur sind lediglich Oberkörper und Kopf,
von dem kleineren Knaben aufgrund der geringeren Größe nur ein Teil des
Kopfes sowie die aufgestützten Hände sichtbar.
33
図, „Plan, Karte“
108
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Das vorliegende Blatt entstand in Verbindung mit den Gefechten rund um die
Bucht von Weihaiwei, dem Stützpunkt der chinesischen Kriegsmarine.
Nachdem einige chinesische Schiffe der Schlacht bei Yuan am Tag zuvor
entronnen waren, wurden sie hier am 2. Feber 1894 schließlich gestellt und von
den Japanern gänzlich zerstört.
Die Schlacht von Weihaiwei, ausgetragen zu Land und Wasser, dauerte 23
Tage, vom 20. Jänner bis zum 12. Februar 1895. Nach ihrem Ende stießen die
Japaner weiter gegen die Süd-Mandschurei sowie nach Nordchina vor. Der
chinesische Befehlshabende, Admiral Ding
34
, nahm sich kurz nach der
Niederlage selbst das Leben.
Das harmlose Spiel der Kinder wird hier zur Propaganda. Mit Leichtigkeit
vermag der Fächer mit der japanischen Flagge darauf, die gegnerische Marine
vor dem Hintergrund des Stellschirms durcheinander zu wirbeln, selbst die
wuchtigen Kriegsschiffe, die im beigefügten Text namentlich genannt sind,
flattern im Angesicht japanischer Kraft durch die Lüfte.
Den Titel des Blattes „Tōsei omochamono asobi“ übersetzt Gunter Diesinger
meiner Meinung nach irrig mit „Spaß an Kriegsspielzeug anläßlich des Sieges
über China“ (Diesinger 1986:24).
Der Ausdruck tōsei im Titel des Blattes ist vielmehr auf zweierlei Art zu
verstehen. Tōsei war insbesondere in der Meiji-Zeit ein sehr geläufiger
Ausdruck, er stand und steht immer noch für „modern, up to date und
fortschrittlich“. Ende des 19. Jahrhunderts war Japan eifrig bestrebt, den Tribut,
den die lange Zeit der Abschlusspolitik gefordert hatte, wettzumachen und mit
dem Fortschritt westlicher Nationen Schritt zu halten.
34
Dīng Rǔchāng 丁汝昌 (1836 -1895)
109
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Das Schlüsselwort lautete hier Modernisierung und Progress; mit nahezu
unglaublicher Schnelligkeit begannen sich alte Strukturen und Werte zugunsten
des Glaubens an die Möglichkeiten der industrialisierten Zukunft aufzulösen.
Der Verfasser dieses Textes verfremdet das Wort jedoch in seinem Sinne. Mit
den Schriftzeichen für „anti-“ ( 討 ) und „China“ ( 清 ) wird der Ausdruck
gleichzeitig zum politischen Statement.
Von dem Anbruch einer neuen Zeit zeugen auch die kurzgeschorenen Frisuren
der beiden Knaben im Vordergrund. Sie stehen für das moderne Japan, das
nunmehr über die Kraft verfügt, alte Rollen über den Haufen zu werfen. Das
Mädchen im farbenprächtigen Kimono hinter dem Stellschirm ist im Gegensatz
dazu als Bestandteil des „alten“ Japans lesbar. Die Zuteilung des Geschlechts,
„Modernes Japan“ – männlich und aktiv, „Japan der Vergangenheit“ - weiblich
und passiv ist wohl nicht zufällig gewählt.
Beide Welten werden in dieser Darstellung durch ein gemeinsames Ziel geeint.
Auch wenn die Modernisierungsmaßnahmen der Meiji-Regierung in manchen
Fällen auf Widerstand stießen, ihren Nutzen konnte der Krieg rasch zeigen.
Am Ende des Textes steht ein weiteres Spiel mit Sprache und Schrift. Der
Ausdruck go-ran nasai („Schauen Sie bitte.“) wird zu go-ran na Chaina („Schau,
China.“)
umgewandelt.
„China“
ist
jedoch
eine
eher
ungebräuchliche
Bezeichnung, als Titulierung des Landes war im behandelten Zeitraum eher
Shinkoku (清国), der Ausdruck, der auch in Koppi Dōjins Texten im Allgemeinen
verwendet wird.
110
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.10. Blatt 9:
„Eine in China neu erfundene Maschine“ (Abb. 14)
明治 28 年 4 月 / April 1895
松本平吉 / Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 14: "Eine in China neu erfundene Maschine"
111
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
清発明(しんはつめい)の危械(きかい)
骨皮道人
ムム出来(でき)たぞ出来(でき)たぞ、実(じつ)に早や奇々妙々(ききめ
うめう)珍妙来(ちんめうらい)/ 世界第(せかいだい)一等(とう)の危械
(きかい)ができたゾ、乃公(おれ)の事(こと)を野蛮(やばん)/ だの未
開国(みかいこく)だのと云ふが、エへン何所(どこ)が野蛮(やばん)だ、
何(ど)/所(こ)が未開国(みかいこく)だ、此(かく)の如(ごと)き便利
(べんり)な危械(きかい)を発明(はつめい)し/た者ハ末(いま)だ嘗(か
つ)て一人もなかろう
ソーラ前(まえ)の / 奴(やつ)ハ向(むか)ふを見
ると怖(こわ)がつて逃(にげ)るから、斯(か)う眼隠(めかく)/ しをし
て胴中(どうなか)を鎖(くさり)で縛(しば)り付て、それから後(あと)
の奴(やつ)も/ 同じく ヲット待(まて)よ、此奴の眼隠(めかく)しをす
ると退/陣(ちん)の時に困(こま)るから、是ハ眼(め)を塞(ふさ)がずに
置(を)ク
/ エエト其所(そこ)で乃公(おれ)が此真(まん)中へ乗(の
つ)て両方の縁尾(ちんび)を / 取捕(とッつか)まへて、此穴(あな)から
敵の様子を覗(のぞ)いて茶 / でも呑(のミ)ながら、小隊(せうたい)-止
(とま)れ
小隊-逃(にげ)ろ
/ イヤ旨(うま)い旨い日本兵が何程(い
くら)強(つよ)くても是なら/もう負(まけ)る気遣(づか)ひハない
徐々(そろそろ)出掛(でかけ)や/う
ドレ
小隊(せうたい)歩(ある)け、と号
令(ごうれい)を掛て應怖吃驚(おつかなびつくり)/ で出掛(でかけ)た折
(をり)から前の奴(やつ)が足を踏外(ふミはず)して只(と)ある / 堤
(つつミ)の上から素ツ顛転(すてんころ)りのコロコロコロと転(ころ)げ
落(おち)る、/ 退将(たいしやう)ハ泣(なき)ッ面(つら)をして「アイ
タタタタタ是やァ骨(ほね)/折損(をりぞん)をした
112
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Shin-hatsumei no kikai
Koppi Dōjin
Mumu dekita zo dekita zo, jitsu ni haya kikimyōmyō chinmyōrai / sekai daiittō no
kikai ga dekita zo, ore no koto o yaban / da no mikaikoku da no to iu ga, ehen
doko ga yaban da, do/ko ga mikaikoku da, kaku no gotoki benri na kikai o
hatsumei shi/ta mono wa ima da katsute hitori mo nakarō Sōra mae no / yatsu
wa mukō o miru to kowagatte nigeru kara, kō mekaku / shi o shite dōnaka o
kusari de shibaritsukete, sorekara ato no yatsu mo / onajiku otto mate yo,
koyatsu no mekakushi o suru to tai/jin no toki ni komaru kara, kore wa me o
fusagazu ni oku / Ēto soko de ore ga kono man’naka e notte ryōhō no chinbi o /
tottsukamaete, kono ana kara teki no yōsu o nozoite cha / demo nominagara,
shōtai tomare shōtai nigero / iya umai umai Nihonhei ga ikura tsuyokute mo
kore nara / mō makeru kizukai wa nai Dore sorosoro dekakeyō shōtai aruke, to
gōrei o kakete okkanabikkuri / de kaketa ori kara mae no yatsu ga ashi o
fumihazu shite to aru / tsutsumi no ue kara suttenkorori no korokorokoro to
koroge ochiru, / taishō wa nakittsura o shite 「Aitatatatata koryā hone/orizon o
shita
113
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Übersetzung ins Deutsche
Eine in China neu erfundene Maschine (Abb. 14)
Koppi Dōjin
Sie ist fertig, sie ist fertig, die wahrlich an Schnelligkeit und Originalität
absonderlichste, weltweit einzigartige gefährliche Maschine (Wortspiel, das
„ki“ 機 wird durch „ki“ 危 für „gefährlich“ ersetzt) ist vollendet!
Ihr meint, wir wären barbarisch, wir wären ein Entwicklungsland, doch wo seht
ihr hier etwas Rückständiges?! Niemand hat bisher eine so praktische
Tötungsmaschine erfunden wie diese hier! Schaut her, weil die Männer vorne
bei dem Anblick des Feindes die Flucht ergreifen würden, sind ihre Augen
verbunden und mit Ketten angekettet, die hinteren ebenso.
Doch halt, wartet mal, beim Rückzug sind verbundene Augen hinderlich, lassen
wir sie bei euch unbedeckt!
Nun gut, ich steige hier in die Mitte ein, nehme die Zopf-Enden von beiden
Seiten und trinke Tee, während ich durch diese Löcher nach der Lage des
Feindes spähe. Zug, bleib stehen!
Zug, auf zur Flucht!
Ah, perfekt, perfekt, wie stark das japanische Heer auch sein mag, mit dieser
Maschine gibt es keinen Grund zur Besorgnis… Na gut, gehen wir langsam mal
los… Und wie befohlen setzt sich der Trupp in Bewegung, mit großer Furcht
zieht er voran.
Doch kaum geschehen, rutscht einer der Männer vorne aus und schon kullert
der gesamte Zug durcheinander. Mit weinender Miene jammert der Feldherr
(Wortspiel, statt 大 für „groß“ wird 退 für „Rückzug, Flucht“ verwendet): „Oh weh,
oh weh, alles umsonst!/ Mein Bein ist gebrochen!“
114
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Das Zentrum der Darstellung nimmt eine sonderbare Konstruktion ein. Sie
verfügt über zwei große rote Räder wie ein Wagen, an zweierlei Seiten ziehen
jeweils drei Chinesen sie voran. Während die vorne angeketteten Männer mit
verbundenen Augen zu schießen versuchen, wird der Wagen gleichzeitig von
den drei anderen Chinesen nach hinten gezogen.
Die Zügel, genauer gesagt die als Zügel verwendeten Zöpfe, führt ein einzelner
Mann, der Befehlshaber. Er sitzt in dem umgebauten Leistenkarren hinter einer
braunen Panzerung in grob menschlicher Gestalt, welche in einem Arm eine
grellrote Fahne, in der anderen ein Schwert in die Höhe reckt und späht durch
einen integrierten Ferngucker dem Feind entgegen.
Die Gewänder der sechs angeketteten Chinesen sind schlicht, sie tragen helle
Hosen, blitzblaue Hemden und laufen barfuß.
Zudem tragen sie in weißen Kartuschen befindliche Schriftzeichen auf ihrem
Obergewand, die Männer linkerhand das Zeichen für „vorne“ (前, mae), die auf
der Rückseite des Gefährts bzw. rechts das Zeichen für „hinten“ (後, ushiro).
An den Enden ihrer Zöpfe werden sie wie Zugpferde von ihrem Befehlshaber
gelenkt. Dieser sitzt grinsend in seinem Verschlag. Die Teekanne und weitere
Utensilien belegen, dass er hier ein recht annehmbares Leben zu führen
scheint.
115
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Vielleicht handelt es sich bei dem bärtigen Gesellen um den chinesischen
Oberbefehlshaber Li Hongzhang 35 , einem bis zum Ausbruch des Krieges auch
in Japan hochgeschätzter Militärstratege. Er, der vormals als „Bismarck des
Ostens“ gerühmt worden war, wurde nun zum Ziel beißenden Spottes.
Im nishiki-e erscheint er nicht selten als vor Angst schlotternde oder zu Tode
erschrockene komische Figur. Erst das im Zuge der Friedensverhandlungen bei
Shimonoseki auf ihn verübte Attentat eines japanischen Nationalisten, welches
der alte Mann verwundet überlebte, brachte ihm erneut Hochachtung von
Seiten der japanischen Bevölkerung ein (Keene 1998:256).
Erstmals präsentierte sich das kleinere Japan im Zuge des Ersten SinoJapanischen Krieges der Weltöffentlichkeit als neue Supermacht nach
westlichem Vorbild; im Gegensatz zu China hatte es sich darauf verstanden, die
Zeichen der Zeit zu deuten und für sich zu nutzen. So ging auch ein Raunen
durch die Reihen, als sich wider Erwarten das Großreich China erstmals
geschlagen geben musste. Einer der ausschlaggebenden Faktoren, die
Ausrüstung und Bewaffnung, wird in dieser Abbildung thematisiert.
Chinas militärische Gerätschaften waren veraltet, vieles wurde nur durch das
Aufgebot an schierer Menschenmenge aufgewogen. Die hier dargestellte
Konstruktion nimmt die Rückständigkeit des Gegners aufs Korn - der primitive
Karren wird zur Kriegsmaschine umgebaut und bleibt doch trotz seiner
Panzerung nur zweifelhaft wirksam. Während der Schein des Kampfeswillens
durch die imposante Attrappe auf, sowie die schussbereiten Soldaten vor dem
Wagen aufrechterhalten wird, macht sich der Feldherr bereits an den Rückzug.
35
李鴻章 (1823-1901), chinesischer General und führender Staatsmann im China der QingDynastie
116
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Die japanische Überzeugung der chinesischen Rückständigkeit manifestierte
sich unter anderem auch in den zahlreichen Liedern, die während des Krieges
kursierten. Hier ein beliebiges Beispiel, das ausgesprochen populäre Pekin
made („Bis nach Peking“) von Yokoi Tadanao (1857 – 1928).
Shina mo mukashi wa seiken no
Oshie aritsuru kuni naredo
Yo wo kae toshi wo furu mama ni
Shidai ni kaika no taojisari
Kuchi ni wo chūka to hokoredomo
Kokoro no yaban wa hampirei
Sono mōmai wo yaburazuba
Wa ga tōyōno yo wa akeji
China war vor langer Zeit
Das Land, in dem die Weisen lehrten,
Aber als die Dynastien sich abwechselten und die Jahre vergingen,
Ist es hinter den Fortschritt zurückgefallen
Es preist sich selbst als das mittlere Blumenland,
Hat jedoch ein barbarisches Herz.
Wenn wir Chinas Ignoranz nicht zerstören,
Wird die Nacht des Ostens nie vergehen.
Und der britische Militärexperte und Leutnant E.G. Barrow konstatierte Mitte
1895 erstaunt:
I came to Japan expecting to see some miserable parody of a third-rate
European soldier: instead, I find an army in every sense of the word admirably
organised, splendidly equipped, thoroughly drilled, and strangest thing of all in
an Oriental people, cheaply and honestly administered… the Japanese army
117
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
bears comparison with the Chinese much in the same way as the forces of
nineteenth century civilisation compared with those of medieval times.
(in: Lone 1994: 28, British Foreign Office, FO 881/6594, British Army
Directorate of Military Intelligence to Foreign Office, 16. Juli1894).
Im April 1895, der Entstehungszeit dieser Darstellung, war der Krieg bereits so
gut wie beendet. Am 30. März war ein Waffenstillstand vereinbart worden, kurz
darauf, am 17. April erfolgte die Unterzeichnung des Friedenvertrags von
Shimonoseki,
welcher
kaum
überraschend
sehr
zugunsten
des
Kriegsgewinners ausfiel.
So sollten neben Taiwan die Pescardoren-Inseln sowie die Halbinsel Liaodong
an Japan fallen und China die Souveränität Koreas anerkennen. Des Weiteren
sah der Vertrag eine Kriegsentschädigung von 200 Millionen Tael vor, für die
bereits durch den Krieg finanziell ausgeblutete Qing-Regierung eine nahezu
unmögliche Summe.
Ein Detail des Textes ist der Begriff taishō, (Groß-) General, der hier durch das
Verwenden eines anderen Schriftzeichens zu „der flüchtende General“ ironisch
umgedeutet wird.
Auch im Titel des Blattes findet sich ein Wortspiel. Hier wird das „shin“ 新 für
„neu“ durch das Schriftzeichen „shin“ 清, welches als Bestandteil des Wortes
Shinkoku stellvertretend für China verwendet wird, ersetzt.
118
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
6.11. Blatt 10:
„Großes Gedränge am Fluss Sanzu“ (Abb. 15)
明治 28 年 5 月 / Mai 1895
松本平吉/ Verleger Matsuki Heikichi
Abbildung 15: "Großes Gedränge am Fluss Sanzu"
119
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Der Text im Original
三途川(さんづかハ)の大混雑(おほこんざつ)
骨皮道人
近頃(ちかころ)ハちやんちやん坊主(ばうず)の亡者(もうじや)が夥(お
ほ)いので、三途(さんづ)/川(かハ)の渡(わた)し場(ば)も殊(こと)
の外(ほか)の大混雑(おほこんざつ)船頭「コレサコレサ
やミ)に乗込(のりこ)んぢやァ仕方(しかた)がない
/ さう無暗(む
お前方(まへがた)/
が乗(のつ)た娑婆(しやば)の船(ふね)ぢやァ、塩漬け(しほづけ)の豚
(ぶた)も同(おな)じ様(やう)に、/ 這入(はい)るだけキシキシと詰込
(つめこむ)さうだが、此(この)地獄(ちごく)へ / 来(き)てまで其傳
(そのでん)を遣(や)ら/れちやア / 困(こま)るぢやァ / ないか
エエヲイ
ちやん的― /さう押掛け(おしかけ)ちやァ行(い)けねへと云(い)ふに
ナニー / 日本兵(にほんへい)が追掛け(おつかけ)て来(く)るト、馬鹿
(ばか)を云(い)ひねへ、イクラ / 日本兵(にほんへい)が強(つよ)いか
らツて、地獄(ぢごく)まで追掛け(おつかけ)て来(き)て堪(たま)る /
ものか、もう此度(ここ)まで来(く)りやア蘇生(いきかへ)る気遣(きづ
か)ひハ / 無(ね)へから安心(あんしん)して居(ゐ)なせへ、と船頭(せん
どう)が死力(しりよく)を尽(つく)/して頻(しきり)に製(せい)するを
も聞入(ききゐれ)ず、元来(くわんらい)理(り)も悲(ひ)も / 解(わ
か)らないちやんちやん坊主(ばうず)とて、只(ただ)無茶苦茶(むちやく
ちや)に乗(のり)/込(こん)だから堪(たま)らない、船(ふね)わ忽(た
ちま)ちブクブクブクブク、ソラこそ / 沈没(ちんぼつ)と流石(さすが)の
赤鬼(あかおに)も青(あを)くなつたが、沈没(ちんぼつ)馴(なれ)て /
居(ゐ)るちやんちやんハ平気(へいき)の皮(かわ)「ムム又(また)沈没
(ちんぼつ)か極(きま)ッて居(い)/らア、第一
豊島海(ほうとうかい)
で沈没(ちんぼつ)、其次(そのつぎ)ハ黄海(くわうかい)で沈没 / したか
らどうせ二度(にど)ある事(こと)ハ三途(さんづ)だア
120
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Transkription
Sanzugawa no ō-konzatsu
Koppi Dōjin
Chikagoro wa chanchan-bōzu no mōja ga ōi node, Sanzugawa no watashiba
mo koto no hoka no dai-konzatsu.
Sendō 「Koresa koresa. / Sō muyami ni norikonjā shikata ga nai. Omaegata /
ga notta shaba no fune jā, shiozuke no buta mo onaji yō ni, / hairu dake
kishikishi to tsumekomusō da ga, kono jigoku e / kite made sono den o yara/re
chā / komaru jā / nai ka. Ēto oi Chan-teki / sō oshikakechā ikenē to iu ni, nanii /
Nihonhei ga otsukkakete kuru to, baka o ii nē, ikura / Nihonhei ga tsuyoi karatte,
jigoku made okkakete kite tamaru / mono ka, mō koko made kuryā ikikaeru
kizukai wa / nai kara anshin shite inasē, to sendō ga shiryoku o tsuku/shite
shikiri ni sei suru o mo kikiirezu, ganrai ri mo hi mo / wakaranai Chanchan-bōzu
tote, tada muchakucha ni nori/konda kara tamaranai, fune wa tachimachi
bukubukubukubuku, sora koso / chinbotsu to sasuga no akaoni mo aoku natta
ga, chinbotsu narete / iru Chanchan wa heiki no kawa 「Mumu mata chinbotsu
ka kimatte i/rā, daiichi Hōtōkai de chinbotsu, sono tsugi wa Kōkai de chinbotsu /
shita kara dōse nido aru koto wa Sanzu dā
121
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Übersetzung ins Deutsche
Großes Gedränge am Fluss Sanzu (Abb. 15)
Koppi Dōjin
Da neuerdings die Zahl der chinesischen Verstorbenen derart überhand nimmt,
herrscht auch an der Furt des Flusses Sanzu großes Gedränge.
Der Bootsmann: „Ihr dürft euch doch nicht wie wahnsinnig hier hereindrängen!
Hier in der Unterwelt ist es verboten, nicht so wie an der Erdoberfläche, wo ihr
euch wie eingepökeltes Schweinefleisch dicht an dicht aneinander drängt.
Obacht, ihr einfältigen Chinesen! Ihr dürft euch doch nicht so hereindrängen!
Was…? Was sagt ihr, die japanischen Truppen folgen euch? Was für ein
Unsinn! Obwohl die japanischen Truppen so stark sind, können sie doch nicht
bis in die Unterwelt nachfolgen... Macht euch keine Sorgen, ihr seid schon so
weit gekommen, schon mausetot, ins Leben kommt ihr sicher nicht wieder
zurück!“
Die verzweifelten Mühen des Fährmannes reichen nicht aus, die wahrlich weder
von Vernunft noch von Kummer etwas verstehenden chanchan drängen sich
hinein und durch den großen Tumult geht das Boot entzwei - im Handumdrehen
versinkt es, blubb blubb blubb...
Schaut, als es so untergeht, läuft selbst der rote Teufel blau an, die Chinesen
jedoch behalten normale Hautfarbe, sie sind es gewohnt, baden zu gehen.
„Wieder eines versenkt, zuerst im Hōtō Meer, dann das nächste am Gelben
Meer… doch aller guten Dinge sind drei (Sanzu – sando „drei“)!“
122
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Bildbeschreibung
Eine große Menge menschlicher Gestalten füllt hier, im Wasser treibend, den
Großteil des unteren Bildfeldes. Von den meisten ist lediglich der Kopf mit dem
kleinen und für Verstorbene charakteristischen weißen Kopftuch sowie dem
langen Zopf zwischen den Wellen erkennbar.
Andere versuchen, sich panisch auf ein kleines, unter dem gewaltigen Ansturm
fast völlig verschwindendes Boot zu retten, das von einem Teufel mittels einer
langen Stange gelenkt wird. Der rothäutige und mit einem gelben Lendenschurz
bekleidete Fährmann späht mit offenem Mund und einem Ausdruck der
Hilflosigkeit der Masse an hineindrängenden Passagieren entgegen.
Im Hintergrund werden das satt grün kolorierte Ufer sowie ein ins Wasser
reichender Steg erkennbar. Hier drängen sich weitere, nur sehr vage
angedeutete Figuren, wie die im Wasser treibenden ebenfalls in blau-weiße
Gewänder gekleidet. Rechterhand an Land befinden sich eine etwas größere,
am Boden kniend winkende Gestalt in hellem Gewand sowie zwei
obeliskenartige Steine, auf welchen der Name des Flusses „Sanzu-gawa"
geschrieben steht.
123
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Erläuterungen
Der Fluss Sanzu ist in der buddhistischen Tradition das Pendant des
griechischen Styx, ein Fluss, den Verstorbene auf ihrem Weg durch die
Unterwelt zu überqueren haben.
Der Name des Flusses leitet sich von dem buddhistischem Ausdruck San-ch’u
ab, das für die Wege der „Drei Übel“ – den „Weg des Feuers“ bzw. das Leben
in der Unterwelt, den „Weg des Blutes“ bzw. die Wiedergeburt als Tier sowie
den „Weg des Messers“ bzw. die Existenz als hungernder Geist – steht
(Diesinger 1986:30).
Vielleicht handelt es sich bei der etwas größer dargestellten, winkenden Figur
am Ufer des Flusses um die sagenumwobene Datsuebaba/Datsuebā (脱衣婆)
oder Sozū no baba (三途の婆), die nach japanischem Glauben in Gestalt einer
runzeligen alten Frau in der Unterwelt auf Opfer wartet. Sobald die für schuldig
Befundenen den Sazu durchschwommen haben, raubt sie ihnen die Kleidung
(„datsu“ heißt soviel wie „rauben“), bereits nackt Ankommenden zieht sie
stattdessen die Haut vom Leib (Schumacher 2007:Datsueba – Old Hag from
Hell).
Auf drastische Weise veranschaulicht die Karikatur die Zahl der Gefallenen, die
der Krieg auf chinesischer Seite gefordert hatte – selbst die Unterwelt zeigt sich
von dem Massenansturm überfordert.
Obwohl es an genauen Belegen mangelt, lässt sich von ungefähr 12.700
Chinesen ausgehen, die im Kampf, durch Verwundung oder aber Krankheiten
ums Leben kamen, auf japanischer Seite beklagte man Verluste von
„lediglich“ 4.100 Mann (Chaïkin 1983:105).
Selbst die bereits verstorbenen chinesischen Soldaten fürchten in dieser
Darstellung immer noch die Verfolgung durch japanische Truppen. Panisch
124
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
versuchen sie, ihnen zu entkommen, selbst wenn die Alternative die Schrecken
der Unterwelt sind.
Der begleitende Text kommentiert ironisch das durch den großen Andrang
verursachte Sinken des kleinen Bootes. Bezugnehmend auf die Nachricht
japanischer Siege zur See merkt er an, die Chinesen seien es ohnehin bereits
gewohnt, versenkt zu werden.
Das Ende dieses Kommentars bildet wiederum ein Wortspiel: Das Sprichwort
„Aller guten Dinge sind drei!“ (japanisch: Nido aru koto wa sando aru) wird mit
dem Namen des Flusses Sanzu („Fluss der drei Furten“) in Verbindung
gebracht. Damit wird auch das angestrebte Ziel deutlich: Je mehr chinesische
Soldaten die Reise über den Sazu in das Reich der Toten anzutreten
gezwungen sind, desto besser.
In dieser Darstellung geschieht dies mit Freuden, um dem Wüten der
japanischen Armee zu entrinnen – die skurrile Vision einer plakativ
euphemistischen Propaganda.
125
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
7. Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigte sich mit der Karikaturenserie Nippon banzai.
Haykusen hyaksushō des japanischen Künstlers Kobayashi Kiyochika.
Die Reihe an 50 Farbholzschnitten (ukiyo-e) entstand im Zeitraum zwischen
Oktober 1894 und Frühjahr 1895, zeitgleich mit dem auf koreanischem und
chinesischem Gebiet ausgetragenen, Sino-Japanischen Krieg. Dieser ist auch
das Thema der Serie, die Drucke nehmen konkreten Bezug auf Schlachten,
Orte und relevante Kriegsereignisse.
Formal handelt es sich um Blätter im ō-ban Format, welche sich jeweils aus
einer Darstellung im unteren Teil sowie einem erläuternden Textfeld im oberen
Drittel zusammensetzen. Während erstere von Kobayashi Kiyochika stammen,
wurden die Texte von einem, unter dem Pseudonym Koppi Dōjin auftretenden
Schreiber verfasst. Der Titel der Serie befindet sich jeweils in einer
hochrechteckigen Kartusche am rechten Rand des Bildfeldes.
Die Serienüberschrift Nippon banzai. Hyakusen hyakushō wandelt eine Phrase
der klassischen chinesischen Militärkunde humoristisch ab.
Anstatt „Hundert Schlachten – hundert Siege“ (百戦百勝) heißt es hier durch
den Austausch der gleichlautenden Schriftzeichen „Hundertmal gewählt,
hundertmal gelacht“ (百選百笑) – ein Hinweis auf den erheiternden Anspruch
der Blätter.
Nach einem einführenden Kapitel über geschichtliche Hintergründe und den
Sino-Japanischen Krieg 1894-95 haben wir uns mit der Person des Künstlers
Kobayashi Kiyochika beschäftigt. Wir haben gesehen, dass, nach einer Phase
westlich geprägter Landschafts- und Stadtansichten er sich schon bald der
Karikatur zuwandte und als Karikaturist bei der Zeitung Marumaru Chinbun
auch seine humoristische Feder kunstreich zum Einsatz brachte.
126
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Berühmtheit
erlangt
Kiyochika
insbesondere
mit
seinen
theatralischen
Triptychon-Darstellungen im Rahmen des Sino-Japanischen Krieges – Werke
die auch heute noch stellvertretend für sein gesamtes Œvre herangezogen
werden.
Schließlich haben wir uns der Serie selbst zugewandt und nach einer kurzen
Einleitung zehn Blätter eingehend besprochen. Wichtige Schlagwörter waren
hierbei die Liebe zur Zeichnung und physiognomischen Studien, die enge
Verflechtung mit dem Text sowie der kriegspropagandistische Charakter.
In einer Zeit aufkeimenden Nationalismus und Rassismus sind Kiyochikas
Darstellungen unbestreitbar großteils diskriminierender Natur, der chinesische
Feind wird karikiert und mit überzeichnet negativen Attributen versehen.
Schritt für Schritt wurden die ausgewählten Drucke in lateinischer Schrift
transkripiert und übersetzt, abschließend folgten kurze Erläuterungen.
Das Karikaturenwerk Kobayashi Kiyochikas zählt auch heute noch zu den
weitgehend unbeachteten Gebieten der ostasiatischen Kunstgeschichte, eine
weiterführende Aufarbeitung der Serie Nippon banzai. Haykusen haykushō
wäre meiner Meinung nach unbedingt zu begrüßen.
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
8. Glossar
bokashi ぼかし
Technik des fließenden Farbverlaufs im Ukiyo-e
chanchan ちゃんちゃん
Abschätzige Bezeichnung für Chinesen
Datsuebā 奪衣婆
Dämonische alte Frau, die den Toten wenn sie den Totenfluss Styx überqueren,
ihre Kleidung wegnimmt.
Edo 江戸
Das heutige Tōkyō
edokko 江戸っ子
Bezeichnung für alteingesessene Bewohner Tōkyōs
Enma-daiō 閻魔大王
Herrscher der Unterwelt, der über die Verstorbenen richtet
ezōshi 絵増資
Illustrierte Populärliteratur
furigana 振り仮名
phonetische Zeichen, die die Lesung der komplizierten chinesischen
Schriftzeichen angeben
128
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Hyakusen hyakushō 百撰百笑
Spruch und Teil des Titels der Serie; zu übersetzen sowohl mit „100 Kriege, 100
Siege“, als auch mit „Hundertmal gewählt, hundertmal gelacht.
ichimaizuri 一枚摺り
„Einblatt-Drucke“, siehe kawaraban
jō 丈
Ein Längenmaß: 3,03 m
Kannon 観音
Bodhisattwa des Mitgefühls, weibliche Gottheit
kawaraban 瓦版
„Ziegeldrucke“, Bezeichnung für Einzelblatt-Drucke unterschiedlichen Motivs
kokatsujiban 古活字版
Druck mit „harten“ (metallenen) Lettern
kubippiki 首引
japanisches Spiel, bei welchem die Gegner versuchen, sich an Stricken um den
Hals gegenseitig wegzuziehen
kyōka 狂歌
Spottverse
kyōgen 狂言
wörtl. “verrückte Rede, verrückte Worte”. Humoristische Theatergattung die
meist in Verbindung mit Nō-Stücken aufgeführt wird.
129
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Marumaru chinbun
圚圚珍聞
Ab 1877 erscheinende Wochenzeitschrift, welche in Form von Karikaturen Kritik
an der Politik der Regierung übte sowie die Ideen der Bürgerrechtsbewegung
aufgriff. Betätigungsfeld Kobayashi Kiyochikas.
Meiji-Zeit 明治時代
1868-1912
mitate-e 見立て絵
„Travestie-Bilder“
miru me, kagu hana 見る目かぐ鼻
Assistenten des Königs Enma, welche gute und schlechte Taten der
Verstorbenen zu erkennen bzw. zu riechen vermögen
mokuhan insatsu 木版印刷
Holzschnitt, generell „Druck“
nishiki-e 錦絵
„Brokatbilder”, Sammelbegriff für ukiyo-e Holzschnitte, die im Vielfarbendruck
hergestellt werden. Dieser wurde im Jahre 1765 von Suzuki Harunobu erfunden,
als Zentrum etablierte sich bald schon Edo.
ni-ō 仁王
Furchteinflößende,
muskulöse
Wächterfiguren,
meist
Tempeleingänge
bewachend.
Port Arthur 旅順
chin. Lushun; ein eisfreier Hafen auf der Liaodong-Halbinsel, strategisch wichtig
platziert, da er den Zugang nach Peking über das Meer kontrolliert.
130
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
1895 im Vertrag von Shimonoseki Japan zugesprochen, jedoch aufgrund der
Tripel-Intervention nicht in Anspruch genommen
Rakugo 落語
„fallende Wörter“, Unterhaltungsform bei welcher ein einzelner Darsteller nur
durch akzentuierte Monologe und Mienenspiel sein Publikum amüsiert
Sanzu-gawa 三途側
Fluss, den Verstorbene bei ihrem Eintritt in die Unterwelt überqueren müssen.
Japanisches Äquivalent zum griechischen Fluss Styx.
seihan 製版
„Druck in einem Stück“, sowohl Bild als auch Text befinden sich auf ein und
derselben Druckplatte, sie werden in einem Vorgang gedruckt
senryū 川柳
Kurzgedicht in drei Versen zu je fünf, sieben und fünf Silben. Ähnlich dem haiku,
jedoch eher das Persönliche, Alltägliche und weniger Jahreszeitästhetik
thematisierend
Shōgun 将軍
Ursprünglich Bezeichnung für einen militärischen Führer, der über eine ganze
Armee befiehlt (General). Seit Minamoto Yoritomo als Abkürzung von seii
taishōgun für das Oberhaupt der Bakufu-Regierung verwendet.
Sino-Japanischer Krieg 日清戦争
1. August 1894 – 14. April 1895
Kampf zwischen China und Japan um die Vorherrschaft in Korea
sun 寸
Ein Längenmaß: 3,03 cm
131
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
surikogi すりこ木
Hölzener Stößel, Mörserstößel
tael 兩
Heute nicht mehr gebräuchliche chinesische Währungseinheit.
taishō 大将
„großer Feldherr“, Titelbezeichnung
Tripel-Intervention
Einspruch der drei Großmächte Russland, Frankreich und Deutschland gegen
den im Vertrag von Shimonoseki (17.4.1895) vereinbarten territorialen
Zugewinn Japans auf Kosten Chinas.
ukiyo-e 浮世絵
Bilder der fließenden Welt; japanische Farbholzschnitte
132
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
9. Literaturverzeichnis
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Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
10. Zeittafel
Der Sino-Japanische Krieg 1894-95
1882
23. Juli
Anti-Japanische Unruhen in Seoul
1885
18. April
Vertrag von Tientsin über Korea
1894
4. Mai
Ausbruch des Tonghak-Aufstands in Korea
23. Juli
Japanische Truppen kämpfen gegen koreanische Palastwachen in
Seoul
25. Juli
Schlacht von Phungtao
29. Juli
Schlacht von Songhwan
30. Juli
Fall von Asan
1. Aug.
Japan und China erklären einander den Krieg
12. Sep.
Japanische Truppen überqueren den Taedong-Fluss
15. Sep.
Der Kaiser Meiji besucht das Hauptquartier in Hiroshima
16. Sep.
Fall von Pjöngjang
17. Sep.
Schlacht am Gelben Meer
24. Okt.
Japanische Truppen überqueren den Fluss Yalu
Die 2. Japanische Armee landet auf der Halbinsel Liaodong
25. Okt.
Schlacht von Hushan
26. Okt.
Fall der Festung Qiuliancheng
139
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
29. Okt.
Fall der Festung Feng-huang-chen
6. Nov.
Fall von Qinzhou
7. Nov.
Fall der Festung von Dalian
9. Nov.
Japanische Truppen rücken bis Sauhoku vor
21. Nov.
Fall von Port Arthur
13. Dez.
Fall von Haicheng
1895
10. Jan.
Angriff auf Kaiping
20. Jan.
Japanische Truppen landen auf der Halbinsel Shandong
1. Feb.
China sendet Unterhändler mit einem Friedensangebot nach
Hiroshima
2. Feb.
Fall von Weihaihai
12. Feb.
Die chinesische Flotte gibt bei Beiyang auf
5. März
Fall von Newchang
7. März
Fall von Yingkou
20. März
Beginn der Friedensverhandlungen in Shimonoseki
23. März
Japanische Soldaten landen auf den Pescadoren-Inseln
24. März
Li Hongzhang wird bei einem Attentat verwundet
26. März
Japanische Truppen erobern die Pescadoren-Halbinsel
30. März
Ein Waffenstillstand wird vereinbart
17. April
Vertrag von Shimonoseki
23. April
Intervention der Dreimächte Russland, Deutschland und
Frankreich
25. Mai
Widerstand der Taiwanesen gegen die japanische Annektion
29. Mai
Japanische Truppen landen auf Taiwan
21. Okt.
Fall von Taiwan
Ende des Sino-Japanischen Krieges
140
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
12. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Karte zum Verlauf des Sino-Japanischen Krieges 1894-95
aus:
http://en.wikipedia.org/wiki/Image:First_Chinese_Japanese_war_map_of_battle
s.jpg
Abb. 2: Auszug aus dem autobiografischen Skizzenbuch Kobayashi
Kiyochikas
aus:
SMITH, Henry: Kiyochika. Artist of Meiji Japan. Santa Barbara 1988. Seite 18.
Abb. 3: „Fukawawa Susaki in Tokyo” aus dem Kiyochika Punch 1881
aus:
ebenda, Seite 59.
Abb. 4: Kobayashi Kiyochika (Fotografie)
aus:
Ebenda, Seite 119.
Abb. 5: „Prolog“
aus:
Privatsammlung Wien
Abb. 6: „Chanchans großer Schrecken“
aus:
Privatsammlung Wien
Abb. 7: „Das Lied vom Zerstampfen“
aus:
Privatsammlung Wien
141
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
Abb. 8: „Eilmeldung! Eilmeldung!“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. auch bei Diesinger 1986:20)
Abb. 9: „Hochkonjunktur in der Unterwelt“
aus:
KONISHI, Shirō: Nisshin sensō. Vol. II. Nishikie bakumatsu Meiji no rekishi. Tōkyō
1977.
Abb. 10: „Fluchtvorbereitungen“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. Auch bei Diesinger 1986:22)
Abb. 11: „Köpfeziehen“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. auch bei Diesinger 1986:25)
Abb. 12: „Ein dickhäutiges Gesicht“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. auch bei Smith 1988:94)
Abb. 13: „Vergnügen am Spielen mit modernem Spielzeug“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. auch bei Diesinger 1986:24)
Abb. 14: „Eine in China neu erfundene Maschine“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. auch bei Diesinger 1986:29)
Abb. 15: „Großes Gedränge am Fluss Sanzu“
aus:
Privatsammlung Wien (Abb. auch bei Diesinger 1986:31)
142
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
13. Anhang
13.1. Abstract
This thesis is dealing with the series Nippon banzai. Hyakusen hyakushō („Long
live Japan! One hundred selections, one hundred laughs”) made by Kobayashi
Kiyochika. It is a series containing fifty satiric woodblock prints concerning the
Sino-Japanese War 1894-95, 10 randomly selected pieces and the table of
content will be representately translated and discussed in detail.
The Sino-Japanese War, a conflict between Japan and China about interests in
Korea, was the very first Japanese war fought on foreign ground for three
hundred years and Japan’s chance to assert its authority as new power on the
international scene.
The caricatures taking place at that time are a valuably document of proJapanese propaganda and the view of nascent racialism between the Chinese
counterpart. The enemy is shown as cowardly and disingenuous; the pictures
make fun of them in various ways.
The accompanying texts in Japanese language penned by Koppi Dōjin refer to
the pictures underneath. They are humorous comments, mostly peppered with
wordplays and ironic punches and often related to specific events and battles.
Within the limits of this thesis, I have tried to analyse the series and its cultural
environment, my research is only a first step into a mostly neglected field of
ukiyo-e. Maybe the included eleven translations could be the basis for further
discussions and analysis.
143
Diplomarbeit Sonja M. Hotwagner – Nippon banzai. Hyakusen hyakushō
13.2. Lebenslauf der Verfasserin
Persönliche Daten
Geboren am 6. Jänner 1982 in Oberwart
Ausbildung
August 2007
Abschluss des Bakkalaureatstudiums Japanologie
Okt. 2006 –
Auslandssemester an der
März 2007
OSAKA UNIVERSITY OF FOREIGN LANGUAGE /
Japan
Seit Oktober 2003
Bakkalaureatsstudium der Japanologie im Rahmen
eines Doppelstudiums
Seit Oktober 2002
Diplomstudium der Kunstgeschichte
1997 – 2002
HBLA HERBSTSTRASSE für Künstlerische
Gestaltung, Wien
Berufserfahrung
seit März 2008
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ostasienwissenschaften Wien, Mitarbeit am Erstellen
einer Datenbank im Bereich ukiyo-e
Sommer 2005
Praktikum in der Ostasienabteilung des MAK/Wien,
Mitarbeit an den beiden Ausstellungen
„UAHHHHH…MANGA!“ sowie „Ukiyo-e
RELOADED“
144